Piraten: BGE ohne B, G oder E

Die Piratenpartei zieht Kritik wegen eines Vorschlags der Sozialpiraten auf sich. Die wollen ein Bedingungsloses Grundeinkommen von zirka 440 Euro (PS: Ein Autor des Konzepts spricht in den Kommentaren von 457 Euro) einführen und das über höhere Umsatzsteuer von 20 Prozent und einen einheitlichen Einkommenssteuersatz von 45 Prozent finanzieren.

Schauen wir Mal etwas näher ins Konzept.

Die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft kann nur dann halbwegs verlässlich abgeschätzt werden, wenn das Modell nahe am status quo bleibt.

In der Volkswirtschaftslehre nennen wir das „ceteribus paribus“. Man dreht an einer Schraube und hofft, dass sich die Effekte nicht durch das ganze Wirtschaftsgefüge ziehen. Beziehungsweise: Volkswirte ignorieren das absichtlich, um einige Modellberechnungen anzustellen. Die Sozialpiraten hingegen hoffen, dass ihre Zahlen noch valide sind, wenn die Änderungen nur gering genug erscheinen.

Ein Irrglaube. Die eingesparten Sozialleistungen kommen exklusiv aus den Taschen der Geringverdiener. Hinzu kämen wesentliche Preiserhöhungen in vielen Bereichen wegen der Steuererhöhungen. Sprich: BGE-Bezieher würden deutlich weniger haben als Hartz-IV-Bezieher heute.

Dass das Geld nicht zur gesellschaftlichen Teilhabe reicht, hätte den Sozialpiraten auch auffallen können, als sie das aufschrieben:

Unser Konzept sieht ein Grundeinkommen von 70% des steuerlichen Existenzminimums pro Person und Monat vor.

Die Erkenntnis, dass 70 Prozent des Minimums nicht ausreichend sind, hat sich dann aber wohl doch durchgesetzt, denn später kommt dieser Part:

Zusätzlich soll bei Nachweis einer entsprechenden Bedürftigkeit ein Zuschuss zu den Wohnkosten (Mieten, Nebenkosten, Heizkosten) gezahlt werden. Der Nachweis der Bedürftigkeit soll einfach und datensparsam erfolgen.

Kurzes Zwischenfazit: Das vorgeschlagene Modell des Bedingungslosen Grundeinkommens der Sozialpiraten in der Piratenpartei ist weder bedingungslos, noch ist es ein Grundeinkommen, das die gesellschaftliche Teilhabe sichert. Und die Großverdiener sind fein heraus. Eine Umverteilung von unten nach oben.

Und dafür soll ich 45 Prozent Einkommenssteuer zahlen?

Niemand hat Angst vor Bitcoin

Jason Calacanis hatte Mal wieder den richtigen Riecher. Mitte Mai schrieb er:

Bitcoin is a P2P currency that could topple governments, destabilize economies and create uncontrollable global bazaars for contraband.

Oder etwas schmissiger:

Bitcoin P2P Currency: The Most Dangerous Project We’ve Ever Seen

Richtig lag Calacanis, weil er mit dieser Aussage einen richtigen Hype um diese Hacker-Währung auslöste oder zumindest verstärkte. Selbst deutsche Medien schreiben jetzt begeisterte Berichte, Spiegel Online hat sich in einen regelrechten Goldrausch hineingesteigert und Dradio Breitband übernahm die Behauptungen von Calacanis als Fakt ohne auf die Quelle hinzuweisen.

Also hat Calacanis wieder alles richtig gemacht. Falsch lag er nur mit einer Kleinigkeit: der Realität. Lassen wir also Mal ein wenig die Luft aus dem Hype:

  • Kein Staat hat je irgendein Interesse an der Währung Bitcoin gezeigt, ein Verbot steht weder kurzfristig noch mittelfristig zur Debatte, ebenso wenig wie bei den zahlreichen anderen virtuellen Währungen, von CyberCoins bis Lindendollars, von Vielflieger-Meilen bis hin zu Payback-Punkten. In der Anti-Terror-Hysterie mag irgendjemand ein Verbot fordern, aber das ist Teil des Hypes. Die Zentralbanker zucken nicht einmal mit der Wimper.
  • Bitcoin macht Banken nicht überflüssig. Schon heute gibt es im Bitcoin-Netz „Wechselstuben“, also Banken. Geldanlage und andere Dienstleistungen der Banken sind unberührt.
  • Bitcoin wird in der jetzigen Form niemals eine echte Währung ablösen können, da wichtige Funktionen fehlen. Die Pseudo-Geldschöpfung zu Beginn ist niedlich, aber ohne Belang. Da es eine Höchstgrenze von 21 Millionen Bitcoins geben soll, muss es danach zu einer Deflation kommen, wenn der Umlauf wachsen soll. Anders als Christian Stöcker behauptet, reicht es nicht Bitcoins in beliebig viele Stücke zu teilen, um den Effekt zu bekämpfen. Denn wenn eine Währung dauerhaft im Wert steigt, ist es irrational, das Geld auszugeben. Man legt es unter das Kopfkissen und wartet ab, der Geldfluss versiegt und die Währung ist nur noch ein Haufen kryptografischer Schnippsel. Von weitergehenden Effekten auf Investitionen verzichte ich an dieser Stelle. Um Schwankungen in der Realwelt auszugleichen benötigt das Bitcoin-System immer die Ankopplung an „echte“ Währungen. Wenn der Umlauf nicht wachsen soll, muss es keine Deflation geben, Bitcoins hätten aber die währungspolitische Relevanz von Spielgeld.
  • Kein kryptografisches System ist auf Dauer sicher. So wie die Laufzeit des elektronischen Personalausweises mit 10 Jahren für den Geschmack des CCC viel zu lange ist, ist auch die Bitcoin-Architektur ohne regelmäßige Updates letztlich dazu verdammt geknackt zu werden.
  • Wer jetzt per Bitcoin auf dem Papier zum Dollar-Millionär geworden ist, sollte versuchen davon ein Auto zu kaufen. Oder einen Joint.

PS: Leute, die ernsthaft Bitcoins als Wertanlage in Betracht ziehen, sind Spekulanten unterster Klasse, die auf Nicht-Leistung und Voodoo Gewinne aufbauen wollen. Sind sie schlau, wollen sie von dem Hype profitieren und die nachfolgenden Bitcoin-Käufer abzocken, fallen sie auf den Hype rein, sind sie einfach nur ignorant. Die Kurssteigerungen bei Bitcoin haben kein realwirtschaftliches Äquivalent. Wohin solche Blasen führen, sollten wir inzwischen alle wissen.

Nachtrag: : Der bvdw ist jetzt auch auf den Hype aufgesprungen und veröffentlicht eine hochtrabende Warnung:

Wir gehen davon aus, dass ‚Ersatzwährungen‘ wie Bitcoins über kurz oder lang auch durch den Gesetzgeber verboten werden, weil er sich in der Verantwortung sieht, seine Bürger und die Gesellschaft weitreichend zu schützen. Für die Sicherheit und das Wohl der Verbraucher, aber auch im Sinne der Interessen von Händlern und Betreibern von Online-Shops muss ein Regulativ für die Zahlungsmittel existieren.

Wie oben ausgeführt ist, taugt Bitcoin nicht als Ersatzwährung. Der Gesetzgeber müsste also ein PR-Märchen bzw ein wildes Gerücht oder Cyberpunkt-Träumereien verbieten. Wie das auch immer gehen soll.

Kulturwertmark – 20 Jahre zurück

Der CCC hat heute ein „zeitgemäßes Vergütungsmodell“ für Kreative vorgestellt. „Zeitgemäß“ heißt hier aber: Wir wollen 20 Jahre zurück und hoffen, dass wir die Fehler nicht wiederholen.

Schon der Name „Kulturwertmark“ ist ein Zeichen dafür. Wir haben die Mark vor 10 Jahren abgegeben,. Ab und an inseriert ein Teppichhändler oder ein Resteverkauf, dass er an einem Wochenende tatsächlich noch die gute alte Deutsche Mark als Zahlungsmittel akzeptieren will – und dann werden Schubladen durchwühlt und mäuseangefressene Geldscheine hervorgeholt. Die Mark ist eine ferne Erinnerung, sie steht für eine gute alte Zeit, in der das Geld stabil und unsere Lebensentwürfe in Stein gemeißelt waren. In der ein Sparbuch und eine Arbeitsstelle auf 40 Jahre sicher waren.

Doch über den Namen hinaus zeugt der CCC-Entwurf von der Sehnsucht nach vergangener Zeit. Der institutionelle Hintergrund der neualten Währung sieht so aus:

Wir schlagen vor, das System als eine vom Staat initial finanzierte, aber vollständig unabhängige Stiftung zu realisieren, die von den Ländern Hilfe beim Erheben der Beiträge erhält (oder alternativ mit den ISPs Verträge über Einzug und Weiterleitung abschließt). Die Besetzung des Exekutivgremiums der Stiftung sollte hälftig per allgemeiner Wahl unter den Teilnehmern und Künstlern erfolgen, so daß die Interessen beider Seiten adäquat repräsentiert sind. Stimmberechtigt ist, wer mindestens für eine festzulegende Zeit (etwa drei Monate) in das System eingezahlt hat. Wenn die Anzahl der Benutzer um eine signifikante Zahl gestiegen ist, sind Neuwahlen durchzuführen. Eine Besetzung analog der Quotenregelung wie bei den Rundfunkräten hat sich nicht bewährt und ist undemokratisch.

Stiftungsposten sollten zeitlich beschränkt werden. Das Budget der Stiftung soll schmal gehalten und auf die technische Durchführung ausgerichtet sein. Der Verwaltungs-Overhead sollte aus den Zinsgewinnen des Stiftungsvermögens gedeckt werden, so daß eine hundertprozentige Auszahlungsquote der erhobenen Beiträge an die Künster erreicht wird und keine Transaktionsgebühren erhoben werden müssen. Eine privatwirtschaftliche Lösung ist nicht erstrebenswert, Interessenskonflikte wären hier vorprogramiert, die Auszahlungsquote sänke.

Eine zinsfinanzierte Stiftung in demokratischer Hand. Vor 20 Jahren hätte ich das vielleicht toll gefunden, als ich noch keine Ahnung hatte, wo die Zinsen denn her kamen. Als die zwei Prozent auf dem Sparbuch sicher und die Inflation kaum vorhanden waren. Doch gerade die letzten Jahre haben uns gezeigt: Zinsen kommen nicht aus dem Nichts. Wer sich vom Geldmarkt abhängig macht, kann darin umkommen. Und: Woher kommt das Stiftungsvermögen, dass die Zinsen abwerfen soll? Vom reinen Umlaufvermögen kann das nicht abgezweigt werden, schließlich soll ja eine hundertprozentige Auszahlung garantiert werden. (Und eine staatliche Anschubfinanzierung kommt letztlich auch nur aus den Taschen des Kulturvolks.)

Der institutionelle Rahmen ist von der Illusion geprägt, dass wir das Erfolgsmodell parlamentarischer Demokratie (O-Ton Bundespräsident Christian Wulff) verlustfrei ausdehnen können. Der CCC schlägt eine neue GEMA vor, eine bessere GEMA, in der die Interessen von Künstlern und Nutzern unbestechlich und ohne Reibungsverluste vertreten werden. Die dann entscheidet, wie die Leistung eines kompletten Orchesters gegen das eines lispelnden 16jährigen Superstar-Gewinners abzuwägen ist. Doch wer heute durch die Straßen deutscher Städte geht, sieht die Plakatwände vollgepflastert mit dem Aufruf zur Sozialwahl. Kennt ihr irgendjemanden, der sich dort informiert hat, um eine kompetente Wahlentscheidung zu treffen?

Doch auch an anderer Stelle ist der Vorschlag durchdrungen von einer Rückwärtsgewandtheit, einer Sehnsucht nach der guten alten Zeit, als die Welt noch in Ordnung war:

Wir wollen an dieser Stelle voraussetzen, daß ein zukünftiges System kein Recht auf Reichtum impliziert. Es geht nicht darum, den Britney Spears dieser Welt ihre zukünftigen Millionengagen zu sichern. Es geht um den Erhalt einer breiten, bunten, schöpferischen Kulturlandschaft mit möglichst großer Vielfalt. Und es geht um den möglichst niederschwelligen, für alle erschwinglichen Zugang zu den Werken, die in dieser Landschaft erblühen.

Es ist fast deprimierend zu sehen, dass es nicht Mal zur Nennung von Lady Gaga gereicht hat – der aufreizende Kostüme und Vermarktungs-Maschinerie sind doch der viel größere Schrecken für die Spießbürger. Wann war Britney Spears ein Skandal? Vor 10 Jahren? Als man „dass“ noch mit ß schrieb?

Aber im Ernst: die Kulturwertmark ist ein nationalstaatliches Konzept, dass das Ausscheren Deutschlands aus dem internationalen Kreativmarkt vorschlägt. Wir wollen uns nicht von US-Mayors die Preise diktieren lassen. Wir wollen, dass unsere Bürger nicht verfolgt werden können, wenn sie Britney Spears herunter- und hochladen. Und wir wollen ein gesondertes, inkompatibles Urheberrecht. Denn wenn Britney und Gaga ihre Tantiemen aus Deutschland abholen wollen, sagen die demokratischen Kulturräte: wie steht es denn mit der Allmende? Entweder ihr gebt Eure Musik kostenfrei heraus oder wir bezahlen Euch nichts. Wohin solche Regelungen führen, wissen wir leider zur Genüge: „Dieses Video ist in Deinem Land nicht verfügbar“.

Aber vielleicht ist genau das das Ziel des CCC-Modells. Drehen wir Globalisierung und Kulturimperialismus zurück. Sie haben versagt. Lasst uns etwas neues aufbauen — ohne Rücksicht auf Verluste. Oder einfacher: gehen wir 20 Jahre zurück. Nach dem Ende des Kalten Krieges hätten wir die Systemfrage stellen müssen um das Beste aus Kapitalismus und Sozialismus zu vereinen. Für ein besseres, gerechteres Heute.

Wer baut die Zeitmaschine?