Ironiedetektoren rettungslos verbogen?

Vor ein paar Tagen habe ich hier eine kleine Parodie auf die Leute geschrieben, die nach der weitgehend unfundierten #mygauck-Begeisterung auf Twitter eine ebenso wenig sachbezogene Gegenkampagne starten würden, indem sie einen Sachverhalt aus dem Kontext reißen und skandalisieren würden. Ich dachte, ich hätte nicht mit Hinweisen gespart. Ich erfand die Vereinten Blogger & Netizens (VBN), übertrieb, verzerrte, alberte in den paar Zeilen so viel herum, dass es eigentlich klar sein sollte: der Eintrag war nicht ernst gemeint.

Merkwürdigerweise scheinen die drei Kommentatoren das nicht gemerkt zu haben. Das Problem: wenn man ihn mit so manchem Eintrag vergleicht, der Joachim Gauck wegen seiner Mitgliedschaft in dem Verein Atlantikbrücke ohne Umwege oder Ironie zum neoliberalen Groß-Verschwörer erhebt, erscheinen meine Übertreibungen gar nicht mehr so übertrieben, meine gezielt überdrehten Formulierungen nicht mehr so grotesk.

Dem hat Peter Mühlbauer noch einen draufgesetzt, indem er sich der Kandidatin der Linkspartei Luc Jochimsen widmet. Er nimmt ein Zitat von ihr aus dem Jahre 2006 zum Thema Urheberrecht zur alleinigen Grundlage, die Politikerin zur „Kandidatin des Neofeudalismus“ zu ernennen. Und soweit ich dies sehe, meint er das ernsthaft.

Besonders drastisch sichtbar werden die Scheuklappen in diesem Absatz sichtbar:

Offenbar auch wegen der Erfolge der Piratenpartei klingt das bei manchen Linkspartei-Politikern mittlerweile ein bisschen anders: So verlautbarte etwa Petra Sitte im März dieses Jahres, dass „Mashups, Remixes und die Nutzung von Tauschbörsen […] nicht kriminalisiert werden“ dürften. Außerdem solle das Urheberrecht „nicht als Keule einer untergehenden, bald vergangenen Zeit“ verwendet werden. Eine Äußerung, die sich möglicherweise auch auf die vierundsiebzigjährige Jochimsen bezog, die von der Leipziger Volkszeitung als eine „Frau von vorgestern“ charakterisiert wurde.

Nein, natürlich meinte die Leipziger Volkszeitung nicht die Position Jochimsens zu einem Thema, das angesichts von Sparpaket und Regierungskrise nicht wirklich im Fokus der Öffentlichkeit steht. Natürlich hat der der Kommentator nicht den Bezug zwischen den beiden willkürlich rausgegriffenen Zitaten mit vier Jahren Abstand hergestellt. Hätte Mühlbauer den Kommentar tatsächlich gelesen, wüsste er das. Aber aufs Lesen kommt es nicht an – stattdessen setzt er Faktenschnippsel zu einer Geschichte zusammen, die einem selbst in den Kram passt.

Wenn solche Artikel ernst gemeint sind, wie will man noch gezielte Ironie erkennen?

Was ist ein Schäuble?

Peter Mühlbauer bezeichnet den zurückgetretenen US-Justizminister Alberto Gonzales bei Telepolis als den amerikanischen Schäuble.

Was zeichnet denn einen „Schäuble“ aus? Minister, konservativ, Jurist, mit Anti-Terror-Gesetzen beschäftigt, christlich und weiß? Wer wäre denn der Schäuble Frankreichs oder der Schäuble Russlands? Sicher könnte man da jeweils das halbe Kabinett als Schäuble bezeichnen.

Gute Begründungen

Normalerweise werden Überwachungsmaßnahmen ja mit Kinderpornos und lauernden Terroristen begründet. In New York hat man laut Telepolis eine originellere Begründung gefunden.

Die New York Taxi Workers Alliance (NYTWA) kündigte an, im September zu streiken, um ein GPS-System zu verhindern, das ab Oktober für alle New Yorker Taxis verpflichtend sein soll. Von Seiten der Taxi and Limousine Commission (TLC) wird die Einführung des Systems vor allem damit begründet, dass Fahrgäste vergessene Gegenstände auf diese Weise leichter wiederbekommen könnten, wenn die Behörde jederzeit nachsehen kann, welches Taxi wann wo war.

Liebe TLC, das könnt ihr doch besser. Baut doch zusätzlich in jedes Taxi einen Temperatursensor ein und behauptet, dass ihr das Mikro-Klima im Big Apple erforscht. Oder sponsort eine Folge von „24“, in der ein Terrorist online im Taxi verfolgt wird. Besser: 300 Terroristen in 500 Taxis.

PS: Telepolis schafft es sogar das verwendete Taxi-Bild von Wikimedia Commons korrekt mit Quelle, Lizenz und Autorenangabe zu versehen. Das habe ich so noch nicht in freier Wildbahn gesehen.

Etikettenschwindel mit Westerwelle

Fortschritte in der Zuschauermessung – ein dröges Thema. Aber nicht, wenn man eine Westerwelle-Wegschaltquote in die Überschrift packt.

Doch was erfahren wir über die Leute, die bei Anblick von Guido abschalten? Nichts. Das Interview endet so:

Was hat sich eigentlich genau verändert, seit die Quoten sekundengenau ausgewertet werden? Gibt es Sachen, die man seitdem weniger oder gar nicht mehr im Fernsehen sieht? Guido Westerwelles Medienpräsenz ist ja in letzter Zeit auffällig zurückgegangen – liegt das vielleicht an einer Westerwelle- Wegschaltquote?

Andreas Kühner: Nein. So etwas ist mir nicht bekannt.

Zum Abschalten ist es da zu spät. Und Klicks kann man nicht zurücknehmen.