Leistungsschutzrecht und elektronische Pressespiegel

Das viel diskutierte Leistungsschutzrecht könnte eingedampft werden. Das legt jedenfalls ein Interview mit der Bundesjustizministerin nahe, die keine Internet-GEZ für Büro-PCs will, sondern von einer Vergütungspflicht für gewerbliches Verlinken spricht.

Durch Twitter und Blogs erschallt der Spott: diese Verleger haben noch nichts von robots.txt gehört. Wenn sie nicht von Google ausgewertet werden wollen, können sie Google doch ganz einfach aussperren. Das Blöde daran ist: zumindest einige der Leute, die so etwas äußern, scheinen das durchaus ernst zu meinen. Dabei sollte der gesunde Menschenverstand und ein halbwegs waches Ohr zur unweigerlichen Erkenntnis führen, dass die Verleger (zumindest die große Mehrheit) absolut nichts gegen Google haben, wenn es denn zu neuen Einnahmen führt. Da Google im Bereich Online-Werbung eine durchaus bestimmende Marktstellung hat, haben die Verleger eigentlich einen legitimes Grund zur Beschwerde, zumindest zur rationalen Kritik des Ist-Zustandes.

Während einige Leute nun die Kommunikationsfreiheit als solche gefährdet sehen, hilft vielleicht einfach Mal ein entspannter Blick auf das jetzt geltende Recht. Denn Pressespiegel und elektronische Pressespiegel sind bereits heute kostenpflichtig, entsprechende Lizenzen werden von der Verwertungsgesellschaft Wort vermarktet. Während das Leistungsschutzrecht nach der Lesart von Keese und Co einer kaum zu begründeten GEZ-Gebühr für Büro-PCs gleich käme, die Online-Distribution gegenüber Offline-Distribution stark reglementiert, haben wir im durch den neuen Vorstoß der Bundesjustizministerin eine Chance über übergreifende Vorschriften nachzudenken, die das Urheberrecht modernisieren.

Ich glaube zwar nicht daran, dass dies passieren wird — aber die Chance will ich dem Justizministerium durchaus zugestehen.

PS: Um es nochmal klarer zu formulieren: Als es keine Links und Internetverwertung gab, entschloss sich der Gesetzgeber eine Möglichkeit zur niedrigschwelligen Nutzung von Inhalten der aktuellen Berichterstattung zu schaffen, die einerseits die Urheber und Verleger entschädigt und gleichzeitig die Weiterverbreitung der Information selbst rationalisiert. Wie würde man diesen Paragraph 49 des Urheberrechts heute formulieren, in einer Zeit, in der Pressespiegel durch Snippets und Links abgelöst wurden und die Verwertungskette nahtlos in den privaten Bereich übergeht?

Nachtrag: Thomas Stadler deutet Leutheusser-Schnarrenbergers Vorschlag in eine allgemeine Zahlpflicht für Links jeder Art um und findet das Ergebnis nicht gut. Verfassungsrechtlich ist er damit auf der sicheren Seite — nur mit der Realität hat diese Uminterpretation nichts zu tun. In dem Interview sagt die Bundesjustizministerin klar, dass es bei dem Vorschlag alleine um die Vermarktung von Inhalten geht, bei denen eine Verlinkung eines von mehreren Elementen sein kann. Wie gesagt: ich glaube derzeit nicht, dass diese Initiative erfolgreich sein wird. Um so wichtiger ist es, keine Worte aus dem Kontext zu reißen. Eine fundierte und ehrliche Debatte tut von beiden Seiten not.

Wikipedianer verschenken Millionen

Wikipedia ist keine Demokratie. Ich kann das so oft wiederholen wie ich will – es werden immer wieder Medien finden, die das Gegenteil behaupten. Aber, wie Gründervater Jimmy Wales immer wieder betont: Wissen ist keine Verhandlungssache. Wenn es demokratisch zuginge, wären zum Beispiel historische Darstellungen des Propheten Mohammed längst verschwunden, die Evolutionstheorie wäre nur eine von vielen Hypothesen, wie der allmächtige Gott seinen Plan verwirklichen wollte, Sarah Palin zur Präsidentin zu machen.

Wikipedia ist keine Demokratie, weil die Online-Enzyklopädie dazu viel zu offen ist. Jeder kann sich hinter verschiedensten IP-Adressen und Accounts verstecken – und oft genug tun sie es auch. Tagtägliche gibt es bei Tausenden von Artikeln Streitfälle, die sich nicht auf die Regeln runterbrechen lassen, oder die das teilweise konfuse Regelwerk ad absurdum führen. Ruf nicht nach Abstimmungen, nach Umsturz, sondern Sei Mutig! schrieben die altehrwürdigen Früh-Wikipedianer ihren Nachfolgern ins Stammbuch – und verabschiedeten sich ins Elysium von Berufstätigkeit und höheren Aufgaben.

Wikipedia ist keine Demokratie. Und doch gibt es Wahlen. Und Abstimmungen. Eine kleine Schar von Autoren, die sich dem großen Ganzen verpflichtet fühlen, die von den Entscheidungen anderer genervt fühlten oder die sonst in einem Sportverein wären ohne selbst Fußball zu spielen, kommt immer wieder zusammen, um über den Zukunftskurs und die Herausforderungen die Wikipedia zu bestimmen. Eine dieser Entscheidungen, die zu treffen wäre, ist mir grade wieder ins Auge gefallen.

Seit Jahren steht die Beteiligung an dem METIS-System der Verwertungsgesellschaft VG Wort immer Mal wieder auf der Agenda des Verein Wikimedia Deutschland. Kurz zusammengefasst: Die VG Wort sammelt Geld von uns allen ein, um Autoren für die vielen unbezahlten Verwertungen von Texten zu entschädigen. Bei Wikipedia ist in den vergangenen zehn Jahren eine ganze Menge Text zusammen gekommen, was die VG Wort dazu bewegte bei Wikimedia Deutschland anzufragen, wohin man das Geld denn überweisen könne. Doch es gibt Schwierigkeiten: die Software von Wikipedia ist nicht wirklich zu dem Zweck gerüstet, die VG Wort würde gerne ihre Zählpixel installieren und überhaupt: will man überhaupt bei einem solchen System mitmachen? Für Wikimedia wäre das System lukrativ – schließlich wird auch ein Anteil des Geldes an den Plattform-Betreiber ausgeschüttet.

Nach jahrelanger ergebnislosen Vereinsberatungen wurde nun die Community um Rat gefragt. Obwohl die Umfrage noch bis zum 25. Februar laufen soll, scheint das Ergebnis bisher eindeutig: gerade Mal 12 Befürworter stehen 120 Gegner gegenüber, 16 schwankende Nutzer hätten gerne ein Gutachten zum Thema. Die Statements zum Thema gehen sehr oft ums Prinzip, es geht um Verteilungsgerechtigkeit, Freies Wissen und die Angst, wie das Geld die zuweilen fragile Gemeinschaft der bisher unbezahlten Autoren untergraben würde:

–† Alt ♂ 02:24, 26. Jan. 2011 (CET) Das gierige Funkeln, das stellenweise jetzt schon in einigen Kommentaren aufscheint (was wir damit alles machen könnten!) verursacht bei mir extreme Magenschmerzen. Wenn wir hier Geld fürs Schreiben bekämen, würde sich verdammt viel ändern und es ließe sich wohl auch nicht mehr zurückdrehen.

–Jogo.obb Disk 21:34, 27. Jan. 2011 (CET) Was bekommen die, die im Hintergrund ackern, um zu verhindern das aus der WP ein Müllhaufen wird? Wer bekommt die Vergütung für Autoren bei einem Artikel mit X Autoren? Wer soll prüfen, ob ein Autor wirklich etwas für den Artikel geleistet hat oder ob er bloß ein Stückchen vom Kuchen haben will? Wer sorgt dafür, das nachher nicht sämtliche wichtige Artikel gesperrt werden, dass sich die Admins den Batzen allein verteilen können? Wie werden die Belohnt, die sich um Illustrationen kümmern? Wenn dann müsste das Geld komplett an die Stiftung fließen, das heißt Autoren müssten einer Verzichtserklärung auf ihre Ansprüche zustimmen, das wäre bei 26.715 aktiven Benutzern bereits ein enormer Aufwand, es müssten jedoch auch alle anderen der 1.156.568 angemeldeten Benutzer zustimmen.

–Andys / ☎ 12:54, 29. Jan. 2011 (CET) Ich lehne das geltende Urheberrechtsgesetz eh ab, das in weiten Teilen überholt und hoffnungslos veraltet ist. Da kann ich mich nicht zu dessen Nutznießer machen. Ich lasse mich nicht korrumpieren.

Es wird viel spekuliert über hive minds und verschwörerische Kungelrunden, die geheimen Agenden der Wikipedia-Oberen – METIS ist nur ein Kapitel von vielen, was diese einfachen Erklärungsmuster ad absurdum führt. Natürlich gibt es in der Wikipedia wie in jedem anderen Lebenraum Politik und Intrigen – wer jedoch sich nur auf das konzentriert, was ihm gefällt oder was ihm gerade nicht gefällt, wird Wikipedia nie verstehen.