Ich war vor Jahren einmal auf einer Polizeikonferenz zum Thema Kinderpornografie. Die Beamten waren engagiert, einige waren sogar informiert und allen traute ich zu, dass sie sich etwas aus ihrer Arbeit machten: Kriminelle ermitteln, Kinder und andere zu schützen und Unschuldige möglichst nicht zu stigmatisieren.(*)
Diese Beamten beklagten sich, dass sie zu wenig Spielraum hätten. Dass sie noch nie jemanden ertappt hätten mit vermeintlichen harmlosen Kinderbildern, der dann nicht doch eine umfangreiche Kinderporno-Sammlung auf der Festplatte gehabt hätte. Die sich Vorsorge wünschten, dass sie nicht noch einen Straffälligen verhören müssten, der sich an Kinderpornografie, Alkohol und anderem berauscht hatte, bis er dann tatsächlich ein Kind in seine Wohnung lockte. Sie wünschten sich. sich nicht die versifften Wohnungen durchstöbern und dann 1,6 Millionen ekelhafter Bilder durchforsten und katalogisieren zu müssen.
Für diese Beamten hat Bundesjustizminister Heiko Maas nun ein Gesetz schreiben lassen. Eins, das endlich Grooming verbietet — also das Anbaggern und Einschüchtern von Kindern um sie ohne körperlichen Kontakt sexuell zu missbrauchen. Er lässt Verjährungsfristen hoch setzen, damit sich Leute trauen, endlich aus dem Schatten ihres Traumas zu treten. Und er plant, die Weitergabe und Verbreitung von Nacktaufnahmen insbesondere von Kindern und Jugendlichen unter Strafe zu stellen, die unter Verletzung deren Persönlichkeitsrechten entstanden sind.
STOP!
Ich war heute auf der Photokina. Eine der ersten Ausstellungen am Eingang Nord zeigt Menschen eines Stammes in Afrika. Keiner davon ist nach unseren üblichen Vorstellungen bekleidet und ich bezweifle, dass sie alle eine Verzichtserklärung nach deutschem Recht unterschrieben haben. Würde das Gesetz von Heiko Maas tatsächlich ernst gemeint sein, müsste die Staatsanwaltschaft anordnen, diese und viele weitere Bilder beschlagnahmen zu lassen, den Fotografen vorführen zu lassen und alle, die diese Bilder abfotografiert haben und auf Twitter, Facebook, Instagram verbreitet haben. Doch das will Heiko Maas nicht, das wollen die Beamten nicht.
Ein solches Gesetz, das so schwammig formuliert wird, so an der Realität vorbei geht, dient nur einem Ziel: Unsicherheit schaffen. Wir kennen es aus US-Krimis: Die Polizei kann jeden Gewerbetreibenden zu einer Aussage erpressen, in dem sie sich auf den Brandschutz oder auf die Einwanderungsgesetze beruft. Denn: Diese Gesetze gehen an der Realität vorbei und irgendwie ist jeder schuldig. Und somit kann der wackere Polizisten jeden halbwegs bösen Burschen zur Ordung rufen.
Doch so funktioniert ein Rechtsstaat nicht.
Die Idee des Rechtsstaates beruht darauf, dass sich alle an die selben Gesetze halten und die auch entsprechen durchgesetzt werden. Natürlich gibt es Grenzen: Die Polizei kann nicht jeden Rotlichtverstoß ahnden, aber sie hat Aktionstage, an denen sie es tut. Tut sie es bei dem einen und beim anderen nicht, herrscht Willkür. Heiko Maas will keine Willkür, sondern ein magisches Sesam-Öffne-Dich für die Ermittler.
Ein Beispiel ist der so genannte Hacker-Paragraph, der uns 2007 so große Sorgen machte. Es wurde befürchtet, dass die Sicherheitsforschung kriminalisiert würde. Dass man alltägliche und vernünftige Dinge nicht mehr tun dürfe, weil der Hackerparagraph so unbestimmt, so missverständlich, so dumm war. Nichts davon ist passiert. Es gibt sogar Hochschulen, die das Knacken von Systemen lehren.
Warum brauchen wir also einen Hacker-Paragraphen, der nicht mal gegen ausländische Agenten angewandt wird, die Regierungsleitungen anzapfen? Er dient zur Verunsicherung. Und ist eine Eintrittskarte in die Welt der juristischen Vorsorge: Durchsuchungsbefehle. Abhöranordnungen. Oder Disziplinarstrafen, lange bevor der Staatsanwalt eingeschaltet wird. Er ist ein Freischein, Computer zu konfiszieren und zwei Jahre in die Asservatenkammer zu stellen. Es ist kein Straftatbestand, sondern ein Ermittlungstatbestand.
Aber sorry, der Rechtsstaat kennt keine Freifahrtsscheine. Der Rechtsstaat mag niemals perfekt sein, aber wir können hier ganz gut sagen, dass dieser neue Baustein nicht passt.
(*) Einer der Beamten, mit dem ich mich nach der Konferenz auf ein Bier traf, sagte mir, er hätte meine Polizei-Akten durchstöbert. Ich lachte darüber, bis er die Vorstrafen eines anderen Anwesenden andeutete. Ein harmloser Scherz? Möglicherweise, aber seitdem vertraue ich auch wackeren Beamten nicht mehr uneingeschränkt.