So’n Shard

Das Ingress-Leben kann ziemlich eintönig sein. Man baut ein Portal auf, jemand anders reißt es ein. Man baut ein Feld auf, jemand anders reißt es ein. Man deckt eine ganze Stadt mit Feldern ab, obwohl man in der Minderheit ist. In your face, Schlümpfe!

Um das Ganze aufzufrischen schickt Google Leute wie Anne Beuttenmüller durch die Städte der Welt, um dort lokale Wettbewerbe zu veranstalten. Ich habe bei so einem Happening mitgemacht und mit etwas mehr Kommunikation, worum es überhaupt geht, kann das viel Spaß machen. Mit ein paar Hundert Spielern durch die Stadt ziehen, Geheimbotschaften entschlüsseln, Kommunikations- und Befehlsstrukturen aufbauen, Fahrradstaffeln als schnelle Eingreiftruppen aufstellen. Und nachher zusammen durch die Kneipen ziehen.

Zur Zeit hat Niantic einen neuen Wettbewerb im Gange. Statt lokal zu konkurrieren sollen Enlightened und Resistance über Landesgrenzen hinweg gegeneinander konkurrieren. Es geht darum, so genannte „Shards“ von Portal zu Portal zu transportieren. Die einen müssen ihre Shards nach San Francisco bringen, die anderen irgendwo nach Südamerika. Nun müssen beide Teams jeweils zur vollen Stunde darum konkurrieren, wem das Portal gehört und es mit gezielten Links weitertransportieren oder blockieren.

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Die Episode gestern in Köln haben die Schlümpfe gewonnen. Nachdem es 18 Stunden kaum weiterging, haben sie es irgendwann in den frühen Morgenstunden geschafft, den Shard aus Köln rauszuschmuggeln. Derzeit ist er auf dem Weg nach Belgien. Ich sehe das gelassen — jetzt muss sich das Resistance-Team den Kopf zerbrechen, wie es das Ding über den Atlantik bekommt. Ein Shard dümpelt derweil auf der idyllischen Azoren-Insel Corvo in einem verlassenen Portal. Nun muss Niantic die Regeln mitten im Spiel ändern, damit die Episode selbst in den fiktiven Erfolgsberichten nicht zum Desaster wird. (PS: Oder die Frösche vor Ort schaffen nach einer längeren Planungsphase doch den Sprung auf’s Festland.)

Was gedacht war als olympischer Staffellauf, ist eine Frustrationsmaschine. Am Ende gewinnt der, der um drei Uhr morgens an einem normalen Arbeitstag mit dem Smartphone vor Ort ist, da jede Taktik viel zu einfach vom gegnerischen Team zerstört werden kann. Die Intel-Map von Ingress ist nicht zu gebrauchen, da sie mehrere Minuten braucht um die Änderungen anzuzeigen, die Spieler fliegen blind. Und dann gibt man den Erfolg aus der Hand. Denn der Atlantik ist einfach zu groß.

Schengen-Routing? Nur zu, aber ohne Gesetze

Als ich das erste Mal von „E-Mail made in Germany“ gehört habe, dachte ich: Nur zu. Warum habt ihr so lange gewartet? Die Erklärung von Telekom, United Internet und Freenet, dass sie ihre E-Mails endlich beim Transport verschlüsseln wollten, war zumindest ein Hoffnungsschimmer. Dass die Teilnehmer dieser „Allianz“ ein besonderes Symbol bekommen sollten, wo sie in Sachen E-Mail-Sicherheit zum Beispiel Google so weit hinterherhinkten, war zwar etwas gewagt — aber jeder kämpft mit seinen Mitteln um Marktanteile. Google installiert dafür Google Mail auf fast allen Smartphones.

Ähnlich dachte ich beim „Schengen-Routing“ oder dem verspotteten #schlandnet: Das Internet ist zwar sehr auf weltweite Verbindungen angewiesen. Aber die Router schießen Datenpakate aber nicht aus purer Freude und Übermut über den Atlantik. Sie sind so eingestellt, dass sie die schnellste oder günstigste Route nehmen. Wenn nun also die deutschen, europäischen oder schengenräumischen Anbieter mehr gute und günstige Verbindungen aufbauen wollen: Nur zu. Das könnte sogar etwas an den Abends stockenden YouTube-Videos ändern, die Google natürlich nicht jedesmal aus Amerika herübersendet, sondern aus den in Europa angesiedelten Rechenzentren und Zwischenspeichern. Und: Der GCHQ bekommt etwas weniger zum Schnüffeln — zumindest nicht direkt ins Haus geliefert.

Kein Telekom-Zwang per Gesetz!

Problematisch wird es aber dann, wenn dieses Routing in Gesetze gegossen werden soll. Dann wird es hoch problematisch. Die Deutsche Telekom verwies auf der Konferenz Cyber Security Summit zwar wiederholt daraufhin, dass auch andere Länder solche Routing-Regeln hätten. Mir fielen da spontan nur China, Iran, Kuba und Co ein. Auf wiederholte Nachfrage nannte der Telekom-Vorstand dann die USA als Beispiel. Da dort fast alle wichtigen Tier-1-Provider, Facebook, Google und Apple sitzen, dringt natürlich wenig Datenverkehr nach außen. Zudem gebe es im Telekommunikationsbereich Vorschriften, den Telefonverkehr nicht über anderen Länder zu leiten. Die Amerikaner wissen warum. Wenn man den Enthüllungen Snowdens glauben mag, nutzten sie Kooperationen ihrer eigenen Telekom-Konzerne, um in Netze anderer Länder einzubrechen.

Doch Telefonverkehr ist nicht das Internet. Es gibt keine Ländervorwahlen und viele der obsoleten Telekom-Vorschriften greifen nicht mehr. Der BND nutzt diese Erkenntnis angeblich, um das ganze Internet zur Auslandskommunikation zu erklären. Darüber sollten wir, darüber sollte der Gesetzgeber dringend reden. Auch mit Schengen-Routing kann man keine brauchbare Trennung zwischen geschützter und ungeschützter Kommunikation ziehen. Auch wenn ich per Facebook oder Skype kommuniziere, sollte meine Telekommunikation nach Grundgesetz vor dem deutschen Staat geschützt sein. Und ein Gesetz, das so tut, als ob Deutsche nur ihre T-Online-E-Mail nutzen, ginge an der Realität vorbei.

Das Internet muss flexibel sein. Man stelle sich vor, ein Gesetz zwingt die kleinen Anbieter mit dem einen großen deutschen Telekom-Konzern so weit zu kooperieren, wie es technisch und wirtschaftlich nie erreichbar wäre. Eine Störung bei der Telekom würde das gesamte deutsche Netz ins Wanken bringen. Denn die Verbindungen zu US-Anbietern wie Level3, die durch Telekom-Verbindungen ersetzt worden wären, wären flugs überlastet. Zudem wäre es ein bequemer Unterpfand für die Pläne der Telekom, für die Nutzung des eigenen Netzes von Content-Anbietern wie YouTube Geld zu kassieren. Denn wenn die US-Konkurrenz gesetzlich ausgesperrt oder gebremst würde, flösse mehr Verkehr über die Telekom. Wenn die an der einzigen Hochgeschwindigkeits-Anbindung ins deutsche Netz ein Mauthäuschen aufbaut, dann müssen die Großspediteure wohl oder übel zahlen. Gibt es mehrere gleich gut ausgebaute Zufahrten, wer soll ausgerechnet die Mautstrecke nehmen?

Eine AG kann keine Geschenke verteilen — und tut es nicht.

Natürlich hat die Telekom recht, wenn sie die vielen Forderungen nach Netzausbau, Qualität und Neutralität mit den Frage beantwortet: Wer soll das bezahlen? Die Politik hat entschieden, die Telekom zu einer Aktiengesellschaft zu machen, sie ist daher profitorientiert und kann nicht pausenlos Geschenke verteilen, weil es der Politik gefällt. Kapitalanleger verlangen, dass sich Investitionen in fünf Jahren bezahlt machen. So baut man kein Glasfasernetz. Vielleicht lernen Kapitalanleger ja dazu.

Die Umkehrseite heißt dann aber auch: Mit der Telekom gibt es kein informelles quid pro quo. Wenn die Politik dem Konzern Einnahmen in Höhe von einer Milliarde Euro zuschustert, darf der sich gar nicht in den deutschen Netzausbau pumpen, wenn ein Investment im Ausland so viel lukrativer erscheint. Wenn ich also lese, dass Bundesinnenminister Friedrich das Deutschland/Schengen-Netz in ein vermeintliches, höchstwahrscheinlich missverstandenes Sicherheitsgesetz gießen will und die Telekom gleichzeitig um umfangreiche Regulierungserleichterungen, sogar „Regulierungsferien„, lobbyiiert, liegt ein solcher politischer Tauschhandel nahe: Eine vermeintlich verbesserte Sicherheitsinfrastruktur wird gegen Wettbewerbsvorteile eingetauscht. Und der Bund muss nichts bezahlen, spart sogar ein paar Stellen bei der Bundesnetzagentur.

Ein solcher Handel wäre jedoch ein Kuhhandel. Die Sicherheitserhöhung ist nur marginal, wenn die Anbieter endlich aufwachen und ihre Verbindungen verschlüsseln — und was der BND tut, sollen wir eh nicht erfahren. Die Auswirkungen auf das Internet, den Wettbewerb und die Rechtssicherheit von Angeboten wäre jedoch beträchtlich. Wenn US-Anbieter auf unzulässige Weise in den Markt eingreifen, um Herrschaft über Datenleitungen zu bekommen, dann sind die Wettbewerbsbehörden gefragt.