Ich habe Friends spät entdeckt, aber es hat mich dann doch heftig erwischt. Ich gehöre zwar nicht zu denen, die eine persönliche Beziehung zu Monica oder Rachel aufgebaut haben. Aber ich habe mir viel zu viele Gedanken um die Serie gemacht. Ich habe sogar mal vor zehn Jahren auf diesem Blog eine Übersicht veröffentlicht, welcher der sechs Friends denn welche andere Friends geküsst hat.
Es war sozusagen meine Einsteiger-Sitcom. Ich hatte vorher zwar auch US-Serien gesehen — aber nur in furchtbarer deutscher Synchronisation. Mit Friends bot sich mir die Gelegenheit, das Genre kennenzulernen, ohne dass ich vor allzu schwere Aufgaben gestellt wurde. Babysteps. Sechs unglaublich attraktive Leute spielen ungefähr zwölf Archetypen. Der Schnitt ist sauber, der Wortschatz eingeschränkt, der Rhythmus perfekt. Die Serie war für mich eine Blaupause, wie ein Witz aufgebaut wird, wie Dialoge funktionieren, wie man Konflikte thematisiert. Kurzum: Das Handwerk der TV-Comedy.
Ich habe zwar alle Staffeln auf DVD, doch ich könnte sie heute kaum noch mit Genuss anschauen. Der Grund: Die Serie hat die Fähigkeit verloren, mich zu überraschen.
Irgendwann war ich auf YouTube zum Beispiel auf die Serie „Taxi“ gestoßen — eine Sitcom über einen Taxi-Betrieb in New York mit Judd Hirsch und einem damals noch unbekannten Danny DeVito in den Hauptrollen. Nach zwei oder drei Folgen stutzte ich. Unter den Taxifahrern war zum einen ein Amateur-Boxer – gespielt von Tony Danza — und ein erfolgloser Schauspieler. Beide Charaktere zusammen waren Joey. Ein Italiener mit dem Traum, das triste Arbeiterleben hinter sich zu lassen, aber ohne die Fähigkeit, im Showgeschäft tatsächlich zu navigieren. Und damit war Joey plötzlich kein originärer Charakter mehr, sondern nur noch eine Adaption eines bestehenden Themas. So hat fast jede Sitcom ihren eigenen Joey-Charakter.
Es gab viele solcher Momente. Mit der Zeit erfuhr ich immer mehr über New York City in den Neunzigern. Und Friends fühlte sich so an, als sei es nicht wirklich im West Village auf Manhattan gedreht worden, sondern etwa 4000 Kilometer entfernt. Was denn auch stimmt: Denn die Serie wurde wie viele populäre New York-Shows damals in L.A. gedreht. (Vor einem Live-Publikum.) Die Darsteller und Autoren mögen am Anfang noch einen gewissen Flair von der Ostküste mitgebracht haben. Aber wenn man die Subway einmal gegen ein Auto eingetauscht hat und in einer Wohnung ohne Mitbewohner lebt, verblasst die Erinnerung doch recht schnell. Heraus kommt ein Produkt, das für ein weltweites Publikum so attraktiv ist wie Aufback-Croissants, McDonald’s Cheeseburger oder California Rolls. Wenn man das Original nicht kennt, sind diese Dinge sicher super. Kennt man das Original, will man sie nicht mehr haben.
Es hat mich auch einige Zeit gekostet, wirklich jeden Witz in der Serie zu verstehen. Zum Beispiel die Folge, in der Alec Baldwin den Freund von Phoebe spielt, der alles zwanghaft toll findet. Dass Baldwin für seine Wutausbrüche bekannt ist, erfuhr ich erst später.
Wenn man dann auch noch fünf Folgen in zwei Stunden guckt anstatt nur eine neue Episode pro Woche, verschlimmern sich die Effekte einer Network-Sitcom deutlich. So kann man richtig zusehen, wie Joey immer dümmer geschrieben wird. Am Anfang war er ungebildet, aber nicht doof. So sieht er mit einem Blick, was zwischen Ross und Rachel vorgeht. Zum Abschluss der Serie ist er quasi nicht mehr fähig, als menschliches Wesen in der heutigen Gesellschaft zu funktionieren.
Zu Friends-Jubiläen haben viele Leute eine Obsession : Ist die Serie noch lustig? Und: könnte man sie heute immer noch so drehen, obwohl sie doch so wenig divers gewesen sei und so unsensibel mit LGTBX-Themen umgegangen ist? Die Antwort auf beide Fragen ist: Ja. Friends hat sich erstaunlich gut gehalten, da es nie hohe Gipfel des Humors erklommen hat. Man muss weder Shakespeare gelesen haben, noch ist ein enzyklopädisches Wissen von Taylor-Swift-Songtexten notwendig. Es sind einfache Storylines, die heute noch Alltag sind: Ich kann die Freundin meines besten Freundes nicht leiden — was nun? Meine Freunde haben viel mehr Geld als ich und ich fühle mich ausgeschlossen. Soll ich meinen Job lieblos machen oder riskiere ich alles für meine wahre Berufung?
Das Fehlen von nicht-weißen Charakteren ist sicherlich ein Mangel. Aber doch erheblich besser als einen schwulen, schwarzen Bruder zu erfinden, der vielleicht einmal pro Staffel hereinschneit, nur damit die Lücke nicht so auffällt. Wenn man es als Qualitätskriterium einer Sitcom ansieht, dass sie niemandem auf die Füße tritt und dann noch ins Gesicht lacht, dann war Friends auf alle Fälle besser als Two and a Half Men, besser als Two Broke Girls, besser als The Big Bang Theory.
Wenn ihr Friends kennt — guckt Euch etwas besseres an. Falls ihr Friends nicht kennt: Schaut mal rein. Es lohnt sich wirklich.