Gesetz gegen Wikileaks (und alle anderen?)

Joe Lieberman, der sogar Glückwünsch-Telegramme in Form eines Gesetzes packt, hat den „Shield Act“ vorgestellt, mit dem er dem finsteren Dr. Leaks Wikileaks den Garaus machen will.

Doch was steht drin im Gesetz? Es soll eine Erweiterung des § 798 des Band 18 des United States Code werden. Ich versuche mich mal an einer Begradigung. Die vorgeschlagenen Neuerungen sind fett, Streichungen gestrichen.

Disclosure of classified information

(a) Whoever knowingly and willfully communicates, furnishes, transmits, or otherwise makes available to an unauthorized person, or publishes, or uses in any manner prejudicial to the safety or interest of the United States or for the benefit of any foreign government or transnational threat to the detriment of the United States any classified information—
(1) concerning the nature, preparation, or use of any code, cipher, or cryptographic system of the United States or any foreign government; or
(2) concerning the design, construction, use, maintenance, or repair of any device, apparatus, or appliance used or prepared or planned for use by the United States or any foreign government for cryptographic or communication intelligence purposes; or
(3) concerning the communication intelligence activities of the United States or any foreign government; or
(4) concerning the human intelligence activities of the United States or any foreign government;
(5) concerning the identity of a classified source or informant of an element of the intelligence community of the United States; or.

(46) obtained by the processes of communication intelligence from the communications of any foreign government, knowing the same to have been obtained by such processes—

Shall be fined under this title or imprisoned not more than ten years, or both.

Eine wesentliche Neuerung in Liebermans Entwurf ist der Begriff „transnational threat“. Es ist nicht mehr nur der ein Verräter, der gegnerischen Regierungen zuarbeitet, auch wer „transnationalen Bedrohungen“ Staatsgeheimnisse jeder Art enthüllt, muss bestraft werden. Statt der „communication intelligence“ werden auch die „human intelligence activities“ geschützt, ebenso jede Quelle, die den US-Geheimdiensten zuarbeitet.

Der Term „transnational threat“ scheint — soweit ich es beurteilen kann — in der US-Gesetzgebung neu zu sein. Zwar wurde er in Anhörungen und Debatten öfters gebraucht, um insbesondere Terrorgruppen zu bezeichnen, aber was sollen Gerichte darunter verstehen?

Zum Glück liefert der „Shield Act“ Definitionen mit.

TRANSNATIONAL THREAT.—The term ‘transnational threat’ means—
(A) any transnational activity (including international terrorism, narcotics trafficking, the proliferation of weapons of mass destruction and the delivery systems for such weapons, and organized crime) that threatens the national security of the United States; or
(B) any individual or group that engages in an activity referred to in subparagraph (A).

Diese Defnition ist ein kleines Kunststück. Zwar werden hier sehr verwerfliche Dinge wie Terrorismus, Drogenschmuggel, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und organisierte Kriminalität aufgezählt, aber man muss keiner dieser Tätigkeiten nachgehen, um als „internationale Bedrohung“ zu gelten. Kein Zufall: denn das Wikileaks Terrorismus betreibt oder Massenvernichtungswaffen verschickt, hat bisher noch niemand behauptet.

Um als „transnationale Bedrohung“ zu gelten, reicht es also aus, dass die Aktivität über nationale Grenzen hinaus geht und die nationale Sicherheit der USA gefährdet. Unter diese sehr breite Definition fällt freilich nicht nur Wikileaks, sondern zum Beispiel auch internationale Konzerne. Mir fällt da zum Beispiel der Name Rupert Murdoch ein, der wie Julian Assange (gebürtiger) Australier ist und Medienunternehmen auf aller Welt in seinen Händen bündelt. Doch während der sich wahrscheinlich auf die Pressefreiheit berufen kann, sieht es für andere transnationale Organisationen wie Amnesty international oder das Rote Kreuz schon anders aus.

Character Assangination

Die Story Das Strohfeuer des Tages war: CSI, NSA oder MI5 haben dem Staatsfeind Nummer Eins etwas angedichtet. Diese Interpretation der Ereignisse kam nicht von ungefähr.

Die Wahrheit ist wahrscheinlich wesentlich simpler. Der Mann hat kein eigenes Bett. Und muss sich andere suchen. Der Rest ist ein emotionales Bermudadreieck.

P.S.: Die plumpe Schwarz-Weiß-Malerei auf Twitter und in Foren ist – wie zu erwarten – deprimierend blöde. Dem müssen sich natürlich die Online-Medien anschließen. So hat Süddeutsche.de einen Mitarbeiter in Stockholm aktiviert, der allerdings ebenfalls nur die Medienberichte aufzählt, die schon alle anderen zitiert haben. Der Artikel beginnt so:

Ist Wikileaks-Gründer Julian Assange ein Sexualtäter oder Opfer eines Geheimdienstkomplotts?

Für eine dritte Möglichkeit ohne Verschwörung oder Vergewaltigung reicht die Fantasie wohl nicht.

Skandal! Ich weiß, was Du in der Wikipedia getan hast!

Die taz bringt die Story über die BND-IP-Adressen und die Wikipedia-Edits:

Vorwürfe gegen BND
Wikipedia-Artikel angeblich geändert

Im Internet ist eine Liste mit IP-Adressen aufgetaucht, die vom BND stammen sollen. Von ihnen aus wurden Einträge im Online-Lexikon Wikipedia verändert.

Allein – wo sind die Vorwürfe? Ein Geheimdienst, der die Wissensgewinnung als Aufgabe hat, für den Tausende Leute am Computer arbeiten, nutzt tatsächlich eine der bekanntesten Webseiten der Welt. Wenn der BND Quellen wie Wikipedia ignoriert, wäre ihm das meiner Meinung nach eher vorzuwerfen.

Aber halt – da hat doch tatsächlich ein Schlapphut den Artikel über den BND geändert. Und zwar wurde eine offenes Geheimnis unbelegtes Gerücht ins Gegenteil verkehrt. Und ein paar Monate später warf ein nicht besonders verdächtiger Wikipedia-Autor die selbe Spekulation wieder heraus.

Es stellt sich die gleiche Frage: wo ist der Vorwurf?

Hauptsache Aktion?

Be schreibt:

Und mir ist bloßer Aktionismus lieber als gar keiner.

Ein nachvollziehbares Gefühl. Man muss doch irgendetwas tun können. Doch damit die Aktion nicht völlig im Nichts verpufft und Kräfte nicht unnötig gebunden werden, sollte man sich vorher einige Fragen stellen. Eine kleine Checkliste:

  • Ist die Botschaft für Außenstehende sofort verständlich? Fragt jemanden, der Outlook nutzt und Ebay toll findet.
  • Falls nicht: werden durch Planung und Ausführung Kräfte mobilisiert, die nachhaltig auch für andere Aktionen zur Verfügung stehen?
  • Ist jemand beteiligt, der die Aktion auch gegenüber der Presse vertreten kann und will?
  • Entspricht die Aktion den eigenen Grundsätzen? Menschenfreunde schlagen keine Menschenfeinde zusammen.
  • Gibt es eine Möglichkeit Erfolge von Misserfolgen zu trennen, sodass man die Ausführung im Fall der Fälle anpassen kann?

PS: Einen sehr wichtigen Punkt habe ich vergessen

  • Wird ein Dialog mit dem Kritisierten ermöglicht?

Publizistischer Schwarzschimmel

In irgendeinem Kriegsfilm – eventuell war es „Good Morning, Vietnam“? – habe ich den Satz aufgeschnappt: „Military intelligence? Was für ein Widerspruch.“ Zugegeben: im Deutschen kommt der Witz nicht so gut heraus. Im Englischen heißt intelligence eben nicht nur „Intelligenz“ sondern auch „Geheimdienst“.

Aber keine Bange – ich habe einen deutschen Ausdruck gefunden, der dem flachen Wortwitz in jeder Hinsicht Paroli bieten kann. Gefunden habe ich ihn in der taz, die in einem Artikel die Denkungswelt eines Netzeitungs-Chefredakteurs vorstellt.

Neben dem neuen Layout, das wohltuend aufgeräumt daherkommt, hat das Chefredakteursduo am „bislang zu einseitigen und mitunter etwas drögen“ Themenmix geschraubt. Das neue Schlagwort lautet: intelligenter Boulevard. Das heißt weniger Politik, dafür mehr Sport und Vermischtes auf der Startseite.

Ich wiederhole diese absurde Wortkombination gerne nochmal: intelligenter Boulevard.

Wie sieht das wohl aus? Ich kann es mir nicht wirklich vorstellen. Die Synapsen meines Gehirns versuchen die Information zu verarbeiten, fördern aber nur Bilder zu Tage, die eines M.C. Escher würdig sind. Absurde Konstruktionen. Intelligent und Boulevard? Hat das barbusige Mädchen aus Seite 1 nun eine Brille auf? Der Penisbruch als Katharsis und nicht etwa als billige voyeuristische Attraktion?

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Ein Blick auf die Netzeitung belehrt mich – und er erklärt auch, warum ich die Seite in den letzten Monaten immer seltener aufrufe. Intelligenter Boulevard: das sind Besetzungs-Meldungen aus der Welt der Super-Models, Sprüche aus dem WM-Studio, die neuen Nachrichten aus einer abgestandenen Casting-Show und alberne Fotos von Politikern.

Ich könnte mir nichts Drögeres vorstellen.

PS: Stefan Niggemeier hat das taz-Interview auch gelesen, und lässt sich über Vor-Ort-Recherche, Chefredakteurs-Euphorie und Werbung bei der Netzeitung aus. Wer mehr über den intelligenten Boulevard erfahren will, erfährt am 13. Juni an der FU Berlin mehr.