Die analoge Gesellschaft

Die analoge Gesellschaft druckt E-Mails aus.

Die analoge Gesellschaft hat Angst vor dem grenzenlosen Internet.

Die analoge Gesellschaft spielt gerne mit Knöpfen.

Die analoge Gesellschaft schreibt Leserbriefe.

Die analoge Gesellschaft redet hinter Deinem Rücken.

Die analoge Gesellschaft steht vor Bauzäunen bei Stuttgart 21.

Die analoge Gesellschaft hat massig Geld.

Die analoge Gesellschaft ist pleite, nicht zukunftsfähig und ohne Ideen.

Die analoge Gesellschaft hat Lobbyisten.

Die analoge Gesellschaft hat Schlagstöcke, Gummigeschosse.

Die analoge Gesellschaft ist so schrecklich ahnungslos.

Die analoge Gesellschaft spielt X-Box, hat iPhones, klickt Facebook und schert sich einen feuchten Kehricht.

Die analoge Gesellschaft schreibt Worte wie „Medienkompetenz“.

Die analoge Gesellschaft guckt Fußball und Tatort.

Die Legende vom allwissenden Netz

Karsten Polke-Majewski hat sich für die „Zeit“ dem Thema  Digitales Erinnern angenommen:

Denn das Netz speichert alles. Keine winzige Information, keine E-Mail, kein noch so peinliches Online-Foto, kein Twitter- oder Facebook-Eintrag, keine Buchungsanfrage beim Reiseanbieter ist jemals dahin. Die digitalen Speicher haben die Gesellschaft ihrer Fähigkeit zum Vergessen beraubt und ihr stattdessen ein umfassendes Gedächtnis verliehen.

Und wenn man es noch 100 Mal aufschreibt: es stimmt nicht. Jedenfalls nicht so ganz. Das Netz vergisst nämlich verdammt viel. Wenn ich meine E-Mails der letzten 10 Jahre lösche, werde ich sie nicht über die magische Cloud zurück bekommen. Sicher: eventuell hat noch der eine oder andere Kommunikationspartner ebenfalls den einen oder anderen E-Mail-Wechsel auf seiner Festplatte. Aber wie sollte ich den von Hunderten Leuten wieder bekommen? Wenn ich meine Bilder von Facebook lösche, wird sie niemand wieder finden. Sie sind einfach nicht peinlich, originell oder schön genug, als dass sie jemand anders gespeichert hätte. Und wenn ich Artikel aus dem Blog lösche, hat sie auch Google spätestens nach ein paar Wochen vergessen. Was übrig bleibt: Schnippsel, die andere zitiert haben und Links, die ins Leere laufen.

Wahr ist: Speichern ist billiger geworden. Verdammt billig. Und deshalb wird viel gespeichert. Verdammt viel.  Wer aber wahllos alles speichert, verschüttet die Informationen besser als im Kölner Stadtarchiv. Ja: Google fördert so manche Archivleiche zutage, aber den Anspruch der Vollständigkeit kann und will Google nicht erfüllen. Der Reiseanbieter wird nach der vorgeschriebenen Speicherfrist meine Buchungsdaten entsorgen, eventuell sind die genauen Daten noch auf irgendeinem Backup-Datenträger zu finden. Aber dort ist er zunächst aus dem Augen, aus dem Sinn.

Ebenfalls wahr ist: Dienste wie Google Mail bieten scheinbar unbegrenzten Platz an, Facebook gar will alle Kommunikationsströme des Lebens abspeichern. Aber heavy user wissen: das sind leere Versprechen. Der Platz ist begrenzt und irgendwann fallen die Daten hinten über den Speicherhorizont.

Wahr ist auch: selbst wenn die Details weg sind, wenn Google nicht mehr genau weiß, welche Mail ich genau wann an wen geschrieben habe — in meinem Adsense-Profil stehen wohl einige Meta-Informationen, an die ich einfach nicht herankomme. Haben mich die Bestellbestätigungen von Amazon als besonders kaufkräftig und kaufwillig geoutet, hat Google sich das vielleicht gemerkt. Bestimmt sogar. Da ist der Internetkonzern wie das menschliche Hirn: wir hören das, was wir hören wollen und wir merken uns das, was uns angeht. Oder vielmehr: das, von dem wir glauben, dass es uns angeht? Weiß Facebook dass ich heterosexuell bin, obwohl ich es nicht ins Profil gestellt habe?? Für die Datenbank-Magier sicher kein Problem. Aber wie will Facebook darauf Gewinn schlagen? Die Anzeigen, die ich bisher auf Facebook gesehen habe, waren jedenfalls ganz und gar nicht verlockend. Vielleicht liegen die Informationen quer verstreut in den Rechenzentren und Facebook hat sich diesen einen indiskreten Fakt schlichtweg nicht bewusst gemacht. Das heißt: keine Verknüpfung erstellt, das Sex-Bit nicht auf Null gesetzt. Oder 1?

Lange Rede, kurzer Sinn: Das Netz merkt sich verdammt viel. Aber bei weitem nicht alles. Letztendlich sind es doch nur die Menschen, die meist scheinbar wahllos und manchmal ganz gezielt den Informationswust umgraben und mit den Informationen machen, was Menschen mit Informationen so tun.

„Mein Internet“

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Watching Television for the Internet Age

Drüben bei Slashdot machen sie sich Gedanken über Judicial Nominations In the Internet Age.

Ein interessanter Debattenbeitrag zum Thema stammt aus dem Jahr 1999, als Josiah Bartlet einen neuen Richter für das Supreme Court suchte, in der Serie The West Wing, Episode 9, Season 1.

SAM: It’s not about abortion. It’s about the next 20 years. Twenties and thirties, it was the role of government. Fifties and sixties, it was civil rights. The next two decades, it’s gonna be privacy. I’m talking about the Internet. I’m talking about cellphones. I’m talking about health records, and who’s gay and who’s not. And moreover, in a country born on a will to be free, what could be more fundamental than this?

Proselyten

Jürgen Kuri hat einen interessanten Artikel über die notwendige Aufklärung im digitalen Zeitalter geschrieben.

Die ideologiegetränkten Debatten Internet-Versteher vs. Endzeit-Propheten unter gelegentlichen Einwürfen eines Internet-Ausdruckers vulgo: Internet-Nichtverstehers sind nur noch langweilig. Und letztlich selbstreferentiell – stehen doch auf beiden Seiten selbst ernannte Eliten, die den Mob lediglich als positiv besetztes oder schrecklich dräuendes Proselyten-Material ansehen. Der Mob schaut verwundert ob der Misse- oder Wundertaten, die ihm da zugeschrieben werden. Seiner Wege zu ziehen aber fällt ihm schwer: In dieser digitalen Welt fehlen allzu oft genau die Informationen, um die Entscheidung fällen zu können, welche Misse- oder Wundertat denn nun als nächstes zu vollbringen ist.

Für die Feuilleton-Nichtversteher eine kurze Erklärung: Die Proselyten sind die total Überzeugten, die dennoch nicht ganz verstanden haben, was der Kern der Sache ist. Diejenigen, die jedem ein Du hast das Internet nicht verstanden ins Gesicht schleudern, wenn sie mit einer Ansicht konfrontiert werden, die in Ihrem selbst gewählten Twitter-Umfeld sonst nicht gepflegt wird. Die ein Argument nicht von einer Ansicht unterscheiden können. Die zum Beispiel „Respekt vor dem Selbstmord“ fordern, da sie nicht verstehen, was simpler Anstand bedeutet aber irgendwo mal etwas von „Respekt“ und „Tod“ gehört haben.

Statt mentale Filter einzurichten, die Sinn von Unsinn, Banalität von Relevanz, Provokation von Argumentation trennen, ist es viel bequemer sich einen Filter nach dem Weltbild einzurichten. Es ist nicht wichtig, was genau jemand gesagt hat, wichtig ist zuerst die Haltung. Ist ein Artikel für oder gegen die Piratenpartei? Geht es um menschengemachte globale Erwärmung oder Klimaverschwörung? Ist Apple das Beste der Welt oder ihr Untergang? ARD == GEZ. Und die Politiker sind alle Gauner! Schublade auf, Denken ist optional.

Wenn man sieht, welche Links in Twitter ständig weitergereicht werden, was ganz oben auf der Linksuppe schwimmt, wird man wenig optimistisch. Denn wer geklickt werden will, sollte sich ins Extrem flüchten. Auf die größten Peinlichkeiten der Gegenseite zeigen und den Rest tunlichst ignorieren. Das ist nicht nur einfach, es will plötzlich auch jeder mitreden. Und ganz langsam ist das Extrem der Debatte dann der Konsens des eigenen Umfelds. Und mit den Leuten am anderen Ende der Debatte, da wollen wir erst gar nicht reden. Das sind Internetausdrucker, die sind einfach #fail.

Vor ein paar Wochen hatte ich die Gelegenheit mit Jimmy Wales zu sprechen. Der schlug einen einfachen ersten Schritt auf dem Weg zu einer gesitteten Debatte vor:

Man darf nicht nur die Leute zurechtweisen, die anderer Meinung sind. Ab und zu sollte jeder sagen: Ich stimme Dir sachlich zu, aber Du solltest andere Leute nicht so anfahren. Es gibt aber kein Allheilmittel, kein Computerprogramm, das erregte Debatten findet. Im Wesentlichen müssten wir alle uns darum kümmern, eine gesittete Debatte zu führen.

…und wenn Deine Stadt ganz tot ist

Die Maschinenstürmer waren eine revolutionäre Bewegung gegen die von kapitalistischen Unternehmern – Karl Marx spricht von der neuen Klasse „industrieller Kapitalisten“, Ernst Nolte von „Industriebürgertum“ – vorgenommene Maschinisierung in der Industriellen Revolution. Mit dem Einsetzen der Industrialisierung im ausgehenden 18. Jahrhundert erfuhren viele Menschen, dass der zunehmende Einsatz von Maschinen Arbeitsplätze vernichtete; in der Folge zerstörten empörte und rebellierende Arbeiter wiederholt Maschinen. Der sogenannte Maschinensturm nahm in Deutschland und England unterschiedliche Ausmaße an.

via Wikipedia.

Dieser Mayener Buchhändler stürmt zwar keine Maschinen und Server, er hat aber eine sehr explizite Meinung zu Amazon ins Schaufenster gehängt: „…und wenn Deine Stadt tot ist, bildet Amazon Deine Kinder aus?“

Schaufensterdekorateur (oder: „Schauwerbegestalter“) ist übrigens auch ein Ausbildungsberuf.

Koschere Handies sind offline

Man denkt ja zuweilen, das Internet deckt alle kulturellen Unterschiede zu, bis wir alle unter dem Banner der LOLCats vereint sind.

Dass es in anderen Ländern tatsächlich noch andere Sitten gibt, zeigt dieser Artikel der israelischen Tageszeitung Haaretz über den Kampf ultraorthodoxer Rabbiner gegen das Internet

The Israeli rabbis first came out against Internet use in January 2000, when more than 30 Haredi leaders forbade Internet connections at home. Back then, the main concern was the easy availability of online pornography. The ban was not particularly controversial, as Israeli Haredim had long accepted a similar ban on owning television sets.

Many Haredim, however, circumvented the ban by using 3G phones, which allowed Internet access – until the rabbis forced them to buy „kosher-certified“ sets in which the Internet feature was disabled.

Damit hatten sie aber keinen Erfolg, was zum Beispiel am rasanten Aufstieg von Online-Angeboten speziell für ultraorthodoxe Juden (Haredi) zu sehen ist, auf denen doch tatsächlich über die Sinnhaftigkeit solcher Vorschriften diskutiert wird. Also ziehen die religiösen Führer die Daumenschrauben an:

The December order from senior rabbis – including top Haredi authorities like Yosef Sholom Elyashiv and Aharon Leib Shteinman – instructed their followers not to visit Haredi Web sites, which they said were full of „lies,“ „gossip“ and „abominations.“ Crucially, they also instructed Haredi schools not to admit any child whose parents are involved in such Web sites.

(Danke, Mathias)

Man wird doch wohl noch träumen dürfen…

Ein paar Menschen. von denen ich die meisten seit Jahren kenne und schätze, haben ein Internet-Manifest veröffentlicht, das aus 17 „Behauptungen“ besteht.

Einige der Aussagen lassen mir die Zehennägel hochrollen. Zum Beispiel diese:

16. Qualität bleibt die wichtigste Qualität.

Das Internet entlarvt gleichförmige Massenware. Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist. Die Ansprüche der Nutzer sind gestiegen. Der Journalismus muss sie erfüllen und seinen oft formulierten Grundsätzen treu bleiben.

Leider nein. Ja, das Internet entlarvt ganz gerne Massenware – das stimmt zweifellos. Aber es gibt ein großes Publikum, das Massenware liebt. Man kann 20 Mal entlarven, dass Stefan Raabs Sportveranstaltungen nur Dauer-Werbesendungen sind, sie finden immer noch ein Publikum.

Herausragend, glaubwürdig und besonders zu sein, ist leider kein Erfolgsrezept. Herausragend unglaubwürdige Angebote scheinen hingegen zu boomen – offline wie online.

Ein Beispiel: Michael Arrington – der zu den Erfolgreichen gehört, von dem wohl niemand ungesehen einen Gebrauchtwagen kaufen würde – lästert heute über ein vermeintliches Problem der New York Times. Deren Redakteur David Pogue schreibt, bloggt, podcastet überaus distanzlos über seinen Lieblings-Konzern Apple – und ist damit besonders erfolgreich ist. Die aktuellen deutschen Blogcharts wimmeln vor Blogs, die ihre Artikel niemals recherchieren, geschweige denn Fehler zugeben können. Vor ein paar Monaten konnte ich mir auf einer Fachkonferenz anhören, wie sich die Corporate-TV-Anbieter die Zukunft planen: Statt Werbepausen zu buchen, finanzieren BMW, Daimler Benz und Co einfach ihre Werbefilme in Überlänge und machen einen eigenen Internet-Sender daraus. Glaubwürdig? Wen juckt’s – guckt doch mal die tollen Bilder!

Lange Rede, kurzer Sinn: Der Satz müsste wohl heißen: „Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig oder besonders ist.“ Und da man jedem mit einem Publikum irgendeine Besonderheit nachsagen kann, ist das eine Binsenweisheit

Die traurige Realität: viele Leute wollen keine Fakten, Distanziertheit oder Objektivität. Glaubwürdig ist sehr oft der, der mir am besten nach dem Mund redet. Wer auf dem niedrigstem Niveau losschimpft, ist eine Edelfeder, ein Satiriker – sofern er gegen die richtigen lästert. Wer nur laut genug ist, wird ernst genommen. Nennen wir es: Qualität 2.0.

Hey, Kölnmesse!

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8 Euro für eine Stunde WLAN, 25 Euro für einen Tag. Und das auf der gamescom, die man fast „IT-Messe“ nennen kann. Wo Tausende kaufbereiter Jugendlicher mit iPhone und Playstation Portable durch die Hallen streifen, in denen Computerspiele angepriesen werden, die es nur zum Download gibt. Jugendliche, die ihre Begeisterung gerne ihrem sozialen Umfeld mitteilen würden. Online und in Echtzeit.

Ich verstehe, wenn ein gesichertes Netz mit garantierter Bandbreite für Aussteller extra abgerechnet wird. Aber das? Internetzugang ist kein exotischer Sonder-Service für Business-Kundschaft, es ist eine Basis-Infrastruktur. Wenn ihr das nicht mit den Eintrittspreisen finanzieren könnt, solltet ihr nochmal gründlich kalkulieren. Alleine die zusätzlichen Verkaufsumsätze der Aussteller dürften die Kosten mehr als ausgleichen, die kostenlose Mund-zu-Mund-Propaganda macht das ganze zum No-Brainer. Und das Ganze Papier-Infomaterial, das durch einen simplen Link ersetzt werden kann und doch nur Taschen und Mülleimer verstopft.

Denkt nach, Messeveranstalter. Und das bald!

Freiheit, die ich meine

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel gab der Leipziger Volkszeitung ein Interview. Auf das Spiegel-Titelthema der Woche angesprochen, sagte er dies:

Internetfreiheit steht bei uns ganz oben. Natürlich unter Vorbehalt: Missbrauch jeder Art ist damit nicht gemeint.

Aua. Freiheit umfasst immer auch den Missbrauch. Er ist sozusagen elementarer Bestandteil der Freiheit.

Unbeschränkte Redefreiheit umfasst auch Pornografie. Wenn ich die Grenzen öffne, können auch Straftäter und Billig-Tanker ins Nachbarland. Wenn ich die Steuern um fünf Prozent senke unter der Bedingung, dass alle Manager 10 Prozent ihres Gehaltes freiwillig spenden – dann bin ich in Wahrheit für einen höheren Spitzensteuersatz.

Wenn sich die FDP um vernünftige und wirksame Strafverfolgung kümmern will, um einen vernünftien Konsens rund ums Urheberrecht – dann findet sie sicher bei vielen Beifall. Das Etikett „Freiheit“ darauf zu kleben, ist aber lächerlich.