Urlaubsschein

(ndpo) Mehr als 30 Prozent der Deutschen täuschen ihre Ferien nur vor, jede zweite Urlaubs-Postkarte ist gefälscht. Das hat eine Umfrage des Umfrageinstituts Forsensbach ergeben.

Stefan Sichtermann (Name ganz und gar nicht geändert) hat es sich zu Hause gemütlich gemacht. Das Wohnzimmer hat er in eine Strandpromenade verwandelt, in der Küche gibt es statt Kaffee Caipirinhas. Doch die Tropensonne kommt aus der Steckdose. Die Rollläden hat er heruntergelassen. Denn sein Urlaub ist nur ein Scheinurlaub.

Wie viele andere Deutsche hat sich Sichtermann mit dem Klischee abgefunden: Im Sommer packt der deutsche Familienvater die Familie in seinen komfortablen Mittelklassewagen, lässt ihn für eine vierstelligen Beitrag am Flughafen stehen und fliegt nach Mallorca, Antalya oder RTL2istan, um dort eine Woche mit Schwitzen, Diarrhö und Familienstreit zu verbringen. „Doch eigentlich mag ich das gar nicht“ sagt Sichtermann. „Warum soll ich das viele Geld ausgeben, wenn ich doch viel lieber zu Hause wäre?“

Sichtermann, der im Hauptberuf eine florierende Nachrichten-Webseite betreibt, hat seine gestreiften Geschäftsführerhosen gegen die Shorts des Zu-Hause-Animateurs eingetauscht. „Meine Tochter ist nicht mal drei Jahre alt, die wird das schon nicht merken“, sagt der verheiratete Junggeselle. Dem privaten Glück kommen seine beruflichen Qualifikationen zupass. „Wenn ich den Papst zum Sado-Maso-Hohepriester und Steinbrück zum ernsthaften Kanzlerkandidaten machen kann, kann ich für meine Tochter auch ein paar Urlaubsbilder fälschen“, sagt Sichtermann (Name ganz und gar nicht geändert).

Wie Sichtermann (Name ganz und gar nicht geändert) haben Millionen Deutsche den Scheinurlaub entdeckt. Die Personalabteilungen großer Konzerne haben sich dem Trend schon angepasst und stellen „Scheinurlaubsscheine“ aus. Die Zeit verbringen die Erwerbstätigen nach einer aktuellen Telefonumfrage zu 43 Prozent mit Twittern unter falschen Identitäten, 13 Prozent onanieren zwanghaft und 93 Prozent erforschen einen neuen Ansatz, Einsteins Relativitätstheorie zu widerlegen.

Mittlerweile hat der Scheinurlaub auch die Scheinpolitik erreicht. Bundeswirtschaftsminister Rösler kündigte an, das Thema zu einer neuen Folge von „Günther Jauch“ zu machen. „Wenn die Leute anstatt zu scheinurlauben weiter scheinarbeiten würden, könnten wir sicher 15 Scheinbanken retten“, sagte der Vizekanzler.

Eternal September, Wahlkampf edition

„Online-Wahlkampf“ klang mal gut. Die wichtigen Leute nehmen unseren Lebensraum wichtig. Und das Web kann politischen Diskurs auf neue Höhen bringen. Wo jeder alles googeln kann, gibt es keine Lügen mehr.

Von wegen. Onlinewahlkampf heißt: Deine Timeline verwandelt sich in eine Bundestagsdebatte. Jeder beklagt dass niemand über die Themen redet und sucht Satz-Versatzstücke, die den politischen Gegnern entlarven soll. „Hast Du das gehört? Hast Du? Hast Du? Retweet!“ Und die Bundestagsabgeordneten sitzen neben Dir im Bus, in Deinem Wohnzimmer, auf der Nachbartoilette und finden sich ganz toll und die anderen ganz doof. Und sie machen Wortspiele.

Es gibt zwei Möglichkeiten, das zu überleben. Entweder man ignoriert jeden politisch interessierten Mensch für die nächsten drei Monate oder man nimmt sie einfach nicht ganz so ernst. Man kann ihre Nachrichten sogar remixen.

Volker Jarzombek

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Generalverdacht der Algorithmen

Kai Biermann schreibt über den Generalverdacht durch Einsatz von Algorithmen

Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten? Nein, das ist eine Lüge. Denn weil die zugrunde liegenden Handlungen so alltäglich und die daraus gewobenen Muster so komplex sind, kann sich niemand dieser Rasterung entziehen. Es ist unmöglich, bewusst friedlich zu leben, um dem Staat und seiner Neugier aus dem Weg zu gehen. An sich harmlose Verhaltensweisen können genügen, um überwacht und verfolgt zu werden. Es reicht, ähnliche Dinge getan zu haben, wie ein Verbrecher. Stundenlange Verhöre sind dann noch eine vergleichsweise harmlose Folge.

Da kann man sagen: Tja, dann braucht man eben bessere Algorithmen. Das ist eine tolle Idee, ABER…

Vor ein paar Wochen habe ich für den Tagesspiegel über Bewegungserkennung in Überwachungskameras geschrieben. Dort sagte mir ein Wissenschaftler, dass die Daten an jedem Einsatzort neu angelernt werden müssen. Denn Bewegungsmuster, die in Saudi-Arabien völlig normal sind, würden in Deutschland als alarmierend und anormal wahrgenommen.

Was also verdächtig ist, müssen im Prinzip die selben Leute festlegen, die schon heute nach Verdächtigem gucken. Statt einem Verbrechens-Suchalgorithmus wird man so ein Programm bekommen, das so tut als sei es Polizist. Oder Wachmann. Wenn die früher dunkelhäutige Menschen verdächtig fanden, dann auch das von ihnen angelernte System.

Doch kein Problem — da braucht man einfach mehr Daten und es wird sich schon alles einrenken. Doch diese Annahme scheitert oft am Menschen, der halt seine eigenen Annahmen durchsetzt. So hat die Stadt New York eins der am weitesten entwickelten und auch eins der mächtigsten Polizei-Datenauswertungs-Systeme — das übrigens auch an Lizenznehmer weitergegeben wird und in seiner neuesten version auch Auswertung der Videodaten aus ganzen Stadtvierteln beherrscht, Samt Kennzeichenscannern und Erfassung merkwürdig humpelnder Menschen.

Die Polizei hatte damit in den letzten Jahren bemerkenswerte Erfolge. Am Times Square trifft man auf Kommerz und Comicfiguren statt auf Zuhälter und Straßenräuber. Doch die Polizei hat allzu gut mit dem System gearbeitet. Beförderungen, Geldmittel und Mentalität wurden ganz auf den Computer ausgerichtet.

Folge: Einige Polizeivorgesetzte schickten ihre Männer los, um die Straftäter zu fassen, die der Computer sah — ob sie nun da waren oder nicht. Gerade bei Winzvergehen wie Telefonieren am Steuer gab es feste Quoten. Wer weniger erwischt, ist kein guter Polizist. Und wer unschuldig in die Fängen des Systems kommt, fällt eben aus dem Rahmen der Algorithmen. Er kann ja umziehen in eine andere Stadt mit weniger Algorithmen.

Andere Verbrechen — wie zum Beispiel eine Vergewaltigungsserie — wurden hingegen nicht erfasst. Denn so etwas lässt die Revierleiter schließlich vor dem Computer schlecht aussehen. Das zumindest ist die Geschichte von Adrian Schoolcraft, der im Polizeidienst stand und solche Anweisungen aufgezeichnet hat. Ach ja: Nicht die Vorgesetzten wurden entlassen, sondern er — er landete sogar in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung. 

Die Algorithmen schaffen ein selbstverstärkendes System, oder besser gesagt: Wir Menschen schaffen es. Wir belügen den Computer, damit er uns sagt, was uns passt. Wir übertragen unsere Urteile und Vorurteile auf ein System, das scheinbar neutral und überlegen ist — unsere Fehlbarkeit aber imitiert.

CDU: Vorratsdatenspeicherung? Ohne uns!

Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, erklärte heute im Bericht aus Berlin zum Thema „Prism“.

Die Amerikaner machen geltend, damit hätten Dutzende Terroranschläge — das ist die Wortwahl gewesen — verhindert werden können…..Das mag sein, aber trotzdem rechtfertigt das sicherlich nicht, aus unserer Sicht, den flächenmäßigen, unspezifischen … Zugriff auf alle Kommunikationsdaten von 80 Millionen Menschen.

Tja. Wenn nicht einmal Terrorismus als Rechtfertigung für den unspezifischen Zugriff auf Kommunikationsdaten taugt — ist dann die Vorratsdatenspeicherung erledigt? Oder will man sich auf darauf rausreden, dass die Daten von den Providern zwischengespeichert und erst anschließend der staatlichen Auswertung zugeführt werden?

Nundenn, das war bei den Funkzellenabfragen auch der Fall und wurde massenhaft genutzt. Und die Amerikaner nutzen die gleiche Ausrede. Es gibt also nichts auszusetzen, oder doch?

Ingress: Baut Wagenburgen

Wie viele mitbekommen haben, bin ich ja auch Ingress beigetreten. Ingress ist ein Augmented Reality-Game, oder für die Unkundigen: Schach mit Lasern mit der Welt als Spielfeld.

Seit mittlerweile fünf Monaten bin ich aktiver Spieler und habe mittlerweile Level 7 erreicht. Gestern bekam ich fünf Invites auf mein Konto. Das heißt wohl: Bald geht es los. Google bereitet das Ende der Invite-Only-Politik vor und will Ingress auf die breite Bevölkerung loslassen.

In den letzten Wochen hat sich Ingress sehr gewandelt. Anfangs waren Angreifer mit viel Zeit hoffnungslos im Vorteil und konnten quasi jedes Portal übernehmen. Man konnte es richtig auf der Karte verfolgen, wie ein Level-8-Spieler eine Schneise ins gegnerische Lager ziehen konnte.

Das ist vorbei. Motivierte Verteidiger — und zu die Kategorie zähle ich mich selbst — können die Portale in ihrer Umgebung mit Schilden und Links stark aufrüsten. Wachsame Spieler können portale auch während eines Angriffs aus der Ferne aufladen und so einen Angreifer zum Aufgeben bringen. Wenn der am schwersten zugängliche Resonator plötzlich immer wieder 100 Prozent erreicht, geben auch hartnäckige Level8-Spieler zuweilen auf. Manchmal pausieren sie auch nur ein paar Minuten und geben dem letzten Resonator dann den Rest.

Deshalb stimmt jetzt mehr als zuvor, was Kristian Koehntopp sagte: Ingress ist ein Teamsport. Um Portale aufs Äußerste hochzurüsten, braucht man acht Level-8-Spieler. Aber der Spieler-Mittelstand ist auch wichtig, denn man braucht auch Resonatoren von Level 4 bis Level 6, um ein Portal voll auszustatten.

Gleichzeitig ist das Spiel für Neulinge unattraktiver geworden. Konnte ich im Januar direkt als Frischling mit dem Erobern von Portalen beginnen, müssen sich Neulinge heute auf unattraktive Tätigkeiten wie das Aufladen bestehender oder das Einreichen neuer portale beschränken. Nachwuchsförderung wird damit zu einem wichtigen Thema. Man sucht sich gezielt Mitspieler in Gegenden, wo man Unterstützung gebrauchen kann und lernt die so gut an, wie es geht. Und man nimmt sie mit auf Ingress-Touren, damit sie ihre ersten Levelsprünge bewältigen können. Man baut Wagenbrgen, um den Neulingen eine geschützte Umgebung zu bietren, wo sie erste Erfahrungen sammeln und Links setzen könnnen.

Wer Ingress als Herausforderung spielen will, wer Strategie und Ausdauer belohnt haben will, sollte in Deutschland dem grünen Team, den Enlightened beitreten. Denn die sind in Deutschland in chronischer Unterzahl. Wer möchte hier schon ein „Erleuchteter“ sein, wenn er dem „Widerstand“, der „Resistance“ beitreten kann? Dass sich die Situation genau umgekehrt verhält, wissen neue Spieler ja nicht.