Die Debatte um das Umweltsau-Liedchen ist unsäglich, also lasst uns darüber schweigen. Treten wir einen, zwei oder gar drei Schritte zurück, und fragen uns: Was ist Satire eigentlich? Was ist Comedy, was ist ein Witz? Und hier ist mir etwas ausgefallen: Leute scheinen immer mehr der Meinung zu sein, dass Satire und Humor grundsätzlich auf jemandes Kosten geht. Und das ist falsch.
Satire, Comedy, das ganze Humorhandwerk — richtet sich nicht primär gegen eine Gruppe. Man spielt mit Wahrnehmungen, überzeichnet, setzt neue Kontexte oder Perspektiven. Es ist eine Suche nach Identitäten und den Kratzern darin. Man schnappt sich einen Geigenbogen und versucht, ob man damit einen Mülltonnendeckel zum Singen bringen kann.
Comedians betrachten die Welt und versucht sie anhand des Witzes zu verstehen. Zuweilen haben sie keine Ahnung, warum ein bestimmter Witz funktioniert und warum ein anderer Witz nicht funktioniert. Es ist ein lebenslanges Lernen, aber mit genug Jahren kann man Witze schreiben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für andere lustig sind.
Aber ich verliere mich in Allgemeinplätzen. Versuchen wir es mit einem Beispiel. Von 2012 bis 2015 lief auf Comedy Central die Sketch-Comedy-Show: Zutiefst albern, laut, schreckliche Perücken und Akzente. Und eine der Nummern von Key und Peele war Luther, der „Anger translator“. Peele spielte Obama mit seiner fast stoischen Redeweise und den komischen Pausen. Ihm zur Seite stand Key als „Anger translator“, der die distinguierte Rede des Präsidenten in eine schrille Wut-Tirade umsetzte. Seht es Euch an.
Also: Das ist ganz klar ein Witz auf Kosten von Obama, weil er so einen Stock im Arsch hat.
Oder etwa nicht…?
Geht es vielleicht nicht um Obama, sondern um die Hysterie, die auf diesen überdisziplinierten Middle-of-the-road Präsidenten tagtäglich einprasselt? Oder war es etwa ein Spaß darauf, dass der erste schwarze Präsident mit seiner Ivy-League-Ausbildung so gar nicht zu der Community passte, für die er angeblich stand? Egal, das Publikum lachte.
Und dann passierte das: Zur alljährlichen Ansprache beim White House Correspondents‘ Dinner lud Obama den Anger Translator als Co-Redner ein. Und er brachte eine Comedy-Routine zu Stande, die bis heute Legende ist. Gutes Timing, ein gutes Skript, ein perfektes Zusammenspiel zwischen den beiden Charakteren. Guckt es Euch an. Und dann: Guckt es Euch nochmal an.
Lange Rede, kurzer Sinn: Humor muss nicht um sich treten, um witzig zu sein — weder nach oben, noch nach unten. Es ist natürlich, dass sich ab und an Menschen verletzt fühlen. Das Parkett ist voll und Comedians tanzen aussschweifend, zuweilen auch mit geschlossenen Augen. Weil sie wissen wollen, was passiert. Weil sie wissen müssen, was passiert. Und wenn sie Leuten absichtlich auf die Zehen treten wollen, dann sitzt schon der erste Tritt.
Wir sind nun am Tag vier des üblichen Pseudo-Skandals zum Kölner Karneval angekommen. Ganz Deutschland diskutiert über die Frage: Darf man Witze über Doppelnamen machen??? Und was denkt Bernd Stelter dazu, der Nicolás Maduro der deutschen Comedy?
Was mich etwas enttäuscht: Es wurde so viel drüber geschrieben, doch irgendwie fällt es niemandem auf: Da war überhaupt kein Witz. Bernd Stelter hat den Namen von Annegret Kramp-Karrenbauer einfach nur höhnisch ausgesprochen — und das war es auch schon. Keine Pointe, nichts. Nur ein paar Prämissen: Er baute darauf, dass das schon ausreicht. Niemand im Festsaal mag die Politiker da oben, niemand mag Emanzen — und niemand will eine sein.
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Das Haupt-Problem an der Kalkulation: Wir schreiben das Jahr 2019. Und tatsächlich stand eine Zuschauerin auf und geigte Stelter für ein paar Sekunden(!) die Meinung. Wir sind wirklich in einem Humor-Entwicklungsland, wenn es uns so bemerkenswert erscheint, dass ein Comedian angeschnauzt wird. Aber nein, es war nicht einfach ein Comedian. Die Frau hat ein ein Heiligtum, den Status Quo, den Karneval beleidigt. Oder in den Worten der Geheiligten Schrift des Express:
Hätte er Witze über Religionen, Minderheiten oder unter der Gürtellinie gemacht, könnte man das Verhalten der Dame noch im Ansatz verstehen. Doch es ging schlicht: um einen Doppelnamen. Unfassbar! Der Kölner Karneval ist weltoffen, das soll auch so bleiben. Aber eines muss klar sein: Egal ob Randalierer oder Sitzungsstörer – solche Typen haben hier im Kölner Karneval nichts zu suchen.
Die katholische Gürtellinie
Um Gottes Willen – Bernd Stelter soll Witze über Religion machen? Wo er doch beabsichtigt niemanden zu beleidigen? Was soll das für ein Witz sein? Kardinal Meisner war über Jahrzehnte ein Witz – und er konnte immer versichert sein, dass der Karneval auf seiner Seite ist. Im Großen und Ganzen. Leute wie Stelter suchen lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner für ein Saalprogramm, das sie wortgleich fünf bis zehn Mal am Tag heraustrompeten können. Eintrittspreis: 40 Euro. Kölsch geht extra. Und ihr braucht eine Menge Kölsch.
Ich fände es wirklich komisch – in beiden Sinnen des Wortes — wenn diese Episode einen positiven Effekt hätte. Die Lehre sollte aber nicht sein: Du darfst keine Witze über Doppelnamen machen. Sondern: Du sollst richtige Witze machen. Und das ist schwere Arbeit, für die es Profis braucht.
Comedy ist vergänglich. Wer meint, dass ein Witz, der vor 50 Jahren gut war, heute noch unverändert gut ist, sollte sich in eine Humorklinik begeben. Wer meint, dass die gleichen Doofwitze der immer gleichen Nasen das sind, was den Kölner Karneval groß macht — die Technik ist inzwischen soweit, dass man ein Hologramm von Dieter Hallervorden auf die Bühne stellen kann. Palimm-Palimm! Haben sie eine Flasche Pommes? Zeitlos! Gegen Aufpreis auch mit Kölschem Akzent. Gesprochen von einem Bläck Fööss. Oder einem Kasalla.
Wer Witze machen will, sollte neugierig sein. Die Lebenswirklichkeit einatmen und ständig reflektieren. Ich erwarte von Comedians keine perfekt ausgewogenen Berichte, die uns Journalisten Konkurrenz machen. (Meta-Pointe!) Aber Comedy sollte zumindest eine emotionale Wahrheit transportieren. Und Comedy sollte ein Dialog sein. Wer mit einer Nummer nicht ab und zu Schiffbruch erleidet, traut sich einfach nichts, sondern sucht lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner.
Heil Alaaf!
Im Zuge der Debatte wird immer wieder ein Karnevals-Redner zitiert. 1973 schaffte es Jonny Burchhardt, dass ihm ein kompletter Saal auf sein „Sieg“ von der Bühne mit einem spontanen „Heil“ antwortete.
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Er wechselte flugs zu einem Frisör-Witz, um sein Publikum nicht zu viel Zeit zu lassen. Die durften um Gottes Willen nicht darüber nachdenken, dass der Redner da vorne sie grade als Nazis vorgeführt hatte. Ich nehme an, das ist das letzte dokumentierte Beispiel von Humor im Kölner Karneval, bei dem das Publikum tatsächlich motiviert wurde, über sich und die eigenen Lebensumstände nachzudenken.
Um Kant zu zitieren: Comedy ist der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Einst stand Karneval für das erste, nun ist er das zweite.
Ich liebe Comedy. Ich gucke viel zu viel Comedy. Ich gehe in Comedy-Clubs. Und ich warte eigentlich darauf, dass mich Leute beleidigen. Das passiert jedoch nie. Denn ich bin die Zielgruppe, die lachen soll, weil sie den Eintritt bezahlt. Neulich versuchte ein junger Comedian, der im Ausland geboren war, eine Ungeheuerlichkeit: Er nannte uns im Publikum — ungeheuerlich! — „Kartoffeln“. Weil: Deutsche. Ich wartete verzweifelt auf die Pointe, aber es kam keine. Doch da kamen allenfalls ein paar Schocklacher: Da auf der Bühne hat jemand ein Pipi-Wort gesagt!
Comedians: Wenn ich lachen soll, strengt euch an. Stellt die Glaubenssätze meiner Existenz in Frage. Verachtet meinen Musikgeschmack. Erzählt mir über meinen Job, aber gebt mir das Gefühl, dass ihr Ahnung habt, wovon ihr sprecht.
Und Publikum: Wenn ihr 40, 60, 150 Euro für eine Eintrittskarte einer Sitzung bezahlt, dürft ihr Profis erwarten. Profis, die auch mal ein Publikum lesen und ihre Nummern anpassen können. Nicht um sie zu verschonen, sondern um den Punkt zu finden, wo es tatsächlich weh tut. Und das heißt nicht, dass das in eine Beleidigungsorgie ausarten soll. Man soll halt etwas spüren. Ein wirklicher Witz pro Stunde — ist das denn zu viel verlangt?
Falls ihr hingegen nur Blondinenwitze hören wollt, zahlt das Kölsch mit einem Aufpreis dafür, dass Ihr Euch für ein, zwei Stunden nicht mit Ehepartnern und Freunden unterhalten musstet. Und dann schwankt stillvergnügt — mit Betonung auf „still“ — nach Hause.
Kurze Durchsage: Vuvuzela-Witze mussten bereits vor zehn Tagen aus dem Handel genommen werden – und das allerletzte Verfallsdatum für Oktopus-Witze ist Montag mittag.
Ich wusste ja nicht, dass es feste Regeln für Aprilscherze gibt. Die Lektüre von zirka einem Dutzend dieser spritzig-witzigen Schlafmittel hat offenbart, dass es die wohl doch gibt:
Leser glauben alles. Also muss der Aprilscherz so offensichtlich sein, dass nur der Bodensatz des Klickviehs daran glaubt.
Nicht gemein werden! Die Rechtsabteilung will in den Osterurlaub. Niemand soll einen Grund haben zu klagen, seine Stimme zu erheben oder auch nur die Stirn zu runzeln.
Selbstreferenzialität ist erwünscht, Selbstironie verboten. Was denn? Witze über uns selber machen? Wo ist da die Pointe? Aber die Story vor ein paar Wochen, die war doch witzig. Können wir die nicht aufwärmen?
Es gibt viele Wege, an den Mauerfall vor 20 Jahren zu erinnern. Im Witze-Wettbewerb auf welt.de wird die deutsche Geschichte gar – ha ha ha – schelmisch aufbereitet:
Das Motto ist offenbar: Wer sich schlechter Witze nicht erinnert, ist dazu verdammt sie zu wiederholen. Das gilt auch für den Rest des Witzwettbewerbs, der das Konzept der Schwarmintelligenz in Frage stellt, den Schwarmhumor aber gänzlich negiert. Dagegen wirkt sogar Mario Barth intelligent und witzig.
Ganz klar: DAX-Kurven, Dollarscheine und immer die selben Nasen. Die von mir sehr geschätzten Infografiker von Tagesschau.de hatten diese Idee:
Tolle Idee, toll gemacht. In der Bildidee kommt alles rüber: die Geldspritze, der provisorische Charakter – und sogar Humor. Leider gibt es hier eine Text-Bild-Schere – der Texter wirft lieber mit Mataphern wie „Sprint“ und „Großkampftag“ herum, als die geniale Vorlage der Grafiker aufzugreifen. Trotzdem: Klasse.
Was ich an den Simpsons toll fand, war die unvermutete Tiefgründigkeit einer Zeichentrickserie. Das zum Beispiel findet man in der englischen Wikipedia:
Whenever possible, the animators also put jokes or sight gags into the show’s background via humorous or incongruous bits of text in signs, newspapers, and elsewhere. The audience may often not notice the visual jokes in a single viewing. Some are so fleeting that they become apparent only by pausing a video recording of the show.
Nicht nur auf dieser Ebene war die Serie vielschichtig, sie war durchaus sozialkritisch und treffend. In die Geschichten wurden Gags für höchst unterschiedliches Publikum gemischt, der 10jährige sah eine andere Story als seine Eltern. Das ist aber Vergangenheit wie jetzt auch im Spiegel steht:
SPIEGEL: Wer entscheidet, was lustig ist bei den „Simpsons“?
Jean: Die Zuschauer, immer. Jeder Gag im Film hat sich seinen Platz in Testvorführungen redlich verdient. Was nicht ankam, wurde gnadenlos herausgeschnitten. Im Allgemeinen wurde am lautesten gelacht, wenn eine Figur einen auf den Deckel bekommt. Und es gibt feinsinnige Scherze, über die sich alle Autoren ausschütten vor Lachen, aber das Publikum reagiert nicht.
Groening: Das ist manchmal einfach eine Altersfrage. Es gab im Film einen Marihuana-Witz, über den kein Test-Zuschauer lachen konnte. Was wahrscheinlich allein daran lag, dass das Publikum zu jung war, um zu wissen, dass „Gras“ auch eine Bezeichnung für Drogen ist.
Tja, wenn sich ein Achtjähriger nicht an seiner Buzz-Cola verschluckt, ist es einfach nicht witzig.