Hallo,
Sie kennen mich vielleicht nicht. Aber ich bin ihr Kandidat. Während ganz Deutschland Über die Merkels, Westerwelles und Künasts spricht, können Sie in Wahrheit nur mich wählen. Wissen Sie überhaupt, wer in Ihrem Wahlkreis kandidiert? Die Straßen hängen voll mit unseren Gesichtern.
Wir haben uns sogar schon Mal getroffen. Sie erinnern sich vielleicht nicht, aber einer meiner Mitarbeiter hat Ihnen einen Kugelschreiber geschenkt. Und ihr Kind hat einen Luftballon bekommen. Ja, Sie meinen, ich hab sie nicht gesehen. Jetzt wo sie sich erinnern, glauben Sie, dass ich nur heiße Luft von mir gegeben habe. Aber Grußworte sind halt so. Während meiner Ansprache haben sich für einen Moment unsere Blicke getroffen. Mein Blick sagte: Sie sind mir wichtig. Sie wandten sich jedoch ab.
Ich weiß – Beruf: Politiker. Was soll man da erwarten? Geltungssüchtige. Versager. Abzocker. Mir wird tagtäglich alles an den Kopf geworfen. Und manchmal verstehe ich es auch. Doch wollte ich nur Geld machen — es gäbe Berufe mit weitaus sympathischeren Arbeitszeiten. Assistenzarzt in Uniklinken beispielsweise. Und denen schaut keiner ins Schlafzimmer.
Warum ich in meiner Partei bin? Nun, ich glaube an die Freiheit, an Demokratie. Und unsere Partei hat die besten Konzepte. Hier — nehmen Sie eine unserer Broschüren mit dem Parteiprogramm. Da: auf Seite 13, den Abschnitt über Generationengerechtigkeit im Lokalen — der stammt von mir. Während andere durch Mehrgenerationenhäuser getingelt sind, hab ich mich da richtig reingehängt.
Ja, Sie haben recht. Ich bin nicht in die Partei eingetreten, um auf Seite 13 zu erscheinen. Die Welt ein wenig besser machen? Nun — ich bin mit 15 in unsere Jugendorganisation eingetreten. Es hat viel Spaß gemacht damals. Und im Kleinen konnte ich da schon sehr früh Verantwortung übernehmen. Wir haben dem Gemeinderat die Finanzierung für einen Jugendraum abgeschwatzt. Die Plakatierung organisiert. Das war mit die schönste Zeit. Damals wurde man noch nicht per Leserbrief verleumdet. Damals beschimpfte mich noch niemals als „Statthalter“ und „Kriegstreiber“. Dabei habe ich mit der Verteidigungspolitik nun gar nichts zu tun.
Ohne die Unterstützung meines Vaters hätte ich es wohl nie gewagt, in die Politik zu gehen. Er bestand aber darauf, dass ich erst einen ordentlichen Beruf ergreife. Und wissen Sie was: wenn man sich engagiert, dann hilft es auch in anderen Bereichen. Es heißt: es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind zu erziehen. Das gleiche gilt für Politiker. Mein erster Klient war ein Parteifreund. Und auch mein zweiter. Scheuklappen habe ich aber nicht. Ich habe auch mit der Stadtrat Knöber zusammengearbeitet, obwohl wir politisch nun gar nicht zueinander passen. Was meinen Sie, wie oft ich mich gestritten habe mit meinem Kreisvorsitzenden, dem Bürgermeister, sogar dem Bundestagsabgeordneten gestritten habe? Ich hab auch Mal einen offenen Brief an die Parteiführung unterschrieben. Ich bin kein blinder Parteisoldat.
Aprospos. Was halten sie da von unserem Großprojekt? Meine Parteiführung hat sich schon entschieden, ja. Aber daran können wir noch was drehen. Ohne die Unterstützung der Basis würden wir so ein Milliardenprojekt nicht umsetzen. Sicher nicht. Sie müssen uns nur frühzeitig Bescheid geben. Wir können keinen Erfolg garantieren, aber wir haben große Hoffnungen. Wenn Sie wollen, können wir in der Bürgersprechstunde darüber reden. Es sind noch viele Termine frei.
Ach, Sie haben etwas anderes vor? Das kann ich natürlich verstehen. Vielleicht sehen wir uns am Wahltag? Nein?