„Guten Tag Herr Schniekenpoop. Mein Name ist Wassner, ich bin der Redaktionsleiter von ‚Hart, aber Willberger'“
„Schönen guten Tag. Ich freue mich schon auf meinen Auftritt. Ein paar Kleinigkeiten müssten wir noch regeln. Wann etwa muss ich in der Maske sein?“
„Nun – das klären wir vielleicht besser später. Sie wissen, worum es bei diesem Treffen geht?“
„Mein Büro sagte mir, es wäre ein Vorgespräch.“
„In gewisser Weise. Sie kennen CAPTCHAs?“
„Was bitte?“
„Nun, sie kennen doch die kleinen Bildchen, die auf vielen Webseiten erscheinen, wenn man irgendetwas posten will. Man schreibt den verschwommenen Text ab und beweist damit, dass man kein Spam-Roboter ist.“
„Aha?“
„Nun, wir haben uns nach der herben Zuschauerkritik dazu entschieden, eine Art CAPTCHA einzuführen. Schließlich sollen nur Leute auftreten, die tatsächlich wissen, wovon sie reden.“
„Ich weiß zwar nicht, wovon Sie hier reden, aber nur zu…“
„Sie wissen wahrscheinlich, warum wir Sie eingeladen haben?“
„Nun, das ist ja nicht schwer zu erraten. Entweder war es mein Gastbeitrag in der ‚Zeitigen Allgemeinheit‘ oder mein Interview bei ‚Ablage Rundfunk‘.“
„Genau. Es geht um in unserer kommenden Ausgabe um Verkehrspolitik.“
„Das dachte ich mir schon. Wann muss ich nun in der Maske sein?“
„Gemach. Lassen Sie mich ihre Beiträge rekapitulieren.“
„Nur zu.“
„Sie haben sich für ein Totalverbot von E-Scootern in deutschen Städten und vergleichen die Anbieter mit einer Heuschreckenplage.“
„Ja, können Sie das aus dem Intro rauslassen? Die Zeile bringt mir live immer am meisten Gelächter.“
„Desweiteren fordern sie, die KFZ-Steuer auf Radfahrer auszudehnen.“
„Richtig. Schließlich zahlen wir Autofahrer auch für die Radwege!“
„Und Greta Thunberg nannten sie…“
„Neidlich, Neidisch, Neuroleptisch!“
„Wissen Sie überhaupt, was ’neuroleptisch‘ heißt?“
„Nun, Sie ist doch ein Psycho, oder?“
„Eine Autistin.“
„Eben. Niedlich. Neidisch. Ne Autistin.“
„Eigentlich sind meine Fragen schon beantwortet, Herr Schniekenpoop. Aber lassen Sie mich noch ein paar anfügen. Der Vollständigkeit halber.“
„Ja?“
„Wissen Sie, wie viel Deutschland für den Bau von Straßen Jahr für Jahr ausgibt?“
„Nun, mein Büro kann sicher etwas zusammenstellen…“
„Wir sind hier nicht bei Jauch — hier gibt es keine Telefon-Joker. Lassen Sie mich eine andere Frage probieren: Wir wissen alle, dass E-Scooter auf dem Fahrradweg fahren müssen, wenn einer vorhanden sind. Wo müssen sie fahren, wenn kein Radweg vorhanden ist?“
„Auf dem Fußweg natürlich. Sonste käme ich mit dem Auto ja gar nicht mehr vorwärts.“
„Sind Sie jemals im Berufsverkehr Rad gefahren?“
„Nein, ich hole mein Rad nur am Sonntag mal raus, wenn die Sonne scheint. Wie normale Menschen.“
„Danke, das wäre es dann.“
„In Ordnung. Wann muss ich dann zur Maske?“
„Gar nicht. Sie haben keine Ahnung von Verkehrspolitik, sie kennen die Verkehrsregeln nicht, sie haben nicht mal Verkehrserfahrung aus erster Hand, wie es ist, wenn man nicht in einer Limousine sitzt. Alls was sie mitbringen, sind schlechte Wortspiele und Ressentiments. Warum sollen wir Sie auf Sendung lassen?“
„Aber…aber… sie brauchen mich. Ich bringe mindesten eine halbe Million neuer Zuschauer, die mich lieben. Und eine Million, die sich grün- und schwarz-ärgern. Nach meinem Auftritt bei Ablage Rundfunk gab es sogar einen eigenen Twitter-Hashtag.“
Ich wurde herausgefordert, die Probleme von SUVs zu benennen. Nun – das könnte ein längerer Text werden. Um nicht allzu sehr auszuufern, beschränkte ich mich hier auf die Probleme, die ich aus unmittelbarer Anschauung in meiner Nachbarschaft mit bloßem Auge beobachten kann.
Zum ersten: Ich verstehe die Motivation, sich einen SUV zu kaufen. Es erscheint einfach sicherer. Obwohl man als Autofahrer im Stadtverkehr kaum noch Unfälle mit Verletzungen zu befürchten hat, ist ein Sports Utility Vehicle einfach besser. Selbst für die Leute, die weder Sports, noch Utilities benötigen: Mit der erhöhten Sitzposition schaut man einfach weiter. Und: Es gibt innen wahnsinnig viel Platz. Gleichwohl: Kratzer an der Stoßstange und ähnliches sind keine Risiken mehr, sondern Gewissheit. Zum einen, weil andere Verkehrsteilnehmer die Übergröße nicht gewöhnt sind. Viel wahrscheinlicher: Weil die Fahrer selbst die Übergröße nicht gewöhnt sind.
Wenn man mit einem normalen Auto oder Fahrrad auf den Straßen unterwegs ist, ist ein SUV ein Sichthindernis wie ein Linienbus oder ein LKW. Das ist ein Problem. Wer etwa im Berufsverkehr hinter einem SUV an einer Ampel steht, müsste eigentlich an der Haltelinie warten, bis absolut sicher ist, dass es hinter der Kreuzung weitergeht. Das ist einerseits Gesetz, andererseits unrealistisch. Der Verkehr käme zum Erliegen, wenn sich jeder wirklich daran hielte. Der einzige Weg für den Einzelnen: Man kauft sich ebenfalls ein SUV, um sich mehr Überblick zu verschaffen.
Das Problem: SUVs sind einfach zu groß und vor allem breit für die bestehende Verkehrsinfrastruktur in Köln. Wenn man einparken will, gibt es vorne und hinten zwar hilfreiche Piepstöne. Die Sensoren an der Seite fehlen jedoch meist. Wenn ich etwa auf der Luxemburger Straße in Köln unterwegs bin, begegne ich immer wieder Autos, die auf beiden Fahrbahnen gleichzeitig unterwegs sind. Vor dem SUV-Boom habe ich so etwas vielleicht einmal im Jahr beobachtet. Nun ist es eine alltägliche Erscheinung.
Zu breit
Am einfachsten kann man das Problem zum Beispiel auf dem ALDI-Parkplatz an der Dürener Straße sehen, wo die Autos gerne 20 Zentimeter über dem Trennstreifen parken. Theoretisch passen die Autos auf den eingezeichneten Platz. Dann müssten die Fahrer jedoch aus dem Schiebedach aussteigen. Noch extremer ist es bei den Tiefgaragenplätzen. Die werden von Supermärkten, Fitnesstudios oder medizinischen Einrichtungen immer öfters kostenlos bereitgestellt. Trotzdem werden diese Plätze von SUV-Fahrern immer wieder ignoriert. Drei Minuten von hier sind zwei Bio-Supermärkte. Eine beträchtliche Anzahl der Kunden parkt in zweiter Reihe statt einfach ins Parkhaus zu fahren. Wie gesagt: Es sind kostenlose Parkplätze. Die Fahrer trauen es sich halt nicht zu, hier zu parken. Denn neben jedem dritten Parkplatz ist eine Betonsäule, die teure Schrammen verursachen kann. Oder ein anderer SUV.
Ein Teufelskreislauf. Die SUVs fahren nicht in Tiefgaragen, also bleiben sie die Parkplätze dort leer, also werden sie Straßen noch voller. Volle Straßen bestärken Auto-Käufer, nach einem robusteren PKW zu suchen. Der höchstwahrscheinlich viel zu groß ist für Kölner Straßen.
Legal ist doch legal?
Wenn ich behaupte, dass Autos „zu groß“ sind, hangle ich natürlich an einem fragwürdigen Konzept entlang. Wie groß ist „zu groß“? Die Leute haben von einem amtlich zugelassenen Händler ein Fahrzeug erworben, das vom Kraftfahrbundesamt genehmigt wurde. Dass der Gesetzgeber und die Ämter wegsehen, wenn ein Auto nicht mehr in eine Waschanlage passt, können sie ja nicht verantworten. Außer wenn sie mit offenen Augen durch die Straßen gehen und bemerken, dass Rollator- oder Rollstuhl-Nutzer nicht mehr den Fußweg vor ihrem Haus benutzen können.
Wie rapide sich der Verkehr in Köln-Sülz verändert hat, war extrem beeindruckend. Als etwa die neue U-Bahn gebaut wurde, stellte ich zum Beispiel überrascht fest, dass schlichtweg alle Straßen von meiner Wohnung in Richtung der anderen Rheinseite für Radfahrer gesperrt waren. Für Autofahrer wurden Umleitungen eingerichtet, für Radfahrer gab es hingegen nur zusätzliche Verbotsschilder bis schließlich keine einzige Straße übrig war. Die einzige logische Erklärung: Verwaltung und die Straßenarbeiter gingen schlichtweg davon aus, dass Radfahrer die Schilder sowieso ignorieren. Ein inoffizielles Arrangement: Die Polizei und Ordnungsamt sehen weg, wenn Radfahrer verkehrt fahren, da sie selbst bei der Planung der Straße und der Baustellen weggesehen haben.
Mehr Blech gewinnt
Problem: Dieses Arrangement konnte spätestens seit den Nullerjahren nicht mehr aufrecht erhalten werden. Zu viele Leute sind als Radfahrer unterwegs. Zu viele Leute sind mit dem Auto unterwegs. Und die Leute reagieren mittlerweile sehr massiv darauf, wenn vor ihrer Haustür Leute totgefahren werden. Also wurden etwa die Einbahnstraßen von Sülz für Radfahrer zu Zweibahnstraßen.
Problem gelöst? Nein. Denn wann immer ich eine dieser Einbahnstraßen mit dem Fahrrad benutze, kommt mir ein Auto entgegen, das schlichtweg nicht genug Platz für mich lässt, weil es zu breit ist und die am Straßenrand parkenden Autos ebenfalls zu breit sind. Zwanzig Zentimeter hier, zwanzig Zentimeter dort — und schon klappt der kalkulierte Verkehrsweg nicht mehr. Wie zuvor bei den Radlern hat die Stadtverwaltung eine Laissez-faire-Haltung entwickelt. Regelt das doch unter Euch. Wer mehr Blech hat, gewinnt.
Sobald Fahrradwege auf die Fahrbahn gezeichnet werden, werden sie rücksichtlos zugeparkt. Das passiert nicht nur aus purer Not, sondern weil die Fahrer der Auffassung sind, dass sie ein Recht dazu haben. Im fließenden Verkehr schneiden insbesondere SUV-Fahrer Radler regelmäßig — teils unbewusst, teils sogar absichtlich. Neulich hat mich ein BMW-Fahrer in einer Tempo-30-Zone ausgehupt und beschimpft, weil ich auf der Fahrbahn fuhr. Seiner Meinung nach gehörte ich auf den Fußweg nebenan. Selbst wenn nur ein Prozent der Autofahrer dieser Auffassung sind — wenn ich einmal die Luxemburger Straße entlangfahre, werde ich von mehr als 100 Autos überholt. Die Erwartungshaltung im Straßenverkehr genötigt zu werden, ist mittlerweile so hoch, dass ich mir einen extrabreiten Fahrradkorb zugelegt habe, damit ich ein imposanteres Profil aufbiete. Viele Radler haben aber aufgegeben und fahren gleich auf dem Bürgersteig. Was dann die Fußgänger zu verständlichen Protesten antreibt.
Auch die Autofahrer sind zunehmend frustriert. Wenn ich als Kind mit unserem Familienauto unterwegs war, war das eine einfache Sache. Ich öffnete die Autotür und stieg ein. In meiner Kölner Nachbarschaft ist das allzu oft keine Option mehr. Die Kinder dürfen die Türen nicht selbst öffnen, da viel zu wenig Platz zum Nebenauto bleibt und sie Lackschäden verursachen würden, wenn die Tür ungehindert aufschwingt. Also muss Papa oder Mama Chauffeur spielen, und jedem Kind die Tür genau den richtigen Spalt offen halten. Oder sie parken aus, bleiben auf Gehweg oder Straße stehen und beginnen dann eine mehrminütige Verlade-Aktion. Ein neuer Verleihauto-Anbieter parkt neuerdings seine Wagen mit dicken Werbesprüchen in der Nachbarschaft: Man zahlt nicht mehr für den Stau, sondern nur für die gefahrene Strecke. Dass man staufrei zum Einkaufen fahren kann, scheint eine Erinnerung an ferne Zeiten.
Die kritische Masse
Ein Geländewagen alleine ist noch kein Problem. Eine Stadt muss schließlich auch für Lieferwagen, Busse oder LKWs befahrbar sein. Das Problem ist die kritische Masse an übergroßen PKWs, die in meiner Nachbarschaft inzwischen weit überschritten wurde. Was sollen wir also tun? Die Straßen im gleichen Ausmaß verbreitern wie die Autos? Das wäre sicher schön, doch wie soll das gehen? Reißen wir alle Häuser ab und bauen sie dreißig Zentimeter schmaler neu auf? Oder einigen wir uns auf Regeln, die SUVs auf ein verträgliches Maß reduzieren?
Ich habe Volkswirtschaft studiert. Ein Konzept, das wir damals als erstes lernten, war das der „externen Kosten“. Wer ein überbreites, überlanges und überhohes Autos kauft, verursacht wahrscheinlich viele Probleme für andere Verkehrsteilnehmer. Weit mehr Probleme, als durch die zusätzlichen Steuern und Gebühren abgedeckt sind. Um diesen Mißstand zu lösen, müsste man die externen Kosten internalisieren. Das macht jedoch niemand. Ein SUV ist für den Gesetzgeber trotz Klimapaket bis heute nichts prinzipiell anderes als ein Renault Twizy, der weniger als 1,20 Meter breit ist und kein Benzin tanken kann.
In den letzten Tagen sind mit immer wieder Tweets von Kollegen aufgefallen, die sich darüber echauffieren, dass SUV-Fahrern mittlerweile ab und zu die Meinung gesagt wird. Diskriminierung! Ein Auto, auf dem gar ein paar harmlose Sticker geklebt wurden, wird gar zum Schauplatz krimineller Sachbeschädigung.
Diese Dünnhäutigkeit ist wirklich bemerkenswert. Wenn man diese Maßstäbe anlegt, hätte man etwa Fortuna Köln vor Jahrzehnten als kriminelle Organisation verbieten müssen. Aber solche Vergleiche sind natürlich albern. Diese Dünnhäutigkeit ist Ausdruck eines Verteilungskampfes um den öffentlichen Raum. Wer mehr Blech hat, gewinnt. Dieser Grundsatz ist zwar nirgends aufgeschrieben, er gilt dennoch vielen als eine Grundfeste unserer Gesellschaft.
Nun. Wer die Augen ab und zu mal aufmacht, muss einsehen, dass es so nicht mehr geht. Nur wie finden wir einen neuen Kompromiss, wenn man nicht mal das Verhalten Einzelner öffentlich kritisieren und hinterfragen soll?
Ihr kennt doch diese eine Krimi-Serie? Der Ermittler ist brillant, doch privat ist er ein Desaster. Er löst einen Mord nach dem anderen. Doch auf volle Anerkennung hat er keine Chance. Denn er hat Probleme mit Autorität, streitet sich mit dem Chef. Alleine schon seine Kleidung ist ein Affront. Aber gleichzeitig hat er eine Jobgarantie. Denn Mörder reiht sich an Mörder reiht sich an Mörder. Alle warten darauf, nur von ihm überführt zu werden.
„Cracker“ — oder „Für alle Fälle Fitz“ — vereint alle diese Klischees. Und dennoch: Sie ist genial. Versucht gar nicht erst, sie auf Netflix oder Amazon Prime zu finden. Denn es handelt sich um eine BBC-Serie, die im wesentlichen von 1993 bis 1995 ausgestrahlt wurde. 11 Folgen — mehr nicht. Die dauern dafür mehr als anderthalb Stunden. Jede Minute lohnt sich.
Fitz
Die Serie erzählt die Geschichte von Doktor Edward „Fitz“ Fitzgerald. Mitte 40, Trinker, Kettenraucher, Spielsüchtiger. Einst hatte er mal ein solides Mittelstandsleben beabsichtigt. Intellektuell bis zum Anschlag, eine wunderbare, starke Ehefrau und Partnerin. Zwei Kinder, ein Haus, ein Klavier. Und dennoch ist er gescheitert. In ewig zerknitterten Anzügen schleppt er sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob. Er ist fett geworden. Für seine Frau Judith ist die Ehe ein Martyrium.
Als eine seiner Studentinnen ermordet wird, entdeckt Fitz eine neue Berufung. Er kann Mordfälle lösen, weil er sich wie niemand anders in andere Menschen hineinversetzen kann. Er erkundet ihre Lebensgeschichten, ihre Defekte, ihre intimesten Impulse. „Your are sick, Fitz“ – „Sick as the next man“. Die Ermittler einer Einheit der Polizei von Manchester entdecken sein Talent und engagieren ihn als Berater in schwierigen Fällen. Und davon gibt es plötzlich eine Menge.
Fitz
Gespielt wird Fitz von Rubeus Hagrid. Entschuldigung: Robbie Coltrane. Er verleiht der Rolle eine enorme Verve. Auf der einen Seite das Sherlock-Holmes-hafte und die Überzeugung, über den Dingen zu stehen. Gleichzeitig ist er jedoch zu hundert Prozent ‚in the flesh‘. Er liebt seine Frau, er liebt seine Kinder. Er braucht Geld, um seine Rechnungen zu bezahlen. Er verliebt sich in den neuen Job. Und in Detective Sergeant Penhaligon.
Fitz behandelt eine Menge Themen. Von Religion über Homosexualität bis hin zu Fußball-Fankultur. Rassismus. Die Rolle einer Frau in der Männerwelt. Depression und Liebe. Die britische Presse. Wichtiger finde ich jedoch, dass die Serie eine Wendezeit beschreibt. Der späte Thatcherismus unter John Major. Eine Gesellschaft, die mit Gewalt von einem ungerechten, aber bequemen System in dem sich lords über die peasants erheben, zu einem ungerechten, unbequemen System umgewandelt wird, in dem sich die Millionäre über die Habenichtse erheben. Da das Ganze in Manchester spielt, haben wir es nicht mit den Londoner Milliardären oder Politikern zu tun, sondern nur mit Arbeitern, Angestellten, Polizisten. Fitz dringt nicht mal auf die Ebene eines Stadtrats eines Provinzhauptstadt auf. Und dennoch rüttelt er an den Grundfesten der Gesellschaft.
Fitz
Frustration ist ein Haupt-Thema der Serie. In der Episode „To be a somebody“ spielt Robert Carlyle eine ganz andere Rolle als in „The Full Monty“. Die Szenerie ist nicht so verschieden: Eine sterbende Arbeiterklasse, die von der Globalisierung vergessen wurde. Doch statt einen Striptease zu organisieren, ermordet Carlyle als Albie Menschen. Mit dem Bajonett, das sein Vater als Kriegsandenken mitgebracht hat – als Erinnerung an das Empire, für das sich das Kämpfen lohnte. Albie mordet, weil der Frust einfach zu viel wurde. Weil er zwar das Hirn hatte, um etwas anderes zu machen, als in einer Fabrik Metall zu schweißen. Aber nicht die Gelegenheit.
Cracker schafft dabei, was viele andere Serien nicht schaffen. Der Antiheld darf durch die Gegend stapfen und kann die Welt nach seinem Bild verformen. Seine Schuld ist die Schuld der Welt. Und deshalb kann er den Mördern auf Augenhöhe begegnen. Doch trotz all der Bravado bleiben die Fanboys und Fangirls nicht von der Realität verschont. Fitz zerstört nicht nur sich, sondern auch sein Umfeld. Er ist toxisch. Aber er steht in einer toxischen Gesellschaft. Wer will entscheiden, ob er das Gift oder das Gegengift ist?
Fitz
Vermutlich wird sich niemand finden, der diese alte Serie von dem Makel befreit, von der FSK als „über 18“ eingestuft zu werden. Dabei ist sie wohl weniger schädlich für die Psyche ist als zwei Folgen von Two and a Half Men oder der Menschenverachtung eines Münster-Tatorts, der so tut, als sei Mord furchtbar lustig. Das DVD-Set gibt es als Sonderangebot mit den Anti-Piracy-Spots aus den 90ern. Wenn ihr die Gelegenheit habt, guckt Euch die Serie an.
Ich habe Friends spät entdeckt, aber es hat mich dann doch heftig erwischt. Ich gehöre zwar nicht zu denen, die eine persönliche Beziehung zu Monica oder Rachel aufgebaut haben. Aber ich habe mir viel zu viele Gedanken um die Serie gemacht. Ich habe sogar mal vor zehn Jahren auf diesem Blog eine Übersicht veröffentlicht, welcher der sechs Friends denn welche andere Friends geküsst hat.
Es war sozusagen meine Einsteiger-Sitcom. Ich hatte vorher zwar auch US-Serien gesehen — aber nur in furchtbarer deutscher Synchronisation. Mit Friends bot sich mir die Gelegenheit, das Genre kennenzulernen, ohne dass ich vor allzu schwere Aufgaben gestellt wurde. Babysteps. Sechs unglaublich attraktive Leute spielen ungefähr zwölf Archetypen. Der Schnitt ist sauber, der Wortschatz eingeschränkt, der Rhythmus perfekt. Die Serie war für mich eine Blaupause, wie ein Witz aufgebaut wird, wie Dialoge funktionieren, wie man Konflikte thematisiert. Kurzum: Das Handwerk der TV-Comedy.
Ich habe zwar alle Staffeln auf DVD, doch ich könnte sie heute kaum noch mit Genuss anschauen. Der Grund: Die Serie hat die Fähigkeit verloren, mich zu überraschen.
Irgendwann war ich auf YouTube zum Beispiel auf die Serie „Taxi“ gestoßen — eine Sitcom über einen Taxi-Betrieb in New York mit Judd Hirsch und einem damals noch unbekannten Danny DeVito in den Hauptrollen. Nach zwei oder drei Folgen stutzte ich. Unter den Taxifahrern war zum einen ein Amateur-Boxer – gespielt von Tony Danza — und ein erfolgloser Schauspieler. Beide Charaktere zusammen waren Joey. Ein Italiener mit dem Traum, das triste Arbeiterleben hinter sich zu lassen, aber ohne die Fähigkeit, im Showgeschäft tatsächlich zu navigieren. Und damit war Joey plötzlich kein originärer Charakter mehr, sondern nur noch eine Adaption eines bestehenden Themas. So hat fast jede Sitcom ihren eigenen Joey-Charakter.
Es gab viele solcher Momente. Mit der Zeit erfuhr ich immer mehr über New York City in den Neunzigern. Und Friends fühlte sich so an, als sei es nicht wirklich im West Village auf Manhattan gedreht worden, sondern etwa 4000 Kilometer entfernt. Was denn auch stimmt: Denn die Serie wurde wie viele populäre New York-Shows damals in L.A. gedreht. (Vor einem Live-Publikum.) Die Darsteller und Autoren mögen am Anfang noch einen gewissen Flair von der Ostküste mitgebracht haben. Aber wenn man die Subway einmal gegen ein Auto eingetauscht hat und in einer Wohnung ohne Mitbewohner lebt, verblasst die Erinnerung doch recht schnell. Heraus kommt ein Produkt, das für ein weltweites Publikum so attraktiv ist wie Aufback-Croissants, McDonald’s Cheeseburger oder California Rolls. Wenn man das Original nicht kennt, sind diese Dinge sicher super. Kennt man das Original, will man sie nicht mehr haben.
Es hat mich auch einige Zeit gekostet, wirklich jeden Witz in der Serie zu verstehen. Zum Beispiel die Folge, in der Alec Baldwin den Freund von Phoebe spielt, der alles zwanghaft toll findet. Dass Baldwin für seine Wutausbrüche bekannt ist, erfuhr ich erst später.
Wenn man dann auch noch fünf Folgen in zwei Stunden guckt anstatt nur eine neue Episode pro Woche, verschlimmern sich die Effekte einer Network-Sitcom deutlich. So kann man richtig zusehen, wie Joey immer dümmer geschrieben wird. Am Anfang war er ungebildet, aber nicht doof. So sieht er mit einem Blick, was zwischen Ross und Rachel vorgeht. Zum Abschluss der Serie ist er quasi nicht mehr fähig, als menschliches Wesen in der heutigen Gesellschaft zu funktionieren.
Zu Friends-Jubiläen haben viele Leute eine Obsession : Ist die Serie noch lustig? Und: könnte man sie heute immer noch so drehen, obwohl sie doch so wenig divers gewesen sei und so unsensibel mit LGTBX-Themen umgegangen ist? Die Antwort auf beide Fragen ist: Ja. Friends hat sich erstaunlich gut gehalten, da es nie hohe Gipfel des Humors erklommen hat. Man muss weder Shakespeare gelesen haben, noch ist ein enzyklopädisches Wissen von Taylor-Swift-Songtexten notwendig. Es sind einfache Storylines, die heute noch Alltag sind: Ich kann die Freundin meines besten Freundes nicht leiden — was nun? Meine Freunde haben viel mehr Geld als ich und ich fühle mich ausgeschlossen. Soll ich meinen Job lieblos machen oder riskiere ich alles für meine wahre Berufung?
Das Fehlen von nicht-weißen Charakteren ist sicherlich ein Mangel. Aber doch erheblich besser als einen schwulen, schwarzen Bruder zu erfinden, der vielleicht einmal pro Staffel hereinschneit, nur damit die Lücke nicht so auffällt. Wenn man es als Qualitätskriterium einer Sitcom ansieht, dass sie niemandem auf die Füße tritt und dann noch ins Gesicht lacht, dann war Friends auf alle Fälle besser als Two and a Half Men, besser als Two Broke Girls, besser als The Big Bang Theory.
Wenn ihr Friends kennt — guckt Euch etwas besseres an. Falls ihr Friends nicht kennt: Schaut mal rein. Es lohnt sich wirklich.
Derzeit kursieren Screenshots, auf denen sich der bekannte Troll Milo bitterlich darüber beklagt, dass seine Followerschaft stark gesunken ist, nachdem er nach jahrelangen Provokationen von Plattformen wie Twitter gesperrt wurde.
Lektion 1: De-Platforming wirkt. Obwohl die Hardcore-Fans wohl immer neue Apps herunterladen, um ihren Cheftrollen zu folgen, macht dies die Masse wohl nicht.
Lektion 2: Diese Leute verdienen es gelöscht zu werden. Auf dem dritten Screenshot ist zu sehen, wie sie die Errichtung einer „Underground railroad“ zu ihrem Vorteil errichten wollen. Für Leute, die sich kein bisschen mit US-Geschichte auskennen: Die Underground Railroad war ein System geheimer Stützpunkte, mit dem Sklaven befreit und vor ihren Ex-Eigentümern versteckt wurden. Diese Leute brauchen keine Follower, sie brauchen eine Therapie.
Lektion 3: Wollen wir wirklich die Firmen entscheiden lassen, wer von der Plattform zu fliegen hat, die Leute wie Milo erst groß gemacht haben und bis heute den Fehler nicht erkennen können?
Lektion 4: Sind wir wirklich so einfach zu beeinflussen, dass wir Leute, denen wir ein ganzes Weltbild aufgeben, wenn es denn mit zwei, drei Extra-Klicks und einen neuen Account voraussetzt? Oder: Ist der Troll der kleinste gemeinsame Nenner, den wir füttern, solange es uns bequem ist, dem aber so gut wie niemand wirklich nachtrauert?
Lektion 5: Was sind heute alles Plattformen? So gab es in den USA ja eine erbitterte Diskussion, ob man Milo von Auftritten an Universitäten abhalten kann. An meiner Universität hätte sich die Frage nie gestellt. Die wenigen Vorträge, die wir freiwillig aufsuchen konnten wurden von Leuten mit Professoren- oder zumindest Doktor-Titeln gehalten. Und selbst zu diesen Anlässen musste die Veranstalter enorm nervös sein, dass ihnen ein Haustechniker den Strom abstellt oder ein Hausmeister die Veranstaltung beendet, weil irgendwer in der Verwaltung vergessen hatte, einen Sonderdienst einzuteilen.
Lektion 6: Was ist nur mit Trollen passiert? Als ich einst auf der ersten oder zweiten re:publica einen Vortrag über das Trollen gehalten habe, war die Dynamik noch eine vollkommen andere: Hobbybesserwisser machten Späße für eine enge Zielgruppe. Die toxische Wirkung für Communities wurde uns später erst bewusst. Wenn Trollen jedoch zum Broterwerb und zum Millionengeschäft wird, an dem sich auch Buchverlage beteiligen, dann versagen die sozialen Mechanismen von damals.
New York City. Ein junger, fitter und ehrgeiziger Angestellter tritt seine Stelle in der Firmenzentrale eines gesichtslosen Konzerns an. Seine Träume werden schnell von der Realität zermalmt: Fleiß und Intelligenz alleine reichen nicht aus für den unaufhaltsamen Aufstieg, das Penthaus, den Respekt der Gesellschaft. Bei näherer Betrachtung sind die Oberen ohnehin alle nicht so brilliant oder gar fleißig.
Plötzlich drängt sich die Erkenntnis auf: Viel erfolgversprechender ist es, wenn man sich durch die Bettgeschichten der Großkopferten einen Vorteil verschafft und damit zumindest bescheidenen Luxus erkämpft. Also steigt unser junger Mann ein in das Spiel der Verlogenheit, und schon bald führt er ein Doppelleben. Bis er sich verliebt und plötzlich scheint sich alles zu lohnen. Es geht aufwärts. Doch irgendwann muss er erkennen: Auch seine Angebetete ist Teil des Spiels um Sex, Macht und Geld. Und in ihm zerbricht eine Welt.
Ich habe nun endlich mal „Das Geheimnis meines Erfolges“ mit dem noch jungen Michael J. Fox gesehen. Und diese RomCom von 1987 ist in gewisser Weise ein Remake der Billy Wilder-Komödie „The Apartment“ von 1960 mit Jack Lemon. Der oben beschriebene Plot oben ist identisch — nur alles andere ist anders.
Wie die gleichen Themen mit einem Abstand von einer Generation behandelt werden, ist aus meiner Sicht immer wieder spannend. Offensichtlich ist es in diesem Fall etwa in der Behandlung des Thema Sex, das 1987 nur noch als „Boom Boom“-Witz existiert. Bei „Das Geheimnis meines Erfolgs“ ist der Höhepunkt Slapstick-Nummer der Marke Benny Hill, wo jeder in die Betten eines anderen kriechen will. Aus heutiger Sicht ist das allenfalls entfernt lustig. Ein Mann, der mit verstellter Stimmer unter der Bettdecke herausruft, dass er grade keinen Sex will und der liebestolle andere Mann kommt trotzdem ins Bett – ist das Humor, Satire oder schlicht eine Grotske?
Billy Wilder war alles andere als subtil — aber in „Das Apartment“ konnte Shirley MacLaine noch die Geschichte aus der Sicht ihres Charakters erklären. Helen Slater als Partnerin in Michael J. Fox bekommt nur eine Fahrstuhlfahrt und ein dämliches Happy End.
Interessant ist auch das Gesellschaftsbild: Während 1960 noch ein Konzern-Kapitalismus als krankes System beschrieben wird, das man hinter sich lassen muss um intakt zu bleiben, ist das gleiche System eine Generation später noch viel kranker: Die Chefs sind dämlicher, die Angestellten unterwürfiger, die Fassaden gläserner. Aber der Film sagt: Fuck it — wenn die richtigen Leute gewinnen, macht es richtig Spaß: Limousinen, Champagner und Abende in der Oper.
Ich kann ehrlich nicht sagen, welcher Film seiner Zeit ein schlechteres Zeugnis ausstellt. Nur: Schaut „Das Apartment“.