Mehr Pseudonym wagen

Es ist allgemeiner Sprachgebrauch: Wenn mit Daten nicht unmittelbar der bürgerliche Name des Urhebers, Besitzes oder Objektes verknüpft ist, dann wird das Wort „anonym“ verwendet. Doch in einer Mehrzahl der Fälle ist dies ungenau, irreführend oder einfach falsch. Wir sollten uns endlich an das Wort „pseudonym“ gewöhnen.

Wo ist der Unterschied? Nun, es ist ein ganz gewaltiger: Anonyme Daten können nicht mehr mit einzelnen Personen verknüpft werden, pseudonyme Daten hingegen schon.

Cookies kennen Deinen Namen

Ich schreibe viel über Online-Werbung und quasi alle Daten dort sind nicht anonym, sondern pseudonym. Wenn auf Eurem Bildschirm zum nächsten Mal ein Cookie-Banner aufpoppt, klickt Euch einfach durch die Einstellungen. Ihr müsst nicht alles lesen oder verstehen, lasst einfach mal den Blick schweifen. Dort stehen so Phrasen wie „Ein personalisiertes Inhaltes-Profil erstellen“, „Personalisierte Inhalte auswählen“ oder sogar „Geräteeigenschaften zur Identifikation abfragen“.

Sprich: Die Werbeindustrie verfolgt Eure Schritte von Website zu Website, von Gerät zu Gerät, verknüpft Euer Smartphone mit Eurem Fernseher. So entsteht ein sehr vollständiges – wenn auch ein kommerziell verzerrtes – Profil. In den jeweiligen Datensätzen ist vielleicht nicht Euer Name enthalten. Vielleicht aber doch. Es reicht, dass Ihr Euch irgendwo eingeloggt habt, irgendwo etwas gekauft habt, landen auch Euer Name und Eure Adresse in einer Datenbank. Diese mögen zwar nicht immer mit Euren Cookies verknüpft sein, aber es reicht schon, wenn die verschiedenen Datenbestände nur ganz selten abgeglichen werden. Deshalb: Heute ist die meiste Werbung nicht anonym, sondern pseudonym. Erst recht, wenn Werbefirmen solche Slogans wie „privacy first“ verwenden.

Währungen mit Nummernschild

Auch Bitcoin-Halter erleben derzeit unschöne Überraschungen, wenn sie ihre Digitalware verkaufen wollen. Theoretisch kann Bitcoin verdammt anonym sein: Jeder kann beliebig viele Konten anlegen, die quasi nur durch eine Kontonummer gekennzeichnet sind. Es gibt da aber einen ganz großen Haken: Die Bitcoins selbst haben auch eine Identität. Da alle Zahlungen unlöschbar auf einer öffentlichen Blockchain stehen, ist diese Anonymität schnell verflogen. Was nützt es 2000 namenlose Konten zu haben, wenn Du Dir einen Tesla kaufen willst? Du musst das Geld wieder zusammenführen, Tesla will eine Lieferadresse, etc, pp.

Schlimmer noch: Ein deprimierend großer Teil von Kryptowährungen war mal Teil eines kriminellen Geschäfts. Wer also nach dem nächsten Kurssprung schnell Kasse machen will, könnte sich einem Dilemma gegenübersehen. Ein mit neuen Finanzregulierungen konfrontierter Bitcoin-Dienstleister sagt: Sorry, dafür können wir Ihnen keine Dollar, Yen oder Rubel geben, dieses Bitcoin ist Hehlerware. Wer so unvorsichtig war, einen „Mixer“ benutzt zu haben, könnte mit einer Wallet enden, in der haufenweise kriminelle Bitcoin-Splitter gelandet sind: Ransomware, Betrug, Staaten auf internationalen Sanktionslisten, etc pp. Das ist der Grund, warum Kriminelle früher kofferweise Bargeld transportiert haben: Woher die Geldscheine kommen, ist meist nicht mehr zu ermitteln. Was nutzt eine scheinbar anonyme Kontonummer, wenn alles Geld eindeutig identifizierbar sind? Also, merken: Die meisten Kryptowährungen sind nicht anonym, sondern pseudonym.

Damit will ich nicht sagen, dass es gar keine anonymen Daten gibt. Es gibt sie und es gibt valide technische Umsetzungen, die Anonymität von Individuen zu schützen. Bevor man das Wort verwendet, sollte man aber zumindest nachfragen, ob es sich denn tatsächlich um Anonymität handelt oder ob das Gegenüber schlicht den Unterschied nicht kennt.

Brave: Push-Nachrichten für Cents

Ex-Mozilla-Manager und JavaScript-Erfinder Brandon Eich will mit seinem chromium-basierten Browser Brave das Web umkrempeln. Brave hat nicht nur einen Werbeblocker integriert, sondern soll auch über eine Crypto-Währung einen neuen privatsphäre-schonenden Werbemarkt aufbauen. Im Prinzip ähnelt Brave hier dem Geschäftsmodell von Adblock Plus: Der Werbeblocker verdient sein Geld mit Werbung. Dabei sollte Brave jedoch etwas weiter gehen. So beschrieb CNet.com vor drei Jahren den Plan:

Brave blocks ads from websites and eventually will insert new ads targeted toward user interests by software running in the browser itself. Those ads won’t affect page performance or come with privacy concerns. Brave will share ad revenue with publishers — and with the people using its browser.

Vor ein paar Wochen begann nun Brave in der Desktop-Version Werbung auszuliefern, nun zog die Mobil-Version nach. Die ursprünglichen Pläne musste Eich deutlich reduzieren. So hat er offenbar zu wenig Unterstützung von Publishern gefunden, die ihre existierende Werbung durch Brave-Werbung ersetzen lassen wollen. Einfach ohne Zustimmung die Werbung auszutauschen dürfte teure Klagen nach sich ziehen.

Also geht Brave den anderen Weg: Auf dem Desktop liefert der Browser Werbung in Form schmuckloser Popup-Nachrichten am unteren Bildschirm, auf Android-Smartphones erscheint die Werbung in Form von Push-Notifications. Da diese Werbung nicht auf den Websites selbst erscheint, muss Brave den Publishern auch nichts von den Einnahmen abgeben.

Problem daran: Brave würde die Publisher sehr gerne einbeziehen. Das anvisierte Geschäftsmodell basiert darauf, einen Werbemarkt auf der Kunstwährung BAT aufzubauen. Werbetreibende kaufen Werbeflächen mit BAT, Publisher und Nutzer bekommen BAT ausgezahlt. Brave könnte dann über Währungsgeschäfte ihr Geld verdienen.

In dem Browser ist auch ein Flattr-haftes Vergütungssystem eingebaut. Fernziel: In Zukunft könnten sogar Abogebühren in BAT abgerechnet werden. Ein Milliardengeschäft, bei dem Brave nur die Hand aufhalten müsste.

Momentan sieht es also so aus: Nutzer bekommen für jede aufpoppende Werbung ein paar Cents in der Kunstwährung auf ihre im Browser installierte Wallet geschrieben. Dieses Geld wird aber in der Voreinstellung direkt weiterverteilt an Publisher, die sich an dem BAT-Programm beteiligen. Ich habe aber nur zwei Medienseiten gefunden, bei denen das der Fall ist: The Guardian und die LA Times. Bei allen anderen Websites steht „not yet verified“ – sprich: Die Betreiber finden Brave nicht mal relevant, interessant oder sympathisch genug, um Geld von ihnen anzunehmen. Und das bedeutet: Viel zu wenig Geld kommt rein und viel zu wenig Geld geht raus.

Also versucht Brave den Markt anzukurbeln. Den Usern wird immer mal wieder ein Betrag in BAT auf die Wallet aufgebucht. 5 BAT hier, 10 BAT da. Doch das Geld kann ich mir als User nicht in Dollar oder Euro auszahlen lassen – die Funktion fehlt in Brave wohlweislich. Vermutlich kann ich irgendwie versuchen, die BAT aus meinem Browser herauszueisen — aber bei den geringen Beträgen ist der Aufwand wohl kaum gerechtfertigt. Die Beträge reichen aber aus, um einen Markt zu simuliert, in dem Brave-Nutzer eine nachhaltige Einkommensquelle darstellen, weil diese Geld einzahlen oder durch freiwillig angesehene Werbung relevante Beträge verdienen. Würden Brave sein Pseudo-Geld nicht verschenken, gäbe es wohl kaum Geschäftsaktivität. Die ersten Werbekunden sind folgerichtig auch meist irgendwelche Kleinfirmen, die im Markt der Pseudowährungen unterwegs sind.

Alles in allem: Ich sehe hier zwar eine Strategie, ein auf Spekulationsgewinnen aufbauende Geschäftsmodell für Brave zu etablieren. Was ich nicht sehe: Einen gangbaren Weg zu besserer und privatsphäre-schonender Werbung. Zum einen sind Pop-Ups einfach nervig, die Antithese zu besserer Werbung. Zum anderer wird mit der BAT-Wallet im Browser hat Brave den Nutzern ja eine Art Super-Tracker verpasst: Eine eindeutige ID, an die sich alle Nutzungsgewohnheiten, gesehene Werbung und schließlich auch vollzogene Käufe koppeln lassen könnten, wenn es denn so käme, wie Brave will. Nach drei Jahren sieht es aber nicht so aus, als sei dies noch eine realistische Erwartung.