Google — der freundliche Monopolist?

Es ist kaum möglich in Deutschland sachlich über Google zu diskutieren. Nicht erst seit dem Leistungsschutzrecht ist die Diskussion für meinen Geschmack zu polarisiert. Entweder man ist für Google oder man ist gegen Google. Je nachdem, wer gerade die Definitionsmacht ergreift, ist Google der Innovator, die Zukunftsmaschine, der freundliche benevolente Diktator, der uns Deutsche in die Wissensgesellschaft führt, nachdem wir grade dem Gilb des bundesdeutsch-vermieften Bildschirmtextes BTX entronnen sind. Oder Google ist der Milliardenkonzern, der sich nicht um unsere rechtsstaatlichen, moralischen oder geldbörslichen Werte schert. Der abkassiert. Der unseren Digitalwirtschaft keine Chance gibt zu konkurrieren. Und der uns zusammen mit Twitter, Facebook und Co zu degenerierten Klicksklaven macht, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen ohne nach E-Mails und Likes zu checken.

Ich stehe da vermeintlich auf beiden Seiten. Wie fast jeder, der über zehn Jahre online ist, bin ich Google-Fan. Die Suchmaschine war ein Quantensprung für das Netz. Das Unternehmen hat so viel richtig gemacht, dass einige Fehltritte kaum ins Gewicht fallen. Google setzt auf Standards. Google lässt mich die Personalisierung der Werbung abschalten. Google hat einen wirklich guten Browser entwickelt. Und Android-Smartphones kann man rooten. Gleichzeitig verschließe ich jedoch nicht die Augen vor den negativen Aspekten. In der Auseinandersetzung um das Netz hat Google mit seiner „Verteidige Dein Netz“-Kampagne skurrilerweise die Gegenseite mit maßgeschneiderten Argumenten bedient, indem der Konzern seine Meinungsmacht auf Tausenden von Webseiten ausspielte. Und auch wenn 200000 für Unterstützung geklickt haben, kam bei der Legislative nichts davon an. Zudem ist die Entwicklung bei den Google-Produkten für mich als Konsumenten nicht ideal: Die Werbung auf YouTube ist mir inzwischen viel zu aggressiv, die Websuche und ihre vielen Schwestern sind viel zu unpräzise für meinen Geschmack.

Patrick Bernau hat eine Diskussion um Monopole angestoßen, was ich sehr richtig und wichtig finde. Wir sollten einen Schritt zurücktreten, die Lage betrachten und uns überlegen, wo wir hinwollen. Das Leistungsschutzrecht ist in meinen Augen ein Reflex, dem Web-Giganten mal so richtig gegen das Schienbein zu treten, um ihm zu sagen „So geht es nicht“. Wie es denn gehen soll — diese Perspektive fehlte. Warum das Gesetz eher das Gegenteil des erwünschten Zustandes herstellen wird, haben ich und andere oft genug aufgeschrieben.

Ist Google, wie Patrick Bernau meint, ein natürlicher Monopolist? Ist es Facebook, Amazon? Vielleicht. Wobei ich nicht die hohen Investitionskosten als ausschlaggebenden Faktor ansehen will, sondern den Netzwerkeffekt. Wir sind bei Facebook, weil andere bei Facebook sind. Wir kaufen bei Amazon, weil man auf Amazon alles kaufen kann. Und man kann so toll alles bei Amazon kaufen, weil alle bei Amazon kaufen. Jeder will bei Google gefunden werden und öffnet die Tore für den Google-Bot weit. Deshalb haben Konkurrenten wie zum Beispiel Bing es schwer dagegen anzukommen. Während die Microsoft-Suchmaschine mit Milliardenmacht crawlt, schenkt der deutsche Nahverkehr Google seine Fahrpläne. Und Millionen Android-Handies erfassen den Verkehrsfluss.

Die Diskussion, was nun mit den Monopolen ist, erscheint mir nicht so spannend, wie man mit Plattformen umgehen. Monopolisten haben Marktmacht. Und sie können ihre Monopolgewinne im einen Bereich dazu nutzen, andere Märkte zu erobern. Siehe Microsoft und Browser-Krieg. Doch das Internet-Explorer-Monopol wurde gestürzt, heute ist der Windows-Standardbrowser der Underdog, der standardkonform und schnell sein will. Der Markt funktioniert also, oder?

Statt Monopole zu betrachten, würde ich lieber einen Blick auf Plattformen werfen. Denn wer eine Milliarde User hat, kann auch ohne Monopole andere Märkte jenseits des Wettbewerbs erobern. Vor und nach dem Börsengang haben Journalisten alle paar Wochen eine neue verwegene These auf den Markt geworfen: Will Facebook den Musikmarkt erobern? Will Facebook den Gutschein-Markt erobern? Wird Facebook schlichtweg den Werbemarkt für alles übernehmen?

Nichts davon wurde wahr, aber die Befürchtungen sind sicher nicht aus der Luft gegriffen. Denn so verhielten sich die Monopolisten, die wir bis dahin kannten. Die neuen vermeintlichen Web-Monopolisten haben sich erstaunlich unmonopolistisch verhalten. Bei der Suche nach „Suchmaschine“ konnte und kann man bei Google als Top-Treffer immer Links zu Konkurrenten finden — ich habe es eben ausprobiert und Google selbst war nicht mal auf der ersten Ergebnisseite. Das wäre der Bundespost oder der Telekom kaum passiert. Google und Facebook haben nie den Ehrgeiz gezeigt, die Daten, die wir ihnen vermeintlich so leichtsinnig anvertrauten, wirklich gegen uns zu verwenden.

Und doch: Google baut fleißig immer weitere Wissensmacht auf. Habe ich vor Jahren noch mit Entgeisterung zugesehen, wie Nutzer teilweise jede einzelne Webadresse in Google eintippten, statt sie direkt in die Browserzeile einzutragen, hat Chrome das Prinzip zum Normalzustand erhoben. Browser und Suchmaschine sind eins geworden. Smartphone und Google sind eins geworden. Und Google profitiert: durch Werbung, durch verkaufte Apps, bald durch die Handy-Geldbörse. Im „Fegefeuer der Eitelkeiten“ wurde das Geschäft eines Wall-Street-Brokers mit jemandem verglichen, der einen riesigen Kuchen zerteilt und von den Krümeln lebt. Google ist Krümel-Milliardär. Ist das schlimm?

Und doch: Die Dominanz der wenigen Konzerne hat handfeste Nachteile. Der Markt funktioniert in Teilen nicht. Google hat wegen der — ob aus Geiz oder wegen der überzogenen Forderungen — keine Musikvideos online? Das wäre doch ein sehr breites Feld für einen Konkurrenten, der mit einem vernünftigen Kompromiss vormachen könnte, wie es geht. Doch wo ist der? Was hält uns Deutschen ab ein GEMA-lizensiertes Musikportal online zu stellen? Wo ist die präzise Suchmaschine, die ich mir wünsche. Sicher gibt es Aufsätze und Kleinkonkurrenten. Die leiden jedoch daran, dass sie doch nicht so viele Seiten so aktuell in ihren Datenbanken haben — oder das gefundene nicht so gut sortieren wie Google.

Ist Google ein Monopolist? Unklar. Hätte ich gerne mehr Konkurrenz? Auf alle Fälle.

Postpiracy?

Eben hab ich mir eine Folge „Castle“ auf DVD angesehen. Ich musste nicht Mal auf einen Grauimport zurückgreifen um die Staffel 3 zu kaufen, während gerade Mal die Staffel 4 grade in den USA läuft. Früher musste man jahrelang warten und bekam dafür nicht einmal einen ordentlichen Audio-Kommentar.

Auf meinem Handy habe ich Simfy installiert und zwei Radio-Apps. Der Podcast-Client schaufelt mir jede Woche zwei Folgen des WTFPods, eine von The Moth, eine von This American Life und unzählige von Dradio auf das Handy.

Mein DVD-Festplattenrekorder hat mit Basis-DVB-T-Empfang so viele Sendungen abgespeichert, dass ich eine Woche Urlaub bräuchte, um alles Sehenswerte tatsächlich anzusehen. Vier Mal pro Woche kann ich kostenlos die aktuellen Folgen von Stephen Colbert und Jon Stewart online ansehen, heute show und extra drei sowieso — falls ich dazu noch die Zeit finden sollte.

Es hat sich einiges getan in den letzten Jahren. Wenn ich Mal auf Thepiratebay gucke, dann nicht um etwas herunterzuladen, sondern um nachzusehen wie populär gewisse Dateien sind. Oder ob es blockiert ist. Vergangene Woche habe ich sogar dort nachgesehen, wie lange wohl die Spielzeit eines Hörbuchs ist, weil Amazon in seiner unerfindlichen Weisheit diese Information Käufern vorenthält. Heruntergeladen habe ich es mir nicht. Mein Bittorrent-Client hat mir zuletzt 20 Vorträge von Chaos Communication Congress heruntergeladen. Und die neue Version von OpenSuSE.

Aber ob die Medienindustrie sich ohne „Piraten“ so schnell verwandelt hätte? Garantiert nicht. Ich persönlich brauche ihre Dienste nicht. Aber dennoch sind sie nicht obsolet. Die Geräte in unseren Händen verwandeln sich in Medien-Eunuchen: glitzernd, glatt und unfähig über die Monopolgrenzen hinwegzusehen. Statt die Kostenlos-Konkurrenz von Piraten zu entledigen, wollen sich die Medienkonzerne gleichzeitig auch der legalen Konkurrenz entledigen.

Ist das Postpiracy-Zeitalter angebrochen? Noch nicht.