Ihr kennt doch diese eine Krimi-Serie? Der Ermittler ist brillant, doch privat ist er ein Desaster. Er löst einen Mord nach dem anderen. Doch auf volle Anerkennung hat er keine Chance. Denn er hat Probleme mit Autorität, streitet sich mit dem Chef. Alleine schon seine Kleidung ist ein Affront. Aber gleichzeitig hat er eine Jobgarantie. Denn Mörder reiht sich an Mörder reiht sich an Mörder. Alle warten darauf, nur von ihm überführt zu werden.
„Cracker“ — oder „Für alle Fälle Fitz“ — vereint alle diese Klischees. Und dennoch: Sie ist genial. Versucht gar nicht erst, sie auf Netflix oder Amazon Prime zu finden. Denn es handelt sich um eine BBC-Serie, die im wesentlichen von 1993 bis 1995 ausgestrahlt wurde. 11 Folgen — mehr nicht. Die dauern dafür mehr als anderthalb Stunden. Jede Minute lohnt sich.
Fitz
Die Serie erzählt die Geschichte von Doktor Edward „Fitz“ Fitzgerald. Mitte 40, Trinker, Kettenraucher, Spielsüchtiger. Einst hatte er mal ein solides Mittelstandsleben beabsichtigt. Intellektuell bis zum Anschlag, eine wunderbare, starke Ehefrau und Partnerin. Zwei Kinder, ein Haus, ein Klavier. Und dennoch ist er gescheitert. In ewig zerknitterten Anzügen schleppt er sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob. Er ist fett geworden. Für seine Frau Judith ist die Ehe ein Martyrium.
Als eine seiner Studentinnen ermordet wird, entdeckt Fitz eine neue Berufung. Er kann Mordfälle lösen, weil er sich wie niemand anders in andere Menschen hineinversetzen kann. Er erkundet ihre Lebensgeschichten, ihre Defekte, ihre intimesten Impulse. „Your are sick, Fitz“ – „Sick as the next man“. Die Ermittler einer Einheit der Polizei von Manchester entdecken sein Talent und engagieren ihn als Berater in schwierigen Fällen. Und davon gibt es plötzlich eine Menge.
Fitz
Gespielt wird Fitz von Rubeus Hagrid. Entschuldigung: Robbie Coltrane. Er verleiht der Rolle eine enorme Verve. Auf der einen Seite das Sherlock-Holmes-hafte und die Überzeugung, über den Dingen zu stehen. Gleichzeitig ist er jedoch zu hundert Prozent ‚in the flesh‘. Er liebt seine Frau, er liebt seine Kinder. Er braucht Geld, um seine Rechnungen zu bezahlen. Er verliebt sich in den neuen Job. Und in Detective Sergeant Penhaligon.
Fitz behandelt eine Menge Themen. Von Religion über Homosexualität bis hin zu Fußball-Fankultur. Rassismus. Die Rolle einer Frau in der Männerwelt. Depression und Liebe. Die britische Presse. Wichtiger finde ich jedoch, dass die Serie eine Wendezeit beschreibt. Der späte Thatcherismus unter John Major. Eine Gesellschaft, die mit Gewalt von einem ungerechten, aber bequemen System in dem sich lords über die peasants erheben, zu einem ungerechten, unbequemen System umgewandelt wird, in dem sich die Millionäre über die Habenichtse erheben. Da das Ganze in Manchester spielt, haben wir es nicht mit den Londoner Milliardären oder Politikern zu tun, sondern nur mit Arbeitern, Angestellten, Polizisten. Fitz dringt nicht mal auf die Ebene eines Stadtrats eines Provinzhauptstadt auf. Und dennoch rüttelt er an den Grundfesten der Gesellschaft.
Fitz
Frustration ist ein Haupt-Thema der Serie. In der Episode „To be a somebody“ spielt Robert Carlyle eine ganz andere Rolle als in „The Full Monty“. Die Szenerie ist nicht so verschieden: Eine sterbende Arbeiterklasse, die von der Globalisierung vergessen wurde. Doch statt einen Striptease zu organisieren, ermordet Carlyle als Albie Menschen. Mit dem Bajonett, das sein Vater als Kriegsandenken mitgebracht hat – als Erinnerung an das Empire, für das sich das Kämpfen lohnte. Albie mordet, weil der Frust einfach zu viel wurde. Weil er zwar das Hirn hatte, um etwas anderes zu machen, als in einer Fabrik Metall zu schweißen. Aber nicht die Gelegenheit.
Cracker schafft dabei, was viele andere Serien nicht schaffen. Der Antiheld darf durch die Gegend stapfen und kann die Welt nach seinem Bild verformen. Seine Schuld ist die Schuld der Welt. Und deshalb kann er den Mördern auf Augenhöhe begegnen. Doch trotz all der Bravado bleiben die Fanboys und Fangirls nicht von der Realität verschont. Fitz zerstört nicht nur sich, sondern auch sein Umfeld. Er ist toxisch. Aber er steht in einer toxischen Gesellschaft. Wer will entscheiden, ob er das Gift oder das Gegengift ist?
Fitz
Vermutlich wird sich niemand finden, der diese alte Serie von dem Makel befreit, von der FSK als „über 18“ eingestuft zu werden. Dabei ist sie wohl weniger schädlich für die Psyche ist als zwei Folgen von Two and a Half Men oder der Menschenverachtung eines Münster-Tatorts, der so tut, als sei Mord furchtbar lustig. Das DVD-Set gibt es als Sonderangebot mit den Anti-Piracy-Spots aus den 90ern. Wenn ihr die Gelegenheit habt, guckt Euch die Serie an.