Wut reicht, Inhalt egal

Die Kollegen vom Bildblog haben grade zusammengefasst, wie bei der Huffington Post mit veralteten und halb verstandenen Schnippseln Klicks generiert werden. Es scheint inzwischen eine eigene Gattung von Nachrichten zu geben, bei denen es egal ist ob sie stimmen oder nicht. Hauptsache, es klickt gut.

Die beunruhigende Wahrheit ist: Dazu brauchen wir die Huffington Post nicht. So wurde mir grad ein Video in die Facebook-Timeline gespült, das einen Wutanfall vor laufender Kamera zeigt. Solche hatte es im vergangenen Jahr einige Male gegeben — und sie waren durchweg Klickerfolge. Und so klickte auch ich, um zu sehen, worum es dem News Anchor denn ging.

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Nachdem ich das Video gesehen habe, bin ich nicht wirklich schlauer. Der unbenannte „News Anchor“ redet sich in Rage über den gekauften US-Kongress und irgendein Problem, das die Demokraten aufschieben wollen, während die Republikaner den ganzen Laden abfackeln wollen. Es geht um trillions of dollars – aber wann geht es das nicht? Die Deutungen in den Kommentaren reichen weit. Die einen sehen darin einen Alarmruf gegen die jüdische Welt-Banken-Verschwörung, andere sehen einen Appell für eine vernünftige Parteienfinanzierung. Und Bernie-Fans sehen — natürlich — einen Wahlaufruf für Bernie.

Zwei Minuten Googeln brachten mich schließlich zur Wikipedia, wo dieser Rant in einem eigenen Absatz beschrieben wurde. Das Video ist fünf Jahre alt und hat mit der aktuellen politischen Debatte so gut wie nichts zu tun, sondern mit der Krise von 2011, als sich Obama und der von Republikanern beherrschte Kongress um die Höchstverschuldungsgrenze stritten. Erinnert Ihr Euch noch, worum es da ging? Allenfalls vage, stimmt’s? Spoiler: Obama setzte sich durch.

Aber es ist egal. Das vermutlich geklaute, gänzlich kontextbefreite Video wurde auf Facebook in den letzten drei Tagen 7,6 Millionen mal abgerufen. MassReport musste nicht mal irgendeinen skandalisierenden Zusammenhang erfinden, es reichte die Überschrift „News Anchor Completely Loses It After 3 Years With Epic Rant“. Denn Kontexte interessieren einfach nicht, wenn da nur ein sehr wütender Mann sitzt und unsere Ressentiments, unsere Ängste, unsere Wut bestätigt.

Happy Heise

Heise Online wird heute 20 Jahre alt — das ist doch Mal ein Grund zum Feiern. Ich bin nun auch fast 15 Jahre dabei: 2001 erschienen meine ersten Texte in Telepolis, kurz danach auf heise online und in der c’t.

In all der Zeit habe ich die Zusammenarbeit als höchst positiv erlebt: So kennt der Verlag keine Rücksichtnahme, wenn die Berichte Werbekunden betreffen und stellt sich hinter seine Autoren. Während man in anderen Medien nicht damit rechnen kann, in fünf Jahren noch mit dem gleichen Redakteur zusammenzuarbeiten, sind meine Gesprächspartner aus der ersten Stunde immer noch bei Heise. Statt jedes Jahr die Redaktionen mal in einen neuen Newsroom, mal in eine externe Gesellschaft mit niedrigeren Tarifen zu stecken, ist um Heise Online eine Art Familie gewachsen. Die umfasst auch die Leser. Heise-Redakteure brauchen keine Buzzfeed-Statistiken um zu erfahren, was Admins, Coder, Ingress-Spieler, iPhone-Nutzer oder Cyborgs interessiert. Denn sie selbst leben die IT. Und die Leser leben mit heise online.

Als ich damals(TM) die Verhaftung von Kim Schmitz melden konnte, hat sich ein Leser bei mir gemeldet, der das Ereignis feiern wollte und mir zu Hause Herrentorte und Eistee vorbei brachte. Eine kleine Party war das Ergebnis. Als eine Bande von Abmahnungs-Abzockern endlich von der Justiz hochgenommen wurde, füllte sich in Köln spontan ein mexikanisches Restaurant mit fröhlich feiernden Leuten. Die Zeiten waren noch einfacher: Es gab nur eine Handvoll IT-Bösewichter, die diese Rolle teilweise auch gerne übernahmen.

Heute ist die Welt komplexer. IT hat unser Leben durchdrungen — und das Leben die IT. Politik ist die Folge, mit allen Vor- und Nachteilen. Statt gegen den einen Abmahnanwalt geht es nun gegen Abkürzungen mit drei oder vier Buchstaben, die kein einzelnes Gesicht mehr haben. Konnten wir uns vor zehn Jahren noch die Illusion erhalten, unsere Systeme unter Kontrolle zu haben, haben Snowden, BadUSB und NSA, das ständige Versagen von Closed und Open Source diese Gewissheit zerstört. Facebook und Google bestimmen unser Leben und haben dabei leider nicht die Arroganz der Comic-Bösewichte, sondern die ehrliche Überzeugung, das Leben für alle besser machen zu können. Oder für die meisten. Oder zumindest für sich selbst.

(Vorsicht, Selbstbeweihräucherung!) Diese Komplexität verlangt von Journalisten einen langen Atem, damit wir erklären können, wie die ständigen Neuigkeiten einzuordnen sind, wohin die IT uns steuert. Wir müssen von unseren Schreibtischen aufstehen, um nicht nur ständig zu berichten, was grade auf Twitter als Skandal vermarktet wird. Wir müssen den Leuten ins Gesicht sehen, wenn sie erklären, wie sie das Leben von uns allen verändern wollen, und wir müssen selbst Gesicht zeigen. Und da ist es gut, wenn man sich auf seine Familie verlassen kann.

Auf 20 weitere Jahre, heise online.

Bekenntnis zum Satire-Standort Deutschland

Pünktlich um 13 Uhr trat Hape Kerkeling im Kanzlerinnen-Kostüm vor die versammelte Presse. „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Satire…“ Der Saal tobte und der Rest war nicht zu verstehen.

Schaut The West Wing!

Plötzlich interessieren sich wieder alle für US-Politik. Die ist zwar nie aus den Hauptnachrichten verschwunden, aber das Interesse an Wahldeligierten, Super-PACs und der berühmten brokered convention, die Donald Trump schließlich die Kandidatur verweigern könnte, ist im Vergleich zu den vorherigen Wahljahren enorm gestiegen. Vor diesem Hintergrund empfehle ich: Schaut Euch nicht nur die Berichterstattung über den täglichen Ausraster von Donald J. Drumpf an oder die Facebook-Artikel der Bernie-Fans an. Wartet nicht auf die neue Staffel von „House of Cards“. Schnappt Euch stattdessen die DVDs oder einen Stream der Serie „The West Wing“ und lernt.

Die von Aaron Sorkin ersonnene Serie lief von 1999 bis 2006 bei NBC und schaffte — gewollt und ungewollt — ein positives Gegenbild zur ausgehenden Präsidentschaft Bill Clintons und der beginnenden Bush-Administration. Hauptsächlich geht es um Josh Lyman, der als stellvertretender Stabschef im Weißen Haus für Präsident Josiah Bartlet arbeitet, der zudem Wirtschafts-Nobelpreisträger ist. Mit ihm muss die ganze Führungsmannschaft des Weißen Hauses – die hier im Wesentlichen aus neun Personen besteht — jede Folge eine neue politische Herausforderung überwinden: Mal verlangen Evangelikale die Entlassung von Josh, mal kommt es zu einer Flüchtlingswelle aus Kuba, mal geht es auch nur um die technischen Details einer Volkszählung. Das sind alles Dinge, mit denen sich ein Frank Underwood nicht herumschlagen muss – dazu wird bei The West Wing auch niemand vom Präsidenten eigenhändig ermordet. Und dennoch ist die Serie faszinierend.

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Die Serie schafft es Regierungsarbeit trotz allem Zynismus als Bemühen zu sehen, Dinge zu lösen. Zum anderen werden die vielen Zwänge durchexerziert, unter denen das Regierungshandeln — insbesondere in den USA — unterliegt. Für quasi jedes Gesetz muss eine neue Allianz geschmiedet werden, jedes öffentliche Wort des Präsidenten wird auf die Goldwaage gelegt und quasi jede Interessengruppe fühlt sich dauernd ungerecht behandelt. Anhand der Gilmore-Girls-langen Dialoge, den so genannten walk-and-talks, wird der Zuschauer durch jeden Schritt des politischen Prozesses geführt.

Der Blickpunkt ist hoffnungslos hoffnungsvoll – wir wissen natürlich heute, dass der Dialog im Weißen Haus keinesfalls so gesittet abläuft. Dennoch: Obwohl The West Wing durchweg fiktiv ist, kann man viele alltägliche Meldungen durch The West Wing besser einsortieren. So wurde die am Anfang erwähnte brokered convention in Staffel 6 von The West Wing schon durchexerziert. Ein Polizist erschießt einen schwarzen Jungen, weil der eine Spielzeugpistole in der Hand hatte? Josh’s Chef muss die gewaltige Frustration der black community schultern. Der jährliche Machtkampf um das Budget der USA? The West Wing hat dazu eine wunderschön dramatisierte Episode. Und dann gibt es natürlich die Szenen, in denen der wortgewaltige Präsident den Verlogenen, den Hassgetriebenen und Ignoranten eine Abfuhr erteilt.

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Gerade jetzt ist eine gute Gelegenheit einzusteigen. So haben ist mit The West Wing Weekly ein hörenswerter Podcast gestartet, an dem auch West-Wing-Darsteller Joshua Malina teilnimmt. Ebensogut finde ich die West Wing History Class, bei denen einer der beiden Podcasterdie serie noch nie zuvor gesehen hat und alten West-Wing-Buffs einen anderen Blickwinkel verschafft.

Die Kunst Jan Böhmermann zu gucken ohne durchzudrehen

Zunächst Mal: Ich bin kein großer Fan von Jan Böhmermann. Ab und zu werden mir seine Videos in die Streams gespült, und dann finde ich sie oft gut. Richtig gut. Aber seine Sendung ist nicht so wirklich mein Ding, weil ich viele seiner popkulturellen Referenzen nicht (er-)kenne und er für meinen Geschmack etwas zu krawallig ist. Zudem hatte ich keine Ahnung wer Dendemann ist. Kurzum: Ich finde Böhmermann gut, schalte ihn aber eher selten ein.

Ein schönes Beispiel ist das aktuelle Video „Be deutsch“, das ich so gut fand, dass ich es auch teilte. Am Tag darauf stellte ich erstaunt fest, dass viele Leute das Video offenbar als kraftvolle und gänzlich unironische Gegenhyme zu Pegida und Co verstanden. Das führte dann zu Gegenstimmen wie die von Sascha Lobo und Anke Groener, die darauf aufmerksam machten, dass Böhmermann da mit deutschtümelnden Klischees gespielt hatte, die uns aus gutem Grund Unwohlsein verursachen sollten. „Wir sind die Deutschen, nicht ihr!“ brüllt der bunte, tolerante Mob den Klischee-Pegidisten am Schluss zu. Aber Moment mal, wie passt ein solcher Spruch mit dem Angedenken an die Nazizeit zusammen, das am Anfang beschworen wurde als Schöpfungsmypthos des toleranten, vermeintlich besseren Deutschen?

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Einerseits: Gar nicht. Es ist ein direkter Widerspruch. Wer Gruppen gewaltsam ausschließen will und in Form eines Mobs angreift, wie es in dem Video geschieht, hat die Lektionen aus dem Holocaust nun wirklich nicht tief verinnerlicht. Andererseits: Es passt perfekt. Denn viele übersehen eine Prämisse. Jan Böhmermann ist nicht der Bundespräsident, sondern Comedian. Und zwar einer, der sein Handwerk versteht.

Und er verlangt etwas Aufmerksamkeit von seinem Publikum. Grade das „Remember, remember“ am Anfang war für mich ein klares Zeichen. Es ist der Erkennungs-Slogan des Films „V as Vendetta“, der einen geheimen Rächer zur Ikone erhebt. Der Film wird oft missverstanden, da er ein reines Schwarz-Weiß-Bild des Guten und Bösen darstellt. Der Comic von Alan Moore bietet ein paar mehr Nuancen, aber es reicht auch ein Blick in die Wikipedia: Das historische Vorbild Guy Fawkes taugt nicht wirklich als Held. Und so geht es mir mit Böhmermanns Video. Der vermeintlich geläuterte Klischee-Deutsche ist ein Zerrbild, das eigentlich für jeden erkennbar sein sollte.

Ich hab „Be deutsch“ daher primär als Parodie auf mein Millieu gesehen. Fast alle meiner Freunde haben studiert, Geburtstags-Buffets sind großteils vegan und ich hab mir grade einen neuen Fahrradhelm gekauft. Ein offen Strapse tragender Pfarrer gehört aber dennoch nicht zu meinem erlebten Deutschlandbild, ebensowenig umarmen sich in meiner Nachbarschaft Juden und Araber. Wir können zwar alle einen bis zwei Sätze Kant zitieren, aber richtig gelesen haben wir ihn nicht.

Und was mach ich nun mit dieser Erkenntnis? Welche Botschaft hat das Video nun? Meine Antwort: Es ist Comedy.

Ein Comedian geht dahin, wo es die Leute kitzelt, oder wo es ihnen sogar weh tut. Und das tut Böhmermann auf intelligente Art. Wer meint, er habe die eigene Position uneingeschränkt unterstützt, muss oft feststellen, dass er eigentlich das Ziel des Spottes war. So war es beim Varoufakis-Finger, so ist es beim rassistischen Erdogan-Gedicht. Böhmermann operiert auf einer Meta-Ebene. Oft ist der Witz nicht in der Mediathek zu sehen, die eigentlich Pointe ist die Reaktion des Publikums, der Medien, des Senders.

Zudem hat Böhmermann ein vermeintlich revolutionäres Konzept ins Fernsehen gebracht. Ein Witz ist ein Witz, weil er witzig ist. Dieses eher US-Amerikanische Verständnis von Comedy fehlt uns in Deutschland bisher. Zwischen den verkopften Comedians, die immer auf der vermeintlich richtigen Seite sein wollen und den Mario Barths und Oliver Pochers, die sich schon präventiv auf die moralisch falsche Seite stellen, gibt es kaum bekannte Namen. In den USA hingegen drängen sich in dieser Nische haufenweise Comedians. So finde ich viele Nummern von Louis CK genial. Der Streitfrage, ob man Witze über Vergewaltigung machen darf, setzt er sogar Witze über Kindesmissbrauch entgegen — aber eben auf intelligente Weise.

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Was machen wir nun mit der Erkenntnis? Entzieht sich Comedy jeder Bewertung, weil ja alles nur ein Witz ist? Natürlich nicht. Kann auch schlechte Comedy die gesellschaftliche Diskussion eröffnen und die Welt zum Besseren ändern? Möglicherweise ja. Möglicherweise auch das Gegenteil. So habe ich neulich das Interview einer Frauenrechtsaktivistin gehört, die über den desaströsen Effekt eines Sketches von Saturday Night Life von 1993 die Vorstellung von „date rape“ lächerlich machte und die öffentliche Diskussion zum Thema eher abwürgte. Auch in den Folgejahren wurde SNL in diesem Punkt nicht wirklich zum Vorkämpfer im bereich Frauenrechte – trotz starker Frauen wie Amy Poehler und Tina Fey.

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Also: Schaut Comedy. Denken müsst ihr aber weiterhin selbst.