„Erfreulich unvoyeuristisch“

Eigentlich wollte ich mir den ganzen Quatsch um den „Tatort Internet“ sparen. Die einen empören sich über das Gezeigte, die anderen empören sich darüber, wie das Gezeigte instrumentalisiert wird – für rationale Argumente ist hier wenig zu gewinnen. Zudem: das Format ist seit Jahren immer Mal wieder über deutsche Bildschirme gelaufen – mit etwas weniger Trash und weniger Ministergattinen-Glamour, aber das Prinzip war bekannt. Also keine Überraschungen.

Dass der „stern“ die Sendung gut findet, war zu erwarten – schließlich ist diese Woche der „Tatort Internet“ auch Titelthema der Zeitschrift. Die Fernseh-Kritik von stern.de hat mir aber dann doch kurz den Atem verschlagen. Nicht weil sie den übrigen Kritiken diametral widerspricht, sondern auf welche Weise der Autor Gernot Kramper eine positive Rezension hinbiegt.

Die erste Strategie: Erwartungen dämpfen. Das hört sich dann so an:

Hohn und Spott hagelte es zunächst für den Trash-Sender RTL2. Der Exotenkanal gilt als „One-Hit-Wonder“ der TV-Landschaft und ist einer breiteren Öffentlichkeit vor allem durch seinen Dauerbrenner „Big Brother“ bekannt. Das ist die Containershow, die mit einer explosiven Mischung von bräsigen Dumpfbacken und traurigen Pornosternchen den Begriff Prekariatsfernsehen in immer neue Niederungen führt.

Kurzum: Wenn sich Frau zu Guttenberg nicht nackig macht und einem Frauentausch im Container zustimmt, ist das Niveau der Sendung höher als es bei RTL2 zu erwarten war. Vielleicht hat der Sender sein Programm erst so spät geändert, damit Leute, die eigentlich eine Reportage über Sexsüchtige voyeuristische Fleischbeschau sehen wollten, von dem Format angesprochen werden. Diese Menschen muss man halt da abholen, wo sie intellektuell anzusiedeln sind.

Das Urteil fällt demgemäß positiv aus:

Mit der eigentlichen Sendung hat das Lamento nichts zu tun und die erste Folge von „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“ war weit besser als gedacht. „Tatort Internet“ ist Infotainment und versammelt in seiner Bildsprache die grellen Hilfsmittel, mit denen heutzutage Informationssendungen aufgebrezelt werden.

Diese RTL2-Sendung war wohltuend unvoyeuristisch aufgebaut. Und das ist eine Leistung, denn viele andere Dokumentationen, die die schockierende Wahrheit über Themen wie den längsten Straßenstrich in Europa versprechen, locken ihre Zuschauer vor allem mit knisternden Rotlichtaufnahmen. In „Tatort Internet“ gab es nur die dumpfe Geilheit der Täter, die mit akribischen Vorsicht eines professionellen Kriminellen vorgingen und während der Konfrontation vor der Kamera dann ihre ganze Jämmerlichkeit zeigten. Übrigens vollständig verpixelt, so dass man kaum von einem Pranger sprechen kann.

Und richtig, bevor man sich über den Trash-Sender beschwert, sollte man fragen, wieso so ein relevantes Thema überhaupt bei dem obskuren Kleinsender landen konnte? Das konnte nur geschehen, weil Sender, die berufener gewesen wären, ihren Zuschauern das unangenehme Thema nicht nach dem Abendessen vorsetzen wollten.

Kurzum: Gernot Kramper baut seine positive Kritik darauf auf, dass die Sendung das übliche Niveau von RTL2 überschreitet. Allerdings muss man sich ernsthaft die Frage stellen, wo auf der Niveau-Skala Kramper seinen eigenen Text ansiedelt. Denn die Überschrift des Textes appelliert nun wirklich auch nicht an eine hochstehende Debattenkultur:

Und unter dem Artikel prangt – Medienpartnerschaft sei Dank – ein kurzes Best-Of der Sendung. Natürlich unvoyeuristisch wird hier das Opfer „Mandy“ interviewt – unterbrochen von möglichst vielen Einstellungen aus dem Kinderzimmer:

Welt.de schreibt dazu:

Mandy ist 12 Jahre alt und im Netz von einem älteren Mann, der sich als 16-Jähriger ausgegeben hat, missbraucht worden, genötigt worden sich auszuziehen. Es fällt ihr offensichtlich schwer darüber zu reden, anders als ihrer Mutter, die davon monatelang nichts mitbekam. Jeder Richter hätte bei einer Verhandlung die Öffentlichkeit ausgeschlossen, als Mandy sprach. Nicht so RTL2.

Und offensichtlich auch nicht Stern.de.

PS: Stern.de hat die Überschrift nun in „Die Freifrau und die bösen Männer“ geändert.

PPS: Wie überaus wenig informativ die Sendung war demonstriert Christian Geyer in der FAZ:

Hinter der fadenscheinigen Warnung vor „Zensur“ im Internet verschanzen sich Männer, die es auf Sex mit Minderjährigen anlegen. Stephanie zu Guttenberg dokumentiert in der neuen Sendereihe „Tatort Internet“, wie Kinder und Jugendliche leichte Beute für Chat-Täter werden.

Geyer setzt kurzerhand jede Kritik an vermeintlicher Zensur mit Vorbereitung zum aktiven Missbrauch gleich. Eine üble Nachrede, die sicher von anderen noch ausgiebig angeprangert werden wird.

Was Geyer übersieht: keine der als „Zensur“ angeprangerten Maßnahmen kann die in „Tatort Internet“ gezeigten Strategien mutmaßlicher Missbrauchs-Täter bekämpfen. In der aktuellen Kampagne geht es weder um Produktion von Kinderpornografie, noch um den Konsum derselben, es geht um Vorbereitungshandlungen für einen Missbrauch. Und weder Web-Blockaden noch der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verhindern oder erschweren, dass Erwachsene mit Kindern über das Internet Kontakt aufnehmen können.

Einer der besten Experten…

Stern.de hat Bert Weingarten zu einer neuen tollen Entdeckung aus dem Hause PAN AMP interviewt: der GPS-Bombe. Dass die Autorin nicht unbedingt die seriöseste Quelle gefunden hat, hat stern.de wohl spätestens nach Protesten im Forum mitbekommen. Flugs wird der Experte ein wenig degradiert:

Weingarten-Lebenslauf um 16:30 Uhr:
stern-weingarten2

Weingarten-Lebenslauf um 17:00 Uhr:
stern-weingarten1

Auf der Startseite ist der Nonsense allerdings immer noch verlinkt.

Der Non-Impact von Facebook & Co

Stern.de hat zu Weihnachten eine gute Idee und bringt etwas über die karitative Seite von Facebook, StudiVZ und Co: Soziale Netzwerke – Communitys als Lebensretter.

Das Problem: die Überschrift stimmt nicht. Im ersten geschilderten Fall stirbt das Baby trotz einer per Facebook vermittelten Knochenmarkspende. StudiVZ kann nur berichten, dass man gerne karitativen Organisationen unterstützen würde – es aber bisher nicht tut. Die Community-Suche nach einer vermissten Studentin in Trier war wie zu erwarten erfolglos. Und bei der abschließend genannten Knochenmarkspenden-Suche ist auch kein Erfolg zu verbuchen.

Haben die sozialen Netzwerke wirklich so wenig greifbare Erfolge zu bieten?

Sonder-Newsletter! Stimmt nicht! Oder doch?

Der Stern berichtet über Schikanen gegen LIDL-Mitarbeitern und landet dabei sogar in der Tagesschau. Was macht die professionellen Kommunikateure des Handelskonzerns? Sie gehen in die Offensive und schicken einen Sonder-Newsletter an ihre Kunden los.

Wir pflegen einen fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern

Neckarsulm, 26.03.2008. „Die im Stern skizzierten Vorwürfe und Feststellungen haben uns sehr betroffen gemacht. Insbesondere der damit vermittelte Eindruck, wir würden unsere Mitarbeiter „bespitzeln“, entspricht in gar keinem Fall unseren Führungsgrundsätzen und dem praktizierten fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern“, sagt Jürgen Kisseberth, Geschäftsleitungsmitglied Mitarbeiter und Soziales der Lidl Dienstleistung GmbH & Co. KG.

Hmm – also eine Ente? Hat der Stern das Ganze erfunden?

Um durch Diebstahl verursachte Inventurverluste zu vermeiden, arbeitet auch Lidl – wie im gesamten Handel üblich – mit Kameraanlagen, um Diebstähle aufzuklären. Im Jahr 2007 gab es in 8 Prozent der deutschen Filialen aber besonders auffällige Inventurdifferenzen. Deshalb wurde in diesen Filialen zusätzlich für einen begrenzten Zeitraum mit Detekteien zusammengearbeitet.
Die Aufgabe der Detekteien war es, in den Filialen zusätzliche Erkenntnisse zur Aufklärung von Diebstählen zu gewinnen. Die in diesem Zusammenhang über diesen Aufgabenbereich hinaus festgehaltenen weiteren Informationen wurden zu keiner Zeit in irgendeiner Weise weiterverwertet.

Ah,, also das ganz normale Geschäft. Ich will ja auch nicht beklaut werden!

Die Hinweise und Beobachtungen, die vom Stern veröffentlicht wurden, entsprechen weder im Umgangston noch im Stil unserem Verständnis von einem fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern. Deshalb hat Lidl die Zusammenarbeit mit einem der betroffenen Dienstleister schon vor längerer Zeit beendet. Wir haben uns zudem entschieden, unser Eigentum zukünftig ausschließlich mit sichtbar angebrachten Kamerasystemen und gemeinsam mit unseren Mitarbeitern zu schützen.

Hmm – also stimmt der Stern-Bericht also doch? Was ist eigentlich eine „längere Zeit“? Drei Tage oder drei Jahre? Kann man Unternehmenskommunikation eigentlich auch beim Discounter kaufen?

Jugendschutz per VNC?

Ab und zu sind Leserkommentare doch interessant. Zu einem Stern.de-Artikel über jugendgefährdende Gruppen bei Schülervz fand ich diesen Kommentar eines Elternteils:

Kleine Schritte, große Wirkung…

auf dem Rechner meiner Tochter ist die Schutzsoftware „KISI“ mit entsprechenden Filterschutz für Online-Unrat am laufen und bei Bedarf gehe ich via „VNC“ und schau stichprobenmäßig was sie da online treibt. Fällt mir irgend etwas auf, lade ich sie zum Gespräch ein… es ist schön, ruhig schlafen zu können!!.

PS: Weitere denkwürdige Leserkommentare im gleichen Thread:

Freiheit bedeutet doch nicht, dass man Hitler gut finden kann. Ich bin auch frei und finde Hitler nicht gut… Das liegt allgemein an der Erziehung, am Mangel jeglicher Intelligenz, an der schlechten Aufklärung, an den Lehrern usw.

von ca 900´000 (!!) usern meinen, (nehmen wir an) 100 das sie sich aus der Masse abheben müssen… Soll ich ihnen noch ausrechnen wie viel das in Prozent ist? Das sind 0,0001 Prozent,