Ich liebe es ja, wenn sich Leute mit fiktiven Stoffen beschäftigen und darin Bedeutung finden. Ob eine Lektion für das Leben, eine philosophische Diskussion oder meinetwegen auch eine Leidenschaft für Skateboarding. Wichtig ist: Man schaufelt nicht einfach sinnlos Bilder und Meme in sein Großhirn, nein: man lässt sich inspirieren, anregen oder auch aufregen.
Es ist mittlerweile ein Klischee: Wir sind in einem Goldenen Zeitalter des Fernsehens. Statt der Familien-Sitcom, die immer nur nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner sucht, haben wir nun quasi alle drei Monate die nächste große HBO-Serie, die eigentlich epochemachend wäre. Wäre unsere Epoche halt nicht voll epochemachendem Fernsehen. Die Zeichen verdichten sich leider: Damit ist es eventuell vorbei. Der Disney-Nagel in den Sarg ist nur ein Indiz. Richtig traurig ist es, wie die meisten Menschen immer noch mit dem Medium Fernsehen umgehen.
Die Clipshow-Kritiker
Ich bin ja immer wieder entgeistert davon, was YouTube mir aufgrund meines extensiven Nutzer-Profils in meine Playlisten spült. Als meine Lieblings-Shows in Sommerpause gingen, spulte mir Googles Plattform immer wieder Pseudo-TV-Kritiken vor, die eigentlich nur nach einem Rezept verfahren: So viele Szenen von Parks&Rec, The Office oder Star Trek wie möglich in fünf bis sieben Minuten quetschen und keine Lizenzgebühren zahlen zu müssen.
Dass es wirklich schlimmer geht, merkte ich vor ein paar Tagen als ich ahnungslos dieses Video anklickte. Hier bespricht jemand Star Trek: Voyager und es ist eine Rezension aus der Trump-Ära.
Es beginnt recht harmlos mit einem recht guten Punkt: Voyager — oder: ST:VOY — operiert immer wieder von einer ziemlich snobistischen moralischen Warte aus. Zwar steht die Serie in diesem Punkt The Next Generation — sorry: ST:TNG — in nichts nach, aber die Diagnose ist zunächst einmal richtig. Egal was passiert – am Ende jeder Episode wird wieder fast alles auf Null gestellt und wir haben in der kommenden Folge ein blütenreines Raumschiff wie aus dem Ei gepellt. Deep Space Nine war in punkto seriellem Erzählen doch wesentlich weiter.
Dann driftet die Rezension aber schnell ab. Das moralische Dilemma in der besprochenen Folge ist: Darf die Mannschaft des Raumschiffs Equinox andere Lebewesen einfach töten, um eine Chance zu haben nach Hause zu gelangen? Der Youtuber Dave Cullen sagt: Klar. Die Aliens, die haben ja keine Arme und Beine und sprechen nicht wirklich. „I don’t see them writing any great works of literature or making significate contributions to science or philosophy any time soon.“ Also sind sie im Prinzip entbehrlich.
Technically wrong, the worst kind of wrong
Fangen wir mal mit dem technischen Argument an, weil ich dann nicht schreien muss. Wie gesagt — es ist zweifellos korrekt, dass Voyager oft genug moralisch simplifiziert und Risiken scheut. Aber da in der Rezension grade Folgen wie „Year of Hell“ referenziert werden, sollte doch auffallen: Für die vermeintlich eitlen moralischen Prinzipien ist Janeway durchaus bereit ihr eigenes Leben zu opfern. Dass die Story sie nachher dafür belohnen wird, das weiß sie ja nicht.
Gerade in der Equinox-Episode bekommt Janeways Image erhebliche Schrammen verpasst. Sie zerstreitet sich mit Chakotay, sie foltert Gefangene, sie bringt ihre eigene Crew im Gefahr, um den unbotmäigen Captain der Equinox zu jagen. Dave Cullen misst dem keinerlei Bedeutung zu, weil Captain Ransom ja so ein viel abgefeimterer und damit vermeintlich interessanterer Charakter ist.
Zum Zweiten: Das moralische Argument sollte keinen Star Trek-Fan irgendwie überraschen. Die Frage nach der Gleichwertigkeit außerirdischen Lebens wird immer wieder thematisiert. Zum Beispiel, als die Mutter eines Opfers des Kristallinwesens Rache sucht. Da spricht Picard vom Wal, der Millionen Lebewesen auffrisst, um zu überleben. Die Mutter reagiert nicht besonders positiv auf die Metaper.
Aber alles in allem: Die Sternenflotte hat einen recht gut etablierten Standard: Wenn wir mit dem Alien kommunizieren können, dann sind wir im Prinzip gleichwertig. Selbst wenn es Naniten sind. Oder merkwürdige Muster im Sand. Oder Borg. Oder halt die Aliens, die von der Equinox getötet werden.
Zum Dritten: Janeways Haltung wird in der Folge immer wieder in Frage gestellt. Sie kann diese Bedenken auch nicht einfach wegwischen, sondern sie wird in dieser Sache als fanatisch porträtiert, sie fängt an andere Menschen zu foltern. Dass dies dem Rezensenten entgangen ist, ist höchst merkwürdig. Er tut so, als ob dies zum normalen Führung eines Sternenflottenschiffs gehört. Wie gesagt: Die Trump-Ära mag da zu einer Verschiebung der Optik beigetragen haben.
The worstest kind of wrong
Was mich richtig schockiert, ist die Rechtfertigung des Rezensenten, wenn er seine moralischen Vorstellungen aufzählt. Sein Basis-Argument ist: Du und Deine Crew zuerst zuerst, alle anderen sind Sucker. Der Sprachgebrauch ist zum Fremdschämen. Erst vergleicht er die Equinox-Aliens mit Delphinen, dann sogar mit Ratten. Ja, „fying rats“. Sorry, da hat er schlicht zu oft Nazis zugehört. Und erkennt ein moralisches Argument nur noch daran, dass es ihm Unwohlsein verursacht. Foltereien fallen nicht wirklich ins Gewicht, wenn es einen Superschurken gibt, den man anhimmeln kann.
Die Prämisse der Kritik ist: „Aber Moment mal: das hieße ja, dass ich nicht einfach machen soll, was mir im Augenblick am vorteilhaftesten erscheint? Ich verstehe nicht. Das ist doch absolut unmöglich.“ – Wie kann man Star Trek nur gucken, ohne das elementarste Prinzip der Völkerverständigung zu akzeptieren? Selbst wenn das andere Volk nicht exakt so aussieht wie Dein eigenes?
Lange Rede, kurzer Sinn. TV-Kritik ist wichtig. Wir sollten nicht nur immer neuen Content in uns reinschaufeln, in der Hoffnung, dass wir ein paar Stunden unterhalten sind. Fernsehen gehört zum Leben, Netflix gehört zum Leben. Und wenn wir leben, lohnt es sich darüber nachzudenken wie wir leben. Und gegebenenfalls auch drüber zu streiten. Nicht nur darum, ob ihr mehr eine Carrie oder eine Miranda seid. Sondern auch, wie ihr Euren moralischen Kompass eichen könnt.