Elke Heidenreich gibt mir recht

Zwar hat sie meinen Blogeintrag zwar kaum gelesen, aber Elke Heidenreich schließt sich meiner Meinung an, dass Sendeplätze immer unwichtiger werden. Und das nicht nur mit vielen Worten, sondern auch mit Taten: sie verbreitet ihre Sendung jetzt im Internet.

Mit dem Fernsehen sei sie nun aber irgendwie fertig. Auf die Idee, ihre Sendung ins Internet zu verlegen, habe sie anfangs skeptisch reagiert. Jetzt sei sie aber voll überzeugt, denn das Internet sei „das Medium der Zukunft“. Jeder könne sich „Lesen!“ nun anschauen, wann er wolle. litCOLONY sei außerdem sehr professionell gemacht.

Nundenn – ich bin mal gespannt, ob die Buchhändler in Zukunft die bei „Lesen!“ vorgestellten Buchhändler immer noch in großer Stückzahl vorbestellen. Aber dies ist im Zweifel gar nicht mehr nötig: die sorgfältig gelobten Bücher kann man nun direkt im Onlineshop nebenan bestellen.

Update: Mit dem neuen news cycle korrigiert dann Heidenreich auch unschöne Details im allzu öffentlichen Gedächtnis:

„In meinem Herzen war ich mit dem Fernsehen durch“, sagt die Literaturkämpferin, die betont, ihr Rauswurf beim ZDF sei idiotisch gewesen, weil sie vorher schon zum Jahresende gekündigt habe.

Das ist das erste, was ich darüber höre. Nach Fernsehgalagate hat Heidenreich das ZDF noch trotzig aufgefordert, sie doch rauszuwerfen – das war sichtlich nicht ernst gemeint. Dann präsentiert sie ihre Pläne für ihre zwei verbliebenen Sendungen, bis der Vertrag ausläuft. Kurz darauf die öffentliche Kündigung durch das ZDF – wann will sie da selbst gekündigt haben? Immerhin, die Legende lebt: Literaturkämpferin ist sie nun.

Nachrichten-Origami

Die Geiselnahmen in Mumbay dauern noch an. Man weiß schon einiges, aber praktisch noch nichts über die Angreifer. Wir wissen noch nicht, wie viele Tote es gegeben hat, welche Nationalitäten die Opfer haben. Im Englischen gibt es dafür den treffenden Ausdruck „situation unfolding„.

Eine treffende Metapher. Ein Terror-Anschlag ist für Medien so etwas wie ein zusammengeknülltes Papier: Man muss es erst vorsichtig glattstreichen, um die Aufschrift zu entziffern. Manchmal meinen wir zu früh, etwas entziffern zu können – so entstehen Falschmeldungen. Manchmal war in dem Papierknäuel der Einkauf vom Fischmarkt eingewickelt, so dass wir unmöglich alles entziffern können. Und manchmal ist das ganze Blatt Papier einfach leer.

Gute, alte Worte

Die FAZ über eine neue Drogenpolitik bei unseren schnuckligen Nachbarn im Nord-Westen:

Jetzt aber wird der in jedem Reiseführer vermerkte Coffeeshop zum Sinnbild für den Kampf der Regierung von Ministerpräsident Balkenende gegen den holländischen Sonderweg in der Rauschgiftpolitik.

Ich dachte schon – fälschlicherweise – das Wort „Rauschgift“ sei ausgestorben seit Wir Kinder vom Bahnhof Zoo nicht mehr im Kino gezeigt werden. Sehr schön. Droge ist so ein schlappschwänziges Weichmacher-Wort. Rauschgift – das hat hingegen noch eine Aussage!

Ich begrüße auch ausdrücklich, dass dieses gestelzte Wort niederländisch durch das viel volkstümlichere holländisch ersetzt wird. Diese geographical correctness heutzutage ist ja nicht auszuhalten.

Do the math

Ich habe am Donnerstag in Sachen Netzsperren gegen Kinderpornographie nachgefragt und bekam vom Bundesfamilienmisterium ein buntes Sammelsurium möglichst kontextloser Fakten geliefert. Als Außenstehender hat man es natürlich schwer, das nachzuvollziehen. Was bedeutet es, wenn ein paar Tausend Ermittlungsverfahren eröffnet werden? Die Aussagekraft von Polizeistatistiken ist eh nur sehr beschränkt.

Um so enttäuschter war ich, als ich die wenigen konkreten Zahlen las, die das Bundesfamilienministerium vom Bundeskriminalamt übernommen abgeschrieben hat.

Bei der Besitzverschaffung von Kinderpornografie durch das Internet war von 2006 auf 2007 sogar ein Zuwachs von 111% festzustellen von 3.271 auf 6.206 Fälle.

Wenn die Statistiker nicht mal einfache Prozentrechnung können, sehe ich schwarz für die Glaubwürdigkeit. Und die wäre bei dem Thema eigentlich ganz wichtig.

Update: Zwei Tage nachdem ich das BKA auf den Fehler aufmerksam gemacht habe, hat die Behörde die Angaben korrigiert:

Bei der Besitzverschaffung von Kinderpornografie durch das Internet war von 2006 auf 2007 sogar ein Zuwachs von 111% festzustellen (von 2.936 auf 6.206 Fälle)(Angabe aktualisiert am 26.11.2008).

Der Wall

Bundesfamilienministerin von der Leyen hat dem Hamburger Abendblatt ein Interview gegeben:

Abendblatt: Was unternimmt die Regierung?
Von der Leyen: Das Allerwichtigste ist, dass das BKA wie bisher Täter ermittelt und gezielt Quellen schließt. Das reicht nicht. Ich will einen Damm bauen gegen die Flut der Bilder, indem wir den Zugang für den Kunden blockieren.

Abendblatt: Heißt konkret?
Von der Leyen: Wir schließen die Datenautobahn der Kinderpornografie. Das BKA erstellt Listen der kinderpornografischen Websites. Jetzt sollen die Zugangsanbieter gesetzlich verpflichtet werden, die Listen zu beachten und solche Websites unverzüglich zu schließen. Der Kunde klickt an und läuft ins Leere – kein Anschluss unter dieser Nummer. Das ist technisch möglich, und es ist rechtlich möglich.

Klingt toll, oder? Das Problem: Es ist eine politische Version der Wahrheit – um nicht zu sagen: eine Lüge. Es gibt keine separate „Datenautobahn der Kinderpornographie“.

Kinderpornoseiten kann man überall schließen, wo man einen funktionierenden Rechtsstaat hat. Das wird heute schon gemacht. Das reicht Frau von der Leyen nicht. Sie plädiert in dem Interview nicht etwa dafür, Seiten zu schließen – sie will sie lediglich für Deutsche unzugänglich machen.

Wie geht das? Die politische Vision: Jeder deutsche Internetprovider bekommt einen schlauen, grauen Kasten, der das gute Internet vom bösen Internet unterscheidet. Aber wir wissen ja, wie gut graue Kästen bei solchen Fragen arbeiten. Und die Kinderpornos bleiben weiter online, die Verbrecher verdienen weiter Geld.

Der „Wall“, den die Ministerin aufschütten will, ist eine schöne Metapher. Denn Wälle alleine halten niemanden ab, im schlechtesten Fall braucht man eine Leiter um sie zu überwinden. Oder man umgeht sie einfach. Will Frau von der Leyen die Verbreitung wirklich ein wenig einschränken, dann muss der Wall schon etwas höher werden. Und aus solidem Stein gebaut sein. Und muss mit Tausenden von Soldaten besetzt sein. Man nennt es auch die Große Firewall von China, eine der massivsten und repressivsten Zensurmaßnahmen, die wir bisher kannten.

Und selbst diese Mauer ist durchlässig.

PS: Wenn Frau Leyen nach der „Einstiegsdroge“ sucht, kann sie ja mal VIVA einschalten.

Skandal! Ich weiß, was Du in der Wikipedia getan hast!

Die taz bringt die Story über die BND-IP-Adressen und die Wikipedia-Edits:

Vorwürfe gegen BND
Wikipedia-Artikel angeblich geändert

Im Internet ist eine Liste mit IP-Adressen aufgetaucht, die vom BND stammen sollen. Von ihnen aus wurden Einträge im Online-Lexikon Wikipedia verändert.

Allein – wo sind die Vorwürfe? Ein Geheimdienst, der die Wissensgewinnung als Aufgabe hat, für den Tausende Leute am Computer arbeiten, nutzt tatsächlich eine der bekanntesten Webseiten der Welt. Wenn der BND Quellen wie Wikipedia ignoriert, wäre ihm das meiner Meinung nach eher vorzuwerfen.

Aber halt – da hat doch tatsächlich ein Schlapphut den Artikel über den BND geändert. Und zwar wurde eine offenes Geheimnis unbelegtes Gerücht ins Gegenteil verkehrt. Und ein paar Monate später warf ein nicht besonders verdächtiger Wikipedia-Autor die selbe Spekulation wieder heraus.

Es stellt sich die gleiche Frage: wo ist der Vorwurf?

Leaks

Wikileaks schickt mir neuerdings fast täglich Pressemeldungen. Es ist schon erstaunlich, wie viele geschützte, geheime, vertrauliche Dokumente auf dieser erstaunlichen Webseite gesammelt werden.

So zum Beispiel dieser vertrauliche, nur für den Dienstgebrauch bestimmte Bericht über einen Störfall im KKW Krümmel.

Spannend. Hätte Wikileaks den nicht veröffentlicht, müsste man diesen Geheimbericht doch glatt von der Webseite des Krümmel-Betreibers Vattenfall herunterladen. Natürlich ohne den Hinweis, dass es sich um ein vertrauliches Dokument handelt.

Ist Bild.de das neue NeunLive?

Im Juli hat die die niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) dem Sender RTL die Ausstrahlung der SKL-Show verboten:

Die niedersächsische Anstalt beruft sich darauf, dass die Werbung für öffentliche Glücksspiele im Fernsehen nunmehr untersagt ist. Das sehen die neuen Vorschriften vor, die seit Anfang 2008 gelten. Sie wurden von den Bundesländern verfügt, die das Glücksspiel in Deutschland regeln.

Da die Show ordentlich Geld in die Kassen der Gewinner Länder spülte, gab es einige Rettungsversuche, aber vergebens:

Es wird also, wenn man vom Studiopublikum mal absieht, niemand sehen können, wie Günther Jauch als Moderator dem auch diesmal mit Hellmuth Karasek, Marcel Reif und Katharina Witt wieder prominent besetzten Rateteam in gewohnter Manier Fragen stellt und letztlich den Gewinner von 5 Millionen Euro kürt. Die SKL verspricht aber eine begleitende, redaktionelle Berichterstattung in allen Medien, also Print, TV, Internet und Hörfunk.

Also will kein Sender diese plumpe Werbe-Show ausstrahlen – offenbar konnte niemand ein Konzept überlegen, die Jauch-Show in etwas ähnliches wie ein redaktionelles Format zu verwandeln. Aber zum Glück gibt es Medien, die mit solchen Erwägungen weniger Probleme haben:

Aber keine Bange, bild.de weiß natürlich, was verboten ist, ein Klick führt zu keinem Video-Portal von Springer, sondern direkt zur Webseite der SKL. Das bunte Treiben auf der bild.de ist natürlich knallhart redaktionelle Berichterstattung.

Ob die Nutella-Show bald folgen wird? (bild.de fragt dann vermutlich: „Kevin Kuranyi, hat Nutella Sie zum Fußball-Star gemacht?“).

Lange Rede, kurzer Sinn: Ist bild.de das neue NeunLive – eine Abspielstation ohne spießige Regeln und Gewissensbisse?