Die Vorratsdatenspeicherung als Ebay-Käuferschutz

Ich bin kein radikaler Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Wenn Autos Nummernschilder haben müssen, wenn es eine Ausweispflicht gibt und das OK ist, dann könnten ähnliche Regelungen für Online-Kommunikation begründbar sein.

Warum ich die Vorratsdatenspeicherung trotzdem falsch finde: Niemand begründet es. Beziehungsweise die vielen Begründungen, die ich lese, sind voll von Falschannahmen, unlogischen Schlüssen, blanken Lügen.

Der Berliner Senator Heilmann liefert heute in einem Gastbeitrag bei Zeit Online ein schönes Beispiel dafür, wie man mich nicht von der Vorratsdatenspeicherung überzeugt. Er geht ein paar der klassischen Irreführungen durch:

1. Die Ebay-Irreführung

Ans Geld aber geht es den Bürgern bei anderen kriminellen Aktivitäten: Wenn wir bei Ebay betrogen, unsere Konten geplündert oder unsere Daten abgeschöpft werden, um damit einen digitalen Einbruch vorzubereiten.

Wenn die Vorratsdatenspeicherung nur bei schweren Straftaten zum Einsatz kommen soll — wie ja immer wieder versprochen wird — dann sind die Ebay-Betrüger eigentlich fein raus. Gibt es eine Straftat mit geringerem Rang vor Justiz und Ermittlungsbehörden?

Selbst wenn man die Vorratsdatenspeicherung als ultimatives Mittel gegen Ebay-Betrüger ins Felde führen will, gibt da ein kleines Problem: Ebay-Betrüger müssen auf irgendwelchen Wegen die Ware oder das Geld kassieren. Die Datenspur zu ihnen existiert auch ohne Vorratsdatenspeicherung. Wenn sie nicht erwischt werden, haben sie also bereits einen Weg gefunden, solche Hindernisse zu umgehen.

2. Die Vier-Wochen-Saga

Wenn die Polizei beispielsweise auf beschlagnahmten Rechnern auf die IP-Spuren stößt, dauert es meist mehr als drei bis vier Wochen, um die Adressen zu entschlüsseln und auszuwerten. Dann aber kann man sich den Gang zum Ermittlungsrichter sparen, weil die Daten für die Zuordnung der IP-Adressen schon gelöscht sind.

Zunächst einmal: IP-Adressen muss man nicht „entschlüsseln“. Die IP-Adressen von Ebay-Betrügern lassen sich in Minuten ermitteln. Selbst wenn man einen Richterbeschluss braucht, ist es heute offensichtlich kein Problem, vielen IP-Adressen Namen und Adressen zuzuordnen. Die Redtube-Abmahner zum Beispiel hatten überhaupt kein Problem, mit Gerichtsbeschlüssen die Daten von über 10000 Bürgern zu bekommen.

Aber es gibt natürlich auch andere Fälle. In Wahrheit dauert es sogar oft genug über zwei Jahre bis Forensiker Datenträger von Verdächtigen auswerten. Dort gefundene IP-Adressen sind so gut wie wertlos. Mit und ohne Vorratsdatenspeicherung. Weshalb Polizeivertreter nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung auf eine Verlängerung der Fristen drängen werden.

3. Die extrem merkwürdigen Vergleiche

Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung argumentieren, dass man mit entsprechenden IT-Kenntnissen seine IP-Anschrift verschleiern könne und dann die Vorratsdatenspeicherung nichts bringe. Ja, das stimmt. Aber wir verzichten auch nicht auf Türschlösser, nur weil man dafür Nachschlüssel anfertigen kann.

Durchaus korrekt: Leute, die schwere Straftaten begehen, haben schon vor einigen Jahren die Notwendigkeit entdeckt ihre Identität zu verbergen. Die Metapher zeigt wieder, dass Heilmann Ermittlungserfolge gegen Kriminelle verspricht, die die unterste Klasse darstellen. Und die sollen ja eben nicht durch Vorratsdatenspeicherung abgedeckt werden, oder?

Wenn ich eine Einbruch-Metapher verwenden darf: Staat und Wirtschaft haben und in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass sie unsere Daten nicht schützen oder nicht schützen können. Statt Daten wegzusperren, plädiert Herr Heilmann dafür, unsere Wertsachen in den Wohnzimmern auszubreiten — sichtbar für jeden vorbeigehenden Passanten. Es ist kein Problem, schließlich haben wir Türschlösser. 

Warum die Vorratsdatenschutz Datenschutz und nicht Ebay-Käuferschutz sein soll, hat Herr Heilmann irgendwie nicht erwähnt.

Next: Vorratsdatenspeicherung

Man muss kein Netzaktivist sein, um in dem jetzigen Ergebnis der Bundestagswahlen einen enormen Verlust für die Netzpolitik zu sehen. Oder um Ulf Buermeyer zu zitieren: „Ihr werdet euch noch wünschen,die FDP wäre reingekommen…“

Mit der Partei, die sich gerne „liberal“ nennt — aber mit der Definition dieses Wortes nach unendlichen Jahren ko-konservativer Regierungszeit immer wieder haderte — verschwindet eine strategische Kraft aus der Regierung und dem Bundestag, die in wichtigen netzpolitischen Fragestellungen ein Patt erzwingen konnte. Oder um eine andere Formulierung zu wählen: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger blockierte, was aus netzpolitischer und bürgerrechtlicher Sicht allzu viel Schaden angerichtet hätte. Sie konnte allerdings nur aufschieben, nichts lösen.

In Sachen NSA, GCHQ & Co zeigte sich Bundeskanzlerin Merkel und ihre Regierung demonstrativ desinteressiert. Man kann allenfalls erahnen, dass sie hinter den Kulissen die Enthüllungen nutzen wollen, um die allzu forschen Interessen der amerikanischen Freunde zurückzudrängen. Allerdings ist die Spionage, die alle Deutschen betrifft — aber eben nicht so viel, dass sie sich unmittelbar belauscht fühlen — eine politische Verhandlungsmasse. Die eigenen, die deutschen Dienste wollen auch mit den Daten arbeiten. Und die Franzosen, Polen, Briten. Big Data für alle!

Offenkundig gibt es ein Ungleichgewicht: Der NSA kann machen, was das deutsche Bundesverfassungsgericht ohne mit der Wimper zu zucken kassieren würde. Und selbst nach über zwei Monaten Dauer-Enthüllungen gibt es nicht mal eine personelle Konsequenz in der NSA-Führung oder gar in der britischen Geheimdienstbürokratie, von der man gehört hätte. Von einem Kurswechsel ganz zu schweigen. Die logische Konsequenz ist: Wenn man die Schnüffelei nicht abstellen kann — warum soll man nicht daran partizipieren? Wenn wir die Hintertüren ein wenig verschließen, müssen wir die Vordertür nicht aufmachen? Ein überwachungspolitischer Druckausgleich.

Was in den vergangenen Wochen kaum Aufmerksamkeit bekam: Die USA haben eine geheime Mega-Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür eingeführt. Rechtsstaatlich einigermaßen abgesicherte Verfahren wurden hintertrieben, indem Beweisverfahren systematisch gefälscht wurden. Die Geheimdienste öffneten ihre riesigen Datenspeicher zumindest einen Spalt weit. Statt nach rechtsstaatlichen Maßstäben kaum verwertbare Beweismittel in Gerichtsverfahren einzuführen, gaben die Geheimdienstleister den offiziellen Polizisten Hinweise, welche Steine sie denn umdrehen müssen, welche Verbindungsprotokolle sie abfragen müssen, um etwas gegen Verdächtige in der Hand zu haben.

Nachdem die Praxis enthüllt wurde, sehe ich wenig Chancen, dass die Öffentlichkeit oder die Politik sagt: „Stopp! Lasst die Schurken nur laufen!“ Auch wenn noch so viele Inhaftierte, Angestiftete oder Flughafen-Durchsuchungs-Dauergäste nichts verbrochen haben nichts im eigentlichen Sinne. Nichts im uneigentlichen Sinne. Und doch… Terroristen greifen Einkaufszentren an! Da muss man doch etwas tun!

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Vorratsdatenspeicherung kommt wieder. Mit stolzgeschwellter Brust und ohne Beweise.

Frau Piepenbröck ist tot (BDK-Fassung)

Palimm-Palimm
„Hallo?“
„Ja, hallo. Mein Name ist Bömmerlunder von der SpuSi. Wir müssten Mal in Ihre Wohnung.“
„SpuSi?“
„Ja, Spurensicherung.“
„Spurensicherung?“
„Sprech ich chinesisch? Ja, Spurensicherung. Machen Sie auf!“
„Warum?“
„Weil ich Spuren sichern muss. Jungejunge, sind Sie schwer von Begriff…“
„Welche Spuren?“
„Na, das Übliche. Fingerabdrücke, DNA, Fasern“
„Und weshalb?“
„Haben Sie es noch nicht gehört? Frau Piepenbröck ist tot.“
„Das tut mir leid. Wer ist Frau Piepenbrück“
„Gerda Piepenbrück. Wohnt nur zwei Straßen von hier. Das heißt: wohnte.“
„Nie von ihr gehört. Was hab ich damit zu tun?“
„Sagte ich doch. Sie wohnte nur zwei Straßen von hier.“
„Aha. Dann gehen Sie die beiden Straßen zurück zur Wohnung von Frau Piepenbröck und tun sie dort ihren Job.“
„Jetzt werden Sie nicht unverschämt. Wir können nämlich auch das alte Pulver zum Fingerabdrucksichern nehmen. Das bekommen Sie nie wieder aus dem Teppich!“
„Jetzt Mal langsam…“
„Okayokay, ich sag dem Kommissar Bescheid.“
„Warten Sie…“
„Ja?“
„Könnten Sie mir denn bitte erklären, warum Sie meine Wohnung durchsuchen wollen?“
„Na, das machen wir immer so. Wenn ein Gewaltverbrechen nicht ausgeschlossen werden kann, sichern wir alle Spuren in einem Kilometer Umkreis vom Tatort. Sie sind wohl neu? In den meisten Wohnungen war ich schon vier oder fünf Mal…“
„Sie gehen einfach so in alle Wohnungen? Ohne Verdacht?“
„Wir haben einen Verdacht. Frau Piepenbrock ist tot!“
„Piepenbröck dachte ich.“
„Meinetwegen auch die. Warten Sie, ich hab mir für solche Fälle etwas aufgeschrieben“
„Was?“
„Hier steht’s, hören Sie genau zu! Wenn genügend Personal vorhanden ist um Fingerabdruckspuren im Umfeld des Tatortes massenhaft aufzunehmen und auszuwerten, müssen wir das tun und anschließend den Täter herauszufiltern. Wenn auch nicht immer von Erfolg gekrönt, bleibt es jedoch ein Werkzeug im Kampf gegen das Verbrechen.
„Hä?“
Es geht noch weiter: Wir sind nach dem Gesetz verpflichtet Straftaten zu verfolgen. Der Bürger erwartet das zu Recht, die Politik fordert das nachdrücklich, der Gesetzgeber hat uns das Handwerkszeug dazu gegeben und die Richter achten darauf, dass wir es richtig anwenden
„Hmmm.“
„Na, was sagen Sie nun?“
„Ja, das klingt absolut logisch“
„Na, dann lassen Sie mich schon rein.“
„Nehmen Sie aber auch das neue Fingerabdruckpulver? Wenn die Teppiche ruiniert sind, bringt mich meine Frau um.“
„Keine Bange, wenn das passiert, sind wir von der SpuSi schon zur Stelle. Ihre Frau wird ihrer Strafe nicht entgehen.“
„…“
„Kleiner Scherz“
„OK, kommen Sie rein.“

Vorratsdatenspeicherung ist Bürgerschutz

Wenn die Daten von einer Million Handies abgefragt werden, sind 80 Millionen nicht anwesende Bundesbürger quasi entlastet.

Ich warte jeden Moment darauf, dass jemand dieses Argument ernsthaft vorbringt.

Wulff muss gehen

Nicht wegen der Häuserkredite. Nicht wegen der wütenden Anrufe. Sondern weil er die Vorratsdatenspeicherung unterstützt.

(Das stimmt zwar möglicherweise nicht – aber heute lassen sich politische Botschaften nur verbreiten, wenn sie ein „Wulff muss gehen“ enthalten.)

„Schreit das nicht nach der Vorratsdatenspeicherung?“

Heute morgen schaltete ich kurz das ZDF-Morgenmagazin ein, als es Mal wieder um die Zwickauer Terrorzelle ging. Der Interviewer hatte einen FDP-Minister zu Gast, der sich offenbar gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hatte. Der Moderator erwähnte, dass laut BKA nur ein bestimmter Anteil von Auskunftsersuchen nach Telekommunikationsdaten der Verdächtigen erfüllt wurde. Und dann setzte er zum vermeintlichen Todesstoß an. Er fragte: „Schreit das nicht nach der Vorratsdatenspeicherung?“

Nein, das tut es nicht. Denn alleine aus dem Nicht-Vorhandensein von Spuren auf vermeintliche Ermittlungserfolge zu schließen, ist unseriös. Denn will man tatsächlich darauf hoffen, dass die untergetauchten Terroristen mit falschen Pässen immer brav ihr eigenes Handy benutzt haben? Dass die erstellten Bewegungsprofile nicht völlig falsche Spuren gelegt hätten?

Zudem: das BKA war schon in der Vergangenheit unehrlich, wenn es um die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung ging. Fälle, die auch mit Vorratsdatenspeicherung nicht gelöst werden konnten, wurden falsch deklariert. Man tat einfach so, als ob die Gesetzesänderung Fälle lösbar gemacht hätte, obwohl dies nicht stimmte, weil die Daten auch mit Vorratsdatenspeicherung längst verloren gewesen wären.

Zudem: Wenn Vorratsdaten existieren, ist ein Fall nicht automatisch gelöst. Jeder kann ein Handy abschalten und stattdessen fällt sein Nebenmann ins Raster. Gerade Terroristen wissen das. Berufsverbrecher wissen das. Aus dem Nicht-Vorhandensein von Spuren kann man nicht schließen, dass Gesetze verwertbare Spuren herbeigezaubert hätten. Schon vor Jahren hat bei DNA-Spuren eine Betriebsblindheit eingesetzt, die die Ermittler bei dem Mord an einer Polizistin auf die völlig falsche Fährte führte.

Eine Vorratsdatenspeicherung würde mit Sicherheit die Anzahl der Verdächtigen erhöhen. Dass sie auch die Aufklärungsquote verbessern würde, steht bisher als Behauptung dahin. Sicherheit bedeutet nicht, mehr Verdächtige zu produzieren.

Radiergummi für Ermittlungsfehler

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Radiergummi für Ermittlungsfehler. Jahrelang Hinweise ignoriert? Kein Problem: Schauen wir doch in die Verbindungsdaten, wenn die Justiz dann doch Mal eingeschaltet wurde. Sechs Monate — oder noch besser: zwei Jahre — sollten alles abdecken, was wir verpasst haben.

Nicht vertrauenswürdige V-Männer engagiert? Kein Problem: Mit den Verbindungsdaten schauen wir ihnen nachträglich auf die Finger. Und sehen dann ganz klar, wie sie uns an der Nase herumgeführt hatten. Aber in die Prozessakten müssen wir das nicht geben, oder? Radieren wir den V-Mann aus der Gleichung und alles ist wieder wie vorher. Gebrochene Beine heilen, gebrochene Biografien werden repariert. Die Toten stehen zwar nicht wieder auf, sie werden aber entschädigt.

Verbindungsdaten sind so unfehlbar wie DNA-Tests. Es besteht nie ein Zweifel, wie welche DNA-Spuren zugeordnet werden oder unter welchen Umständen sie hinterlassen wurden. Es gibt keine unregistrierten Handies. Kriminelle verhalten sich wie unbescholtene Bürger und verdecken ihre Spuren nicht. Und wer acht Mal in der Nähe eines Täters ist, wird wohl auch etwas Täter sein. So ein bisschen. Dann schauen wir genau hin. Und machen DNA-Tests. Und sammeln die Verbindungsdaten der Leute ein, die acht Mal in seiner Nähe waren.

Sherlock Holmes und das Rätsel des verschwundenen Einzelverbindungsnachweises

Als unser neuer Klient Major Beeblebrox unsere Wohnung verlassen hatte, herrschte zuerst Stille. Sherlock Holmes ging zu seinem persischen Pantoffel, in der er seinen Tabak aufbewahrte unbd füllte seine Pfeife. Schweigend rauchte er dreißig Minuten lang. Dann griff er zu seiner Violine und spielte eine der wildesten Improvisationen, die ich jemals von ihm gehört hatte.

Für den gewöhnlichen Beobachter mochte das absonderlich erscheinen. Sollte der Detektiv nicht unmittelbar in Aktivität ausbrechen, Telegramme abschicken, oder sich in den Leihhäusern an der Worchester Road nach dem gestohlenen Xylophon Ausschau halten? Doch ich wusste: Tief im Kopf meines Mitbewohners arbeitete die unablässige Maschine seines Intellekts, der jeden Hinweis, jedes Motiv sezierte — genauer und treffender als es selbst Scotland Yard mit seinem Apparat von Hunderten sturmerprobter Polizisten konnte.

Holmes steigerte sich so in sein Violine-Spiel hinein, dass der Schweiß auf den Boden tropfte. Eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Schließlich konnte ich nicht mehr an mich halten.

„Nun?“, fragte ich vorsichtig.

Wie vor den Kopf geschlagen hörte Holmes auf zu spielen. „Nun was?“ fragte er. Offenbar hatte ich ihn wieder aus seiner ganz eigenen Welt zurückgeholt.

„Der Fall. Major Beeblebrox. Das verschwundene Kindermädchen. Die drei abgeschnittenen Finger im Briefumschlag. Und der spuckende Zoowärter. Können Sie sich einen Reim darauf machen?“

„Mein lieber Watson. Sie lassen sich wieder durch die Details des Falls blenden. Habe ich Ihnen nicht oft gesagt, dass die absonderlichsten Fälle oft die einfachsten sind? Sie sehen, aber sie beobachten nicht.“

„Wollen Sie mich nicht an Ihren Gedanken teilhaben lassen?“

„Sicher, mein lieber Watson. Das entscheidende Detail des Falles ist das Telefon des toten Bankräubers.“

„Das Telefon? Ich kann nicht wirklich sehen, was dies mit dem Fall zu tun hat…“

„Das ist elementar, mein lieber Watson. Mit wem hat Dent am 17. April telefoniert?“

„Woher sollen wir das wissen? Das ist über ein halbes Jahr her. Und wir haben schließlich keine Vorratsdatenspeicherung.“

„Stimmt, Watson. Und deshalb werden wir den Fall niemals lösen. Die kleine Trillian wird ihre Mutter niemals wiedersehen.“

„Das ist aber höchst traurig, Holmes.“

„Nun, die Realität beugt sich nicht immer den romantischen Vorstellungen ihrer Leser.“

„Und was nun?“

„Sex.“

„Nun gut. Aber seien sie nicht wieder so grob!“

Zum Wetter

Nach einem regnerischen Freitag klart das Wetter zum Wochenende endlich auf. Bei Temperaturen zwischen 17 und 26 Grad wird der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion Hans-Peter Uhl die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung fordern. Vereinzelt Schauer.

„Polizeilich erforderlich“

Der AK Vorratsdatenspeicherung übt sich derzeit in einer merkwürdigen Informationspolitik: um einer vermeintlichen „BKA-Propaganda“ entgegenzutreten, lesen die Internetaktivisten aus wenig bis gar nicht aussagekräftigen Zahlen das Gegenteil dessen heraus, was denn die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung behaupten.

Nach einer ausführlichen Analyse unsererseits sind die BKA-Zahlen „irrelevant“ und belegen „keine blinde Flecken in der Verbrechensbekämpfung oder Schutzlücken“. Auch Dr. Michael Kilchling vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg kritisierte: „Für eine seriöse wissenschaftliche Stellungnahme fehlt jede Basis“. Dennoch ist ausgerechnet die Bundesjustizministerin dem unhaltbaren, vom Bundesinnenminister im Rahmen einer politischen Kampagne in Auftrag gegebenen BKA-Bericht aufgesessen.

Der Widerspruch liegt auf der Hand: wenn das Material keine wissenschaftlich fundierten Aussagen erlaubt, sind sowohl die Aussagen der Befürworter als auch die Aussagen der Gegner einer Vorratsdatenspeicherung gleichermaßen unfundiert. Die „Propaganda“ des einen ist die „Analyse“ des anderen.

Dabei ist der AK Vorrat auf eine argumentative Goldgrube gestoßen: Die sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung ist eben auch nur sehr eingeschränkt effektiv:

Die vom Justizministerium offenbar übernommene Behauptung des Bundeskriminalamts, 72,82% nicht beantworteter Auskunftsersuchen beträfe „die Straftatbestände Verbreitung, Erwerb oder Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften“, ist auf abenteuerliche Art und Weise zustande gekommen: Beispielsweise lagen 209 der vom BKA ergebnislos angefragten Internetverbindungen länger als 10 Tage zurück, die Anfragen waren wegen der dem BKA bekannten, kürzeren Speicherfristen der Provider von vornherein sinnlos. 147 weitere angefragte Internetverbindungen lagen sogar länger als sechs Monate in der Vergangenheit!

Die hier nicht erwähnten Schlussfolgerungen sind:

  • Die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung wird weniger positive Effekte haben als dargestellt und
  • nach der Einführung einer sechsmonatigen Speicherung wird es auch wieder Forderungen nach einer Ausweitung der Speicherfrist geben.

Der AK Vorrat nimmt dies zum Anlass die Vorratsdatenspeicherung mit der kompletten Kriminalstatistik aufzurechnen, was allenfalls Spielerei ist — selbst Herr Ziercke hat nirgends behauptet, dass er mit der Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel die einfache Diebstähle verhindern oder die Aufklärung derselben erhöhen könnte.

Aber ein genauerer Blick in das vom AK Vorrat verlinkte offizielle BKA-Dokument offenbart Mängel in der Darstellung – mögen sie auf Schludrigkeit oder Absicht zurückgehen.

Auf Seite 12 heißt es:

g.) Polizeilich erforderlicher Zeitraum der Speicherung
Abschließend wurde bezüglich der negativ beschiedenen Auskunftsersuchen erhoben, für
welchen Mindestzeitraum eine Speicherung der Verkehrsdaten aus polizeilicher Sicht
erforderlich gewesen wäre.
Die Verteilung betreffend des aus polizeilicher Sicht für erforderlich erachteten
Mindestspeicherzeitraums stellt sich wie folgt dar:
In

  • 24,09 % der Fälle (212 Anschlüsse, davon 211 IPs) wäre ein Mindestspeicherzeitraum
    von einem Monat,
  • 49,55 % der Fälle (436 Anschlüsse, davon 404 IPs) wäre ein Mindestspeicherzeitraum
    von zwei bis fünf Monaten und in
  • 26,36 % der Fälle (232 Anschlüsse, davon 215 IPs) wäre ein Mindestspeicherzeitraum
    von sechs Monaten

erforderlich gewesen.

Lange Rede, kurzer Sinn: mit der sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung wäre der „polizeilichen Erforderlichkeit“ voll Genüge getan.

Auf dem Erhebungsbogen Seit 49 und 50 der PDF-Datei findet sich jedoch zum Beispiel dieser Fall:

Umfangreiches Ermittlungsverfahren der brasilianischen Bundespolizei gegen mehrere brasilianische Tatverdächtige mit internationalen Bezügen wegen Besitzes und Verbreitung von kinderpornographischem Material über das Filesharing-Netzwerk von Gigatribe. Über den BKA-VB Brasilia wurden 147 IP-Adressen und 17 Gigatribe-Nicknames zu potentiellen deutschen Tatverdächtigen übermittelt. Anhand der festgestellten IP-Adressen, denen zur jeweiligen Tatzeit die von den Tatverdächtigen verwendeten Gigatribe-Pseudonyme (Nicknames) zugeordnet waren, wurden auch Bezüge nach Deutschland hergestellt. Die Zeitstempel der IP-Adressen (Tatzeiten) bewegen sich zwischen dem 29.05.2009 und dem 11.09.2009. Die diesbezüglich am 25.05.10 – sofort nach Eingang der Informationen aus Brasilien – bei den betreffenden deutschen sechs Providern durchgeführten Anschlussinhaberfeststellungen verliefen negativ.
Eine eindeutige Täteridentifizierung hinsichtlich der von der brasilianischen Polizei mitgeteilten Nicknames war nicht möglich, da Pseudonyme in Gigatribe nicht zwingend (vor allem über einen längeren Zeitraum hinweg) personenbezogen sind.
Insofern wären Täteridentifizierungen zu dem von der brasilianischen Polizei mitgeteilten Sachverhalt nur über eine IP-Anschlussinhaberfeststellung unter Angabe der relevanten
Tatzeiten über die entsprechenden deutschen Provider möglich gewesen. Diese Daten liegen aufgrund des BVerfG-Urteil nicht mehr vor.

Darüber heißt es:

Polizeilich wäre eine Speicherung der Verkehrsdaten für folgende Dauer erforderlich gewesen: 6 Monate

Hier hat der Beamte offenkundig zwei Mal die Unwahrheit im Erhebungsbogen vermerkt: Die Daten lagen nicht „aufgrund des BVerfG-Urteils“ nicht mehr vor – sie hätten auch vor dem Urteil nicht vorgelegen.

Aus Formular-Sicht eine Vorratsdatenspeicherung von über einem Jahr „polizeilich erforderlich“ gewesen um die Täter zu überführen. Wenn man das Formular beiseite lässt und den gesunden Menschenverstand einschaltet, wäre hingegen eine bessere internationale Zusammenarbeit der Polizeibehörden erforderlich gewesen.