Zensus-Missverständnisse

Chrstian Rath hat in der taz etwas zu den Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde gegen den Zensus 2011 geschrieben: Klage auf den letzten Drücker:

Aber: Noch vier Jahre lang können die Daten mit Hilfe einer Ordnungsnummer wieder zusammengeführt werden. Erst dann sind die Erhebungsunterlagen zu vernichten. "Die Zuordnung der persönlichen Daten durch eine Ordnungsnummer hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil von 1983 ausdrücklich verboten, monieren die Kläger.

Das allerdings ist ein Missverständnis. Verboten hatte das Karlsruher Gericht damals nicht den Einsatz von Ordnungsnummern innerhalb der Volkszählung, sondern die Zusammenführung der Zensusdaten und anderer bei Behörden gespeicherter Daten mittels einer Personenkennziffer.

P.S.: Auch ich rechne nicht mit dem durchschlagenden Erfolg der Verfassungsbeschwerde, da der Eingriff in die Grundrechte – soweit möglich – minimiert wurde und ein Verzicht auf verlässliche Statistiken in meinen Augen ebenfalls einen Eingriff in die Bürgerrrechte darstellt. Ohne zuverlässige Grundlagen kann der Staat nicht zielsicher agieren. Die fehlgeleiteten Gesetze und sonstigen Vorhaben kosten nicht nur sehr viel Geld, sondern greifen tief in die Lebensläufe vieler Bürger ein.

Ein Zensus ist nötig

Viel, viel, viel zu spät haben einige Netizens entdeckt, dass es 2011 eine registergestützte Volkszählung geben wird. Und sie haben plötzlich Beschwerden:

  • Wir sehen ganz grundsätzlich die Gefahr, dass diese sensiblen und durch die Volkszählung zusammengeführten Daten z.B. der Aufbau des neuen umfangreichen Adressenregisters aller Gebäude mit Wohnungen nicht dauerhaft sicher sind vor Hacker-Angriffen, Diebstahl, Missbrauch und Datenverarbeitungsfehlern. Nur nicht erhobene Daten sind sichere Daten. Wie Spiros Simitis einmal treffend gesagt hat: “Demokratie zeichnet sich durch Informationsverzicht aus!”
  • Das deutsche Zensusgesetz verlangt die Erhebung von mehr Daten, als von der EG-Richtlinie gefordert. So werden in den Stichprobenerhebungen auch Fragen nach Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund gestellt. Besonders markant sind die dabei nochmals die Fragen zum “Glaubensbekenntnis”, in denen insbesondere Menschen islamischen Glaubens weiter differenziert erfasst werden.
  • […]

  • Fragliche Praktiken der Erhebungsbeauftragen =Volkszähler, die beim Nichtantreffen der zu Befragenden auch die Erlaubnis haben, Familienangehörige, Minderjährige und Nachbarn zu befragen. Von den Volkszählern dürfen auch Informationen darüber erfasst und gespeichert werden, die von und über die Wohnung von außerhalb von öffentlich zugänglichen Plätzen und Räumen aus in Erfahrung zu bringen sind.

Ein buntes Sammelsurium an Kritik, die keinem erkennbaren Schema folgt. So scheint dem „AK Zensus“ noch nicht klar zu sein, ob man denn solche Dinge wie eine amtliche Statistik braucht, die zuverlässiger ist als eine Telefonumfrage.

Wenn man glaubt, man könne ganz darauf verzichten, kann man die „fraglichen Praktiken der Erhebungsbeauftragen“ kritisieren – das Ergebnis ist dann aber auch eine öffentliche Planung, die das Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes und die Berichte der Rechnungshöfe anschwellen lässt. Das Planungschaos um die Transrapid-Strecken hat gezeigt: wenn keine amtlichen Daten vorliegen, werden die Zahlen halt passend gemacht.

Das Zitat von Spiros Simitis mag schmissig klingen. Aber es erscheint derzeit eher wie ein Witz, da die griechische Demokratie grade Schlag um Schlag verkraften muss, eben weil die Daten der griechischen Behörden nicht stimmten. Daten per se sind kein Feind der Demokratie, sondern eine Grundvoraussetzung. Wenn eine Steuererhöhung geplant wird, muss man auch irgendeine Ahnung haben, wie viel Geld das denn einbringt, wenn man Kindergarten kostenlos machen will muss man ungefähr wissen, was das kostet.

Sieht man hingegen die Notwendigkeit von amtlichen Statistiken als gegeben an, muss man sich auch mit den Grundlagen beschäftigen. Würde man alleine auf freiwillige Mitwirkung der Bürger bauen, wäre die Qualität der Daten höchstwahrscheinlich deutlich geringer. Wer nimmt sich schon gerne Zeit Formulare auszufüllen? Und wie stellt man sicher, dass man nicht ein Panel von Leuten erwischt, die nicht bestimmte Merkmale überrepräsentieren?

Ohne eine Ahnung von der Religionszugehörigkeit der Bevölkerung kann man auch nicht den – aus meiner Sicht wünschenswerten – Islamunterricht jenseits der Hinterhöfe durchsetzen. Wer eine ungefähre Ahnung bekommen will, sollte einfach mal einen Lehramtsstudenten fragen, welche Umzugspläne er nach seinem Studium hegt. Gleichzeitig hat die Erfassung der Religionszugehörigkeit gerade in Deutschland einen extrem üblen Beigeschmack. Man braucht nicht viel Fantasie um sich sofort an die Judensterne zu erinnern. Der Gesetzgeber hat diese Abwägung getroffen und – soweit ich informiert bin – die Antworten freiwillig gemacht. Muss man anders abwägen, ganz verzichten? Eine schwere Frage.

Meine Meinung: an einem Zensus geht kein Weg vorbei. Durch die registergestützte Zählung und die anschließende Löschung der Daten hat der Gesetzgeber wesentliche Voraussetzungen geschaffen, die die informationelle Selbstbestimmung nicht allzu sehr einschränken. Sicher kann man noch einiges verbessern – gerade bei der IT-Infrastruktur und den Zugriffsrechten muss Klarheit herrschen. Und ich verstehe auch nicht, warum bei Wohnungen das Vorhandensein einer Badewanne abgeglichen sein muss.

Dennoch: Fundamentalopposition ist falsch. Um das längst beschlossene Gesetz noch irgendwie nachzubessern müssen die Netizens noch viel, viel Arbeit leisten – jenseits der empörungsfördernden Öffentlichkeitsarbeit. Erst müssen die Grundlagen geklärt werden und dann fundierte Verbesserungsvorschläge gemacht werden.