O2-Pornosperre: Netzneutralität trifft Netzsperren

Der Guardian hat eine Geschichte veröffentlicht, die als ein cautionary tale, eine mahnende Lektion für die Themen Netzneutralität und Netzsperren gesehen werden kann.

Der Mobilfunkprovider O2 hat demnach eine Sperre für „18+“-Webseiten eingeführt. Wer sich Webseiten ansehen will, die nichts für Jugendliche sind — zumindest nach Ansicht des Dienstleisters von O2 — wird auf eine Seite umgeleitet, wo sich der erwachsene User über eine Kreditkartenzahlung verifizieren soll. Wie bei so einem groben Eingriff in den Netzverkehr zu erwarten ist, hatte das unerwünschte Konsequenzen.

Lovefre.sh, a location-based service for finding fresh food, discovered that it had been rated at „only suitable for over 18s“ by a third-party company which provides content filtering for O2, and that users of its iPhone app – which has seen nearly 18,000 downloads from Apple’s App Store since its launch – would only see a blank page.

Sprich: die von O2 beauftragten Jugendschützer haben einen Service für frische Lebensmittel gesperrt. Weil: „fresh“ und „love“ sind ja eindeutige Zeichen für Teen-Pornographie, oder etwa nicht? Die Nutzer der iPhone-App des Anbieters bekamen den Hinweis auf die vermeintliche Jugendgefährdung durch frische Lebensmittel erst gar nicht angezeigt, da der Anbieter nicht damit gerechnet hat, dass ein Provider seine Datenströme anzapfen und verfälschen würde. Um die ungerechtfertigte Sperre abzustellen, benötigte O2 mehrere Tage.

Etwas misstrauisch wurde ich bei diesem Absatz, der das Vorgehen bei der Nutzerauthentifizierung beschreibt:

O2 says that the move is not censorship, and that it is not profiting from the verification process. A £1 payment is made, but £2.50 is then refunded to the credit card and the phone is approved for full access.

Ich glaube ja viel – aber dass O2 1,50 britische Pfund verschenkt, ist unrealistisch. Solche Geldgeschenke werden gewöhnlich nur verteilt, wenn eine Firma mit künftigen Einnahmen rechnet. Und der Gedanke scheint richtig: Den Leserkommentaren entnehme ich, dass die Kreditkarten-Verifizierung von der Firma bango.com bereitgestellt wird. Und der Webseite des Unternehmens entnehme ich, dass Bango nicht etwa Jugendschutz-Spezialist ist, sondern eine mobile Zahlungplattform bereitstellt.

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hier zwei und zwei zusammenzuzählen. O2 leitet Leute, die vermeintlich auf Pornos zugreifen wollen, auf einen Zahlungsservice um, wo sie sich zwangsweise registrieren müssen. Der Zahlungsanbieter gibt den Leuten einen kleinen Anfangsbonus, weil er erwartet an zukünftigen Einnahmen beteiligt zu werden. Und was verkauft sich im Netz besonders gut? Richtig: Pornos.

(Update:) Bango versichert auf seiner Website:

What content types can be billed?
All forms of content from general through to all forms of adult. However, all content which is not suitable for those under 18 must be rated as R in the Bango system and payment may only be collected from those which have been verified by Three as over 18. The Bango system handles this automatically.

Auf deutsch: O2 beweist hier keine Fürsorge für Kinder, sondern nur für die eigene Bilanz. In der Preistabelle von Bango.com wird O2 UK mit einer bemerkenswert hohen Auszahlungsrate von 84,1 Prozent für die Gewerbekunden aufgeführt. Sprich: 15,9 Prozent der abgewickelten Beträge bleiben bleiben bei Bango und O2. Zahlen die Kunden hingegen über einen Zahlungsanbieter, der kein Abkommen mit O2 hat, dann geht der Provider leer aus.

Jugendschutz kann so ein einträgliches Geschäft sein.

Update: wie Wired berichtet waren weitere Seiten betroffen:

Among the sites blocked at the time of writing are Gawker’s car blog Jalopnik, sexual health charity Brook and even Google Translate. Thankfully, Wired.co.uk slips through the net — for now.

The Register hat einige Hintergründe zu den Jugendschutzsperren. Demnach sind mobile Provider seit Jahren verpflichtet, Jugendschutzsysteme anzubieten. Die Umsetzung grenzte aber schon immer ans Kuriose:

All the UK’s mobile operators face the same issue – unlike fixed internet service provides the mobile operators are required to police access to adult content. Orange will let you drop into a shop with a photo ID and most operators will verify age over the phone one way or another – your correspondent’s suggestion, while employed at O2 half a decade ago, was that customers should just be asked to name two Pink Floyd albums, but that wasn’t considered secure enough.

Wohlgemerkt: die Regeln gelten nur für das mobile Netz. Wer über einen O2-Hotspot online geht, kann ohne age verification weiter surfen.

s—

Das Wall Street Journal berichtet, dass bei Goldman Sachs neue Nüchternheit einkehren soll: E-Mails und Instant-Messenger-Nachrichten werden in Zukunft nach bösen Schimpfwörtern durchsucht. Hintergrund: die Großbank geriet in schlechtes Licht, weil ein Angestellter in E-Mails recht deutlich schrieb, was er seinen Kunden da verkaufte.

Die WSJ beschreibt es so:

That means all 34,000 traders, investment bankers and other Goldman employees must restrain themselves from using a vast vocabulary of oft-used dirty words on Wall Street, including the six-letter expletive that came back to haunt the company at a Senate hearing in April. „[B]oy, that timberwo[l]f was one s— deal,“ Thomas Montag, who helped run Goldman’s securities business, wrote in a June 2007 email that was repeatedly referred to at the hearing.

Ja, auch das Wall Street Journal wagt es nicht, das böse Wort auszuschreiben. Stattdessen steht dort „s—“. Eine einfache Google-Abfrage zeigt: das verpönte Wort heißt „shitty“. Das Wall Street Journal wagt es nicht, seinem in der Regel sehr erwachsenen Publikum diese sechs Buchstaben zu nennen.

Wo die Schwelle beim WSJ liegt zeigt sich ein paar Absätze später:

The new edict—delivered verbally, of course—has left some employees wondering if the rule also applies to shorthand for expletives such as „WTF“ or legitimate terms that sound similar to curses.

Abkürzungen sind erlaubt. Obwohl jeder weiß, dass da ein „fuck“ steht, steht es ja eben doch nicht da. WTF? Ach nein: O tempora, o mores. Wenn die Verschämtheit so groß ist, ist die Lust an Informationen, der Respekt vor der Intelligenz der Leser eben sehr klein.

Die von mir sehr geschätzte Sendung Planet Money begibt sich übrigens auf die Suche nach Ersatzbegriffen.

Auf zur Merk-Befreiung

Die bayerischen Justizministerin Beate Merk will verrohte Videos aus dem Internet löschen, sperren, verbieten – kurzum: die Gesellschaft von dem Schund befreien. Wer könnte etwas gegen diesen Vorstoß der Vernunft einwenden?

Ich hab auch schon den passenden Namen für das Gesetz: die Merk-Befreiung.

Uncensored

Jon Stewarts Daily Show kommt immer mehr ins Web. In den letzten Monaten werden Interviews, die nicht komplett in die TV-Sendezeit passen, ungekürzt online gezeigt. Gerade bei politischen Diskussionen, ist das zum Vorteil aller: beide Seiten können Argumente austauschen, der Zuschauer kann sich besser informieren.

Nebeneffekt: die seven dirty words müssen nicht mehr über*beep*t werden, wie es bei der TV-Ausstrahlung vorgeschrieben ist. Deshalb wird vor diesen Spots eine kleine Warnung eingeblendet:

Meine Frage: Wo sind die „Censored!“-Warnschilder vor allen anderen Clips?

Wenn Beate Uhse in den E-Perso guckt

Dieter Wiefelspütz über den E-Perso:

Die künftigen Internet-Möglichkeiten, die der neue Ausweis ermögliche, brächten „gigantische Vorteile für die Verbraucher“. Die Nutzung staatlicher Online-Dienstleistungen werde erleichtert, der Jugendschutz verbessert.

Kurze Assoziationskette: Jugendschutz plus Internet gleich Porno-Anbieter. Sollen Pornoanbieter auf den E-Pass zugreifen?

Man muss es nur richtig verkaufen können.

Philologenverband: Hü und hott

Eben bei Heise gelesen:

Meidinger meint, der Jugendschutz im Internet existiere praktisch nicht mehr. „Es gehört heute schon fast zum Allgemeinwissen, insbesondere von Jungen ab 12 Jahren, wie und wo man im Internet oder über Freunde ohne Schwierigkeiten an problematische Inhalte wie sehr extreme Sexualitätsdarstellungen und brutale Bilddateien und Spielsequenzen kommt.“ Nun seien Politik, Lehrer und Eltern gleichermaßen gefordert.

Gut, das muss ich mangels sozialem Umgang mit 12jährigen Mal mal glauben.

Gesetze allein könnten das Problem zwar nicht beseitigen, meint der Verband. Dennoch könne eine „stärkere politische Einflussnahme auf Suchmaschinen und die obligatorische Integration von Schutzfiltern in Computer-Betriebssystemen“ die Situation verbessern.

Ähm – hat Meidinger nicht grade das genaue Gegenteil gesagt?

Für ein sicheres Internet – Pornokurse an der VHS

Gestern war ich bei einer Veranstaltung des Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Mein Eindruck: So ganz genau wissen selbst die Experten nicht, wie man die Nutzer dazu bringt, ihren Rechner sicher zu halten. Der Psychologe Werner Degenhardt plädierte dafür, die Aufklärung weniger steif zu gestalten, den Nutzer da abzuholen, wo er ist. Nur wenn man konkretes Verhalten trainiere, wenn man dem Nutzer Anreize gibt, könne man von ihm eine Verhaltensänderung erwarten.

Der Gedanke ist sicher richtig. Verbinden wir das mit Erfahrungen aus der Praxis: Ein Rechner kann heute zwar auf Tausende Arten verseucht werden – von verseuchten PDF-Dateien bis zu Festplatten, die mitsamt Virus ausgeliefert werden. In der Praxis sind die Ursachen jedoch nicht so vielfältig: Wenn ein Rechner so richtig schön voll mit Trojanern ist, findet man in der Browserhistorie meist Dutzende von Pornoseiten. Oder der Betreffende hat ein halbes Dutzend Filesharing-Programme am Laufen, um sich immer die neuste Musik herunterzuladen.

Sicher ist das eine Pauschalisierung, aber solche Fälle sind nicht gerade selten. Was also tun? Dem Usern noch ein paar Tausend Mal dazu anraten, alle Sicherheitsmaßnahmen anzuhalten? Ihm das Pornosurfen verbieten? Seien wir ehrlich: wir haben es probiert, und es funktioniert einfach nicht.

Logische Konsequenz: wir sollten jeden Porno-und-Warez-Surfer richtig ausbilden. Statt die Pornografie hinter immer höheren Jugendschutz-Mauern zu verstecken, öffnen wir die wunderbare Welt des ewigen In-and-Out, der 18 verschiedenen Stellungen in 10 Minuten, der ach so glaubwürdigen Geschichten der girls next door. Lasst uns Volkshochschulkurse einrichten, in denen Porno-Surfen gelehrt wird. Und dazu ein Lehrgang im Raubkopieren für Anfänger und Fortgeschrittene. Nur so können wir den Spam und die Botarmeen vielleicht auf ein erträgliches Maß reduzieren.

Jugendschutz andersherum

In der taz gibt es einen sehr lesenswerten Artikel über die Kleinstadt Dissen. Dort war man auf die Idee gekommen, Jugendliche mit einem Störton-Generator. von einem Spielplatz zu vertreiben.

Markus Achermann ist Vertriebsleiter bei Arcawa, der Schweizer Firma, die Mosquito in Österreich, der Schweiz und seit diesem Jahr in Deutschland vertreibt. Er ist nett am Telefon, und wenn man ihm glauben darf, verbringen seine Mitarbeiter viel Zeit damit, Privatleute davon zu überzeugen, dass es keine gute Idee ist, Kinder vom Nachbarspielplatz mit Mosquito in die Flucht zu schlagen. „Und wenn sie hören, dass das Gerät 750 Euro kostet und man einen Installateur braucht, bricht die Nachfrage schnell zusammen.“ Dann muss Markus Achermann nicht mal darauf hinweisen, dass man nur sein eigenes Grundstück beschallen darf. Die Leute rufen immer dann an, wenn etwas in den Zeitungen über den Mosquito steht, es spielt dabei keine Rolle, ob es ein Artikel ist, der nahe legt, dass der Mosquito keine gute Lösung ist.

Markus Achermann will keine genauen Verkaufszahlen nennen. Die Herstellerfirma hat diverse Expertisen eingeholt, die die gesundheitliche Unbedenklichkeit bestätigen sollen. Sie hat sogar bei einem Rechtsanwaltsbüro in Cambridge prüfen lassen, ob die Grundrechte dadurch eingeschränkt würden. Die Anwälte kamen zu dem Schluss, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit nicht „das Recht von Teenagern einschließt, sich ohne bestimmtes Ziel zu versammeln.

Mit Technik soziale Probleme lösen? Nicht so einfach.

Jugendschutz bei ESL TV

Im Internet müssen Erwachsene immer wieder über Stöckchen springen, um Zugang zu Inhalten zu bekommen, die im Fernsehen wohl nach 22 Uhr laufen würden. Bei dem IP-TV der Electronic Sports League läuft das so:

Wie funktioniert der Jugendschutz bei ESL TV?

Wenn du 16 Jahre oder älter bist, kannst du dich beim Jugendschutzsystem freischalten lassen. Das geht zum einen, indem du bei der ESL den Status „Trusted 3“ hast. Dann ist das Jugendschutzsystem für dich automatisch freigeschaltet, wenn du mit deinem ESL-Account eingeloggt bist. Wenn du noch kein Trusted 3 bist, kannst du dich hier informieren, wie du diesen Status erreichen kannst.

Alternativ ist das Freischalten auch über ein Handy möglich, dessen Vertrag auf euren Namen läuft. Nach der Registrierung des Handys mit euren Adressdaten bekommt ihr einen Bestätigungscode auf euer Handy geschickt und könnt damit das Jugendschutzsystem freischalten.