- „Ideologiefrei“ ist doch eine Ideologie.
- Wer ein System revolutionieren will, sollte es kennen. Oder wird es kennenlernen.
- Laute Menschen werden gewählt. Wählt keine lauten Menschen. Oder nicht zu viele.
- Politik ist die Kunst Kompromisse und Allianzen zu schmieden.
- Politik verändert Menschen. Manche bleiben auch sie selbst, werden nur mehr von sich selbst.
- Nicht jeder Mitbewerber ist ein Feind. Keiner ist ein Freund.
- Wähler sind undankbar, Medien um so mehr.
- Die meisten Menschen sind keine Nazis. Manche um so mehr. Versucht den Unterschied zu erkennen.
- Wenn ein Jahr Sacharbeit im Orkus verschwindet, hast Du ein Jahr Sacharbeit gewonnen.
- Twitter ist ein lausiges Plenum.
Neue Serien: It’s not House Of Cards, stupid
Heute habe ich ein kleines Lamento gelesen. Eigentlich sogar ein ziemlich langes Lamento: Netflix kauft nicht bei deutschen Serienproduzenten.
Insbesondere deutsche TV-Autoren und -Produzenten hatten dem Deutschland-Start des amerikanischen VoD-Giganten Netflix wie einer Erlösung entgegengefiebert. Endlich würde ein finanzstarker Player auf den hiesigen Fernsehmarkt treten, der statt Provinzialität, Mittelmäßigkeit und kleinbürgerlicher Piefigkeit endlich nach spannenden, kontroversen und komplex erzählten Serien-Stoffen sucht. »Wir werden sicher auch in Deutschland produzieren«, so Netflix-Gründer Reed Hastings noch zwei Wochen zuvor gegenüber dem Spiegel. Doch der Traum von einem deutschen House of Cards ist vorerst geplatzt.
Sorry, aber so deutlich muss ich es sagen: Natürlich ist der Traum geplatzt. Was denkt ihr denn? Netflix kommt aus dem Videothekengeschäft. Was tun Videotheken nicht — mit Ausnahme von Be kind rewind? Filme drehen. House Of Cards ist eine Marketing-Maßnahme. Es ist eine alte BBC-Serie, die mit Staraufgebot, einer hervorragenden Filmographie und einer lächerlich amerikanisierten Story zu einem Hype-Produkt umgebaut wurde, das den West-Wing-Fan zum Weinen bringt. (Übrigens: Herzlichen Glückwunsch zum 15. Geburtstag, Josh, Toby, Donna, CJ und Leo.)
Wo war ich? Beim Geschäftsmodell. Dass Netflix ein zweites oder drittes House Of Cards produziert und es sich bei deutschen Machern einkauft, ist leider unrealistisch. Netflix investiert zwar mehr Geld in neue Serien als Huffington Post und Buzzfeed in Journalismus, aber das ist noch lange kein Lottogewinn für die Macher. Sicher: Contentproduzenten haben auf einen Klick ein weltweites Publikum. Aber wenn sie schmerzhaft erfahren, wie schnell die Leute wegklicken, wollen sie Leute vermöbeln, die „auf einen Klick“ sagen.
Ich hab in der Vergangenheit schon ein paar Mal über Garfunkel and Oates geschrieben. Sie waren YouTube-Sensationen. Ausgebildete Schauspielerinnen aus der dritten Reihe, die zu Gitarre und Ukulele griffen, und dem noch jungen YouTube Ständchen brachten. Sie sangen über Blowjobs, sie sangen über Ex-Freunde, sie sangen über hochnäsige Schwangere. Und trafen mehr als einen Nerv. Sie wurden nicht simpel zu YouTube-Prominenten, sondern brachten ihre Shows auf der Bühne und arbeiteten weiter als Schauspielerinnen. Schufen ein Netzwerk. Und bekamen eine Serie. Bei IFC.
Ich als Fanboy würde mir natürlich wünschen, dass ich die Serie über alle Höhen loben könnte, aber es ist halt IFC und nicht der Geldsack HBO, der zunächst Interesse gezeigt hatte. Das heißt: Kate und Riki hatten keinen writers room, der ihre Geschichten routiniert auf Massenkompatibilität und Umsetzbarkeit tunte, alle Folgen mussten in nur drei Drehtagen in den Kasten und falls Sir Ben Kingsley ein Honorar verlangt haben sollte, war ein großer Teil des Budgets verbraucht. Und dennoch. Das:
Bei allen Sympathien für die Gay-Rights-Bewegung: Es ist nicht mein Kampf. Aber dieses kleine Video rührt mich mehr als alle romantic comedies mit Meg Ryan oder Matt Lauer. Rainbows are improbable, beautiful, and rare, But so are you, and so is this, the love that we share. Tonpapier und Handpuppen schaffen das, wozu sonst Millionen Dollar und 30jährige Karrieren investiert werden.
So sehe ich viele Momente in der Serie. Ungeschliffen. Verbesserbar. Doch im Kern wunderbar. Es ist die Ausdrucksform der Kreativen, die ein Millionenbudget, aber kein zweistelliges Millionenbudget bekommen haben. Denn das bekommen nur die Leute, die schon in Big TV und in den Big Movies ihre Sporen verdient haben. Wollt ihr Geld von Netflix, YouTube, Watchever, versucht das: Augsburger Puppenkiste statt House Of Cards. Tatortreiniger statt CSI.
Es ist keine goldene Zukunft, die Zeiten der zweistelligen Millionenbudgets, dreistelligen Millionen-Gagen und der 30-jährigen TV-Karrieren ohne Pflicht zur Selbsterfindung sind vorbei. Es ist ein langer Lauf von Budget zu Budget und nur ein paar Schritte davon führen über rote Teppiche. Change is coming. Und nicht nur der TV-Sender muss überzeugt werden, sondern der Zuschauer direkt. Denn Pro7 und Co sägen euch nach zwei Folgen ab, wenn es denn nicht sofort passt. Die Beziehung zum Zuschauer bietet jedoch neues Potenzial. Er ist der Adressat, er ist Euer Partner und nicht nur ein anonymes Publikum zwischen 14 und 49.
Right now they fall away,
Right now it’s just us two,
Right now we make a promise:
If you do, then I do too.
Ermittlungstatbestand: Kinderfotos
Ich war vor Jahren einmal auf einer Polizeikonferenz zum Thema Kinderpornografie. Die Beamten waren engagiert, einige waren sogar informiert und allen traute ich zu, dass sie sich etwas aus ihrer Arbeit machten: Kriminelle ermitteln, Kinder und andere zu schützen und Unschuldige möglichst nicht zu stigmatisieren.(*)
Diese Beamten beklagten sich, dass sie zu wenig Spielraum hätten. Dass sie noch nie jemanden ertappt hätten mit vermeintlichen harmlosen Kinderbildern, der dann nicht doch eine umfangreiche Kinderporno-Sammlung auf der Festplatte gehabt hätte. Die sich Vorsorge wünschten, dass sie nicht noch einen Straffälligen verhören müssten, der sich an Kinderpornografie, Alkohol und anderem berauscht hatte, bis er dann tatsächlich ein Kind in seine Wohnung lockte. Sie wünschten sich. sich nicht die versifften Wohnungen durchstöbern und dann 1,6 Millionen ekelhafter Bilder durchforsten und katalogisieren zu müssen.
Für diese Beamten hat Bundesjustizminister Heiko Maas nun ein Gesetz schreiben lassen. Eins, das endlich Grooming verbietet — also das Anbaggern und Einschüchtern von Kindern um sie ohne körperlichen Kontakt sexuell zu missbrauchen. Er lässt Verjährungsfristen hoch setzen, damit sich Leute trauen, endlich aus dem Schatten ihres Traumas zu treten. Und er plant, die Weitergabe und Verbreitung von Nacktaufnahmen insbesondere von Kindern und Jugendlichen unter Strafe zu stellen, die unter Verletzung deren Persönlichkeitsrechten entstanden sind.
STOP!
Ich war heute auf der Photokina. Eine der ersten Ausstellungen am Eingang Nord zeigt Menschen eines Stammes in Afrika. Keiner davon ist nach unseren üblichen Vorstellungen bekleidet und ich bezweifle, dass sie alle eine Verzichtserklärung nach deutschem Recht unterschrieben haben. Würde das Gesetz von Heiko Maas tatsächlich ernst gemeint sein, müsste die Staatsanwaltschaft anordnen, diese und viele weitere Bilder beschlagnahmen zu lassen, den Fotografen vorführen zu lassen und alle, die diese Bilder abfotografiert haben und auf Twitter, Facebook, Instagram verbreitet haben. Doch das will Heiko Maas nicht, das wollen die Beamten nicht.
Ein solches Gesetz, das so schwammig formuliert wird, so an der Realität vorbei geht, dient nur einem Ziel: Unsicherheit schaffen. Wir kennen es aus US-Krimis: Die Polizei kann jeden Gewerbetreibenden zu einer Aussage erpressen, in dem sie sich auf den Brandschutz oder auf die Einwanderungsgesetze beruft. Denn: Diese Gesetze gehen an der Realität vorbei und irgendwie ist jeder schuldig. Und somit kann der wackere Polizisten jeden halbwegs bösen Burschen zur Ordung rufen.
Doch so funktioniert ein Rechtsstaat nicht.
Die Idee des Rechtsstaates beruht darauf, dass sich alle an die selben Gesetze halten und die auch entsprechen durchgesetzt werden. Natürlich gibt es Grenzen: Die Polizei kann nicht jeden Rotlichtverstoß ahnden, aber sie hat Aktionstage, an denen sie es tut. Tut sie es bei dem einen und beim anderen nicht, herrscht Willkür. Heiko Maas will keine Willkür, sondern ein magisches Sesam-Öffne-Dich für die Ermittler.
Ein Beispiel ist der so genannte Hacker-Paragraph, der uns 2007 so große Sorgen machte. Es wurde befürchtet, dass die Sicherheitsforschung kriminalisiert würde. Dass man alltägliche und vernünftige Dinge nicht mehr tun dürfe, weil der Hackerparagraph so unbestimmt, so missverständlich, so dumm war. Nichts davon ist passiert. Es gibt sogar Hochschulen, die das Knacken von Systemen lehren.
Warum brauchen wir also einen Hacker-Paragraphen, der nicht mal gegen ausländische Agenten angewandt wird, die Regierungsleitungen anzapfen? Er dient zur Verunsicherung. Und ist eine Eintrittskarte in die Welt der juristischen Vorsorge: Durchsuchungsbefehle. Abhöranordnungen. Oder Disziplinarstrafen, lange bevor der Staatsanwalt eingeschaltet wird. Er ist ein Freischein, Computer zu konfiszieren und zwei Jahre in die Asservatenkammer zu stellen. Es ist kein Straftatbestand, sondern ein Ermittlungstatbestand.
Aber sorry, der Rechtsstaat kennt keine Freifahrtsscheine. Der Rechtsstaat mag niemals perfekt sein, aber wir können hier ganz gut sagen, dass dieser neue Baustein nicht passt.
(*) Einer der Beamten, mit dem ich mich nach der Konferenz auf ein Bier traf, sagte mir, er hätte meine Polizei-Akten durchstöbert. Ich lachte darüber, bis er die Vorstrafen eines anderen Anwesenden andeutete. Ein harmloser Scherz? Möglicherweise, aber seitdem vertraue ich auch wackeren Beamten nicht mehr uneingeschränkt.