Plötzlich interessieren sich wieder alle für US-Politik. Die ist zwar nie aus den Hauptnachrichten verschwunden, aber das Interesse an Wahldeligierten, Super-PACs und der berühmten brokered convention, die Donald Trump schließlich die Kandidatur verweigern könnte, ist im Vergleich zu den vorherigen Wahljahren enorm gestiegen. Vor diesem Hintergrund empfehle ich: Schaut Euch nicht nur die Berichterstattung über den täglichen Ausraster von Donald J. Drumpf an oder die Facebook-Artikel der Bernie-Fans an. Wartet nicht auf die neue Staffel von „House of Cards“. Schnappt Euch stattdessen die DVDs oder einen Stream der Serie „The West Wing“ und lernt.
Die von Aaron Sorkin ersonnene Serie lief von 1999 bis 2006 bei NBC und schaffte — gewollt und ungewollt — ein positives Gegenbild zur ausgehenden Präsidentschaft Bill Clintons und der beginnenden Bush-Administration. Hauptsächlich geht es um Josh Lyman, der als stellvertretender Stabschef im Weißen Haus für Präsident Josiah Bartlet arbeitet, der zudem Wirtschafts-Nobelpreisträger ist. Mit ihm muss die ganze Führungsmannschaft des Weißen Hauses – die hier im Wesentlichen aus neun Personen besteht — jede Folge eine neue politische Herausforderung überwinden: Mal verlangen Evangelikale die Entlassung von Josh, mal kommt es zu einer Flüchtlingswelle aus Kuba, mal geht es auch nur um die technischen Details einer Volkszählung. Das sind alles Dinge, mit denen sich ein Frank Underwood nicht herumschlagen muss – dazu wird bei The West Wing auch niemand vom Präsidenten eigenhändig ermordet. Und dennoch ist die Serie faszinierend.
Die Serie schafft es Regierungsarbeit trotz allem Zynismus als Bemühen zu sehen, Dinge zu lösen. Zum anderen werden die vielen Zwänge durchexerziert, unter denen das Regierungshandeln — insbesondere in den USA — unterliegt. Für quasi jedes Gesetz muss eine neue Allianz geschmiedet werden, jedes öffentliche Wort des Präsidenten wird auf die Goldwaage gelegt und quasi jede Interessengruppe fühlt sich dauernd ungerecht behandelt. Anhand der Gilmore-Girls-langen Dialoge, den so genannten walk-and-talks, wird der Zuschauer durch jeden Schritt des politischen Prozesses geführt.
Der Blickpunkt ist hoffnungslos hoffnungsvoll – wir wissen natürlich heute, dass der Dialog im Weißen Haus keinesfalls so gesittet abläuft. Dennoch: Obwohl The West Wing durchweg fiktiv ist, kann man viele alltägliche Meldungen durch The West Wing besser einsortieren. So wurde die am Anfang erwähnte brokered convention in Staffel 6 von The West Wing schon durchexerziert. Ein Polizist erschießt einen schwarzen Jungen, weil der eine Spielzeugpistole in der Hand hatte? Josh’s Chef muss die gewaltige Frustration der black community schultern. Der jährliche Machtkampf um das Budget der USA? The West Wing hat dazu eine wunderschön dramatisierte Episode. Und dann gibt es natürlich die Szenen, in denen der wortgewaltige Präsident den Verlogenen, den Hassgetriebenen und Ignoranten eine Abfuhr erteilt.
Gerade jetzt ist eine gute Gelegenheit einzusteigen. So haben ist mit The West Wing Weekly ein hörenswerter Podcast gestartet, an dem auch West-Wing-Darsteller Joshua Malina teilnimmt. Ebensogut finde ich die West Wing History Class, bei denen einer der beiden Podcasterdie serie noch nie zuvor gesehen hat und alten West-Wing-Buffs einen anderen Blickwinkel verschafft.