Radiergummi für Ermittlungsfehler

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Radiergummi für Ermittlungsfehler. Jahrelang Hinweise ignoriert? Kein Problem: Schauen wir doch in die Verbindungsdaten, wenn die Justiz dann doch Mal eingeschaltet wurde. Sechs Monate — oder noch besser: zwei Jahre — sollten alles abdecken, was wir verpasst haben.

Nicht vertrauenswürdige V-Männer engagiert? Kein Problem: Mit den Verbindungsdaten schauen wir ihnen nachträglich auf die Finger. Und sehen dann ganz klar, wie sie uns an der Nase herumgeführt hatten. Aber in die Prozessakten müssen wir das nicht geben, oder? Radieren wir den V-Mann aus der Gleichung und alles ist wieder wie vorher. Gebrochene Beine heilen, gebrochene Biografien werden repariert. Die Toten stehen zwar nicht wieder auf, sie werden aber entschädigt.

Verbindungsdaten sind so unfehlbar wie DNA-Tests. Es besteht nie ein Zweifel, wie welche DNA-Spuren zugeordnet werden oder unter welchen Umständen sie hinterlassen wurden. Es gibt keine unregistrierten Handies. Kriminelle verhalten sich wie unbescholtene Bürger und verdecken ihre Spuren nicht. Und wer acht Mal in der Nähe eines Täters ist, wird wohl auch etwas Täter sein. So ein bisschen. Dann schauen wir genau hin. Und machen DNA-Tests. Und sammeln die Verbindungsdaten der Leute ein, die acht Mal in seiner Nähe waren.

Schwerer Datenfriedensbruch

Es ist eigentlich kein Argument, es ist ein Klischee:

Wenn die Infrastruktur, die Technik, erst Mal installiert ist, wird sie auch missbraucht werden. Überwachungsstaat. 1984. Jaddajaddajadda…

Das Problem: Es stimmt. Immer und immer wieder. So hat die taz Mal einen sehr lesenswerten Artikel zu den Ermittlungsmethoden bei einer Anti-Nazi-Demo in Dresden veröffentlicht.

Die Dresdner Polizei hat bei den Antinaziprotesten im Februar dieses Jahres die Handyverbindungen von tausenden Demonstranten, Anwohnern, Journalisten, Anwälten und Politikern ausgespäht. Wie die Staatsanwaltschaft Dresden der taz bestätigte, wurde am 19. Februar weiträumig eine sogenannte Funkzellenauswertung (FZA) durchgeführt.

Dabei erfasste die Polizei über einen Zeitraum von mindestens viereinhalb Stunden sämtliche Anrufe und SMS-Nachrichten, die bei allen Personen ein- oder ausgingen, die sich in der Südvorstadt aufhielten. Gespeichert wurden auch die exakten Positionen der Telefonnutzer. 12.000 Menschen wohnen in dem überwachten Gebiet, hinzu kamen an diesem Tag tausende Demonstranten, etliche Journalisten, Anwälte und Politiker.

Es geht um den Vorwurf des „Landfriendensbruchs“, der so ziemlich alles abdecken kann von der Rangelei mit Polizisten bis zu missverständlichen Sprechchören, Sitzblockaden und dem Werfen von Steinen und Flaschen. Da Nazi- und Anti-Nazi-Demonstranten aufeinander trafen, haben die Ermittler gleich prophylaktisch alle Daten abgegriffen und die Netzbetreiber haben ganz nach Gesetz mitspielen müssen und dicht gehalten.

Dass diese Zweckentfremdung juristisch nicht haltbar sein wird, hat auch die Staatsanwaltschaft inzwischen erkannt. „Die Polizei hat die Daten etwa im Fall von Herr Leye in die Akten übernommen. Wir halten das für nicht notwendig und nicht verwertbar“, sagt Haase.

Auf Deutsch: Niemand hätte davon erfahren müssen.

Und wie man es kennt: wenn die „FZA“ für rechtswidrig erklärt wird, wird niemand Verantwortung übernehmen müssen. Ein paar Seiten werden aus Ermittlungsakten entfernt, vielleicht gibt es ein paar Freisprüche dritter Klasse, nachdem die Beschuldigten durch die Gerichtsmühle gedreht wurden. Und beim nächsten Mal verzichtet die Polizei nicht etwa auf die Komplettüberwachung – sie wird halt nicht in die verräterischen Akten aufgenommen.

Es geht mir hier nicht um politische Sympathien, auch bei der originären Nazi-Demonstration haben solche Ermittlungsmethoden in meinen Augen nichts verloren. Quasi eine ganze Stadt abhören, um Verbrechen aufzuklären, die unter freiem Himmel und unter den Augen (und Videokameras) der Polizei verübt werden? Wie konnte die Polizei nur vor 20 Jahren Verbrechen aufklären?