JMStV auf britische Art: Netzsperren für Pornos

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident hat es schon klar gemacht – wenn die schöne Illusion des staatlichen Jugendmedienschutzes nicht durchsetzbar ist, muss man zu härteren Mitteln greifen: Sperrverfügungen – auch bekannt als Netzsperren.

Die britische Regierung — nicht gehindert durch ein föderales System — ist offenbar schon weiter, wie ein Artikel der Sunday Times beschreibt:

THE UK Government is to combat the early sexualization of children by blocking internet pornography unless parents request it, it was revealed today.

[…]

Instead of using parental controls to stop access to pornography – so-called „opting out“ – the tap will be turned off at source. Adults will then have to „opt in.“

Sprich: die Provider sollen sämtliche Internetseiten weltweit nach Porno-Gehalt qualifizieren und für ihre Kunden sperren. Zugang erhält nur, wer sich einem — wie auch immer gearteten — Alterscheck unterzieht. Die Erfahrung lehrt, dass solche Klassifikationen sehr verschieden ausfallen können. Selbst beim relativ gut abgegrenzten Begriff Kinderpornografie gibt es zum Teil große Schwierigkeiten.

Kurios ist die Begründung:

It follows the success of an operation by most British internet service providers (ISPs) to prevent people inadvertently viewing child porn websites. Ministers want companies to use similar technology to shut out adult pornography from children.

Sprich: die Kinderporno-Sperren sind das Vorbild. Was bei Kinderpornos funktioniert, muss ja auch für Pornos klappen.

Dazu gibt es zweierlei zu sagen. Erstens: Ob die Kinderporno-Sperre in Großbritannien ein Erfolg ist, hat bisher niemand wirklich untersucht. Einige Provider sperren, andere sperren nicht. Die Zahl der Sperren wird registriert – und das war es auch schon. Ob die Maßnahme irgendeine Wirkung hatte, ist auch fast ein Jahrzehnt nach Einführung unbekannt. Dass sich Leute unabsichtlich Kinderpornos ansehen, ist nach meiner Erfahrung lediglich eine oft verwendete Schutzbehauptung — ob im Gegenzug die Bemühungen der britischen Polizei zur Löschung von Kinderporno nicht so ausgeprägt sind, wie sie sein könnten, wurde sicherheitshalber auch nicht untersucht.

Das Argument ist: das Mittel ist erfolgreich, weil das Mittel existiert. Mit der gleichen Begründung könnte man sagen, dass der Wintereinbruch in Deutschland keinerlei Verkehrsprobleme verursacht hat. Schließlich fahren ja regelmäßig Streufahrzeuge und die Enteisungs-Teams an den Flughäfen sind dauernd im Einsatz.

Zweitens: Aufgrund der enormen Menge an Pornografie im Netz sind die Maßnahmen sehr schwer umzusetzen. Die Kinderpornografie-Sperren betreffen im Höchstfall ein paar Tausend Seiten – legale Porno-Seiten gibt es hingegen im Millionenbereich. Hier zu filtern führt entweder zu dramatischen Über- oder Unterreaktionen. Entweder werden nur ein paar Seiten gesperrt oder die Ausmaße sind so dramatisch, dass selbst die Wikipedia riskiert, blockiert zu werden. Kinderpornografie und Pornografie sind nicht vergleichbar – im einen fall wird oft realer Kindesmissbrauch gezeigt, im zweiten Fall haben Erwachsene Sex, eins der fundamentalsten Rechte der Menschen. Ob freiwillig, unfreiwillig, ob aufklärend oder schädlich ist für Zugangsprovider schlicht nicht zu unterscheiden. Sexuell aufgeladene Nacktheit, Aufklärung, der obere Reihe im Zeitschriftenregal, der Graubereich ist enorm.

Doch was spielen Fakten für eine Rolle, wenn man öffentliche Empörung zur Entscheidungsgrundlage macht?

„In the past, internet porn was regarded as a moral issue or a matter of taste. Now it has become a mental health issue because we now know the damage it is causing. We are seeing perverse sexual behavior among children. Legislation is both justifiable and feasible.“

She quoted the example of two underage brothers sentenced to at least five years‘ detention this year for a sadistic sex attack on two other boys in South Yorkshire. The brothers were said to have had a „toxic“ home life where they were exposed to pornography.

Die Diagnose gesellschaftlicher Probleme anhand des Extremfalls ist ein üblicher politischer Schachzug — ob und welche Auswirkungen Internet-Pornografie auf die Jugend im Allgemeinen haben, ist bisher keinesfalls erwiesen.

Was werden diese Politiker wohl vorschlagen, wenn sie erkennen, dass Pornografie trotz ihrer Netzsperren weiterhin über P2P-Tauschbörsen oder gar Handies ausgetauscht werden? Wann kommt die Forderung, dass man doch auch Wikileaks sperren sollte? Wenn man Millionen Porno-Seiten sperren kann, sind 2000 Wikileaks-Mirror ja auch kein Problem.

Deutsche Netzsperren-Gegner können sich erst Mal freuen. Ihr Argument, dass Netzsperren einer Art recht schnell zu Sperren anderer Art und damit zu einer umfassenden Internet-Zensur führen werden, wurde einmal mehr bestätigt. Nicht in Saudi-Arabien, China oder der Türkei, sondern in MittelEuropa, in der Geburtsstätte der parlamentarischen Demokratie.

Immer was Gutes

Die Geschichte von der Sex-Auktion rollt grade durch die versammelten Medien. Kurzfassung: auf einer Webseite können sexuelle Kontakte meistbietend versteigert werden – die zahlenden Kunden bleiben beim Austausch der Körperflüssigkeiten anonym. Nachdem eine Frau schwanger wurde, hat das Stuttgarter Landgericht den Betreiber verpflichtet, der werdenden Mutter die Namen von sechs potenziellen Vätern zu verraten. Für das Geschäftsmodell der diskreten Sex-Auktion keine gute Nachricht.

Was macht der Betreiber der Seite? Er bringt eine Presse-Mitteilung zum Urteil heraus.

Das Landgericht Stuttgart bestätigt in seinem Gerichtsurteil vom 11.01.2008, dass die käufliche Liebe im Internet per „Auktion“ unter Berücksichtigung der liberalisierten Auffassung, die sich heute allgemein durchgesetzt hat, nicht als „sittenwidrig“ bewertet wird.

Dies bestärkt das Stuttgarter Unternehmen Domosoft.de GmbH – Betreiber des Lifestyle-Marktplatzes für aufgeschlossene Erwachsene „gesext.de“ – darin, auf dem richtigen Weg zu sein.

Kein Wort von Schwangerschaft und Sanktionen gegen den Seitenbetreiber.

PS:

Gesext überlastet