Die sind nicht gaga bei Kress

Eben geht die Nachricht durch sämtliche Timeline: Bild.de wurde bei den Awards des Branchendienstes Kress ausgezeichnet. Typische Reaktion hier von Jürgen Kuri:

Nein, Kress ist nicht gaga. Die Entscheidung ist nur konsequent. Denn die Awards-Gala dient vor allem einem Zweck: Sie soll Gewinne einspielen. Ein festlicher Saal muss mit gut zahlenden Gästen gefüllt werden. Deshalb ersinnt man ganze 18 Preiskategorien, für die man jeweils bis zu sechs Finalisten einlädt.

Nun – das mit der Einladung ist so eine Sache: Umsonst kam nämlich niemand zu dem hochklassigen Branchenevent:

Sprich: Sogar die Finalisten mussten ihr Essen selbst bezahlen. Und den Saal. Und die Unterhaltung. Und wer richtig was zu präsentieren hatte, buchte am Besten gleich einen Achtertisch. Dafür gab es immerhin einen satten Rabatt von knapp unter 10 Prozent. Für einen repräsentablen Auftritt macht das immer noch 1808 Euro. Plus Anfahrt, Übernachtung und die sonstigen Annehmlichkeiten einer Firmensause kommt man durchaus auf einen nicht unerheblichen Betrag. Wenn dann ein Außenseiter mit dem Preis nach Hause fährt, sparen sich die Verlage eine solche Ausgabe.

Der Jury Bestechlichkeit vorzuwerfen, wäre ein billiger Reflex. Aber natürlich ist ein auf Ertrag angelegter Award, der beim Kress-Eigentümer Haymarket ein etabliertes und wahrscheinlich lukratives Geschäftsmodell ist, einer anderen Dynamik als die Preise, die durch Sponsoren ohne Preisambitionen, Spenden oder gar öffentliche Gelder finanziert werden. Die Veranstalter von Preisverleihungen sind nie altruistisch, sondern wollen immer etwas erreichen: Eine Botschaft in die Medien bringen, eine Branche in eine bestimmte Richtung beeinflussen, für Öffentlichkeit sorgen. Und im Fall Kress ist das Ziel die Rentabilität. Und niemand ist rentabler als Bild.de.

Radiergummi für Ermittlungsfehler

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Radiergummi für Ermittlungsfehler. Jahrelang Hinweise ignoriert? Kein Problem: Schauen wir doch in die Verbindungsdaten, wenn die Justiz dann doch Mal eingeschaltet wurde. Sechs Monate — oder noch besser: zwei Jahre — sollten alles abdecken, was wir verpasst haben.

Nicht vertrauenswürdige V-Männer engagiert? Kein Problem: Mit den Verbindungsdaten schauen wir ihnen nachträglich auf die Finger. Und sehen dann ganz klar, wie sie uns an der Nase herumgeführt hatten. Aber in die Prozessakten müssen wir das nicht geben, oder? Radieren wir den V-Mann aus der Gleichung und alles ist wieder wie vorher. Gebrochene Beine heilen, gebrochene Biografien werden repariert. Die Toten stehen zwar nicht wieder auf, sie werden aber entschädigt.

Verbindungsdaten sind so unfehlbar wie DNA-Tests. Es besteht nie ein Zweifel, wie welche DNA-Spuren zugeordnet werden oder unter welchen Umständen sie hinterlassen wurden. Es gibt keine unregistrierten Handies. Kriminelle verhalten sich wie unbescholtene Bürger und verdecken ihre Spuren nicht. Und wer acht Mal in der Nähe eines Täters ist, wird wohl auch etwas Täter sein. So ein bisschen. Dann schauen wir genau hin. Und machen DNA-Tests. Und sammeln die Verbindungsdaten der Leute ein, die acht Mal in seiner Nähe waren.

Sherlock Holmes und das Rätsel des verschwundenen Einzelverbindungsnachweises

Als unser neuer Klient Major Beeblebrox unsere Wohnung verlassen hatte, herrschte zuerst Stille. Sherlock Holmes ging zu seinem persischen Pantoffel, in der er seinen Tabak aufbewahrte unbd füllte seine Pfeife. Schweigend rauchte er dreißig Minuten lang. Dann griff er zu seiner Violine und spielte eine der wildesten Improvisationen, die ich jemals von ihm gehört hatte.

Für den gewöhnlichen Beobachter mochte das absonderlich erscheinen. Sollte der Detektiv nicht unmittelbar in Aktivität ausbrechen, Telegramme abschicken, oder sich in den Leihhäusern an der Worchester Road nach dem gestohlenen Xylophon Ausschau halten? Doch ich wusste: Tief im Kopf meines Mitbewohners arbeitete die unablässige Maschine seines Intellekts, der jeden Hinweis, jedes Motiv sezierte — genauer und treffender als es selbst Scotland Yard mit seinem Apparat von Hunderten sturmerprobter Polizisten konnte.

Holmes steigerte sich so in sein Violine-Spiel hinein, dass der Schweiß auf den Boden tropfte. Eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Schließlich konnte ich nicht mehr an mich halten.

„Nun?“, fragte ich vorsichtig.

Wie vor den Kopf geschlagen hörte Holmes auf zu spielen. „Nun was?“ fragte er. Offenbar hatte ich ihn wieder aus seiner ganz eigenen Welt zurückgeholt.

„Der Fall. Major Beeblebrox. Das verschwundene Kindermädchen. Die drei abgeschnittenen Finger im Briefumschlag. Und der spuckende Zoowärter. Können Sie sich einen Reim darauf machen?“

„Mein lieber Watson. Sie lassen sich wieder durch die Details des Falls blenden. Habe ich Ihnen nicht oft gesagt, dass die absonderlichsten Fälle oft die einfachsten sind? Sie sehen, aber sie beobachten nicht.“

„Wollen Sie mich nicht an Ihren Gedanken teilhaben lassen?“

„Sicher, mein lieber Watson. Das entscheidende Detail des Falles ist das Telefon des toten Bankräubers.“

„Das Telefon? Ich kann nicht wirklich sehen, was dies mit dem Fall zu tun hat…“

„Das ist elementar, mein lieber Watson. Mit wem hat Dent am 17. April telefoniert?“

„Woher sollen wir das wissen? Das ist über ein halbes Jahr her. Und wir haben schließlich keine Vorratsdatenspeicherung.“

„Stimmt, Watson. Und deshalb werden wir den Fall niemals lösen. Die kleine Trillian wird ihre Mutter niemals wiedersehen.“

„Das ist aber höchst traurig, Holmes.“

„Nun, die Realität beugt sich nicht immer den romantischen Vorstellungen ihrer Leser.“

„Und was nun?“

„Sex.“

„Nun gut. Aber seien sie nicht wieder so grob!“

Creative Commons in der Praxis: Alles über Wikipedia

Vor zwei Monaten präsentierten Wikimedia Deutschland und der Verlag Hoffmann und Campe das Buch Alles über Wikipedia – ein Buch zum 10. Geburtstag der Online-Enzyklopädie. Auch ich habe dem Projekt einen meiner Texte zur Verfügung gestellt, sogar kostenlos, da das gesamte Buch unter der Creative Commons-Lizenz Attribution Sharealike 3.0 Unported steht.

Nur was nutzt eine CC-Lizenz, wenn das Buch nicht digital zur Verfügung steht? Bisher sind bei Wikimedia Deutschland nur ein paar Texte online, die es offenbar nicht in die Print-Ausgabe geschafft haben. Nun — hier im Büro steht ein leistungsfähiger Scanner und ich besitze ein Programm zur Texterkennung. Wer also keine 17 Euro für eine Totholzausgabe ausgeben will, kann sich hier also das PDF kostenlos herunterladen, es überarbeiten und weiter verteilen. Dabei sollte man aber auf die Lizenzbedingungen achten: Die Lizenz muss angegeben werden, und die Autoren müssen genannt werden.

Alles über Wikipedia. (PDF)

PS: Kleines technisches Problem, jetzt ist die Datei komplett.

Anti Augmented Reality

Die Augmented Reality reichert unser Leben, reichert unsere Umgebung an. Fotos zeigen nicht nur Tante Else und Onkel Karl, sondern halten auch exakt fest, wo ihr Hund Moritz grade sein Geschäft verrichtet hat. Die Supermarktregale sind nicht nur voll mit bunten Verpackungen und Fernsehprominenz, sondern zeigen auch alle dreißig Zentimeter die hässliche Fratze unserer Lebensmittelallergie. Wir irren nicht mehr durch Städte und lernen sie kennen, wir werden durchgeschleust zu den Orten, die unsere Facebook-Kontakte gut fanden. Augmented Reality. Erweiterte Realität.

Doch die voll-verdatete Welt ist eine Illusion. Die Realität ist viel komplexer als die Datenbanken uns Glauben machen wollen. Sie sind nur begrenzt, eine Ansammlung von Zahlen. In Tabellen, die sich irgendwer erdacht hat. Sie kennen nicht den Duft von frischem Schnee. Und sie wissen nicht wo „vorne links“ ist. Den Zufall hassen sie. Denn gegen ihn sind sie machtlos, ihn versuchen sie mit Hilfe der Algorithmen zu besiegen.

Doch wenn die erweiterte Realität allzu offensichtlich versagt, dann können wir ja die einfache Realität abändern. Dann schreiben wir halt auf Straßenschilder drauf, was denn die Navigationsgeräte verarbeiten können. Und schreiben dazu GPS. Denn was GPS sein mag, können die meisten Menschen nicht verarbeiten. Für sie ist es ein Synonym für „Navigation“. Das muss das Navi nicht wissen. Das muss der Autofahrer nicht wissen. Das Schild sortiert die Realität in die Datenbank.

Hey, Entertain

Die Telekom wirbt grade massiv für T-Entertain, die perfekte Symbiose aus Pay-TV und DRM zum Preis von beidem. Leider hat sie bei der Werbung mehr auf Reichweite, denn auf Qualität gesetzt. So flimmert mir in letzter Zeit immer wieder diese Grässlichkeit über den Bildschirm. (Für das volle Ausmaß des Trauerspiels auf den Banner klicken.)

Zum einen, liebe Telekom-Werber: Wollt ihr für so etwas tatsächlich dieses amateurhafte Dithering einsetzen? Zeigt ihr den schrecklichen Banner so oft an, dass ihr mit den Kilobyte knappsen müsst? Und hasst ihr Eure künftigen Kunden so sehr, dass sie diese optische Zumutung ertragen müssen? Oder ist das ein Vorgeschmack auf die Bildqualität, die Entertain bieten wird?

Und dann auch noch die Rückseite des Banners. Wenn ihr nicht wollt, dass die Kunden die Angebotsbedingungen kennen, lasst sie doch einfach weg. Acht kleingedruckte Zeilen in Drei-Sekunden-Abschnitten anzuzeigen, spricht von einem Kundenumgang, den ich Drückerbanden zuordnen würde. Unterschreiben Sie hier! Nein, das müssen sie nicht lesen! Unterschreiben sie schon!

Dabei wäre es so einfach: Lasst die meisten Fußnoten weg. Wenn ihr nicht nur in den ersten zwölf von mindestens 24 Monaten günstig seid, dann spart ihr eine Fußnote. Und der Kunde käme sich weniger veräppelt vor.

Also als Kundenservice für T-Entertain: hier nochmal das Kleingedruckte schwarz auf grau zum Nachlesen – und nicht in Drei-Sekunden-Häppchen.

(Volltext folgt auf Klick.)

Der so genannte Schultrojaner

Odsseus: *Klopf Klopf*
Hektor: Wer da?
Odysseus: Wir sind’s die Griechen. Wir holen Helena ab.
Hektor: Nur über meine Leiche. Mein Bruder wird dies niemals zulassen.
Odysseus: Doch, sicher. Sieh her: er hat die Kapitulation unterschrieben.
Hektor: Niemals!
Paris: Doch, das hab ich unterschrieben. Helena hat schon gepackt. Komm rein, Odysseus.
Hektor: Moment Mal!
Odysseus und Hektor: Ja…?
Hektor: Da fehlt doch etwas. Wo ist das Pferd?
Odysseus: Welches Pferd?

Lange Rede, kurzer Sinn. Der „sogenannte Schultrojaner“ ist kein Trojaner. Er wird nicht ohne Wissen der Administratoren installiert, er kommt durch keine Backdoor und installiert auch keine, er versteckt sich nicht hinter anderen Funktionen.

„Schultrojaner“ ist lediglich ein Kampfbegriff, eine Stimmungsmache, die die falschen Ängste weckt. Das erspart einem zwar viel Erklärungsarbeit, wo jetzt genau der Skandal liegt und sorgt für schnelle politische Ergebnisse, aber es ist dennoch ein irreführender Kampfbegriff. Und wenn man das bei Politikern schlimm findet, sollte man selbst sorgsam mit der Sprache umgehen.

Medienkompetenz plus

Was ist, wenn nicht mangelnde Medienkompetenz das Problem ist, wie wir seit Jahren vermuteten? Was, wenn die Bevölkerung die Botschaften nur zu gut verstanden haben?

Finanzmarkt? Ist zu kompliziert, haltet Euch raus. Europa? Ist zu kompliziert, haltet Euch raus. Gesundheitspolitik? Unterschreibt Eure Vorsorgevollmacht. Haltet Euch raus. Oh, guckt Mal! Ein Hoppelhase moderiert Wetten dass…!