Stammtisch-Hochrechnung

Die Wahl-Twitter-Geschichte wäre eigentlich längst gegessen: die Behörden klopfen bei einem vermeintlich indiskreten CDU-Lokalpolitiker an, ansonsten geht alles seinen normalen Gang. Ein Schaden ist realistischerweise nicht entstanden, wie jeder bestätigt, der sich nach dem Stress des Wahlsonntags ein bisschen mit den Fakten beschäftigt hat.

Aber halt – es ist immer noch Wahlkampf. Mit Fakten beschäftigen wir uns nicht, wir wollen Taten sehen. Oder zumindest starke Worte hören. Und so fällt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ein, dass er ja was fordern kann: ein Umfrage-Verbot am Wahlsonntag. Die Begründung hat er direkt vom Stammtisch:

Die meisten Menschen werden gut damit leben können, wenn es wie früher die erste Hochrechnung erst gegen 18.30 Uhr gibt

Sehen wir mal davon ab, dass das eine absolut unbegründete Einschränkung von Presse- und Gewerbefreiheit wäre. Jeder halbwegs politisch Interessierte weiß, dass Exit-Polls einige Daten mehr erbringen als nur die reine Vorhersage der Wahlergebnisse um 18 Uhr. Die Umfragen erfassen auch demografische Daten, Wählerwanderungen, Motivationen – also genau die Daten, die Herrmanns Partei vor Kurzem ziemlich genau studiert hat, um zu erfahren, warum sie die absolute Mehrheit verloren hat. Diese Umfragen können auch wichtige Indizien auf Wahlfälschungen liefern.

Wenn die dpa Herrmann richtig zitiert, stehe ich vor der Frage, wie man ohne solche grundlegenden Kenntnisse ein Ministeramt begleiten kann. Oder ob Herr Herrmann schlichtweg damit rechnet, dass seine starken Worte sich im sonstigen Wahlkampfgetöse rasch verlieren und die dummen Wähler ihm schon nicht drauf kommen. Beide Alternativen sind nicht ermutigend.

PS: Frau Zypries verbreitet die selbe Polemik in grün.

Ja, die dritte Alternative haben wir jetzt noch nicht angesprochen und das ist die Alternative, dass man gar nicht mehr solche Nachbefragungen macht bei der Wahl und dementsprechend auch keine Vorab-Bekanntmachung mehr macht. Das würde bedeuten, dass wir das Wahlergebnis nicht schon bereits abends um viertel nach sechs haben, sondern dann vielleicht erst um 20 Uhr. Wäre, glaube ich, auch kein großer Schaden für die Demokratie.

Sie lässt sich aber eine Hintertür offen:

Es ist selten, dass ich mit Herrn Bosbach einer Meinung bin, aber ich würde auch nie sagen, dass man sie jetzt gleich nun verbieten sollte, sondern mein Petitum ist ja eher, erstens, lassen Sie uns gucken, ob sowas noch mal vorkommt oder ob das ein einmaliger Ausrutscher war, und zweitens, wenn, dann sollte man sich sorgfältig überlegen, was man macht und da gibt es eben verschiedene Alternativen.

PPS: Nachdem viel zu viele Kollegen den Blödsinn unkritisch und ohne Nachfrage weiter verbreitet haben, hat Jörg Schönenborn den Kollegen von tagesschau.de doch mal einen Tipp gegeben:

Schönenborn betonte, dass die Wähler-Nachbefragung nicht nur für die Erstellung von Prognosen wichtig sei, sondern auch Grundlage sämtlicher wissenschaftlicher Analysen über das Wählerverhalten. „Wenn man darauf verzichten würde, verzichtet man auch auf verlässliche Informationen darüber, wie bestimmte Wählergruppen gewählt haben oder welche Motive sie angeben“, sagte Schönenborn. Das könne sehr wohl zum Schaden der Demokratie sein.

Eigentlich hielt ich das ja für Allgemeinwissen, das man sich gemeinhin durch eine zumindest flüchtige Wahrnehmung der Wahlberichterstattung jenseits von Dienstwagen und Skiunfällen erwirbt.

Der Strauß

Auch an solchen Tagen findet man etwas zum Lachen. Ich habe mich heute über eine Partei-Posse amüsiert. Eine CSU-Ministerin hat doch tatsächlich gesagt dass Franz-Josef Strauß nicht unbedingt immer unmittelbar ohne Fehl und Tadel gewesen sein könnte. Ein Sakrileg: Die eigene Partei schäumt, andere Parteien jubeln, die Sünderin muss Abbitte leisten. Richtig kurios wird es jedoch am Ende:

„Das sehe ich gelassen“, sagte Sohn Franz Georg Strauß. Für ihn sei es „überhaupt keine Frage“, dass sein Vater ein Vorbild sei. Mit Blick auf Haderthauer fügte er hinzu: „Sie kann ja versuchen, es besser zu machen als Strauß. Ich wünsche ihr viel Glück und Erfolg dabei.“

Wer nennt bitte seinen Vater beim Nachnamen? Was sagt das über die Familienverhältnisse? Oder ist „Strauß“ eine Marke? Ein Ehrentitel? Ein religiöses Amt?

Mannichl 2.0?

Wieder ein feiges Attentat in Bayern: Michael Arrogantington wurde auf offener Straße bespuckt:

Yesterday as I was leaving the DLD Conference in Munich, Germany someone walked up to me and quite deliberately spat in my face. Before I even understood what was happening, he veered off into the crowd, just another dark head in a dark suit. People around me stared, then looked away and continued their conversation.

Die Täterbeschreibung grenzt den Kreis der Verdächtigen natürlich ein. Wo war eigentlich Rene Obermann zum Tatzeitpunkt? Aber ich sehe es schon ein: wir werden die Wahrheit(TM) nie erfahren.

Die letzte Instanz: Der BILD-Fotograf

Grade eben habe ich im Pressespiegel von Bayern2 erfahren, dass sich die Münchner Abendzeitung und die BILD auf ihren Titelseiten über den Stinkefinger der verurteilten U-Bahn-Schläger aufregen. „So sieht ihre Reue aus!“ titelt die AZ.

Hmmm – wem mag der rüde Gruß der verurteilten Gewalttäter aus dem Fenster eines Gefangenen-Transports gegolten haben? Der Justiz? Dem Opfer? Bild.de weiß es: die Täter meinten die Fotografen, die sich – da habe ich fast keinen Zweifel – höchst korrekt verhielten und keinesfalls versuchten, die Täter zu provozieren, oder gar deren Familien abzulichten.

Was ich mich frage: seit wann sind Fotografen Teil der Justiz?

Bayern, wie ich es nicht kannte

In den Kommentaren von Stefan Niggemeiers Blog findet sich von diese Schilderung von Marcel, der sich mehrmals als „Halbtürke“ charakterisiert.

Ich bin mir sicher, dass niemand von euch auch je ein gescheites Gespräch mit einem „Nazi” hatte. Ich lebe in einer bayerischen Kleinstadt, in der Türken und Nazis Tür an Tür wohnen, in der man miteinander redet und in der man sich sogar erklärt, warum man eine Gedankenrichtung ausgewählt hat. Nazi ist nicht gleich Nazi.

Wenn ihr mit einem Nazi in der Kneipe sitzt, ihr ihn fragt: „Scheiße, Mann, wieso bist du Nazi?!” Und er antwortet: „Weil ich keinen Bock habe in der Nacht von einer Gruppe betrunkener Türken zusammen geschlagen zu werden.” Was würdet ihr ihm denn da bitte antworten? Ich meine, er hat doch irgendwo recht.

Man wohnt miteinander, redet miteinander und zwischendurch ziehen Gruppen betrunkener Türken herum und schlagen Deutsche zusammen – außer Nazis. Bayern ist doch ein fremdes Land für mich.