Sie sind unvermeidlich: Kaum ist eine Funktion etabliert, schon sind die Spammer vor Ort. Bei Twitter fangen sie nun an mit Tags wie #winnenden oder #rp09 für eine Pokerseite zu werben…
Mann beißt Hund 2.0
Web 2.0 ist, wenn nicht nur „Mann beißt Hund“, sondern auch „Hund beißt Mann“ eine Story ist – vorausgesetzt, sie steht auf Twitter.
Frühling
Nachbrenner des Sensationsjournalismus?
Es ist fast wie immer. Wenn rudelweise Journalisten über eine menschliche Tragödie berichten, kommen anschließend die guten Journalisten, die vorführen wie böse Journalisten arbeiten.
Ich frage mich – und ich bitte das wirklich als Frage zu verstehen: Ist das die Antithese oder die Fortsetzung des Sensationsjournalismus? Wenn das ZAPP-Team Anwohner befragt und die Kameraleute vor dem Friedhof filmt, gehören es dann nicht auch zu dem Rudel dazu? Ist dieses Lästern über „die Journalisten“ nicht so indifferenziert wie die Lästereien über die Killerspieler oder über die Schützenvereine? Wird hier wieder nur ein vermeintlich Schuldiger präsentiert, auf den sich die Empörung konzentrieren kann?
Mir fehlt ein wenig die Alternative, der Lösungsansatz. Was ZAPP sehr richtig anspricht: viele Journalisten sind frei, stehen unter Druck. Das Hauptproblem in Winnenden – so erscheint es mir jedenfalls nach dem Zapp-Bericht ist ein logistisches: zu viele Journalisten in einer zu kleinen Stadt. Kann man das irgendwie anders organisieren? Soll man die Vor-Ort-Berichterstattung einigen Agenturjournalisten überlassen und die anderen schreiben ab?
Was man auch sehen muss: die Grenzverletzungen werden belohnt – die Zuschauer-, Klick- und Auflagenzahlen explodieren. Verkauft sich das Nachrichtenmagazin mit dem Bild des Serienmörders besonders gut? Ich würde darauf wetten. So wie sich die Empörung über die Journalisten sicherlich auch gut verkaufen lässt.
Den letzten Trittbrettfahrer beißen die Hunde
Alice Schwarzer hat sich dem Amoklauf in Winnenden angenommen und den entscheidenden Faktor gefunden: Nicht Killerspiele oder Schützenvereine, sondern Frauenhass. Was sie über den Täter weiß, hat sie aus der BILD abgeschrieben – eine zweifelhafte Quelle. Aber Schwarzer hat auch einen wissenschaftlichen Leumundszeugen für ihre schnellstmöglich publizierte These.
Schon im Frühling 2007 schlug der Münchner Neuropsychologe Prof. Henner Ertel Alarm. Sein „Institut für rationelle Psychologie“ macht seit 30 Jahren Langzeitstudien zu den Auswirkungen von Pornografie. Bei der Auswertung der Daten aus den letzten 20 Jahren stellten die WissenschaftlerInnen „eine dramatische Entwicklung in den letzten fünf Jahren“ fest
[…]
Prof. Ertel: „Emotionale Intelligenz und Empathiefähigkeit haben bei den Jugendlichen enorm abgenommen. Sexualität ist heute für die Mehrheit der jungen Männer, aber auch für viele junge Frauen unlösbar mit Gewalt verknüpft.“ Mehr noch: Das allgemeine Einfühlungs- und Mitleidsvermögen sinkt rapide.
Tja – Frau Schwarzer, da hat man Sie leider für dumm verkauft.
Aber es geht noch tiefer: Dem Mainzer Unternehmer Tobias Huch kam Schwarzers Artikel nur recht. Er will mit einer neuen Erotik-Zeitschrift an den Start gehen, für die er gar Kolumnen schreibt. Und in der Erstausgabe beklagt er sich bitter über die Trittbrettfahrerin Schwarzer:
Man könnte vermuten, dass sie auf billige Art und Weise die verschwindend geringe Auflage ihres Pamphlets pushen möchte…
Diesen Schuh kann sich Huch getrost selbst anziehen.
Althaus: Bürgergeld statt Solidarität
Der rekonvalezente Dieter Althaus hat eine neue Webseite. Die einen mögen sich mokieren, dass das Design ein wenig zu sehr an ein bekanntes Vorbild erinnert. Aber ich gebe dem Inhalt eine Chance. Also klicke ich als erstes auf das groß annoncierte Programm Solidarisches Bürgergeld
Das Solidarische Bürgergeld ist ein bedingungsloses Grundeinkommen von 800 Euro pro Monat für alle Erwachsenen. Die Höhe des Bürgergeldes orientiert sich am soziokulturellen Existenzminimum.
Jede Arbeit ist existenzsichernd. Bis zu einem Bruttoeinkommen von 1.600 Euro im Monat fällt keine Einkommensteuer an. Das Bürgergeld sinkt mit wachsenden eigenen Einkünften.
Die Flat-Tax: Ab einem Bruttoeinkommen von über 1.600 Euro im Monat bezahlt man 25 Prozent Steuern auf seine Einkünfte. Die Steuerschuld verringert sich um das Bürgergeld in Höhe von 400 Euro im Monat.
[…]
Kranken- und Pflegeversicherung: Im Solidarischen Bürgergeld sind 200 Euro Gesundheits- und Pflegeprämie enthalten. Diese setzt jeder bei einer Kasse seiner Wahl ein.
Sämtliche Sozialversicherungsbeiträge entfallen. Die Arbeitgeber bezahlen stattdessen für Arbeitnehmer eine Lohnsummensteuer von 10 bis 12 Prozent, mit der die Zusatzrente finanziert wird.
Ein sehr solidarisches Programm. 800 Euro für jeden! Hurra!
Aber schauen wir mal genauer hin:
- Wenn sich das Bürgergeld am „soziokulturellen Existenzminimum“ orientiert, dann bedeutet das im Klartext: Bedürftige bekommen keinen Cent mehr. Der Regelsatz von Hartz IV mag zwar deutlich darunter liegen, nicht berechnet wird Wohngeld, Heizkosten, etcetera. Die zahlt der glückliche Bürgergeldempfänger in Zukunft selbst. Falls auf dem Papier doch ein paar Euro mehr rausspringen sollten, keine Bange – die bekommt Herr Althaus sicher schnell rausgekürzt.
- „Gesundheits- und Pflegeprämie“ klingt zwar toll, es ist aber das genaue Gegenteil von Solidarität. Es bedeutet nämlich, dass die gesetzliche Krankenkasse abgeschafft wird. Du bist chronisch krank und musst höhere Beiträge zahlen: Pech für Dich, stell einen Antrag.
- Besonders schön ist die „Flat-Tax“ von 25 Prozent. Statt einer Steuerprogression zahlt jeder das gleiche. Klingt wie die Grunddefinition von „gerecht“ – ist es aber nicht. Denn im Vergleich zu heute wird der Spitzensteuersatz fast halbiert, der Eingangssteuersatz für Geringverdiener hingegen um 10 Prozentpunkte erhöht. Und das ist nur die Einkommenssteuer. Wird dazu noch an der Umsatzssteuer-Schraube gedreht, zahlen die Geringverdiener noch mehr drauf.
GEZailout
Herr Hoeneß hat einen Traum.
Woher sollen die TV-Mehreinnahmen kommen? ARD und ZDF werden nicht mehr zahlen und Ihr wichtigster Geldgeber, der Bezahlsender Premiere, schreibt rote Zahlen?
Ich habe immer noch die Hoffnung, dass jemandem einfällt, wie man Pay-TV in Deutschland profitabel betreiben könnte. Leo Kirch hat es probiert und ist vom Bundeskartellamt zurückgepfiffen worden. Jetzt versucht es Rupert Murdoch mit Premiere. Am besten wäre es allerdings, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender alle Fußballrechte kaufen und dem Bürger Fußball quasi gratis nach Hause senden würde.
[…]
Damit würden Sie Fußball-Desinteressierte ein zweites Mal gegen deren Willen abkassieren…
Moment, ich werde doch auch monatlich abkassiert, obwohl ich nur Nachrichten, Sport und politische Diskussionen anschaue. Meine große Hoffnung ist, dass die Leute irgendwann bereit sind, zwei Euro im Monat für Fußball zu bezahlen. Das ist nicht mal eine halbe Schachtel Zigaretten oder ein kleines Bier in der Kneipe.
Von jedem der 37 Millionen TV-Haushalte?
Ja, das wären im Monat rund 75 Millionen Euro, im Jahr gut 900 Millionen. […]
Bailout per GEZ. Eine tolle Idee. So toll, dass wir damit nicht nur den Fußball, sondern quasi alles retten können. Zwei Euro für den Fußball, einen Euro für die Wagner-Festspiele – und sind zehn Euro pro Monat für Opel wirklich zu viel verlangt? Selbst den Qualitätsjournalismus könnte man mit dem Gegenwert von ein paar lumpigen Schachteln Zigaretten retten. Und zu viel Bier ist eh ungesund.
Blame Game
Politiker beuten den Amoklauf aus! Medien vergessen jede Ethik, amoktwittern, provozieren neue Gewalttaten geradezu! Die Polizei und der Innenminister haben falsch informiert, gelogen! Die Waffenlobby tut unschuldig, wo man doch weiß, was das für gun nuts sind! Das Publikum ist sensationsgeil: seht nur die Einschaltquoten und Auflagenzahlen! Spiele-Fans haben den Blick für die Realität verloren, attackieren alle, die auch nur Gewaltspiele erwähnen! Die Spießer der Nation wollen mit dieser Tragödie das Rat der Zeit zurückdrehen!
Auf den Senkel gegangen
Auf nicht nachvollziehbaren Wegen bin ich auf den Artikel Technikärgernis Schnürsenkel gestoßen. Etwas low-tech, aber ich hab ihn doch gelesen. Und dann das:
Ich binde zum Beispiele meine Schuhe intuitiv so: Linker Schnürsenkel über den rechten, dann ein Überhandknoten, dann links eine Schlaufe und den rechten Riemen hinten herum um diese.
Das ist aber der perfekte Altweiberknoten – zweimal links statt einmal links und einmal rechts. Die Lösung ist ganz einfach: Beim ersten Knoten nicht den linken über den rechten Schnürsenkel legen, sondern umgekehrt.
Kurz zusammengefasst: Ich habe 25-ish Jahre lang meine Schuhe falsch gebunden, hab mich ungezählte Mal hinabgebeugt, um die Schleife festzuziehen oder den Knoten gleich neu zu beginnen. Und jetzt weiß ich, weshalb.
Sollte ich dankbar sein? Endlich fester sitzende Schnürsenkel? Weniger Bücken, kein Hinweis mehr „Dein Schuh ist offen“?
Oder wiegt das Wissen schwerer, etwas Jahrzehnte lang falsch gemacht zu haben. Kann ich einen Fakt täglich in mein Leben integrieren, den ich bei Spiegel Online gelesen habe?
Ich kann nicht aus meiner Haut: damn you, Konrad Lischka!!!!!!!!!!
Der fehlende Leserkommentar
Ich bin so angewidert von dem pietätslosen Sensationsjournalismus – ich kann gar nicht mit dem Klicken aufhören.