Nachbrenner des Sensationsjournalismus?

Es ist fast wie immer. Wenn rudelweise Journalisten über eine menschliche Tragödie berichten, kommen anschließend die guten Journalisten, die vorführen wie böse Journalisten arbeiten.

Ich frage mich – und ich bitte das wirklich als Frage zu verstehen: Ist das die Antithese oder die Fortsetzung des Sensationsjournalismus? Wenn das ZAPP-Team Anwohner befragt und die Kameraleute vor dem Friedhof filmt, gehören es dann nicht auch zu dem Rudel dazu? Ist dieses Lästern über „die Journalisten“ nicht so indifferenziert wie die Lästereien über die Killerspieler oder über die Schützenvereine? Wird hier wieder nur ein vermeintlich Schuldiger präsentiert, auf den sich die Empörung konzentrieren kann?

Mir fehlt ein wenig die Alternative, der Lösungsansatz. Was ZAPP sehr richtig anspricht: viele Journalisten sind frei, stehen unter Druck. Das Hauptproblem in Winnenden – so erscheint es mir jedenfalls nach dem Zapp-Bericht ist ein logistisches: zu viele Journalisten in einer zu kleinen Stadt. Kann man das irgendwie anders organisieren? Soll man die Vor-Ort-Berichterstattung einigen Agenturjournalisten überlassen und die anderen schreiben ab?

Was man auch sehen muss: die Grenzverletzungen werden belohnt – die Zuschauer-, Klick- und Auflagenzahlen explodieren. Verkauft sich das Nachrichtenmagazin mit dem Bild des Serienmörders besonders gut? Ich würde darauf wetten. So wie sich die Empörung über die Journalisten sicherlich auch gut verkaufen lässt.

Alpha-Journalisten

Jan Feddersen vorabdruckt in der taz:

Niggemeier, 1969 geboren, in jenem Jahr, als Willy Brandt zum Kanzler gewählt wurde, ein Jahr nachdem die Studentenbewegung die Bild-Zeitung als Hassobjekt Nummer eins ausgemacht und „Enteignet Springer!“ gerufen hatte, erzählt bereitwillig, wie er dazu kam, sich mit dem Marktführer aller Boulevardmedien anzulegen.

Würde ich fürs Feuilleton schreiben, würde ich es wohl Feuilletonitis nennen.

Qualitätsjournalist

Heute habe ich mal wieder das Wort „Qualitätsjournalist“ gehört – und dachte: das ist ein Kampfbegriff. Sollte es je im Duden auftauchen, muss der erste Teil kursiv gedruckt werden, damit die Ironie auch typografisch tropfen kann. Qualitätsjournalist – als wüssten Journalisten noch, was Qualität ist…

Eine Google-Suche scheint mich zu bestätigen: Lauter Lästereien. Der erste Link ist jedoch deprimierend: er führt tatsächlich zum Online-Angebot der Schwäbischen Zeitung. Genauer gesagt: zu einer Fehlermeldung: Error 404 – der gewünschte Inhalt wurde nicht gefunden.

qualitatsjournalist

Gibt es Qualitäts-SEO?

Free Muntader

Ein Video geht um die Welt: ein irakischer Journalist hat die letzte Pressekonferenz von US-Präsident George W. Bush im Irak genutzt, um ihn hart zu beschimpfen und seine Schuhe auf den Präsidenten zu werfen. In den meisten Berichten bleibt der Angreifer namenlos, Bush scherzt sogar, dass der Mann – ein Fernsehkorrespondent – offensichtlich nur ins Fernsehen wollte. Muntadar al-Zeidi (oder Muntader Zeidi?) kann derzeit nicht zurückscherzen: Er wurde inhaftiert, wie die New York Times meldet:

The television channel broadcast a request for Mr. Zaidi’s release in the name of democracy and freedom of speech. “Any procedure against Muntader will remind us of the behavior of the dictatorship and their violent actions, random detentions and mass graves,” the channel said. “Baghdadia TV channel also demands that the international and Iraqi television organizations cooperate in seeking the release of Muntader Zaidi.”

Zugegeben: eine extensive Auslegung freier Rede. Es wäre aber dennoch interessant zu wissen, welche Strafen diesem Journalisten im heutigen Irak blühen. Unter Saddam Hussein hätte Zaidi einen solchen Auftritt wohl kaum überlebt, in Deutschland und den USA wäre der Mann wohl nach einem ausführlichen Interview wieder auf freiem Fuß.

PS: Ein paar mehr Details:

Nach dem Zwischenfall gestern schleppten irakische Sicherheitsbeamte Al Zaidi aus dem Saal und schlugen und traten ihn dann, bis er – so ein Augenzeuge – „wie eine Frau geheult“ habe. Sein Sender verlangt die sofortige und bedingungslose Freilassung des Reporters, „im Namen der Demokratie und der Meinungsfreiheit“, wie es in einer Stellungnahme hieß. Eine regierungskritische Nachrichtenagentur in Baghdad gratulierte Al Zaidi zu seinem – so wörtlich – mutigen Auftreten. Der Chef der irakischen Organisation für Pressefreiheit sprach hingegen von „unprofessionellem Verhalten“.

Der Praktikant von der Telekom?

Der Spiegel hat mal wieder einen Scoop: Die Magenta-Schnüffler der Deutschen Telekom haben demnach ihre eigene kleine Vorratsdatenspeicherung gestartet und ihre eigenen Aufsichtsräte ausgeforscht.

Nicht nur das:

In dem Fax, das dem SPIEGEL vorliegt, ist sogar davon die Rede, dass in das Büro eines wichtigen Wirtschaftsjournalisten ein Maulwurf eingeschleust worden sei, der über mehrere Monate „direkt an die Konzernsicherheit“ der Telekom berichtet habe.

Wow.

Der Content kommt aus der Luft

Die FAZ berichtet, dass die neuen Eigentümer der Netzeitung in Zukunft ohne Redakteure auskommen wollen.

Vorgestellt wurden die entscheidenden Maßnahmen denn auch nicht von Matthias Ehlert und Michael Angele, den amtierenden Chefredakteuren der „Netzeitung“, sondern eben vom neuen Management. Von Robert Graubner wird kolportiert, dass für ihn Online-Journalisten nicht mehr und nicht weniger seien als „Content-Manager“, „News-Aggregatoren“, „Google-Optimiser“ und „Channel-Manager“.

Und eines Tages kommt vielleicht ein Content-Manager daher und entdeckt überrascht, dass er schreiben kann. Verschwendetes Talent?

PS: Der Plan zur Rettung der Redaktion liegt auf der Hand: Sponsoring. Könnte sich zum Beispiel die INSM nicht einen Redakteur in Berlin leisten? Das lesenswerte Altpapier könnte quasi als Wiedergutmachung von Pro7Sat1 finanziert werden (mit Gastautorin Sonya Kraus) und das Internet-Ressort von Microsoft oder Yahoo.

Mit Einverständnis

Zu meinem Berufsalltag gehört der Zugang zu Pressekonferenzen. Das ist mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand verbunden. Manchmal reicht es, wenn ich zur richtigen Zeit aufkreuze und den Namen einer meiner Auftraggeber nuschle, manchmal gibt es aufwändige Akkreditierungsverfahren – bitte vier Wochen vorher per Fax einzureichen.

Bei Veranstaltungen mit Polit-Prominenz muss ich in letzter Zeit immer öfter einem BKA-Check unterziehen lassen. Das heißt: ich unterschreibe auf dem Akkreditierungsformular, dass das BKA meine Daten überprüfen darf. Wenn ich das nicht mache, werde ich nicht zugelassen.

Diese Praxis beschreibt das BKA mit dem netten Wort Einverständnis:

Es sei verbunden mit einer Sicherheitsüberprüfung wie bei anderen Großveranstaltungen auch, etwa der Fußball-WM im vergangenen Sommer. Die Sicherheitsüberprüfung werde im Einverständnis mit den Journalisten durchgeführt, hieß es weiter. Nur wenn eine entsprechende Empfehlung der Sicherheitsbehörden vorliege, werde keine Akkreditierung ausgestellt. Den Betroffen stehe der Rechtsweg offen.

BTW: Bei der Cebit konnte ich mich dem russischen IT- und Telekommunikationsminister mit meiner Techie-Ausrüstung auf zwei Schritte nähern – und habe nur eine Visitenkarte abgegeben.

Demokratie und Blogs

Eigentlich hatte ich die Diskussion des Medienquartetts im Deutschlandfunk wegen der bissigen Kritik von Stefan Niggemeier schon ad acta gelegt. Aber in den Kommentaren habe ich zwischen viel Rechthaberei einen interessanten Textausschnitt gefunden:

Das ist eine der grossen – finde ich – Lügen ans Publikum. Also, die ganze Suggestion der medialen Möglichkeiten im Internet trägt immer die schwingende Botschaft mit, das Internet ist demokratisch. Und alle nicken immer nur, wenn wir das hören. Aber ist denn das Internet demokratisch? Das Internet ist allen zugänglich. Das ist sehr gut. Man kann sehr viel damit anfangen. Aber Demokratie hat ja irgendwie auch was mit Ausübung von Herrschaft zu tun, von Organisierung und Strukturierung einer Gesellschaft über bestimmte Regeln und Verfahren. Und in dem Sinne ist das Internet überhaupt nicht demokratisch.

Das ist IMHO eine der spannendsten Fragen des Web 2.0, des scheinbar grenzenlosen Bürgerjournalismus und überhaupt: Welche Entscheidungsstrukturen entstehen in den neuen entkörperten Sozialnetzen, welche Einflüsse hat das Ganze auf unsere Gesellschaft? Vielleicht sollte man ab und zu doch den Blinden zuhören und sehen, ob wir etwas von Ihnen lernen können. Die Sendung spule ich jedenfalls auf meinen MP3-Player zum Konsum bei Gelegenheit.