Dem Volk aufs Maul geschaut

Boulevardzeitungen rühmen sich ja gerne, dass sie die Stimme des Volkes sprechen. Nur lauter. Und wie beim Volk im Biergarten kommt die laute Stimme auch oft mit einer Alkoholfahne.

Im Kölner Kommunalwahlkampf wurde unter anderem von den Piraten eine ÖPNV-Flatrate für alle vorgeschlagen. Der Express machte daraus vergangene Woche diese Schlagzeile über den „irren Nahverkehrsplan“.

Express irre

Offenbar kam der Vorschlag so gut an, dass sich der Biergarten die Redaktion flugs umentschied. Wenige Tage später war es kein irrer Plan mehr, sondern ein EXPRESS-Vorschlag.

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Was ein Pech, dass man den Express am Sonntag nicht wählen konnte. Obwohl: Am Samstag verschenkte der Verlag die Zeitung bei mir im Supermarkt. Ich sah nicht viele, die zugriffen.

Piling on

Es ist ein menschliches Drama. Ein wertvoller Mensch wurde aus unserer Mitte gerissen, vermutlich weil sich die Weltpresse in hämischer Weise auf ein Malheur von ihr stürzte.

Ach übrigens: WIR HABEN PRIVATFOTOS VON IHR. UND WIR NENNEN SIE EINEN ENGEL. WAS UNS NICHT DAVON ABHÄLT, MORGEN NACH DER SCHMUTZWÄSCHE IN IHREM LEBEN ZU SUCHEN. KAUFT, KAUFT, KAUFT.

Und die Moderatoren — sie sind eigentlich ganz wie wir. Menschen, die einen Fehler gemacht haben.

Ach übrigens: WÄRE ES NICHT EIN TOLLES WEIHNACHTSFEST, WENN DIE SICH AUCH UMBRINGEN? VERSUCHEN WIR ES MAL!

Abendgebet norwegischer Kinder

Lieber Gott,

wenn mich ein verrückter Extremist erschießt, lass es bitte nicht umsonst gewesen sein. Ich will, dass mir wenigstens auf der Titelseite eines Schmutzblatts 1000 Kilometer von meiner Heimat, meinem Grab entfernt gedacht wird. Schließlich können die tapferen Journalisten nicht unbegrenzt den blonden Teufel, den Teufels-Killer auf die Seite 1 drucken. Und bitte belästige meine Eltern nicht. Ich hab ja die passenden Fotos auf Facebook hochgeladen.

Amen.

Presseinformation des Presserats vom 22. Mai 2009:

Den hier festgehaltenen besonderen Begleitumständen der Tat von Winnenden hat der Presserat in einigen Fällen jedoch Rechnung getragen. So zeigten mehrere Zeitungen und Zeitschriften Bildergalerien der Opfer, vorwiegend als Porträtbilder. Der dezente Umgang in diesen Bildergalerien ohne sensationelle Aufmachung und unangemessene Formulierungen, sondern lediglich mit dem Hinweis, dass es sich im Folgenden um die Opfer des Amoklaufs handelt, hält der Presserat für mit dem Pressekodex vereinbar.

Andererseits hat der Presserat Fälle sanktioniert, bei denen Fotos und Namen der Opfer lediglich zur Illustration einer Geschichte benutzt wurden. Hier haben Redaktionen Opferfotos als sensationelles Element zweckentfremdet, um auf die Story aufmerksam zu machen. Der jeweilige Kontext der Verwendung war für den Ausschuss hier ausschlaggebend. Als Symbolfoto können Opferfotos nicht benutzt werden.
[…]
Generell stellt der Presserat fest, dass das Mediennutzungsverhalten der Gesellschaft sich durch das Internet sehr gewandelt hat. Visualisierung ist wichtiger geworden, der Umgang der Menschen mit eigenen Daten wie Fotos etc. hat sich stark verändert. Dies hat auch Folgen für die Art der Berichterstattung und die Spruchpraxis des Presserats.