Die Bauspar-Grundrechte

Etwas spät, aber immerhin: Die Süddeutsche thematisiert die freiheitliche Dimension von Alkoholverboten:

Das Menschenbild des mündigen – und obendrein biertrinkenden – Bürgers in einer freien Gesellschaft muss verteidigt werden.

Als etwa in Hamburg im September das Alkoholtrinken in Bussen und Bahnen untersagt wurde, war die Reaktion ein pubertäres Abschiedstrinken, bei dem sich Passagiere kollektiv berauschten. Auch in München wird nun die Debatte über den schäbigen Krawall beim „MVV-Abschiedstrinken“ vom Wochenende scheinbar lauter geführt als die Debatte über Sinn und Unsinn des Alkoholverbots im öffentlichen Nahverkehr. Es wäre dabei vor allem über den Unsinn zu sprechen.

Ich sehe daneben auch eine materielle Dimension: Individuelle Freiheiten werden in die eigenen vier Wände abgedrängt. Geh vor die Tür und du wirst gefilmt. Nimm Gäste aus dem Ausland auf, und Du landest in einer Datei. Und Du kannst hoffen, dass nur die Ausländerbehörde darauf zugreift.

Man kann sich aber freikaufen von solchen Unbillen: Wer in Gastwirtschaften trinkt, wer sich mit dem Taxi nach Hause kutschieren lässt, wer den betrunken angerichteten Schaden privat reguliert, der ist noch fein raus. Wer den Zuschlag am Schalter zahlt, muss seine Bewegungsdaten nicht in der Deutsche-Bahn-Datenbank hinterlegen.

Der ehrenwerte Bürger, das Primat der Politik, ist irgendwie geschützt. Und natürlich der, der den Kopf ganz weit unten hält.

Diesseits des Rechtsstaates

Fall 1:

Die Verkehrsbetriebe von San Francisco (BART) schalten den Handyempfang ab, um Aktivisten daran zu hindern, einen Protest zu koordinieren. Weil: Proteste am Bahnsteig sind gefährlich. Und die Bahnsteige sind für zahlende Gäste und Angestellte vorbehalten. Proteste können gerne in dafür vorgesehenen Arealen abgehalten werden.

Ein grober Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit oder wenigstens gegen die Richtlinien der Telekommunikations-Aufsichtsbehörde FCC? Wahrscheinlich nicht, denn nicht die Mobilfunkunternehmen haben den Empfang abgeschaltet, sondern BART hat einfach die Signalverstärker in den eigenen Tunneln und Bahnhöfen deaktiviert. Also keine staatliche Unterdrückung des legitimen Protests nach einem gewaltsamen Todesfall, sondern lediglich eine vernünftige Hausrechts-Umsetzung eines staatseigenen Betriebs.

Fall 2:

Nach der Randale in Großbritannien wollen die gebeutelten britischen Bürger und die attackierten Kommunen Genugtuung. Die Jugendlichen, die aufbegehrten, brandschatzten und Konsumgüter gierig nach Hause trugen, sollen zahlen. Dem Rat des Londoner Bezirks Wandsworth geht es gar nicht schnell genug. Die Bezirksoberen haben einer Frau den Räumungsbescheid für ihre Sozialwohnung zugestellt. Denn ihr 17jähriger Sohn war an der Randale beteiligt. Zumindest ist er dessen angeklagt.

Sippenhaft? Vorverurteilung? Aber nein! Denn um eine Sozialwohnung zu bekommen, musste die Frau unterschreiben, dass sie nichts unternehmen würde, was ihre Sozialwohnung gefährden würde. Und diese Unterschrift galt nicht nur für sie, sondern für den geamten Haushalt. Und außerdem: Falls die Räumung nicht rechtens sein sollte, kann die Frau ja den Rechtsweg beschreiten.

Liebe Bürgerrechtsaktivisten. Gehen Sie weiter. Hier gibt es nicht zu sehen. Wenn Sie doch etwas zum Klagen haben, findet sich bestimmt ein nettes Fleckchen. Irgendwo. Melden Sie sich bei dem Bürgerkontaktbüro.

Das Ende der Anonymität

Der junge Mann versperrte mir den Weg. „Schönen guten Abend. Ihren Ausweis bitte?“ Ich war bester Laune. Sechs Monate Rucksacktour durch Indien, Sibirien und das Hochsauerland lagen hinter mir, wo ich meine Internet-Sucht — überhaupt mein ganzes Interesse an aktuellen Ereignissen der so genannten modernen Zivilisation — verloren hatte. Da konnte mich ein Türsteher doch nicht aus dem Tritt bringen. Aber was machte ein Türsteher vor einer normalen Kneipe?

„Ach, seid ihr jetzt auch eine Raucherkneipe?“, fragte ich. „Es reicht ja, wenn ich mit Kurt Tucholsky unterschreibe, stimmt’s?“ „Ähm, nein“, sagte der junge Mann, der mir immer noch den Weg in die Kneipe versperrte. „Es muss schon ihr echter Ausweis sein. Die neuen Vorschriften, Sie wissen schon.“ Ich wusste nicht.

„Na, das Anti-Anonymitäts-Gesetz. Der Friedrich. Jeder muss sich ausweisen an öffentlichen Plätzen. Wegen der Sicherheit.“ „Ach ja? Nun, denn. Um des Friedens willen.“ Ich reichte ihm meinen Personalausweis. „Ach, das ist so ein alter ohne Chip. Warten Sie bitte eine Minute“, Dann verschwand der Türsteher in der Kneipe, wo sicher schon meine Freunde warteten. Nach fünf Minuten kam er wieder, mit einer Kopie meines Ausweises. „Bitte nicht lächeln“, sagt er und hielt mir eine Digitalkamera ins Gesicht. Klick. Noch geblendet vom unvermuteten Blitzlicht torkelte ich in den Raum, der deutlich leerer schien als früher.

Doch bevor ich meine Geschichten von Expeditionen nach Essentho und Hoheleye erzählen konnte, berichteten mir meine zwei wartenden Freunde von einem unbekannten Land: Deutschland. Und wie es schien, war es ein glückliches Land. „Ja, zuerst hat uns der Realnamenzwang an jeder Ecke genervt“, sagt Lena, während sie eine einen Zahnstocher in millimetergroße Stückchen zerteilte. „Sobald man einen E-Ausweis hat, ist es kaum mehr der Rede wert. Du kommst an die Kneipentür, ein kurzer Piepton und der Türsteher weiß Bescheid.“ „Dann leih ich mir halt das nächste Mal Deinen Ausweis aus“, schlug ich noch amüsiert vor. „Natürlich, wenn Du so aussehen würdest wie ich. Natürlich wird prüft eine Kamera das biometrische Bild Deines Ausweises. Und das per Funk. Es klappt erstaunlich gut!“

In den nächsten zwei Stunden erfuhr ich, wie es so weit kommen konnte. Die Krawalle in Sindelfingen. Wie die immer mehr Autos in Köln brannten. Mittelklasse, nicht nur Oberklasse. Die erstaunlich effektive Kampagne der Jungen Polizei Niedersachsen. Der missglückte Bombenanschlag in Amsterdam. „Und als Friedrich die neuen Internet-Gesetze durchbringen wollte, sagte die Leutheusser doch glatt, dass dies eine Ungleichbehandlung wäre“, erklärte Ludger. „Ihr berühmter Satz war: In deutschen Kneipen werden wohl täglich mehr Verschwörungen geschmiedet als in Moscheen und Internetforen“. Und dann hat Friedrich halt die Konsequenz gezogen. Als Sabine dann abdanken musste, ging es plötzlich ganz schnell.“

Richtig Schub bekam die Sache dann aber erst mit dem neuen Personalausweis-Applet. „Du glaubst gar nicht, wie sehr die sexistischen Kommentare in meinem Blog abgenommen haben, seitdem ich nur noch eID-zertifizierte Kommentare zulasse“. Als ich sie verständnislos anstarrte, sagte sie: „Na was? Du hast doch auch Facebook Connect benutzt.“ Schließlich sei es doch besser, die Daten in unserem Land zu behalten, statt sie über den Atlantik zu schicken.

Ludger war immer noch beeindruckt, wie schnell die internationale Zusammenarbeit klappte. Selbst Sony akzeptierte die qualifizierte Signatur im Playstation Network. Wegen der Sicherheit. Und auch PayPal war schnell mit im Boot, als die Kartellbehörde wegen der US-Embargos nachfragte. Hinzu kam eine Anreiz-Politik. Wer dem Programm „Sichere Identität Deutschland“ beitrat, musste nur bei jedem zweiten Flug durch den Nacktscanner gehen. Und sogar die Piratenpartei installierte eine neue Instanz ihrer LiquidDemocracy-Software mit realen Identitäten für echte Piraten.

„Es ist eigentlich auch gut für die Selbstdisziplin“, sagte Lena während sie den dritten Teller Pommes Frites mit Käse verspeiste. „Ich zum Beispiel habe endlich aufgehört zu rauchen, seit ich Tabak-Packs nur mit Ausweis kaufen kann“. Zwar könnte die Krankenkasse noch bis mindestens 2015 nicht auf die Konsumdaten zugreifen. „Aber wer auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums nachgeschlagen, wie viel Alkohol, Fett und Tabak er pro Monat konsumiert hat, bekommt eine völlig neue Perspektive, glaub mir“.

Es war ein langer Abend, den wir bei Malzbier, Ovomaltine und zu vielen Pommes verbrachten. Um 23 Uhr verabschiedeten wir uns. Denn um 8 Uhr am nächsten Tag wollten wir gemeinsam unser Altglas wegbringen. Und dann wollten wir gemeinsam zur Blutspende.

Keine Frage: Das Deutschland, in das ich zurückgekehrt bin, ist ein besseres.

Watching Television for the Internet Age

Drüben bei Slashdot machen sie sich Gedanken über Judicial Nominations In the Internet Age.

Ein interessanter Debattenbeitrag zum Thema stammt aus dem Jahr 1999, als Josiah Bartlet einen neuen Richter für das Supreme Court suchte, in der Serie The West Wing, Episode 9, Season 1.

SAM: It’s not about abortion. It’s about the next 20 years. Twenties and thirties, it was the role of government. Fifties and sixties, it was civil rights. The next two decades, it’s gonna be privacy. I’m talking about the Internet. I’m talking about cellphones. I’m talking about health records, and who’s gay and who’s not. And moreover, in a country born on a will to be free, what could be more fundamental than this?

Koschere Handies sind offline

Man denkt ja zuweilen, das Internet deckt alle kulturellen Unterschiede zu, bis wir alle unter dem Banner der LOLCats vereint sind.

Dass es in anderen Ländern tatsächlich noch andere Sitten gibt, zeigt dieser Artikel der israelischen Tageszeitung Haaretz über den Kampf ultraorthodoxer Rabbiner gegen das Internet

The Israeli rabbis first came out against Internet use in January 2000, when more than 30 Haredi leaders forbade Internet connections at home. Back then, the main concern was the easy availability of online pornography. The ban was not particularly controversial, as Israeli Haredim had long accepted a similar ban on owning television sets.

Many Haredim, however, circumvented the ban by using 3G phones, which allowed Internet access – until the rabbis forced them to buy „kosher-certified“ sets in which the Internet feature was disabled.

Damit hatten sie aber keinen Erfolg, was zum Beispiel am rasanten Aufstieg von Online-Angeboten speziell für ultraorthodoxe Juden (Haredi) zu sehen ist, auf denen doch tatsächlich über die Sinnhaftigkeit solcher Vorschriften diskutiert wird. Also ziehen die religiösen Führer die Daumenschrauben an:

The December order from senior rabbis – including top Haredi authorities like Yosef Sholom Elyashiv and Aharon Leib Shteinman – instructed their followers not to visit Haredi Web sites, which they said were full of „lies,“ „gossip“ and „abominations.“ Crucially, they also instructed Haredi schools not to admit any child whose parents are involved in such Web sites.

(Danke, Mathias)

Bürgerrechte: Erst Mal die Grundlagen klären

Die Hoffnungen der Gegner von Websperren und Voratsdatenspeicherung ruhen derzeit auf der FDP. Dass die sich komplett durchsetzen kann, ist kaum zu vermuten – zumal die Liberalen in den letzten Jahren auch eher andere Schwerpunkte gesetzt und in den unterschiedlichen Landesregierungen ein sehr zwiespältiges Bild abgeliefert haben.

Deshalb wäre es vielleicht gut, wenn man eine Ersatzforderung einbringt. Wenn die falschen Entwicklungen der letzten Jahren nicht sofort beseitigt werden können, sollte die Politik sich nach den Wahlen endlich Mal den Grundlagen widmen und fundierte wissenschaftliche Untersuchungen initiieren. Denn viele Fragen werden bisher nur ideologisch oder von anderen Interessen geleitet beantwortet.

Als da wären:

  • Welchen Einfluss haben Maßnahmen wie Vorratsdatenspeicherung auf das reale Kommunikationsverhalten?
  • Wie hoch ist das Missbrauchspotenzial von solchen Maßnahmen
  • Wie funktioniert der reale Kinderporno-Markt wirklich?
  • Hat irgendein Land über Websperren tatsächlich den Konsum von Kinderpornografie messbar reduzieren können?
  • Welche Faktoren kommen bei jugendlichen Extrem-Gewalttätern zusammen? Kann man diese über allgemeine und schwer durchsetzbare Verbote überhaupt adressieren?

Die Liste kann man lange fortsetzen…

Stimme aus 1996

John Perry Barlow: A Declaration of the Independence of Cyberspace:

You claim there are problems among us that you need to solve. You use this claim as an excuse to invade our precincts. Many of these problems don’t exist. Where there are real conflicts, where there are wrongs, we will identify them and address them by our means. We are forming our own Social Contract . This governance will arise according to the conditions of our world, not yours. Our world is different.

PS: Hier findet sich noch ein sehr persönliches Gespräch mit Barlow über eine NeXT-Convention und eine Liebesgeschichte, die tragisch endete.

Wieder auf die Straße trauen

Das Bundesverfassungsgericht hat das bayerische (Anti-)Versammlungsgesetz in Teilen gekippt. Die Richter führen an, dass Gesetze eben nicht nur Wirkung auf Leute haben, die gezielt dagegen verstoßen:

Das Bundesverfassungsgericht kritisierte besonders die Bußgeldvorschriften: Damit verbinde sich das „Risiko einer persönlichen Sanktion, die bei den Bürgern zu Einschüchterungseffekten führen und die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit beeinträchtigen kann“, heißt es.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sieht sich trotzdem im Recht:

Der Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gegen das Bayerische Versammlungsgesetz ist weitgehend erfolglos geblieben. Das Gesetz wurde in seinem Kern von Karlsruhe nicht beanstandet. Wichtig ist in meinen Augen auch, dass die gegen rechtsradikale Umtriebe gerichteten Regelungen des Versammlungsgesetzes unangetastet bleiben.

Hat sich das Bundesverfassungsgericht also hinter diese Regelungen gestellt? Dem ist keineswegs so, wie man auf der Webseite des Gerichts nachlesen kann:

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung liegt eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Landesverbände von Gewerkschaften und Parteien sowie anderer nichtstaatlicher Organisationen gegen annähernd das gesamte BayVersG zugrunde. Die Beschwerdeführer rügen einen versammlungsfeindlichen Charakter des Gesetzes als Ganzes sowie seiner Regelungen im Einzelnen. Die Vorschriften führten zu bürokratischer Gängelei und Kontrolle der Bürger, die von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abschreckten. Ausdrücklich ausgenommen von den Angriffen sind allerdings die Vorschriften, die spezifischen Gefahren rechtsextremistischer Versammlungen begegnen sollen (Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2 BayVersG).

Das Gericht hat sich also – noch – gar nicht um die Teile des Gesetzes gekümmert, die – noch – unangetastet blieben. Aber es kommt noch härter:

Dagegen scheidet eine vorläufige Außerkraftsetzung der den Bußgeldvorschriften zugrunde liegenden versammlungsrechtlichen Ge- und Verbote aus. Eine solche hätte zur Folge, dass es dem Bayerischen Versammlungsrecht bis zur Entscheidung über die Hauptsache an zentralen Vorschriften, wie etwa schon generell an einer Anzeigepflicht, fehlte. Damit wäre eine sichere Wahrnehmung des Versammlungsrechts zumindest erheblich gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht müsste wenigstens einige der angegriffenen Vorschriften durch eine gerichtliche Anordnung ersetzen.

Was heißt das konkret? Heribert Prantl formuliert es etwas knackiger:

Aus der Begründung der Eilentscheidung folgt, dass in der Hauptsache-Entscheidung vom Gesetz kaum mehr etwas übrig bleiben wird. Das höchste Gericht hat in seiner Eilentscheidung nur deshalb nicht das ganze Gesetz aufgehoben, weil sonst in Bayen ab sofort überhaupt keine Regeln für Versammlungen vorhanden wären.

Wenn man das weiß, kann man die Dummdreistigkeit dieser Stellungnahme erst richtig einschätzen:

Der Innenminister: „Bei dieser Sachlage kann von einer “kräftigen Watschn“ für den bayerischen Gesetzgeber, wie die SPD behauptet, keine Rede sein. Das belegt schon die Kostenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Antragstellern zwei Drittel der Verfahrenskosten auferlegt hat. Insofern steht es zwei zu eins für die Staatsregierung.

Wenn ein Gesetz nur teilweise verfassungswidrig ist, ist das für Herrmann offenbar ein echter Gewinn. Aber ob dem so ist, wissen wir noch nicht.