Illegale Kopien sind gut für’s Kino

Wenn die Musik- und Internetindustrie mal wieder eine Untersuchung verbreitet, die den Weltuntergang per Bittorrent und illegalen Streams verbreitet, stöhne ich nicht mehr auf. Es ist das, was die Lobbyisten tun. Wenn man in die Untersuchungen hineinblickt, muss man sie in der Regel nur kurz antippen und das theoretisch-statistische Kartenhaus stürzt in sich zusammen. Die Realität ist nicht eindimensional. Nicht jeder Download wäre ein Kauf gewesen.

Doch in letzter Zeit häufen sich die Untersuchungen in anderer Richtung, die von Torrentfreak, Gulli und Co begeistert herumposaunt werden. Wer Dateien über Bittorrent illegal lädt, zahlt mehr für Unterhaltungsprodukte. Ein eindeutiger Freispruch für alle Freeloader, sie sind die wahren Stützen der kreativen Gesellschaft. Der Gedankengang ist klar: Wenn die Fans bei dem Konzert das Lied mitsingen können, obwohl fast niemand die CD gekauft hat und das Lied nie im Radio kam — dann haben sie immerhin Eintritt bezahlt. Aber wie viele Menschen passen in einen bezahlbaren Konzertsaal und wie viele haben im Gegensatz dazu Internetanschlüsse? Wenn die Vielzahler zu Bittorrent und Streams abwandern, ist das nicht besonders schädlich?

Ein Beispiel für die Unlizensierte-Kopien-sind-gut-These habe ich nun bei TheNextWeb gesehen: „Researchers find Megaupload shutdown hurt box office revenues„. Hier untersuchen die beiden Autoren die Effekte der Schließung von Megaupload auf die Umsätze an den Kinokassen. Zwar ist die Studie nicht so einseitig wie viele: Die Autoren haben verschiedene Filmarten unterschieden und unterschiedliche Effekte ausgemacht. Aber dennoch stürzt das Kartenhaus zusammen, wenn man es antippt.

Denn das Quasi-Experiment ist kein Experiment. Die Kinobranche ist wie die gesamte Medienbranche im Wandel. Welche Entwicklung die Autoren auch immer feststellen: Megaupload mag höchstens einer von mehreren Faktoren gewesen sein. Da fallen mir viele ein. Meine drei spontanen Highlights:

  • In den fünf Jahren der Untersuchung haben sich große Flachbildfernseher massiv verbreitet und gleichzeitig sind die DVD-Versionen viel früher da. Online-Videotheken haben aufgemacht oder sind richtig populär geworden. Kurzum: Kinofilme bekommen wir einfacher, schneller, billiger und besser im Wohnzimmer als je zuvor.
  • Das Fernsehen hat dem Kino Stoffe, Personal und Publikum streitig gemacht: Sollte der Megaupload-Knick tatsächlich stärker sein als der Game-of-Thrones-Knick? Zudem: 2012 war kein tolles Kinojahr.
  • Und dann sind da noch so Kleinigkeiten wie die Unterhaltungsbudgets der Konsumenten. 20 Minuten unüberspringbare Werbung auf 100 Minuten Film – und dafür soll ich 15 Euro zahlen? — Ja, aber dafür bleiben Deine Schuhe am Boden kleben! Ein tolles Angebot für den Elterngeldempfänger im Zeitarbeitsvertrag.

Ein zentraler Schwachpunkt der Untersuchung ist IMO die Ausdehnung der Untersuchung auf die 35. Woche 2012. Alle Konsumenten von Kinofilmen per Stream die ich kenne, hatten in der Zeit andere Quellen als Megaupload gefunden. Teilweise mussten sie auch gar nicht suchen, da die Linkseiten immer auch andere Quellen hatten. Wenn ich mich auf Seiten wie sidereel.com umsehe, ist da einfach keine Megaupload-Lücke erkennbar. Eine Traffic-Studie legt nahe, dass meine Bekannten keinen Sonderfall darstellen. Wenn also ein negativer Effekt so lange nach dem Ereignis vorliegt, vermute ich, dass er unabhängig von diesem Ereignis ist. Vielleicht gab es einen kurzfristigen Megaupload-Effekt. Aber sollte der nicht in der anderen Richtung ausgeschlagen haben — und zwar in den paar Wochen, in denen die Schließung relevant war?

Neulich berichtete ich einem Bekannten, dass ein Mensch, der mir ein Video auf YouTube zeigte, dass eben der Mansch, der auf dem YouTube-Video zu sehen war in wenigen Wochen live, keine zwei Kilometer von der Wohnung meines Bekannten auftrat. Die Antwort: Och nö. YouTube ist ihm genug. Ich hingegen schwärme ja immer von dem WTFPod von Marc Maron, einem einst abgehalfterten Komiker mit Drogenvergangenheit, der von seinem letzten Job als Radiomoderator entlassen wurde und dann in die Studios schlich, um seinen Podcast aufzuzeichnen. Neulich hat er ein neues Comedy-Album herausgebracht, ich überlegte es zu kaufen. Doch dann sah ich: Bei Simfy kann ich mir alle möglichen Comedyalben von Marc Maron oder Monty Python anhören — zu einem Bruchteil des Preises. Legal. Marc Maron geht es trotzdem nicht schlecht.

Die Wahrheit (TM) ist: Die neuen Verbreitungswege — legal oder illegal — haben Effekte in beide Richtungen. Manche Leute können nicht mehr von Kunst leben, andere hingegen finden bessere Wege dies zu tun. Wer einen Film kostenlos im Internet guckt, sollte sich nicht vormachen, dass er den Filmemachern einen Gefallen getan hätte.

Update: Ich habe einen der Autoren der Studie kontaktiert und ihn befragt, wie er diese Studie andere Effekte auf die Kinoumsätze ausschließt. Seine Antwort war, dass dies durch die Kontrollgruppe gewährleistet sei. Auf Nachfrage erklärte er, dass als Kontrollgruppe Filme dienten, die vor dem Schließen von Megaupload liefen. Sprich: Die beiden Autoren haben nichts anderes gemacht, als die Situation vor und nach dem Januar 2012 zu vergleichen und alle Änderungen Megaupload zuzuschreiben.

Doch das ist eine irrige Annahme. Denn die fundamentalen Änderungen der Kinobranche, von denen ich oben ein paar skizziert habe, sind nicht zu übersehen — und wurden doch übergangen. Was nun der Effekt von Schließung von Megaupload war, ist aus diesem Datenmaterial nicht zu entnehmen. Alles was man sagen kann: Die Kinoumsätze unterscheiden sich von denen der Vorjahre. Da längst andere Streamingdienste die Lücke von Megaupload übernommen haben, ist sogar auszuschließen, dass die festgestellten Effekte irgendetwas mit Megaupload zu tun hatten. Hierzu müsste man die wenigen Wochen unmittelbar nach der Schließung beobachten. Da aber Kinoumsätze sehr stark schwanken, kann man hier auch kaum eine Aussage treffen, welcher Faktor nun welche Auswirkung hatte.

Statistik des Tages

Boobpedia, die Enzyklopädie der großen Brüste, hat derzeit 309 aktive Nutzer und 16134 content pages.

Convervapedia, die Enzyklopädie der God-hates-fags-and-Barack-Hussein-Obama hat derzeit 885 aktive Nutzer und 36724 content pages.

Ein einfacher Dreisatz zeigt, welche Zielgruppe mit nur einer Hand schneller tippen kann.

Das Gutten-Fake-Mysterium – eine einfache Erklärung

In den letzten Tagen möchte ich immer mal wieder Schläge auf Hinterköpfe verteilen. Die Pro-Guttenberg-Gruppen auf Facebook beschäftigt viele Köpfe, nur das Denken scheint dabei etwas kurz zu kommen.

So gibt es die Guttenberg-Kritiker, die mit durchweg unstichhaltigen Argumenten Indizien für einen großen Fake herbeireden wollen und damit viel Applaus bekommen. Dann gibt es Leute wie Sascha Lobo und Marcus Schwarze, die zwar lobenswerterweise Fragen stellen, aber schon an der Fragestellung scheitern. Sascha Lobo wird mit seinem Crowdsourcing-Experiment lediglich zeigen können, wie wenig seine Leser mit Guttenberg, BILD und Merkel sympathisieren. Und Marcus Richter Schwarze hat letztlich nur festgestellt, dass die Facebook-Statistik weder Fakes noch gekaufte Accounts ausweist.

Nachdem die meisten groß angekündigten Pro-Guttenberg-Demonstrationen im wohl verdienten Gelächter untergegangen sind, ist die Fraktion, die mit dem Brustton der Überzeugung vom Facebook-Fake spricht wieder besonders lautstark. Problem: diese Leute haben so wenige Beweise oder Indizien wie vorher.

Versuchen wir es einfach mal mit einer einfachen Erklärung, beziehungweise mit drei Thesen:

  • Die meisten Leute, die bei „Pro Guttenberg“ auf den Like-Knopf geklickt haben, sind keine fanatischen Guttenberg-Fans. Sie haben schlichtweg genug von der andauernden Berichterstattung. Dem leidigen Thema noch einen Samstagnachmittag hinterherzuwerfen, fällt ihnen nicht ein. Der Pro-Guttenberg-Klick ist ein Klick gegen Massenmedien, Politik-Betrieb und Sensationslust. (Das muss aber nichts heißen: in sozialen Netzwerken beschweren sich viele Leute über die bösen Medien, die Charlie Sheen immer neue Gelegenheit geben sich zu demontieren. Dennoch hatte er auf Twitter an nur einem Tag eine Million Follower oder genauer: Gaffer gefunden.)
  • Demonstrationen zu organisieren benötigt Zeit. Netzwerke aufzubauen benötigt Zeit. Eine diffuse Masse ist eine diffuse Masse. Wer am Samstag auf Abruf bereit steht, ist vielleicht nicht der fotogenste Streiter für die eigene Sache.
  • Facebook ist ein lausiges Medium für politischen Diskurs. Statt Vielfalt abzubilden, ist Facebook das Äquivalent zum US-Fernsehmarkt geworden. Extrempositionen werden gepusht, weil sie Klicks und Zuschauer bringen. Hintergründe, Zusammenhänge oder gar Sacharbeit sind auf der Plattform kaum möglich – und werden auch nicht gefördert. Besonders in der Masse wird die individuelle Initiative beerdigt. Wer soll 5 Stunden Arbeit in etwas investieren, was im Zweifel nach fünf Minuten weggescrollt ist?

Alles gutt

In der süddeutschen Zeitung von heute nennt Kurt Kister BILD das „Zentralorgan der Guttenberg-Verteidigung“. Ist das berechtigt? Sicherlich.

Kleines Beispiel: Mit einer Umfrage versichert sich die Redaktion heute der unverbrüchlichen Guttenberg-Treue ihrer Leser.

Wo ist der Unterschied zwischen „Er macht eine unglückliche Figur“ und „Ihm ist der Erfolg zu Kopf gestiegen“? Nun: es gibt keinen. Die Umfrage ist so konstruiert, dass die Guttenberg-Unzufriedenen zwischen drei indifferenten Antwort-Optionen wählen müssen, die unerschütterten Guttenberg-Anhänger versammeln sich hingegen bei einer Antwort-Option.

Praktischerweise unterscheidet die Option A nicht zwischen Amtsführung und Plagiatsvorwürfen, und fragt ausdrücklich nicht nach Konsequenzen. Trotzdem verkündet BILD.DE stolz:

Dennoch – einen Rücktritt lehnt die Mehrheit der BILD.de-User ab. Mehr als 50 Prozent sagen: Guttenberg macht seinen Job GUTT!

Hätte Bild.de einfach die Frage gestellt: „Soll Guttenberg zurücktreten – Ja oder Nein?“ — ich glaube, die Leser von Bild.de hätten den Rücktritt (noch) mehrheitlich abgelehnt. Aber so sicher scheint man sich im Axel-Springer-Haus nicht gewesen zu sein.

Nachtrag, 22. Februar: Ein wenig zu lange hat Bild.de die Umfrage in seine Guttenberg-Artikel eingebaut. Nun lautet das Ergebnis tatsächlich so:

Und war die Umfrage zum Beispiel am Samstag noch ein Beleg dafür, was Deutschland denkt, findet sich in dem heutigen Artikel kein Hinweis mehr auf das Ergebnis.

„Polizeilich erforderlich“

Der AK Vorratsdatenspeicherung übt sich derzeit in einer merkwürdigen Informationspolitik: um einer vermeintlichen „BKA-Propaganda“ entgegenzutreten, lesen die Internetaktivisten aus wenig bis gar nicht aussagekräftigen Zahlen das Gegenteil dessen heraus, was denn die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung behaupten.

Nach einer ausführlichen Analyse unsererseits sind die BKA-Zahlen „irrelevant“ und belegen „keine blinde Flecken in der Verbrechensbekämpfung oder Schutzlücken“. Auch Dr. Michael Kilchling vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg kritisierte: „Für eine seriöse wissenschaftliche Stellungnahme fehlt jede Basis“. Dennoch ist ausgerechnet die Bundesjustizministerin dem unhaltbaren, vom Bundesinnenminister im Rahmen einer politischen Kampagne in Auftrag gegebenen BKA-Bericht aufgesessen.

Der Widerspruch liegt auf der Hand: wenn das Material keine wissenschaftlich fundierten Aussagen erlaubt, sind sowohl die Aussagen der Befürworter als auch die Aussagen der Gegner einer Vorratsdatenspeicherung gleichermaßen unfundiert. Die „Propaganda“ des einen ist die „Analyse“ des anderen.

Dabei ist der AK Vorrat auf eine argumentative Goldgrube gestoßen: Die sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung ist eben auch nur sehr eingeschränkt effektiv:

Die vom Justizministerium offenbar übernommene Behauptung des Bundeskriminalamts, 72,82% nicht beantworteter Auskunftsersuchen beträfe „die Straftatbestände Verbreitung, Erwerb oder Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften“, ist auf abenteuerliche Art und Weise zustande gekommen: Beispielsweise lagen 209 der vom BKA ergebnislos angefragten Internetverbindungen länger als 10 Tage zurück, die Anfragen waren wegen der dem BKA bekannten, kürzeren Speicherfristen der Provider von vornherein sinnlos. 147 weitere angefragte Internetverbindungen lagen sogar länger als sechs Monate in der Vergangenheit!

Die hier nicht erwähnten Schlussfolgerungen sind:

  • Die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung wird weniger positive Effekte haben als dargestellt und
  • nach der Einführung einer sechsmonatigen Speicherung wird es auch wieder Forderungen nach einer Ausweitung der Speicherfrist geben.

Der AK Vorrat nimmt dies zum Anlass die Vorratsdatenspeicherung mit der kompletten Kriminalstatistik aufzurechnen, was allenfalls Spielerei ist — selbst Herr Ziercke hat nirgends behauptet, dass er mit der Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel die einfache Diebstähle verhindern oder die Aufklärung derselben erhöhen könnte.

Aber ein genauerer Blick in das vom AK Vorrat verlinkte offizielle BKA-Dokument offenbart Mängel in der Darstellung – mögen sie auf Schludrigkeit oder Absicht zurückgehen.

Auf Seite 12 heißt es:

g.) Polizeilich erforderlicher Zeitraum der Speicherung
Abschließend wurde bezüglich der negativ beschiedenen Auskunftsersuchen erhoben, für
welchen Mindestzeitraum eine Speicherung der Verkehrsdaten aus polizeilicher Sicht
erforderlich gewesen wäre.
Die Verteilung betreffend des aus polizeilicher Sicht für erforderlich erachteten
Mindestspeicherzeitraums stellt sich wie folgt dar:
In

  • 24,09 % der Fälle (212 Anschlüsse, davon 211 IPs) wäre ein Mindestspeicherzeitraum
    von einem Monat,
  • 49,55 % der Fälle (436 Anschlüsse, davon 404 IPs) wäre ein Mindestspeicherzeitraum
    von zwei bis fünf Monaten und in
  • 26,36 % der Fälle (232 Anschlüsse, davon 215 IPs) wäre ein Mindestspeicherzeitraum
    von sechs Monaten

erforderlich gewesen.

Lange Rede, kurzer Sinn: mit der sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung wäre der „polizeilichen Erforderlichkeit“ voll Genüge getan.

Auf dem Erhebungsbogen Seit 49 und 50 der PDF-Datei findet sich jedoch zum Beispiel dieser Fall:

Umfangreiches Ermittlungsverfahren der brasilianischen Bundespolizei gegen mehrere brasilianische Tatverdächtige mit internationalen Bezügen wegen Besitzes und Verbreitung von kinderpornographischem Material über das Filesharing-Netzwerk von Gigatribe. Über den BKA-VB Brasilia wurden 147 IP-Adressen und 17 Gigatribe-Nicknames zu potentiellen deutschen Tatverdächtigen übermittelt. Anhand der festgestellten IP-Adressen, denen zur jeweiligen Tatzeit die von den Tatverdächtigen verwendeten Gigatribe-Pseudonyme (Nicknames) zugeordnet waren, wurden auch Bezüge nach Deutschland hergestellt. Die Zeitstempel der IP-Adressen (Tatzeiten) bewegen sich zwischen dem 29.05.2009 und dem 11.09.2009. Die diesbezüglich am 25.05.10 – sofort nach Eingang der Informationen aus Brasilien – bei den betreffenden deutschen sechs Providern durchgeführten Anschlussinhaberfeststellungen verliefen negativ.
Eine eindeutige Täteridentifizierung hinsichtlich der von der brasilianischen Polizei mitgeteilten Nicknames war nicht möglich, da Pseudonyme in Gigatribe nicht zwingend (vor allem über einen längeren Zeitraum hinweg) personenbezogen sind.
Insofern wären Täteridentifizierungen zu dem von der brasilianischen Polizei mitgeteilten Sachverhalt nur über eine IP-Anschlussinhaberfeststellung unter Angabe der relevanten
Tatzeiten über die entsprechenden deutschen Provider möglich gewesen. Diese Daten liegen aufgrund des BVerfG-Urteil nicht mehr vor.

Darüber heißt es:

Polizeilich wäre eine Speicherung der Verkehrsdaten für folgende Dauer erforderlich gewesen: 6 Monate

Hier hat der Beamte offenkundig zwei Mal die Unwahrheit im Erhebungsbogen vermerkt: Die Daten lagen nicht „aufgrund des BVerfG-Urteils“ nicht mehr vor – sie hätten auch vor dem Urteil nicht vorgelegen.

Aus Formular-Sicht eine Vorratsdatenspeicherung von über einem Jahr „polizeilich erforderlich“ gewesen um die Täter zu überführen. Wenn man das Formular beiseite lässt und den gesunden Menschenverstand einschaltet, wäre hingegen eine bessere internationale Zusammenarbeit der Polizeibehörden erforderlich gewesen.

6,3 Stellen

Bei Kinderpornografie wird viel mit Zahlen herumgeworfen. Einige sind pure Erfindungen, andere veraltet oder auf grob geschätzt, wieder andere werden schlichtweg aus dem Zusammenhang gerissen.

Grade mokieren sich viele Sperr-Gegner, dass das Bundeskriminalamt nur 6,3 Stellen zur Bekämpfung von Kinderpornografie hat – je nach dem, wem man zuhört sind diese Planstellen für die Bekämpfung des Kindesmissbrauchs in Deutschland zuständig. Eine kleine Erinnerung: Polizei ist in Deutschland Ländersache. Das BKA kann allenfalls technische Unterstützung leisten und Koordinierungsaufgaben erfüllen – der Großteil der Ermittler sitzt in den Landespolizeibehörden.

Unbestreitbare Fakten

Tobias Kniebe schreibt im SZ-Magazin über die jüngste unsägliche Sarrazin-Debatte.

Bisher hat schlichtweg kein Meinungsforscher der türkischen und arabischen Bevölkerung Berlins diese Frage gestellt. Thilo Sarrazin behauptet also etwas, von dem er schlicht und einfach nichts weiß. Wenn man aber keine Zahl hat, erklärte Sarrazin dem Reporter weiter, muss »man eine schöpfen, die in die richtige Richtung weist, und wenn sie keiner widerlegen kann, dann setze ich mich mit meiner Schätzung durch«. Danke dafür. Hier zeigt das, was wir derzeit »Debatte« nennen, wenigstens einmal seine erschreckende Fratze.

Es ist leider so: wenn jemand Zahlen hat – egal wie wenig fundiert oder aus dem Kontext sie gerissen wurden – hat er ein Argument. Er kann nicht ganz falsch liegen. Denn er hat ja Zahlen!

Kniebe weiter:

Das Internet und der moderne News- und Fakten-Overkill verschärfen das Problem noch. Man muss aber eine persönliche Antwort darauf finden. Meine Antwort ist, dass ich jetzt erstens gar nichts mehr glaube und zweitens auch gar nichts mehr hören will. Halt!, rufen da die größten Schwachsinnsverbreiter. Muss man dieses und jenes nicht mal sagen dürfen? Die Debatte in Gang bringen? Ist Drüberreden nicht besser als Nichtdrüberreden? Ich sage inzwischen: Nein.

Das möchte ich gerne unterschreiben. Und zwar nicht nur, wenn es um Sarrazin geht, sondern besonders auch wenn es um Dinge geht, die einem selbst am Herzen liegen.

Positive Erfahrungen

Der grüne Bremer Lokalpolitiker Matthias Güldner wollte auch mal etwas zum Thema Kinderpornografie sagen und durfte bei Welt Online einige der gängigen Missverständnisse wiederholen. Besonders der eine ihn der Debatte gebetsmühlenartig wiederholte Satz stößt bei mir auf Unverständnis:

in Skandinavien wurden schon positive Erfahrungen mit vergleichbaren Gesetzen gemacht.

Welche „positiven Erfahrungen“ sind das denn? Das Internet ist nicht zusammengebrochen und in irgendwelchen Log-Dateien werden nicht weiter nachzuvollziehende Zahlen gesammelt. Nach mehr als fünf Jahren Websperren in Europa müsste es doch irgendwelche greifbaren Erfolge geben. Alleine: ich habe die Befürworter immer wieder gefragt und sie konnten mir keinen einzigen benennen.

Hat die „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ in Skandinavien durch die Sperre abgenommen? Die zuständigen Polizisten sind weit davon entfernt, so etwas zu behaupten.
Haben Produzenten und Verteiler von Kinderpornos durch virtuelle Stoppschilder akute Nachfrageprobleme oder Umsatzrückgänge zu verzeichen? Nichts davon ist bekannt.
Haben Konsumenten von Kinderpornos größere Schwierigkeiten, an Kinderpornos zu gelangen? Untersuchungen dazu liegen nicht vor.
Wird Kinderpornografie ungeachtet jeder Websperre auf ganz anderen Wegen als kommerziellen Webseiten verbreitet? Alle Anzeichen sprechen dafür.

Das beschwichtigende Argument ist ja die Behauptung, dass die Kinderporno-Sperren ja nur die schwächste in einem ganzen Bündel von Maßnahmen sind. Die Realität spricht eine andere Sprache. So demonstriert zum Beispiel die britische Internet Watch Foundation, dass man sich gar nicht mehr darum bemüht, Täter im Ausland zu verfolgen oder dem Phänomen Kinderponografie abseits der vor Jahren festgelegten Parameter aufzuklären. Dass es Filesharing-Netze und Chat-Netzwerke existieren, ist den mit brisanten Zahlen angereicherten Jahresberichten der IWF zum Beispiel nicht zu entnehmen. Sicher: es gibt mittlerweile viele Initiativen gegen Kinderpornografie, doch mit den stattlichen Websperren stehen die in keinem erkennbaren Zusammenhang.

Wenn man akzeptiert, dass die Webseiten-Sperren Symbolpolitik und gar keine konkrete Wirkung haben sollen, könnte die positiven Erfahrungen auch darin bestehen, dass Kinderpornos im Vergleich zu vorher gesellschaftlich mehr geächtet wären. Ein denkbar schwaches Argument für eine solche Maßnahme – aber hat das jemand ernsthaft untersucht? Meines Wissens nicht.

Falsches Bing

In meinen Zugriffs-Statistiken tauchen neuerdings auch Referrer von Microsofts neu aufgelegter Suchmaschine Bing auf. Der vermeintliche Google-Killer scheint ja richtig populär zu werden, könnte man denken. Aber von wegen. Ein kleiner Ausschnitt aus meiner Logdatei von heute:

/2007/08/29/offentlicher-druck-funktioniert/
Http Code: 200 Date: Jun 29 10:41:55 Http Version: HTTP/1.1 Size in Bytes: 26124
Referer: http://search.live.com/results.aspx?q=youtube
Agent: Mozilla/4.0 (compatible; MSIE 6.0; Windows NT 5.1; SV1; .NET CLR 1.1.4325; .NET CLR 2.0.50727; .NET CLR 3.0.30729; .NET CLR 3.5.30707; MS-RTC LM 8)

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe jemand bei Microsoft Live nach „YouTube“ gesucht und sei auf mein Blog gestoßen. Doch von wegen: unter dem angegebenen Referrer ist mein Blog nicht zu finden und die IP-Adresse gehört zu MSN. In Wahrheit ist der Surfer mit dem komischen Browser ein MSN-Bot, der in meinen Statistiken falsche Referrer hinterlässt.

Besonders auffällig: der korrekt gekennzeichnete MSNBot war ein paar Sekunden vorher da:


/robots.txt
Http Code: 200 Date: Jun 29 10:41:08 Http Version: HTTP/1.1 Size in Bytes: 165
Referer: -
Agent: msnbot/1.1 (+http://search.msn.com/msnbot.htm)

/2007/08/29/offentlicher-druck-funktioniert/
Http Code: 200 Date: Jun 29 10:41:08 Http Version: HTTP/1.1 Size in Bytes: 26098
Referer: -
Agent: msnbot/1.1 (+http://search.msn.com/msnbot.htm)

Und das nicht nur bei mir. Was ist da los? Betreibt Microsoft Referrer-Spam oder sind ein paar Bots falsch programmiert?

PS: Wie in den Kommentaren angemerkt, soll es sich bei dem getarnten Bot um eine Maßnahme zur Qualitätssicherung handeln. In die offizielle Dokumentation von Bing hat es diese Information offenbar nicht geschafft.

„1005 repräsentativ ausgewählte Bürger“

Wenn bei meinem Beitrag gestern der Eindruck entstanden sein könnte, dass ich von Umfragen nicht viel halte, dann liegt es daran, dass ich von Umfragen nicht viel halte.

Die inflationäre Obsession mit der Meinung von Leuten, denen das grundlegende Faktenwissen fehlt, ist mir absolut rätselhaft. Verbände und Firmen schicken mir jeden Tag Umfrageergebnisse ins Haus, die zeigen sollen, wie notwendig ein Produkt ist, wie beliebt eine Person oder Maßnahme doch ist oder wie die Deutschen so denken. Dank einer auf Aufträge angewiesenen Call-Center-Industrie ist das erstaunlich billig. Die meisten Umfragen sind jedoch keinen zweiten Blick wert.

Ein Beispiel von heute morgen – der Branchenverband BITKOM hat ein Mittel gegen Politikverdrossenheit gefunden: Online-Wahlen.

„Online-Wahlverfahren ermöglichen es jedem Bürger, seine Stimme ortsunabhängig und mit geringem Aufwand abzugeben. Die Mobilisierung der Wähler würde durch Online-Wahlen deutlich erleichtert.“ Nach den Ergebnissen der BITKOM-Umfrage hätte die sehr niedrige Wahlbeteiligung bei der letzten Europawahl durch den Einsatz der Online-Wahl signifikant gesteigert werden können. 11 Prozent der Befragten gaben an, dass sie gewählt hätten, wäre Ihnen die elektronische Stimmabgabe per Internet ermöglicht worden. Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2009 hätte von 43 Prozent auf 54 Prozent steigen können.

Oho! Toll! Mehr Demokratie! – Natürlich setzt das voraus, dass die Leute bei guten Vorsätzen immer ehrlich und konsequent sind. 11 Prozent der Leute waren zu verpeilt, um ihre Stimme per Briefwahl abzugeben. Sie sind aber sehr optimistisch, dass sie mit einem anderen Wahlverfahren ganz sicher gewählt hätten. Könnte man auf solche Erklärungen nur halbwegs vertrauen, hätten wir in Deutschland keine Raucher mehr.

„Die Umfrage zeigt, dass viele Bürger online wählen wollen, es aber auch Bedenken gibt“, sagte Scheer. An erster Stelle stehen nach den Ergebnissen der BITKOM-Untersuchung Sicherheitsbedenken und die Sorge vor einer Manipulation der Wahlergebnisse. Scheer: „Wir müssen elektronische Wahlverfahren einsetzen, die für jeden Bürger verständlich und mindestens ebenso sicher sind, wie die Stimmabgabe im Wahllokal und die Briefwahl.“ Dann könnten Online-Wahlen zu einem wichtigen Instrument der Demokratie werden.

Der Haken: dieses Wahlverfahren gibt es schlichtweg nicht. In Deutschland sind zwar seit einigen Jahren Online-Wahlen für private Instititutionen und Vereine möglich, die Technik ist aber kompliziert und teuer. Selbst wenn jeder in Deutschland einen RFID-Ausweis, ein Lesegerät und die notwendige Verschlüsselungssoftware lauffähig auf seinem PC hätte – das Ergebnis wäre für den Wähler nicht wesentlich einfacher als die Briefwahl, es wäre für den einzelnen nicht nachvollziehbar und teuer.

Was bleibt übrig? 1005 repräsentativ ausgewählte Bürger wurden in ihrem Tagesablauf gestört um am Telefon Fantasie-Fragen zu beantworten, die niemand wirklich interessieren. Und dabei hatten sie Glück, dass der Anrufer ihnen nicht ein Zeitschriften-Abo oder einen neuen Telefontarif verkauft hat. Wie viele von Euch finden das toll? Ruft nicht an, hebt einfach nur die Hand. Jetzt.

Danke, dieses Ergebnis habe ich erwartet.