Steltermania – Über Karneval und Humor

Wir sind nun am Tag vier des üblichen Pseudo-Skandals zum Kölner Karneval angekommen. Ganz Deutschland diskutiert über die Frage: Darf man Witze über Doppelnamen machen??? Und was denkt Bernd Stelter dazu, der Nicolás Maduro der deutschen Comedy?

Was mich etwas enttäuscht: Es wurde so viel drüber geschrieben, doch irgendwie fällt es niemandem auf: Da war überhaupt kein Witz. Bernd Stelter hat den Namen von Annegret Kramp-Karrenbauer einfach nur höhnisch ausgesprochen — und das war es auch schon. Keine Pointe, nichts. Nur ein paar Prämissen: Er baute darauf, dass das schon ausreicht. Niemand im Festsaal mag die Politiker da oben, niemand mag Emanzen — und niemand will eine sein.

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Das Haupt-Problem an der Kalkulation: Wir schreiben das Jahr 2019. Und tatsächlich stand eine Zuschauerin auf und geigte Stelter für ein paar Sekunden(!) die Meinung. Wir sind wirklich in einem Humor-Entwicklungsland, wenn es uns so bemerkenswert erscheint, dass ein Comedian angeschnauzt wird. Aber nein, es war nicht einfach ein Comedian. Die Frau hat ein ein Heiligtum, den Status Quo, den Karneval beleidigt. Oder in den Worten der Geheiligten Schrift des Express:

Hätte er Witze über Religionen, Minderheiten oder unter der Gürtellinie gemacht, könnte man das Verhalten der Dame noch im Ansatz verstehen. Doch es ging schlicht: um einen Doppelnamen. Unfassbar! Der Kölner Karneval ist weltoffen, das soll auch so bleiben. Aber eines muss klar sein: Egal ob Randalierer oder Sitzungsstörer – solche Typen haben hier im Kölner Karneval nichts zu suchen.

Die katholische Gürtellinie

Um Gottes Willen – Bernd Stelter soll Witze über Religion machen? Wo er doch beabsichtigt niemanden zu beleidigen? Was soll das für ein Witz sein? Kardinal Meisner war über Jahrzehnte ein Witz – und er konnte immer versichert sein, dass der Karneval auf seiner Seite ist. Im Großen und Ganzen. Leute wie Stelter suchen lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner für ein Saalprogramm, das sie wortgleich fünf bis zehn Mal am Tag heraustrompeten können. Eintrittspreis: 40 Euro. Kölsch geht extra. Und ihr braucht eine Menge Kölsch.

Ich fände es wirklich komisch – in beiden Sinnen des Wortes — wenn diese Episode einen positiven Effekt hätte. Die Lehre sollte aber nicht sein: Du darfst keine Witze über Doppelnamen machen. Sondern: Du sollst richtige Witze machen. Und das ist schwere Arbeit, für die es Profis braucht.

Comedy ist vergänglich. Wer meint, dass ein Witz, der vor 50 Jahren gut war, heute noch unverändert gut ist, sollte sich in eine Humorklinik begeben. Wer meint, dass die gleichen Doofwitze der immer gleichen Nasen das sind, was den Kölner Karneval groß macht — die Technik ist inzwischen soweit, dass man ein Hologramm von Dieter Hallervorden auf die Bühne stellen kann. Palimm-Palimm! Haben sie eine Flasche Pommes? Zeitlos! Gegen Aufpreis auch mit Kölschem Akzent. Gesprochen von einem Bläck Fööss. Oder einem Kasalla.

Wer Witze machen will, sollte neugierig sein. Die Lebenswirklichkeit einatmen und ständig reflektieren. Ich erwarte von Comedians keine perfekt ausgewogenen Berichte, die uns Journalisten Konkurrenz machen. (Meta-Pointe!) Aber Comedy sollte zumindest eine emotionale Wahrheit transportieren. Und Comedy sollte ein Dialog sein. Wer mit einer Nummer nicht ab und zu Schiffbruch erleidet, traut sich einfach nichts, sondern sucht lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Heil Alaaf!

Im Zuge der Debatte wird immer wieder ein Karnevals-Redner zitiert. 1973 schaffte es Jonny Burchhardt, dass ihm ein kompletter Saal auf sein „Sieg“ von der Bühne mit einem spontanen „Heil“ antwortete.

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Er wechselte flugs zu einem Frisör-Witz, um sein Publikum nicht zu viel Zeit zu lassen. Die durften um Gottes Willen nicht darüber nachdenken, dass der Redner da vorne sie grade als Nazis vorgeführt hatte. Ich nehme an, das ist das letzte dokumentierte Beispiel von Humor im Kölner Karneval, bei dem das Publikum tatsächlich motiviert wurde, über sich und die eigenen Lebensumstände nachzudenken.

Um Kant zu zitieren: Comedy ist der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Einst stand Karneval für das erste, nun ist er das zweite.

Ich liebe Comedy. Ich gucke viel zu viel Comedy. Ich gehe in Comedy-Clubs. Und ich warte eigentlich darauf, dass mich Leute beleidigen. Das passiert jedoch nie. Denn ich bin die Zielgruppe, die lachen soll, weil sie den Eintritt bezahlt. Neulich versuchte ein junger Comedian, der im Ausland geboren war, eine Ungeheuerlichkeit: Er nannte uns im Publikum — ungeheuerlich! — „Kartoffeln“. Weil: Deutsche. Ich wartete verzweifelt auf die Pointe, aber es kam keine. Doch da kamen allenfalls ein paar Schocklacher: Da auf der Bühne hat jemand ein Pipi-Wort gesagt!

Comedians: Wenn ich lachen soll, strengt euch an. Stellt die Glaubenssätze meiner Existenz in Frage. Verachtet meinen Musikgeschmack. Erzählt mir über meinen Job, aber gebt mir das Gefühl, dass ihr Ahnung habt, wovon ihr sprecht.

Und Publikum: Wenn ihr 40, 60, 150 Euro für eine Eintrittskarte einer Sitzung bezahlt, dürft ihr Profis erwarten. Profis, die auch mal ein Publikum lesen und ihre Nummern anpassen können. Nicht um sie zu verschonen, sondern um den Punkt zu finden, wo es tatsächlich weh tut. Und das heißt nicht, dass das in eine Beleidigungsorgie ausarten soll. Man soll halt etwas spüren. Ein wirklicher Witz pro Stunde — ist das denn zu viel verlangt?

Falls ihr hingegen nur Blondinenwitze hören wollt, zahlt das Kölsch mit einem Aufpreis dafür, dass Ihr Euch für ein, zwei Stunden nicht mit Ehepartnern und Freunden unterhalten musstet. Und dann schwankt stillvergnügt — mit Betonung auf „still“ — nach Hause.

Das Grundproblem mit Artikel 11, Artikel 13 und dem ganzen Rest

Ich hab jetzt doch mal in die konkreten Vorschriften zu der vorgeschlagenen EU-Urheberrechtsreform geguckt — und es ist schlichtweg ein schlechtes Gesetz. Über die vielen Kompromisse, Missverständnisse und handwerklichen Fehler wurde ja genug geredet — aber ich glaube das eigentliche Problem sind die Grundannahmen. Der Gesetzestext geht davon aus es gebe hier einen Informationsmarkt im Ungleichgewicht. Man muss schlicht einer Seite etwas wegnehmen und schon pendelt sich wieder ein gesundes Gleichgewicht ein.

Die vorgeschlagene Maßnahme ist quasi ein Strafzoll — man verzeihe mir die Metapher. Das Problem: Strafzölle bringen nur Geld ein, wenn etwas importiert wird. Die Urheberrechts-Lobbyisten sagen: Da Google, Facebook und Co von Informationen leben, kommen sie ohne unsere Infos nicht aus. Wir sitzen am längeren Hebel. Wie bei Amazon und New York City stellt sich heraus: Nein.

Das kommt für niemanden überraschend, der die letzten Jahre ein wenig Aufmerksamkeit auf das Thema verwendet hat. Wir können es an so vielen Stellen sehen. Derzeit verlieren hunderte Kollegen in den USA ihre Jobs, weil Facebook ein bisschen müde war, wie viel Arbeit ihnen Nachrichten machen und wie sehr das Image der Firma leidet, weil das Management mit dem Problem ‚Fake News‘ einfach nicht umgehen kann. Zuckerberg versucht nicht mal den Journalismus abzustrafen und tut es trotzdem. Was passiert wohl, wenn man eine Steuer draufschlägt?

Nächste Woche wird die deutsche Werbewirtschaft ihre Zahlen publizieren — und ich wette die Suchmaschinen-Einahmen von Google sind wieder gestiegen. Und zwar nicht, weil sie so perfekt die besten journalistischen Produkte integriert haben, sondern weil Leute nach Bluetooth-Kopfhörern googeln und Kopfhörer-Hersteller die Gelegenheit ergreifen, dort zu annoncieren.

Wisst ihr, wer der aktuelle Star der Werbeszene ist? Amazon. Weil: Wo kann man besser seine Ware anpreisen als in einem Katalog von quasi jedem lieferbaren Produkt? Hier in Deutschland macht Otto das gleiche. Wir sind vermutlich nur wenige Jahre davon entfernt, dass ALDI Werbeschaltungen in seinem ALDI-Prospekt einführt. Es wird ziemlich schwer zu begründen sein, dass Amazon, dass ALDI Urhebern ein Stück des Geldes abgeben soll, weil die kreativ Schaffenden Musikvideos produzieren und die Äußerungen der Kanzlerin analysieren.

(BTW: Plattformen wie Amazon sind in der EU-Urheberrechtsreform ausdrücklich von der Haftung ausgeschlossen worden. Obwohl es auf diesen Marktplätzen sehr wohl substantielle Urheberrechtsprobleme gibt: Produktbeschreibungen und Produktfotos werden haufenweise geklaut.)

Wenn man über den „value gap“ reden will, muss man über den „value gap“ reden. Wie finanzieren wir die Infrastruktur, die wir für eine informierte Öffentlichkeit brauchen? Muss die durch und durch datengetriebene Werbefinanzierung zurückgedrängt werden? Wie stellen wir dann sicher, dass nicht nur die Großverdiener wichtige Informationen erhalten? Nur an den Symptomen herumzudoktern, wie es diese Reform versucht, wird uns dabei nicht helfen.

„Ich bin kein Bot, nehmt mich ernst“

Gestern war ich mal wieder bei einer netzpolitischen Demo in Köln. Da ich offenbar der einzige Journalist vor Ort war, der für Medien jenseits von YouTube arbeitet, schreibe ich hier einige Kontexte und Eindrücke auf.

Zunächst mal: Die Demo war ein außergewöhnlicher Erfolg. Innerhalb von nur zwei Tagen hatten es die Organisatoren geschafft, ihre Botschaft zu verbreiten und ihre Follower davon zu überzeugen, dass es nicht reicht, nur eine Online-Petition zu unterschreiben oder im eigenen Kreis per WhatsApp oder TeamSpeak über die Politiker zu lästern. Auf der Straße waren schätzungsweise 1000 bis 1300 Teilnehmer. Ich habe viele Demos gesehen, die mit einem Vielfachen an Aufwand und Vorbereitungszeit lediglich 200 oder gar nur 50 Leute auf die Straße brachten – selbst wenn die Bedingungen ideal waren.

Die YouTube-Szene hat sich in den vergangenen Jahren nie wirklich für netzpolitische Themen mobilisieren lassen – und wenn sie doch aktiv wurde, tat sie das außerhalb der etablierten Strukturen. Das Medium einer Straßendemo ist für alle Beteiligten ziemlich wesensfremd. Diese machte sich schnell bemerkbar: So gab es statt des üblichen Lautsprecherwagens nur einen Lautsprecher, der von zwei Ordnern in die Höhe gehalten wurde, so dass einige Redebeiträge kaum verständlich waren. Solche Lektionen muss jede neue Bewegung lernen.

Es handelt sich augenscheinlich um eine neue Bewegung. Von den Leuten, die sich sonst keine Netzdemo entgehen lassen, waren nur einzelne vor Ort. Im ganzen Demozug habe ich zum Beispiel nur eine Flagge der Piratenpartei gesehen. Es hat wohl schlicht niemand dran gedachte, die Piraten aus dem Kölner Umland frühzeitig zu alarmieren. Die Kanäle, auf denen sich der Demo-Aufruf massenhaft verbreitete, werden von Leuten über 30 Jahren eher selten gelesen.

Das heißt auch: Die Beteiligten haben noch nicht ihre vorgefertigten Talking Points parat. Einige Teilnehmer hatten allenfalls vage Vorstellungen davon, was sie denn konkret demonstrieren. Der erste Jugendliche, den ich drauf ansprach, war tatsächlich der Auffassung, dass seine Lieblings-Youtube-Channel oder gleich die ganze Plattform geschlossen werden würden. Gleich darauf wurde er aber von vier umstehenden Mitdemonstranten korrigiert.

Auch wenn der Artikel 13 auf fast allen Bannern explizit thematisiert wurde, ging es doch um mehr. Für die meist jugendlichen Teilnehmer ist YouTube ist nicht irgendeine Plattform eines Silicon-Valley-Konzerns, sondern eine Heimat. Hier haben sie nicht nur Gleichgesinnte, sondern ihre eigene Identität gefunden. Ein paar davon versuchen damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber für die meisten ist YouTube keine Geldquelle, sondern Ursprung einer Solidarität, die sie sonst nicht im Leben erfahren. Ich lebe nicht nur mein Leben, ich lebe Deines mit, wenn Du mich dran teilhaben lässt.

Genau diesen Nerv hatten Politiker wie Sven Schulze getroffen, die darauf bestehen, dass der Widerstand gegen die Urheberrechtsreform eine externe Kampagne ist, die mit Bots und Fake-Emails agiert. Insbesondere ein Banner brachte es daher auf den Punkt: „Ich bin kein Bot, nehmt mich ernst!“ Ein anderer gern zitierter Spruch: „Warum sollen alte Männer über mein Internet bestimmen?“ Andere Botschaften waren krasser: „Artikel 13 tötet uns“. Viele befürchten, dass die Freiheiten unter denen sie aufgewachsen sind, nun wieder genommen werden sollen. Dass sie in Rollenschemata einer für sie vergangenen Welt gepresst werden sollen.

Für viele war es die erste Demo ihres Lebens. Deshalb steht es in den Sternen, wie es weitergeht. Schaffen die YouTuber — man erlaube mir hier diese Vereinfachung — den Schulterschluss mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen? Brauchen sie den überhaupt, damit die Abgeordneten des Europaparlaments in den protestierenden Jugendlichen eine zu wichtige Gruppe für den Wahltermin im Mai sehen und nicht nur einen Bestandteil des Lobbyings von Google? Ausgeschlossen scheint mir, dass die etablierte Politik die Jugendlichen davon überzeugt, dass die Urheberrechtsreform in ihrem Interesse ist. Dazu wurde zu viel Porzellan zerschlagen.

 

 

Russian Doll

Ihr habt es wahrscheinlich schon überall gelesen. „Russian Doll“ ist die Netflix-Serie der Stunde. Natürlich neben „Sex Education“. Fast überall, wo ihr etwas über die Serie lest, heißt es: Natasha Lyonne ist toll, genial, fantastisch und die Story ist ein bisschen wie Groundhog Day,…. blah, blah, blah…, aber wir wollen Euch nicht zuviel verraten. Wegen Spoilern. Dazu sage ich nur: Fuck that.

Let’s sit crooked and talk straight.

Russian Doll ist tatsächlich wie der Film Groundhog Day, der auf vier Stunden ausgewalzt wurde. Und das ist ein sicheres Rezept für ein Desaster. Wer kann schon mit Bill Murray konkurrieren? Und wird aus der Prämisse nicht ein Hindernis, wenn man sich allzu lange mit ihr beschäftigt? Braucht man nicht irgendwann einen Gott oder eine Wunderdroge, die diese merkwürdige Zeitschleife erklärt? Stellt sich heraus, die Antworten sind: Natasha kann. Und: Ja, aber nein. Aber ich komme gleich dazu.

Fangen wir mit einer Handlung an: Die Hauptfigur heißt Nadia, und sie lebt das New Yorker leben. Sie trinkt wie ein Loch, sie raucht wie zwei und ihre Unabhängigkeit geht ihr über alles. Ihre Katze teilt sie mit dem Diner nebenan, ihr Ex-Freund durfte ihr nicht mal seine Tochter vorstellen und selbst beste Freundinnen müssen sich auf Kommando auf Armlänge distanzieren.

Wir schreiben Nadias 36. Geburtstag und sie ist in das Loft einer Freundin zu ihrer eigenen Geburtstagsparty eingeladen. Es ist eine wilde Szenerie, über 50 Leute drängen, tratschen und tanzen sich durch die Wohnung, die früher eine jüdische Schule war. Nadia angelt sich einen Mann, nimmt ihn mit nach Hause und auf dem weiteren Weg durch die Nacht wird sie von einem Taxi überfahren. Schnitt. Nadia steht wieder in dem abgefahrenen Badezimmer und weiß nicht, was mit ihr geschieht.

Ich mag es, wie Nadia mit der Situation umgeht. Erst freakt sie aus, dann versucht sie zielstrebig sich in der neuen Situation zurechtzufinden. Es muss eine neue Partydroge sein. Doch nein, im Joint ist nur Ketamin. Dann ist es vielleicht ein religiöser Fluch. Wir sind schließlich in einer alten jüdischen Religionsschule. Wieder eine Sackgasse. Also versucht Nadia – wie einst Phil der Wettermann – die Situation zu genießen. Doch es ist schwer. Denn die Früchte verfaulen.

Nothing in the world is easy. Except pissing in the shower.

Ich mag die Szenerie. Wie fast jede gute New Yorker Fiktion spielt die Serie nicht in einem vagen New-York-Verschnitt, der irgendwo zwischen Brooklyn und Wall Street mäandert. Russian Doll ist nachbarschafts-spezifisch. Nadia lebt im East Village – nur ein paar Block entfernt von Richard und Rachel. Wenn ihr Euch in Google Streetview durch Avenue A und Avenue B klickt, werdet ihr viele der Drehorte finden.

Auch die Menschen sind stilecht, wenn auch idealisiert: Eine party hard crowd, die sich am morgen in einen fuck pile verwandelt hat, Künstler, Coder, Literaten, Immobilienmakler. Der ständige Zustrom neuer Neu-New Yorker sorgt dafür, dass hier jeder mit jedem schlafen kann – die meisten sind nach zwei, drei, fünf oder zehn Jahren eh nicht mehr da. Aber: Nadia ist noch da. Und deshalb lieben wir sie.

Nadia ist zum Teil wie Phil, sie hat etwas von jedem Raubein, das in Romantic Comedies immerzu gezähmt wird. Wie einst Schimansky frühstückt sie mal eben ein rohes Ei aus dem Glas, weil es halt weniger Arbeit macht und Nadia meint, dass sich Leute generell nicht so viel Mühe um sie geben sollten. Denn sie wird sie sonst enttäuschen.

Ich mag es, wie die Autorinnen das Konzept der Loop weiterentwickelt haben. Anders als in Groundhog Day reden die Figuren nicht jedes Mal exakt dasselbe. Das wäre auf die Dauer wirklich nervig. Es ist zwar dieselbe Nacht, aber mit Unterschieden. Der Gasofen wird nicht jedes Mal explodieren. Stattdessen lernen wir eine Figur nach der anderen endlich besser kennen. So den Obdachlosen im Park, der ein anderes Leben als kompetenter Friseur hatte. Oder den sexsüchtigen College-Professor. John, der sich so rettungslos in Nadia verliebt hat. Und Alan. Alan ist anders.

Mit der vierten Folge kippt die Serie. Plötzlich ist da ein zweiter Charakter, der ebenfalls in der Loop ist. Alan ist das Gegenteil von Nadia: ordnungsorientiert, in einer langjährigen Beziehung und vor allem: diagnostiziert. Sobald Alan auftritt merken wir: Russian Doll ist nicht einfach die Erzählung, wie ein oder zwei Asympathen plötzlich das Bessere in sich entdecken und den perfekten Tag plötzlich zum perfekten Leben umgestalten. Es geht um Geisteskrankheit, Traumata und Selbstzerstörung. Die Botschaft ist so einfach wie intensiv: Lass Dir helfen.

Here it comes, a cure for the night

Es ist kein wirklicher Spoiler, wenn ich sage: Beide finden aus der Todesschleife heraus, beide finden plötzlich Trost in ihrem Leben. Macht Euch nicht allzu viele Gedanken drüber: Einen Sinn wird die Story nie ergeben. Aber wir fiebern mit Nadia und Alan, dass sie endlich an den Punkt kommen, an dem sie erkennen, wo der offene Bruch in ihrem Leben liegt.

Und man kann ihnen das Happy End vergeben, nachdem wir so viele dunkle Seiten gesehen haben. Horse ist nicht nur ein wundervoller Obdachloser, er hat auch keinerlei Hemmungen einen Betrunkenen auszurauben. Ruth ist nicht nur die sassy, sie ist auch gebrechlich, hilfsbedürftig und verängstigt. Wie wir alle irgendwie. Und alle um uns herum.

Kurzum: Daumen hoch. Anschauen.