Skandal! Ich weiß, was Du in der Wikipedia getan hast!

Die taz bringt die Story über die BND-IP-Adressen und die Wikipedia-Edits:

Vorwürfe gegen BND
Wikipedia-Artikel angeblich geändert

Im Internet ist eine Liste mit IP-Adressen aufgetaucht, die vom BND stammen sollen. Von ihnen aus wurden Einträge im Online-Lexikon Wikipedia verändert.

Allein – wo sind die Vorwürfe? Ein Geheimdienst, der die Wissensgewinnung als Aufgabe hat, für den Tausende Leute am Computer arbeiten, nutzt tatsächlich eine der bekanntesten Webseiten der Welt. Wenn der BND Quellen wie Wikipedia ignoriert, wäre ihm das meiner Meinung nach eher vorzuwerfen.

Aber halt – da hat doch tatsächlich ein Schlapphut den Artikel über den BND geändert. Und zwar wurde eine offenes Geheimnis unbelegtes Gerücht ins Gegenteil verkehrt. Und ein paar Monate später warf ein nicht besonders verdächtiger Wikipedia-Autor die selbe Spekulation wieder heraus.

Es stellt sich die gleiche Frage: wo ist der Vorwurf?

Die Telekom und die kriminelle Energie

Transkripte sind unfair. Was frei formuliert im persönlichen Gespräch – oder in einer audiovisuellen Aufzeichnung – sehr vernünftig und nachvollziehbar herüberkommt, wird plötzlich zum Lacher, wenn man das Ganze aufschreibt.

So zum Beispiel der Auftritt des Telekom-Sprechers Phillipp Schindera, der sich in der Tagesschau zum neusten Datenschutzskandal seines Brötchengebers äußert:

Sprecher: Die Telekom räumt die Sicherheitslücke ein, hält die Gefahr aber für gering.

Schindera: Das Szenario, was hier vorgestellt wird, ist ein sehr theoretisches und ein sehr schwieriges. Man braucht dafür ein hohes Maß an krimineller Energie. Wir haben unser schon hohes Niveau durch eine zusätzliche Maßnahme noch mal erhöht...

Abgesehen davon: Wenn die grade gesund geschrumpften Callcenter immer auf eine SMS-Bestätigung warten müssen, sehe ich schwarz für den Kundendienst. Immer wenn ich den Kundenservice angerufen habe, musste der fachkundige Sachbearbeiter immer mit seinem Computer kämpfen, um die Basisdaten auf den Schirm zu bekommen.

Das Gate-gate

Hurray! Wir haben einen XYZ-gate-Skandal im Wahlkampf. Und zwar Troopergate.

Gov Palin is under investigation for her role in the sacking last month of Walter Monegan, the state’s public safety director. Mr Monegan had previously refused to fire Mrs Palin’s estranged former brother-in-law, a state trooper who allegedly threatened to shoot her father during a nasty child custody battle with her sister.

Mrs Palin said that Mr Monegan was removed for failing to fill vacancies and welcomed a public examination of her actions. Mr Moneghan said he was put under pressure to sack the state trooper Michael Wooten by Mr Palin’s husband Todd and a senior aide.

Skandal! Machtmissbrauch!

An internal trooper investigation had found Mr Wooten guilty of several infractions – using a Taser stun gun on his stepson, drinking on duty, threatening his then father-in-law and shooting a moose without a permit, the Anchorage Daily News reported yesterday.

Ähm – wäre es nicht noch skandalöser, wenn solche Leute im Polizeidienst bleiben?

PS: Das da hingegen hätte nun wirklich Stoff für einen Skandal. Nur wie nenen wir es? Babygate? Grannygate?

NPOV und die Anti-Islamisten

Da ist er nun: der Anti-Islam-Film, für den sogar Domain-Namen gesperrt werden, hat nach langen, langen Ankündigungen seinen Weg ins Netz gefunden.

Nach einem kurzen Drüberschauen kann ich mit Gewissheit sagen: billigste Polemik. Geert Wilders hat für seinen „Kurzfilm“ nicht mal eine Kamera in die Hand genommen – das Ganze ist ein Zusammenschnitt von Videos, der rein technisch und ästhetisch auf dem Niveau eines Hobby-Amiganers von 1998 liegt – vom Inhalt wollen wir mal schweigen.

Am Schluss hat Wilders aber einen kleinen Knalleffekt eingebaut: als Quasi-Impressum gibt er einen Wikipedia-Link an.

Liveleak Fitna

Das Kalkül ist eindeutig: Die Wikipedia kann man nicht so einfach sperren ohne für einen allgemeinen Aufschrei zu sorgen. Und mit seinem medialen Bohei hat sich Wilders ja einen Platz in der Wikipedia erkämpft. Falls Wilders für seine Polemik wieder einen Provider gefunden hat, müsste er zwangsläufig bei Wikipedia verlinkt werden – schließlich hat die Information der Leser hier höchste Priorität.

Der schwarze Peter liegt nun bei der Wikipedia: Die Seite wird offensichtlich instrumentalisiert. Was bedeutet das nun in Verbindung mit einem der Grundpfeiler der Wikipedia, dem neutralen Standpunkt? Ist es nun neutral, auf die Provokation nicht zu reagieren oder würde der NPOV gerade das verbieten? Muss die Wikipedia gegen den Film Stellung beziehen, um die eigene Neutralität zu betonen?

Das Ganze könnte ein Schuß ins Kontor sein. Kurzfristig hat die Wikipedia-Community aber eine harte Nuss zu knacken. Etwas entschärft wird das Problem dadurch, dass der angegebene Link nur auf eine Begriffklärungsseite verlinkt.

Sonder-Newsletter! Stimmt nicht! Oder doch?

Der Stern berichtet über Schikanen gegen LIDL-Mitarbeitern und landet dabei sogar in der Tagesschau. Was macht die professionellen Kommunikateure des Handelskonzerns? Sie gehen in die Offensive und schicken einen Sonder-Newsletter an ihre Kunden los.

Wir pflegen einen fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern

Neckarsulm, 26.03.2008. „Die im Stern skizzierten Vorwürfe und Feststellungen haben uns sehr betroffen gemacht. Insbesondere der damit vermittelte Eindruck, wir würden unsere Mitarbeiter „bespitzeln“, entspricht in gar keinem Fall unseren Führungsgrundsätzen und dem praktizierten fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern“, sagt Jürgen Kisseberth, Geschäftsleitungsmitglied Mitarbeiter und Soziales der Lidl Dienstleistung GmbH & Co. KG.

Hmm – also eine Ente? Hat der Stern das Ganze erfunden?

Um durch Diebstahl verursachte Inventurverluste zu vermeiden, arbeitet auch Lidl – wie im gesamten Handel üblich – mit Kameraanlagen, um Diebstähle aufzuklären. Im Jahr 2007 gab es in 8 Prozent der deutschen Filialen aber besonders auffällige Inventurdifferenzen. Deshalb wurde in diesen Filialen zusätzlich für einen begrenzten Zeitraum mit Detekteien zusammengearbeitet.
Die Aufgabe der Detekteien war es, in den Filialen zusätzliche Erkenntnisse zur Aufklärung von Diebstählen zu gewinnen. Die in diesem Zusammenhang über diesen Aufgabenbereich hinaus festgehaltenen weiteren Informationen wurden zu keiner Zeit in irgendeiner Weise weiterverwertet.

Ah,, also das ganz normale Geschäft. Ich will ja auch nicht beklaut werden!

Die Hinweise und Beobachtungen, die vom Stern veröffentlicht wurden, entsprechen weder im Umgangston noch im Stil unserem Verständnis von einem fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern. Deshalb hat Lidl die Zusammenarbeit mit einem der betroffenen Dienstleister schon vor längerer Zeit beendet. Wir haben uns zudem entschieden, unser Eigentum zukünftig ausschließlich mit sichtbar angebrachten Kamerasystemen und gemeinsam mit unseren Mitarbeitern zu schützen.

Hmm – also stimmt der Stern-Bericht also doch? Was ist eigentlich eine „längere Zeit“? Drei Tage oder drei Jahre? Kann man Unternehmenskommunikation eigentlich auch beim Discounter kaufen?

Oddly

Bei Pippi Langstrumpf heißt es „Ich mache mir die Welt, wi-di-wi-di-wie sie mir gefällt“. Das muss wohl umgedichtet werden in „Ich mache mir die Welt wi-di-valley-wag-sie mir gefällt.“

In einem neuen Artikel präsentiert das Klatschblatt den jüngsten Skandal. Jimmy Wales hat nun auch die Wikimedia-Chefin Sue Gardner verführt. Die Indizien sind einfach überwältigend.

Gardner has always been swift to rush to Jimmy Wales’s defense — oddly so, since he’s just one of many board members she reports to.

Ja, sehr merkwürdig. Die Wikimedia-Geschäftsführerin hat kein Interesse daran, den Gründer der Wikimedia und die Haupt-Werbefigur abzusägen, um einen ehemaligen Angestellten und gescheiterten Vorstandsanwärter zu stützen. Das kann ja nur sexuelle Motive haben.

Aber das ist ja nicht das einzige Indiz. Es gibt Fotos! Valleywag hat sie zwar nicht gesehen, aber sie haben eine Email-Adresse, an die man sie schicken kann.

Der Interview-Skandal und die Konsequenzen

Das Online-Medien-Magazin DWDL hat eine sensationelle Exklusiv-Meldung: In zwei ganz unterschiedlichen Medien erschien doch tatsächlich das gleiche Interview mit Joaquin Phoenix. Dieses schockierende Rechercheergebnis bleibt nicht ohne Konsequenzen:

Bei zwei fast identischen Interviews in der aktuellen „OK!“ aus der Verlagsgruppe Klambt sowie dem monatlichen Kulturmagazin „U_mag“ aus dem Hamburger Bunkverlag war die Frage unumgänglich: Wie konnte es dazu kommen? […] Und es klärt sich, wie es zu der Panne kam: Offenbar hatte niemand bei der „OK!“ die Nachfrage gestellt, ob das Interview exklusiv zu bekommen sei. Zwar bewirbt die „OK!“ das Interview nicht als exklusiv“

Hmm. Ein nicht als exklusiv gekennzeichnetes Interview war nicht exklusiv. Der Autor wurde ordnungsgemäß bezahlt, der Leser wurde nicht getäuscht. Also doch kein Skandal? Doch, meint DWD. Denn:

doch den Anspruch des neuen Wochentitels („Das Exklusivmagazin der Stars“) mit versprochenen Exklusivstorys dank des weltweiten „OK!“-Netzwerks wird es nicht gerecht.

Hmm – der hirnlose Werbeclaim eines Promi-Magazins zum Kampfpreis von einem Euro ist nicht hundertprozentig befolgt worden? Ruft den Presserat. Besser noch: die Dorfältesten!

Vor einer Selbstblamage kann sich DWDL nur retten, da die OK-Redaktion ein Einsehen hatte und die erschütternde DWDL-Recherche mit den angemessenen Konsequenzen belohnt. Keine personellen Konsequenzen freilich, sondern:

So bleibt die nicht sehr vorteilhafte Interview-Panne beim neuen Wochentitel des Klambt Verlag hängen. „OK!“-Chefredakteur Klaus Dahm zieht die notwendigen Konsequenzen aus der Situation: „Wir werden uns künftig schriftlich bestätigen lassen, dass ein Interview im ‚Exklusivmagazin der Stars‘ auch exklusiv ist“, sagt Dahm am Freitag gegenüber DWDL.de

Oder sie werden den hirnlosen Claim unter den Tisch fallen lassen und darauf vertrauen, dass Star-Interviews sowieso inhaltsleeres Gewäsch sind, das durchaus 15 Mal durch die internationale Yellow Press gewalzt werden kann.

BTW: Für Medienseiten-Leser: Die DWDL-Berichterstattung zum Thema ist eigentlich eine Parodie darauf, dass die Erstausgabe von Ringiers Prestige-Titel Cicero ein Castro-Portrait enthielt, das mehr als ein Jahr alt war. Aber wer liest schon Medienseiten und merkt sich sowas über vier Jahre?