Mega-Trend des Jahres 2011: Bullshit

Es ist Anfang Dezember — und daher an der Zeit, die Trend des kommenden Jahres zu benennen. Keine Bange: im nächsten Jahr überprüft niemand mehr die Vorhersagen. Ich habe festgestellt, dass ich bei Prognosen zu Fakten gar nicht so schlecht bin — allein mir fehlte die starke Thesen. Nun also:

Der Trend Nummer 1 des Jahres 2011 ist BULLSHIT.

Sicher werden wir alle diese location based semantik connect blabla in unsere Blogs und Smartphones integrieren, aber ist das die wesentliche Entwicklung? Nein, denn wir werden gleichzeitig tl;dr zu unserer Maxime erheben. Wer liest denn tatsächlich noch mehr als 5000 Zeichen? Wer hat auch nur für 3000 Zeit, Geduld für 1000 oder kann 500 am Stück tatsächlich verstehen? Brechen wir alles in Tweets herunter. Beschränke Dich nicht aufs Wesentliche, beschränk Dich auf den Slogan! Auf den Skandal! Sätze, die nicht mit einem Ausrufezeichen enden, sind verschenkt! Und Worte, die nicht mit „Mega“ beginnen, sterben aus. Das ist ein Mega-Trend! Da bin ich mir mega-sicher!

Wir werden fortfahren, die zu Experten zu erheben, die uns nach dem Mund reden. Oder falls wir keine Meinung haben, werden wir die zu Experten machen, die wohl am ehesten auf der Spiegel-Online-Bestseller-Liste landen. Bullshit pasteurisiert und zwischen zwei Buchdeckel gesteckt — und nach ein paar Jahren wird das Ganze auf der Amazon-Resterampe verschachert. Aber wen juckt es? Wer hat schon die Aufmerksamkeitsspanne, sich daran zu stören?

Wir werden in der U-Bahn unsere Kopfhörer aufsetzen und auf Twitter starren – damit wir nicht mitbekommen, was andere Menschen so machen, mit denen wir nicht per Facebook connected sind. Und falls doch, werden wir ein Twitpic davon machen und uns darüber amüsieren. Oder den blödesten Satz eines Mitfahrers aufschreiben und weitertweeten. Die haben Privatsphäre nicht verstanden, warum sollten wir simplen menschlichen Anstand verstehen?

Wir werden aufhören nach den Fakten zu Fragen. Was unsere Freunde, was unsere Leser denken, ist das Entscheidende. Wir reiten den den Hype. Obama ist ein Sellout, die Deutsche Bahn will unsere Innenstädte zerstören, der Klima-Wandel ist eine Erfindung, jeder Polizist hat geheime Marschorder von Teflon-Merkel. Was ihr wollt. Wir werden ständig neue Faktenschnippsel auskramen, die dem Trend-Glauben entsprechen. Die Atkins-Diät ohne Kohlehydrate hat Dir geholfen? Probier die Bullshit-Diät ohne Fakten. Es ist eine kleine Umstellung aber schon nach drei Wochen fühlt sich das Hirm herrlich entschlackt.

Trend 2: Rants.

Nothing juices the ratings like a little controversy.

Discordianer müssen Twitter lernen

Ein Bekennerschreiben der „Discordischen Mediengruppe“ kursiert grade – großspurig betitelt mit Erklärung zur Manipulation der Twitter Prognosen (sic!).

Vor der Wahl wurde häufig die Sorge geäußert, auf der Microblogging-Plattform Twitter könnten sogenannte Exit Polls schon lange vor dem Schließen der Wahllokale bereits veröffentlicht werden. Die Ergebnisse der Befragungen, die normalerweise bis ca. 14 Uhr erhoben werden, erreichen üblicherweise gegen 15.30 Uhr Medien und Parteien. Bei der letzten Bundespräsidentenwahl wurden die Ergebnisse via Twitter veröffentlicht, noch bevor das Ergebnis der Bundesversammlung bekannt gegeben wurde.

Die Panik um den Einsatz von Twitter als Plattform für den anonymen Ergebnisverrat hat sich in diesem Fall aber als haltlos herausgestellt. Warum das so war? Wir haben die Veröffentlichung von Exit-Polls auf Twitter am Wahltag dominiert, manipuliert, gefälscht was das Zeug hält. Dazu haben wir zunächst 125 Twitter-Accounts angelegt, und falsche Ergebnisse veröffentlicht. Andere als Exit Poll bezeichnete Ergebnisse sollten in unserem Rauschen untergehen.

Liebe(r) Discordianer,

netter Versuch, aber der ist völlig in die Hose gegangen. Da ihr 125 zufällige Accounts mal eben angelegt habt, hat fast niemand Eure tollen Prognosen gelesen, ernst genommen hat sie erst recht keiner. Ihr habt nicht das Rauschen erzeugt, ihr seid selbst im Rauschen völlig untergegangen. Halb Twitter hat auch ohne Euch Prognosen verbreitet – und fast jeder hat sich mehr Mühe gegeben als Ihr. Dass ihr es kurz vor Löschung nicht mal geschafft habt, den Link auf Euer Bekennerschreiben korrekt zu twittern, hätte Euch zu denken geben sollen. Und dass „ihr“ mehr als einer seid, ist unwahrscheinlich – Deine sehr spezielle Rechtschreibung enttarnt Dich.

Dass die Aufregung um vermeintliche Twitter-Prognosen nicht wirklich gerechtfertigt ist, wussten wir übrigens schon.

PS: Richtig bitter ist es, wenn man um die Aufmerksamkeit betteln muss. Aber wenigstens eine ist drauf hereingefallen. Ein Happy End, Glückwunsch.

Weg mit den Weicheier-Prognosen

Ich habe mich eben kurz geärgert. Dieser Blogbeitrag bei Netzwertig.com trägt zwar den Titel „Neun Prognosen“, enthält aber nur ein paar wachsweiche und überaus gewundene Erklärungen, die zum Großteil schon eingetroffen sind.

Statt „Kopf oder Zahl“ heißt es „Die Münze wird einen rapiden Abwärtstrend erleben“. So spannend wie ein Verriss der neusten Pilawa-Show im Medienteil einer beliebigen Zeitung. Und am Ende des Jahres kann man sich auf die Schulter klopfen und behaupten, man habe recht gehabt.

Damit eine Prognose tatsächlich spannend wird, muss man auch riskieren falsch zu liegen. Daher kehren wir doch Mal das Spiel um. Wer als großer Analytiker in die Geschichte eingehen will, muss ein paar konkrete Fragen beantworten. Ganz spontan sind mit fünf eingefallen, die einfach zu überprüfen sind. Entweder hat man recht oder nicht.

  1. Wem gehört StudiVZ am 31. Dezember 2009?
  2. Werden am Stichtag mehr Bezahl-Applikationen im App Store, im Android Store oder auf Facebook angeboten?
  3. Welches konkrete Produkt wird Microsoft 2009 für den Mobilmarkt veröffentlichen?
  4. Wird Twitter im Jahr 2009 Werbung einführen?
  5. Nenne ein Mashup, das mit heutigen APIs und AGBs unmöglich ist und im Jahr 2009 zum Erfolg wird.

Mathias Schindler hat sich schon an die Antworten gewagt. Wer hat noch ein paar Fragen für die besten 2.0-Checker in ganz Blogistan?

Die Gegenfragen von Mathias Schindler:

  1. Welchen Zustand wie in Deutschland die staatliche Zensurinfrastruktur am Ende des Jahres haben? Wird der durchschnittliche DSL-User in Deutschland ungefilterten Zugriff auf Nsdapao oder die gängigen Jihad-Seiten oder Kinderporno-Anbieter haben?
  2. Welchen Anteil an den Page Impressions (ja, ich weiss, scheiss Maßeinheit) werden die 10 größten Seiten (ebenfalls gemessen an den PIs in der Definition der IVW zum dortigen Zeitpunkt) in der IVW-Ausweisung im Verhältnis zu allen anderen Seiten haben (Stichmonat November 2009)? Treffer ist, wer auf 5% genau kommt oder alternativ ein auf 3 Prozentpunkte genaues Delta zu November 2008.
  3. Wird www.sco.com am 31.Dezember 2009 noch eine Website sein, die UnixWare und OpenServer als eigenes Produkt zum Erwerb anbietet?
  4. Wie viele verschiedene Titel wird ein deutscher Kunde für sein in Deutschland erworbenes Kindle bei amazon.com kaufen können? (Auf 10.000 genau)
  5. Wie viele (Bonuspunkte für “welche”) Firmen, die zum Zeitpunkt ihrer Übernahme einen Börsenwert von mehr als 1 Milliarde Dollar (alternativ: Umsatz ohne TAC von mehr als 100 Millionen) Dollar haben, wird Google 2009 übernommen haben? 2008 angekündigte Übernahmen, die erst 2009 vollzogen werden, gelten nicht.

Und meine Antworten:

  1. Es wird keinen durchschnittlichen Nutzer geben. Die Nutzer in Nordrhein-Westfalen werden nach wie vor keinen Zugriff auf die jetzt schon gesperrten Seiten haben. Eine bundesweite einheitliche Kinderporno-Sperre wird es in Jahresfrist nicht geben.
  2. Man kann es mit Genauigkeit übertreiben. Meine Prognose: die PI-Definition wird geändert.
  3. Ja.
  4. Gute Frage. Ich gehe von deutschsprachigen Titeln aus, da dies die spannende Zahl ist. 10000.
  5. Keine

PS: Hal ‚Was wird‘ Faber will mitspielen:

Denn mal Butter bei die Fische: Twitter kauft Digg. Facebook kauft Twitter. Google kauft Facebook. Und StudiVZ wird an Wer kennt wen verschenkt.