Super-Impfung

Der Spiegel hat die Aufreger-Meldung des Tages: Bundeskanzlerin Merkel und ihre getreuen Vasallen (also zirka 200.000 davon) bekommen einen anderen Impfstoff gegen die Schweinegrippe als alle anderen:

spon-schweinegrippe

 

Doch Schlagzeilen haben mit Grippeviren eins gemein: sie mutieren. Als die Panmedie die Online-Ausgabe der Welt erreicht, sieht sie auch schon so aus:

welt schweinegrippe

Was den Merkel-Impfstoff so super macht, wird mir allerdings nicht so ganz klar:

Kritiker argumentieren, dass Adjuvantien zu gesteigerten Impfreaktionen wie Kopfschmerzen oder Fieber führen könnten. Unterstützer halten dagegen, dass die Impfung auch mit den Zusatzstoffen sicher sei – und dass auf diese Weise mehr Wirkstoffdosen hergestellt werden könnten.

Ahja – ungenannte Befürworter und ungenannte Kritiker halten sich die Waage. Was denn wirklich dran ist, wird mir aus der – natürlich verkürzten – Vorabmeldung des Spiegel nicht ganz klar.

Also mal schnell Google konsultiert und auf den amtlichen Seiten nachgeschlagen. Und siehe da: die Dokumente der European Medicines Agency über den angeblichen Super-Impfstoff sind online verfügbar:

Wie wird Celvapan angewendet?
Celvapan wird in den Oberarmmuskel gespritzt und in zwei Dosen in einem Zeitabstand von mindestens drei Wochen verabreicht.

Könnte diese unbedeutende Tatsache etwas damit zu tun haben, dass man den Stoff kasernierten Soldaten und nicht 50 Millionen Deutschen verabreicht, die dann zwei Mal zum Arzt müssten? Ich bin kein Pandemie-Experte – aber für mich klingt das nach einem handfesten Grund. Bei der schon herrschenden Impfmüdigkeit wird wohl nur eine kleine Minderheit gleich zwei Termine wahrnehmen.

Aber für die volle Story muss ich wohl bis Montag warten. Meine Empörung über die Bonzen da oben und ihre vermeintliche Sonderbehandlung kann ich grad so zähmen.

Der Praktikant von der Telekom?

Der Spiegel hat mal wieder einen Scoop: Die Magenta-Schnüffler der Deutschen Telekom haben demnach ihre eigene kleine Vorratsdatenspeicherung gestartet und ihre eigenen Aufsichtsräte ausgeforscht.

Nicht nur das:

In dem Fax, das dem SPIEGEL vorliegt, ist sogar davon die Rede, dass in das Büro eines wichtigen Wirtschaftsjournalisten ein Maulwurf eingeschleust worden sei, der über mehrere Monate „direkt an die Konzernsicherheit“ der Telekom berichtet habe.

Wow.

Produktberichterstattung: Edelprostituierte

Produktberichterstattung ist immer eine Gratwanderung: Wann informiert man den Leser, wann rührt man schlicht die Werbetrommel? Die übliche Antwort: Man darf negative Seiten nicht verschweigen, muss das Produkt in einen Kontext setzen.

Julia Jüttner vom Spiegel hat sich dem Produkt Edelprostituierte angenommen. Nach einer sehr knappen Einleitung zum Prostitutionsskandal um den US-Gouverneur Elliot Spitzer kommt sie schnell zur Sache. Ganz im Dienste des Lesers listet Jüttner alle relevanten Informationen auf: die makellose Haut des Models, die Preise, die Zahlungsmodalitäten und die Legende(*), dass die Edelprostituierte nur aus Spaß einmal pro Monat – vielleicht auch zwei Mal – anschaffen geht. Es fehlt nur der Direktlink zur Bestellseite – den findet der solvente Kunde mit Google aber sofort.

Die negativen Seiten verschweigt Jüttner auch nicht. Hier sind sie in voller Länge:

Eine Selbstwahrnehmung, die Experten nicht teilen. „Frauen, die sich von Begleitagenturen vermitteln lassen, machen nichts anderes als andere Prostituierte auch: Sexarbeit“, sagt Veronica Munk von Amnesty for Women. „Egal, wie viel Geld die Callgirls nehmen.“

(*) Ausnahmen mag es geben. Aber solche Stories kann man ebensowenig glauben, wie die angebliche Bisexualität der Prostituierten. Illusion gehört nun mal zum Geschäft.

Der 50. Salto rückwärts

Das jetzt frei gegebene Spiegel-Archiv fördert solche kleinen Schätze wie den ersten Artikel von Henryk Broder für die Hamburger zu Tag. 1987 schrieb er über Erich Fried:

Sicher, Fried hat einige sehr gute Gedichte und eine Anzahl beachtlicher Epigramme, die er zu Gedichten zerdehnt hat, geschrieben. Aber kein Mensch würde einen Artisten, dem nur jeder 50. oder 100. Salto rückwärts gelingt, für einen großen Künstler halten.

Heute kann man die selbe Frage über Broder stellen. Doch wann gelang der letzte Salto rückwärts eigentlich? Vor 10 Jahren?

Know your audience

Wenn man professionell schreibt, muss man wissen für wen man schreibt. Das spiegelt sich dann im verwendeten Wortschatz. Bei einem Leser der Frankfurter Rundschau setze ich nicht voraus, dass er weiß was ein „Patch“ ist, den Begriff „Browser“ sollte er aber durchaus einordnen können.

Der Print-Spiegel hat die Schwelle etwas niedriger gesetzt – das Wort Billion ist offenbar nicht opportun. So steht in der aktuellen Ausgabe folgender Satz:

Kursstürze an den Börsen vernichteten innerhalb weniger Tage in den Depots von Aktionären mehrere tausend Milliarden Euro.

Berlin + China => Iran

Der Spiegel hat einen Scoop gelandet. Unter der Überschrift Die Gelben Spione berichtet er über chinesische Spionage in Deutschland, zitiert auch aus vertraulichen Einschätzungen des Verfassungsschutzes über chinesische Spionageprogramme auf deutschen Regierungscomputern und erzählt von der brüsken Zurückweisung chinesischer Diplomaten. Die Story hat das Zeug zur bilateralen Verstimmung.

Doch wo entdecke ich die ersten Berichte, die den Spionagefall dem englischsprachigen Publikum näher bringen? Nicht im englischen Teil von Spiegel Online, nicht bei der New York Times oder der China Daily – sondern auf der Webseite der iranischen Nachrichtenagentur IRNA.

Die Wege einer Nachricht sind manchmal unergründlich.

Der bessere Deutsche

In einer Spiegel-Gerichtsreportage wird geschildert wie ein Türke als vermeintlich „besserer Deutscher“ gelebt hatte, bis er den Freund seiner Tocher entführte.

Der Vater, sagt Turan, habe die Verfassung respektiert. Er sei nicht ein einziges Mal bei Rot über die Ampel gefahren. Sie sagt, er habe nie einen Fehler machen wollen.

Die Verfassung ist halt nicht die StVO.

Schäm Dich, Groening

Was ich an den Simpsons toll fand, war die unvermutete Tiefgründigkeit einer Zeichentrickserie. Das zum Beispiel findet man in der englischen Wikipedia:

Whenever possible, the animators also put jokes or sight gags into the show’s background via humorous or incongruous bits of text in signs, newspapers, and elsewhere. The audience may often not notice the visual jokes in a single viewing. Some are so fleeting that they become apparent only by pausing a video recording of the show.

Nicht nur auf dieser Ebene war die Serie vielschichtig, sie war durchaus sozialkritisch und treffend. In die Geschichten wurden Gags für höchst unterschiedliches Publikum gemischt, der 10jährige sah eine andere Story als seine Eltern. Das ist aber Vergangenheit wie jetzt auch im Spiegel steht:

SPIEGEL: Wer entscheidet, was lustig ist bei den „Simpsons“?

Jean: Die Zuschauer, immer. Jeder Gag im Film hat sich seinen Platz in Testvorführungen redlich verdient. Was nicht ankam, wurde gnadenlos herausgeschnitten. Im Allgemeinen wurde am lautesten gelacht, wenn eine Figur einen auf den Deckel bekommt. Und es gibt feinsinnige Scherze, über die sich alle Autoren ausschütten vor Lachen, aber das Publikum reagiert nicht.

Groening: Das ist manchmal einfach eine Altersfrage. Es gab im Film einen Marihuana-Witz, über den kein Test-Zuschauer lachen konnte. Was wahrscheinlich allein daran lag, dass das Publikum zu jung war, um zu wissen, dass „Gras“ auch eine Bezeichnung für Drogen ist.

Tja, wenn sich ein Achtjähriger nicht an seiner Buzz-Cola verschluckt, ist es einfach nicht witzig.

Von Frauen und Damen

Nicole meinte mir gegenüber Mal, sie könne es nicht leiden, wenn man Nachnamen von Frauen einfach so hinschreibe – ohne „Frau“, ohne Vornamen, ohne Titel. Bei Männern ist dies hingegen üblich: Ist der volle Namen schon mal genannt, reicht bei der Wiederholung der nackte Nachname. Ist das neutral oder fehlt da ein Mindestmaß an Galanterie oder Stil? Wie geht man also in nachrichtlichen Texten mit Frauen um?

Kein Journalist hätte Gerhard Schröder in Nachrichten „Herr Schröder“ genannt – bei seiner Nachfolgerin verhält es sich manchmal noch anders. So habe ich heute mittag bei den Nachrichten im Deutschlandfunk dies gehört:

Bundeskanzlerin Merkel rechnet beim G-8-Gipfel offenbar nicht mehr mit konkreten Vereinbarungen zum Klimaschutz. Wenn die USA sich nicht bewegten, würden andere Länder möglicherweise auch erst mal abwarten, sagte Frau Merkel dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

Der Titel der „Dame“ ist wohl anderen Berufsgruppen zugeordnet. Bei SpOn bin ich auf diese Textstelle gestoßen:

Nach Informationen des SPIEGEL erklärt eine Quelle des Landesverfassungsschutzes, dass bis zu neun Prostituierte über spezielle Zuhälter angeheuert und diskret ins Gebäude gebracht wurden. Belastet werden auch zwei bundesweit bekannte Politiker, denen unterstellt wird, sie hätten sich mehrfach in Leipziger Diensträumen mit den Damen getroffen.

Die Waagschale des Antiamerikanismus

Claus Christian Malzahn berichtet im Spiegel über einen US-Film, der dokumentiert, wie Unschuldige in Guantanamo zu Tode gefoltert wurden – systematisch und mit Deckung der Regierung. Malzahn glaubt dem Film, er bezeichnet ihn als „verstörenden Einblick“. Diese Verstörung merkt man. Denn der Autor wendet sich gegen seinen eigenen Text. Der ist ihm zu glatt. Es mögen Fakten sein, aber es sind antiamerikanische Fakten. Die konnte Malzahn nicht für sich stehen lassen. So kann man wohl diesen Absatz am Schluss des Artikels erklären.

Die Nörgler in Europa, die seit Jahren das dumme Lied vom amerikanischen Faschismus singen, sollten sich deshalb nicht zu früh auf Gibneys Film freuen. Sie haben zur Aufklärung der amerikanischen Verfehlungen in Afghanistan und im Irak so gut wie nichts beigetragen.

Aha. Was? Wie? Was hat die ganze Story mit Europa zu tun? Von wem redet er da?

Ganz einfach: Um die Story ausgewogener zu machen, sucht Malzahn etwas, was er in die andere Waagschale legen kann. Und da er zu dem Zweck offenbar nichts hat bis auf einige liberale US-Medien, erklimmt er selbst die Waagschale und springt wütend darin herum. Aber es geht noch weiter:

Gibneys Film liegt auf dieser Linie amerikanischer Selbstkritik der vergangenen Jahre. Noch ist offen, ob „Taxi to the Dark Side“ in den USA schnell ein TV-Network finden wird. Auf Dauer werden die TV-Imperien aber nicht an ihm vorbeikommen.

Fassen wir die Aussagen des Artikels zusammen: Die USA sind ein Land, dessen Regierung in Gefängnissen Unschuldige zu Tode foltern lässt und dessen „TV-Imperien“ diese Wahrheit systematisch unterdrücken. Aber kein Faschismus!

Disclaimer: Ich halte Faschismusvorwürfe gegen die USA auch für dumm – was dort abläuft ist etwas anderes. Allerdings habe ich selten eine so absurde Entgegnung gelesen.