Wann immer die Rede auf die Anpassung der Verkehrs-Infrastruktur an den Radverkehr kommt, schäumen die Kommentarspalten vor gerechtem Zorn. Die Radfahrer! Fordern und fordern — dabei halten die sich eh nie an die Regeln! Sollen sie doch schieben!!!
Tatsächlich kann man es in vielen deutschen Städten kaum leugnen: Viele Radler halten sich nicht an viele Regeln. Wie zum Beispiel rote Ampeln. Hier in Köln haben sich viele gar angewöhnt, vor der Ampel stehenzubleiben. Da sie eh losfahren, wie sie lustig sind, brauchen sie das grüne Licht ja gar nicht abzuwarten. Also erübrigen sich Umbauarbeiten, um bessere Radwege und fahrradgerechtere Ampelschaltungen zu etablieren? Absolut nicht.
Bonus für Rotfahrer
Fangen wir von vorne an. Warum fahren so viele Radfahrer bei rot? Eine Antwort ist ganz einfach: Weil sie es können. Sie werden nicht nur selten von der Polizei kontrolliert, sondern sie beschleunigen auf der kurzen Strecke auch deutlich schneller als Autos, brauchen dabei wesentlich weniger Platz und haben den besseren Überblick. Sprich: bevor sie jemandem im Weg sein können, sind sie auch schon wieder weg. Wem ist damit geschadet? (Dazu später mehr.)
Das Vertrackte an der Situation: Radfahrer, die sich nicht an rote Ampeln halten, werden strukturell belohnt. Denn in der Regel sind Ampelschaltungen ganz auf den Autoverkehr ausgerichtet, der ohne Probleme auf 50 Stundenkilometer beschleunigt. Radfahrer sind deutlich langsamer unterwegs. Folge: Insbesondere wo der Durchgangsverkehr eine möglichst grüne Welle hat, hangeln sich Radler von Rot zu Rot zu nochmal Rot.
Insbesondere wo die Rechtsabbiegerspur dem motorisierten Verkehr eine Extra-Grünphase spendiert, ist der Unterschied enorm. Wer hingegen taktisch geschickt jede zweite oder dritte Ampel ignoriert, kann hingegen diesen Takt durchbrechen. Wer einmal bei Rot fährt, hat plötzlich eine grüne Welle. So etwas merken sich Leute. Und so sehe ich viele Radler, die sich nicht mehr um Ampeln scheren, sondern sich davor stellen. Wenn die Verkehrssituation günstig aussieht, fahren sie halt.
Der Unwillen sich an rote Ampeln zu halten hängt auch daran, dass die Verkehrsplaner eine ganz ähnliche Attitüde haben. In den letzten zwei Jahren hat sich in Köln zwar viel verbessert — aber immer noch komme ich alltäglich an Stellen vorbei, wo Radfahrer schlichtweg raten sollen, wie sie sich denn verkehrsgerecht verhalten sollen. Radwege enden unvermittelt, Haltestreifen werden nach dem Zufallsprinzip platziert und Ampeln sind so angebracht, dass sie vom Fahrradsattel nicht zu sehen sind. Baustellen werden präventiv mit Fahrrad-Verbotsschilder ausgeliefert — selbst wenn es dazu offensichtlich keinen Grund gibt.
Es ist wie ein ungeschriebener Vertrag: Ja, das Schild ist sinnlos, die Rotphase ist inakzeptabel lang — wir machen das nur wegen des Anscheins. Ihr braucht Euch ja nicht wirklich dran zu halten. So wie das Ordnungamt auf vielen Straßen Falschparker toleriert.
Das skaliert nicht!
Das Problem daran: Das Fahrrad leidet unter dem eigenen Erfolg. Wo früher ab und zu mal ein Radfahrer alleine unterwegs war, zieht sich jetzt oft eine lange Karawane von Radlern hintereinander die Radwege entlang. Wenn der einzelne Radfahrer immer noch meint, dass er sich schadlos durchschlängeln kann, klappt das in der Masse nicht mehr. Man kann diesen Effekt auch schön bei Fußgängerampeln sehen. Wenn die Ampel ewig auf Rot steht, drängt sich plötzlich ein einzelner Fußgänger auf die Straße – weil er eine Lücke im Verkehr gesehen hat. Und plötzlich laufen alle Fußgänger los obwohl da überhaupt keine Lücke mehr ist. Gehupe. Gemecker. Frust.
Radler müssen sich neu orientieren. Wir sind nicht nur viel mehr, wir sind auch wesentlich schneller als früher. Wer auf ein E-Bike steigt und plötzlich mit einem Schnitt von 25 Stundenkilometern im Berufsverkehr unterwegs ist, muss sich andere Bremspunkte angewöhnen, insbesondere wenn man bisher eher nur am Wochenende in Naherholungsgebieten spazierengefahren ist. Wer an Radfahrer an einer roten Ampel steht, muss sich klarmachen, dass er nicht mehr nur auf den Autoverkehr achten muss. Slalomfahren auf dem Radweg ist auch kein akzeptables Verhalten mehr – also holt die Hände aus den Jackentaschen und zieht Euch Handschuhe an. Der Schulterblick ist wichtiger als jemals zuvor.
Das gilt natürlich auch für die anderen Verkehrsteilnehmer. Wer auf einen Radweg tritt oder fährt, muss wissen: Das ist eine Hauptverkehrsstraße, keine ruhige Raucher-Ecke. Und erst recht keine erweiterte Abbiegespur.