Anti Augmented Reality

Die Augmented Reality reichert unser Leben, reichert unsere Umgebung an. Fotos zeigen nicht nur Tante Else und Onkel Karl, sondern halten auch exakt fest, wo ihr Hund Moritz grade sein Geschäft verrichtet hat. Die Supermarktregale sind nicht nur voll mit bunten Verpackungen und Fernsehprominenz, sondern zeigen auch alle dreißig Zentimeter die hässliche Fratze unserer Lebensmittelallergie. Wir irren nicht mehr durch Städte und lernen sie kennen, wir werden durchgeschleust zu den Orten, die unsere Facebook-Kontakte gut fanden. Augmented Reality. Erweiterte Realität.

Doch die voll-verdatete Welt ist eine Illusion. Die Realität ist viel komplexer als die Datenbanken uns Glauben machen wollen. Sie sind nur begrenzt, eine Ansammlung von Zahlen. In Tabellen, die sich irgendwer erdacht hat. Sie kennen nicht den Duft von frischem Schnee. Und sie wissen nicht wo „vorne links“ ist. Den Zufall hassen sie. Denn gegen ihn sind sie machtlos, ihn versuchen sie mit Hilfe der Algorithmen zu besiegen.

Doch wenn die erweiterte Realität allzu offensichtlich versagt, dann können wir ja die einfache Realität abändern. Dann schreiben wir halt auf Straßenschilder drauf, was denn die Navigationsgeräte verarbeiten können. Und schreiben dazu GPS. Denn was GPS sein mag, können die meisten Menschen nicht verarbeiten. Für sie ist es ein Synonym für „Navigation“. Das muss das Navi nicht wissen. Das muss der Autofahrer nicht wissen. Das Schild sortiert die Realität in die Datenbank.

Wann platzt die Geo-Porno-Blase?

Ein nicht besonders intelligenter Mensch meinte mich heute mit einer Presseaussendung beglücken zu müssen. Er hatte offenbar nach „Porno 2.0“ gegoogelt und war dabei auf meinen Vortrag bei der Re:Publica gestoßen.

In der Mail wurde mir eine überdurchschnittlich abstoßende Porno-Seite empfohlen, die nach Meinung des Betreibers einen „web 2.0 approach“ verfolgt. Von Userbeteiligung ist nichts zu sehen. Der revolutionäre 2.0-Ansatz: man kann mehrere Pornos parallel abspielen… Dass dies das exakte Gegenteil dessen ist, was ich in meinem Vortrag behandelt habe, muss ich wohl nicht betonen.

Natürlich ist die Seite vollgestopft mit Werbung. Adultfriendfinder & Co versprechen Live-Webcams und Live-Sex. Bei einer Millionenstadt wie Köln mag das einigermaßen glaubhaft sein – aber auch in beschaulichen Orten wie Rietberg (28000 Einwohner) werden einem Hunderte williger Frauen empfohlen, die rein zufällig auch in Rietberg sind. Bei jedem Reload sind es andere. Das ist nicht glaubhaft – selbst wenn man ignoriert, dass die meisten Fotos sowieso nach zufällig eingespielten Inhalten eines US-Bilderkatalogs aussehen.

Doch wer kümmert sich um solche Kleinigkeiten, wenn es um Umsätze geht? Und das „Webmaster-Programm“ von Adultfriendfinder verspricht satte Umsätze:

Geld verdienen ist mit unserem Programm „Pro-Mitgliedschaftsbestellung“ ganz einfach. Immer wenn sich ein Mitglied als Premiummitglied anmeldet, verdienen Sie bis zu $130.00.

Sprich: Diese Werbung lohnt sich nur, wenn ein ständiger Nachschub von Personen gewährleitet wird, die wesentlich mehr als 130 Dollar bei Firmen wie Adultfriendfinder lassen. Das Angebot wirbt jetzt schon mit über 20 Millionen Mitgliedern. Ich denke mal, der Markt dürfte zu diesen Preisen so langsam ausgeschöpft sein. Und wenn er ausgeschöpft ist, werden sich YouPorn und Co. plötzlich sehr einsam fühlen.

PS: Auf der Startseite von Adultfriendfinder wird die offensichtliche Usertäuschung eingeräumt – natürlich juristisch verklausuliert:

*Personen welche in Fotos auftauchen, könnten eventuell nicht Mitglieder sein. Andere Daten sind nur zur Illustration beabsichtigt. Adult FriendFinder ist das weltweit größte Sozial- & Sexanzeigennetzwerk für Erwachsene mit über 20.000.000 Mitgliedern.

Auf deutsch: Die meisten Fotos sind Fakes. Ein bemerkenswertes Vorgehen für ein Angebot, dass mit dem Slogan „echte leute. echter sex.“ wirbt. Auf den Webseiten, auf denen das Unternehmen wirbt, fehlt dieser Hinweis.

Hey, DHL

Die Sendung wurde in der Zustellbasis bearbeitet.
Status von: 09.09.08 07:47
Vorgang: Die Sendung wird dem Empfänger voraussichtlich heute zugestellt

Das reicht mir nicht mehr. Ich will GPS-Daten. Ich möchte auf einer Google-Maps sehen, wie das Paket langsam auf meine Adresse zukriecht. Nein: Es soll schnell kriechen.

Und ich will das Paket jetzt!