Das Internet ist kein shit storm

Dieser Satz ist auf mich gemünzt:

Manchmal frage ich mich wirklich, welches Internet hier einige verteidigen wollen. Ich glaube, einige haben echt zu wenig auf 4chan, Maillinglisten oder IRC abgehangen, um das Internet wirklich zu verstehen…

Wer bei mir ein Mailinglisten- oder IRC-Defizit feststellt, hat ganz klar eine Fehleinschätzung begangen. Kann passieren. Es gibt keinen Lebenslauf von mir, in dem alle IRC-Channel stehen, die ich administriert habe.

Richtig blöd ist jedoch die Aussage, man müsse auf 4chan abgehangen haben, um „das Internet“ zu verstehen. Jungs: 4chan ist nicht das Internet. Sich gegenseitig anpöbeln ist nicht „das Internet“. Nazivergleiche sind es nicht, Provokation um der Provokation willen ist es nicht und andere Leute niedermachen ist es auch nicht. Sicher: es kommt vor. Häufig. Aber gehen wir tatsächlich nur online, um Hass und Häme zu verspritzen?

Das Internet ist mehr als cat content und schlechte Umgangsformen. Shit storms mögen eine unvermeidliche Nebenwirkung dessen sein, dass jetzt jeder eine Stimme findet — und nicht mehr nur Massenmedien, Einkommensmillionäre und Funktionäre. Endlich kann man etwas bewegen. Endlich bekommen die Großkopferten auch etwas von der Häme ab, die sie doch so sehr verdienen. Endlich haben wir was zu sagen. Endlich.

Doch irgendwann sollte jeder merken: Das da war es noch nicht. Häme auf Häme auf Häme verändert nichts. Ein paar Lebensläufe mögen geknickt werden, ein paar Lügen klappen nicht mehr so gut wie vorher. Doch an ihre Stelle treten andere Lügen, neu verpackt, viral. Wir klopfen uns auf die Schulter und alles geht weiter wie bisher.

Jungs, das ist nicht das Internet. Das Internet ist mehr.

Plumpe Werbung unter der Dorflinde

Der „Deutsche Knigge-Rat“ widmet sich in einer Pressemitteilung der mondänen Welt von Facebook, Twitter und Co hin. Zwar hat die Konkurrenz von der „Deutschen Knigge-Gesellschaft“ grade für die Deutsche Telekom auch ganz viele tolle Ratschläge aufgeschrieben, aber seien wir nicht kniggerich. Rainer Wälde handelt aus höherem Antrieb:

Für Rainer Wälde, Leiter des Deutschen Knigge-Rats, übernehmen die Netzwerke für den postmodernen Menschen „die Funktion der Dorflinde, unter der sich früher die Bewohner zum täglichen Austausch getroffen haben.“

Nicht Stammkneipe, Sportverein oder der Friseursalon sind die Referenz für sozialen Austausch, sondern die Dorflinde. Was mich zur Schlussfolgerung verleitet: Entweder hat Herr Wälde 150 Jahre in einem Schneewittchenschlaf verbracht oder er bezieht seine guten Sitten aus der Welt der Rosamunde Pilcher.

Immerhin hat er es geschafft die Selbstverständlichkeiten des digitalen Umgangs miteinander in zwölf schön anzuschauende Thesen zusammenzuschnüren. Banal? Ja, vielleicht – aber sicher ein Anlass über sein Digitales Ego zu reflektieren. Eine wirklich nette Story.

Allerdings ist der Schluss etwas kurios:

12. Business-Tipp: Vorsicht vor plumper Werbung
Belasten Sie „Freundschaften“ nicht mit plumper Werbung. Wenn Sie nur platt verkaufen wollen, werden Sie schnell ignoriert. Denken Sie langfristig und vermeiden Sie es als „nervender Nachbar“ ausgegrenzt zu werden.

Rainer Wälde ist Vorsitzender des Deutschen Knigge-Rats und Autor des neuen Ratgebers „Personal Branding. Natürlich erfolgreich – auch bei Facebook, Twitter & Co.“. (ISBN 978-3927825048)

Ja, plumpe Eigenwerbung sieht ganz anders aus…