Was ist das Problem mit FAQs?

Kurzfassung: FAQs sind fast niemals das, was sie zu sein vorgeben. Es sind nicht die Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen. Denn meist werden die FAQs von Leuten geschrieben, die keine einzige Frage der Zielgruppe gehört oder zu Gesicht bekommen haben. Meist werden sie publiziert, bevor irgendjemand eine Frage stellen konnte. Auch ich habe schon FAQs geschrieben und habe mich bemüht, für den Leser die wichtigsten Verständnisprobleme zu beseitigen.

Das gilt jedoch nicht für die corporate FAQs — eine Kategorie, die ich soeben erfunden habe. Was sind corporate FAQs? Eine Darstellungsform der PR, die vorgibt, die drängendsten Fragen der Kunden, der Öffentlichkeit oder der Politik beantworten zu können. Was tut sie stattdessen? Bullshitten. Gibt es dafür ein schönes Beispiel? Die FAQ des Nestlé-Konzerns zu dem Film „Bottled Water“.

Es fängt an mit der Darstellungsform. Statt alle vermeintlichen Fragen vermeintlich in einem Rutsch zu beantworten, muss der Konsument jede Frage einzeln anklicken, wenn er die vermeintliche Antwort sehen will. Dies ist eine Standard-Technik, die man auch bei vielen Firmen findet, die Kleingedrucktes wirklich sehr, sehr klein oder in Dunkelgrau auf Hellgrau publizieren.

Frage 1 ist schon ein sehr schönes Beispiel kalkulierten Frage-Antwortens:

Have you responded to the film’s allegations in the media? Download Peter Brabeck-Letmathe‘s op-ed  Nestlé Chairman Peter Brabeck-Letmathe’s response to the film: SF TV (in German), SonntagsBlick (in German), et Le Temps (in French, registration required).

Wer würde eine solche Frage stellen? Ein sehr enger Personenkreis. Hauptsächlich Leute, die für die PR von Nestle arbeiten. Warum verlinkt Nestlé ein „Op-Ed“? Weil es kein Opinion editorial ist, sondern ein Statement. Wie bitte? Es ist eine Stellungnahme, die diese FAQ unnötig machen würde, weil dort alle Antworten vorweg genommen werden. Warum also nochmal Medien zitieren, die das Statement mehr oder weniger zitieren? Weil Medien wie SF TV oder Le Temps mehr Objektivität unterstellt wird als Nestlé. Sind sie denn objektiver? Zumindest nicht in den verlinkten Artikeln, sonst hätten wir sie kaum verlinkt.

Frage 2:

Is it true that you refused to participate in the film Bottled Life? We did not engage in dialogue with the film’s producers as we were under the strong impression that it would be one-sided and not represent Nestlé and our employees in a fair manner.  The completed film unfortunately confirms this initial impression.

Was ist das Paradoxon an dieser Frage? Es ist eine argumentative Schleife. Wir haben an der Dokumentation nicht teilgenommen, also ist sie einseitig. Weil sie einseitig ist, haben wir nicht an ihr teilgenommen. Also ein Möbiusschess Band? Ja, so ungefähr. Bullshit? Nicht unbedingt. Wenn mir jemand eine Kamera ins Gesicht hält und mir klar ist, dass er mich verächtlich machen will, werde ich nicht viel tun um zu kooperieren.

Frage 3:

Is it true that this is the wrong film at the wrong time?  No.  Nestlé is always open to participate in discussions and projects that are objective and allow us to convey our position and our activities in a clear manner.  Nestlé was not convinced that this would be the case with the film, Bottled Life. We have nothing to hide.  Nestlé is a responsible company that is committed to compliance with all laws and regulations related to our business, including water use, consumer communication and codes of business conduct.

Was wäre der richtige Film zu dieser Zeit? Erlauben Sie mir eine Antwort in Frageform: Möchten Sie diese FAQ verfilmen? Wir haben ein Budget dafür!

Frage 6:

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Was sind 0.003% der globalen Frischwasserentnahme konkret? 28432 Fußballfelder, ein Dreizehntel des Bodensees und eine Orange auf dem Mond, 13 Milliarden Badewannen und ein Swimmingpool für jeden Vegetarier im Saarland. Häh? Genau!

Frage 7:

Is it true that bottled water companies pay little for the water they use and make a huge profit selling it?  No. Bottled water is a packaged beverage that incurs costs linked to raw materials, production, quality assurance, bottling, taxes, storage and distribution. In our case, we also invest in various water resource protection measures.  While the detailed price structure of our products is confidential, it is possible to provide a loose overview of the costs incurred by packaged beverages: one-third can be attributed to water and raw materials, one-third to production and one-third to distribution.

Ihre Kostenaufstellung sagt überhaupt nichts über den Gewinn aus, wenn sie nicht verraten, wie viel der Verkaufspreis über den Kosten liegt? Genau! Also wie viel Gewinn machen Sie? Das sagen wir doch ganz klar: Das sagen wir nicht!

Frage 12:

Is it true that Nestlé tried to force its way into Fryeburg by exhausting the town with law suits? No. The Fryeburg Planning Board approved Nestlé Waters North America/Poland Spring’s application for approval of its load-out facility but a small group of opponents filed an appeal. The Maine Law Court eventually upheld the Planning Board’s original decision to approve the water station.

Stimmt es also? Wen juckt’s? Wir haben gewonnen.

Frage 16:
It is true that bottled water is just an example of successful marketing?  No. The origins of bottled water can be traced back to the earliest civilisations and the spa movement in Europe and the Americas, long before marketing was even invented. Indeed at Nestlé Waters, some of our brands have been bottled for over 100 years: Perrier has been bottled since 1863, Poland Spring since 1845 and Sao Lourenco since 1890.  Bottled water still has its place in today’s society in which lifestyles are increasingly on-the-go: consumers choose to buy bottled water products because they appreciate the fact that they are convenient and portable, have a constant taste, don’t contain calories, and come with the Nestlé quality guarantee.  To empower consumers to exercise their right to informed choice and promote healthier diets, Nestlé Waters is committed to responsible, reliable consumer communication on our products.  We operate in a highly competitive industry, where marketing of our products is necessary to differentiate our brands from those of our competitors.   Consumer communication and marketing are also the opportunity to raise consumer awareness about the advantages of drinking water as part of a healthy lifestyle, the specific natural origins of many of them, as well as the importance of recycling.

Wann wurde Marketing erfunden? Am 18. April 1985. Vor diesem Datum haben Leute immer nur die Wahrheit gesagt. Nicht nur das, was sie ehrlich glaubten, sondern die objektive Wahrheit! Besonders, wenn sie etwas verkaufen wollten. Gab es 1863 schon Leitungswasser heutiger Qualität? Psst!

Frage 17:
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Sie profitieren von schwachen Gesetzen? Ja. Wiederholen sie da nicht, was sie oben schon gesagt haben? Wir haben uns schon so oft wiederholt, was in dem vermeintlichen Op-Ed-PDF steht, warum fragen Sie noch? Ähm…keine Fragen mehr.

Nur noch eine Frage: Is it true, I mean really true? Wir mögen den Film wirklich nicht. Das stimmt. Hoch und heilig.