Geht es überhaupt um die App?

Viel Häme ist nach der Verleger-Klage gegen die Tagesschau-App vergossen worden. Doch hören wir den Verlegern Mal zu. Dass Umwälzungen stattfinden müssen, ist eine Binsenweisheit. Doch niemand kann ernsthaft fordern, dass uns alle Änderungen auch tatsächlich gefallen.

Mathias Döpfner erklärt heute in der Süddeutschen:

Es geht um die Medienordnung in Deutschland. Die Apps der mit Gebühren finanzierten Sender beschreiben eine symbolische und faktisch außerordentlich problematische Entwicklung. Wir klagen, weil wir überzeugt sind, dass die App gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstößt. Im Rundfunkstaatsvertrag, Paragraph 11d, Absatz zwei, Ziffer drei, steht: Nicht sendungsbezogene, presseähnliche Angebote sind unzulässig. Die Tagesschau-App ist sehr eindeutig presseähnlich und nicht sendungsbezogen, also nicht zulässig.

Und Konzern-Kollege Christoph Keese sekundiert im Handelsblatt:

Worum geht es? ARD und NDR betreiben eine textbetonte Ausgabe der „Tagesschau“, die privaten Nachrichtenangeboten zum Verwechseln ähnlich sieht. Sie wird in Apples AppStore kostenlos angeboten und wurde seit ihrem Erscheinen vor einem halben Jahr 1,7 Millionen Mal auf iPhones und iPads heruntergeladen, finanziert durch Rundfunkgebühren.

Auf der einen Seite ist das Argument nachvollziehbar: Warum sollen die Öffentlich-Rechtlichen in Märkte vorstoßen können, die eigentlich der Privatwirtschaft vorbehalten sein sollten? (Fast) niemand erwartet GEZ-finanzierte Zeitungen — auch wenn mit Steuergeldern Neuntklässler zu Zeitungslesern ausgebildet werden sollen. Eine konvergente Welt, die Internet und andere Medieninhalte vereint, setzt sich über die althergebrachten Demarkationslinien hinweg.

Doch auf der anderen Seite: Warum ausgerechnet eine Klage gegen die App der Tagesschau? Denn eigentlich ist das Angebot ziemlich identisch mit dem Web-Angebot von tagesschau.de, es gibt keine separate App-Redaktion und AFAIK auch keine Inhalte, die exklusiv in der App auftauchen. Die App ist nicht prsseähnlicher als tagesschau.de. Als GEZ-Zahler fände ich es aber überaus verschwenderisch, wenn die ARD beispielsweise ihr großes Korrespondenten-Netz unterhält und dieses nur einmal pro Woche im ARD-Weltspiegel vorzeigt — oder in der Tagesschau, wenn die Bomben bereits fallen. Der Punkt „sendungsbezogene“ Inhalte sollte uns jedoch freuen. Wenn Springer hier konsequent handelt, müsste der Verlag auch ein Ende der idiotischen 7-Tage-Regel fordern, die erst auf Verlangen der privaten Konkurrenz in den Rundfunk-Staatsvertrag kam und wirklich niemandem geholfen hat.

Spannender Punkt: Wenn die App rechtswidrig ist, warum ist es die Webseite nicht? Sie ist ja auch kostenlos, textbasiert und nicht an eine Ausgabe der Tagesschau gebunden. Ist also die symbolische Klage gegen eine App in Wahrheit der Angriff auf sämtliche Textangebote von ARD und ZDF im Internet? Wollen wir den Springer-Managern zu Gute halten, dass Sie App und Web in Ihren Angeboten trennen und man deshalb mit dem iPhone-Browsern zum Beispiel Regionalinhalte von Bild.de nicht lesen kann, obwohl die über einen normalen Desktop-Browser kostenlos abrufbar sind. Bei Springer glaubt man an diese Grenze, eine Klage ist daher konsequent. Auch die TV-Sender glauben an Grenzen, die man beispielsweise den Herstellern von internetfähigen Fernsehern vorschreiben kann. Wenn diese Grenzen niedergerissen werden, wird das Wehklagen noch lauter werden.

Wo soll man die Grenze ziehen? Wie weit reicht der Informationsauftrag von ARD und ZDF. Ich weiß es nicht. Herr Döpfner und Herr Keese offensichtlich auch nicht. Und Herr Beck und Herr Eumann? Auch da habe ich noch keine überzeugenden Ideen gehört.

Warum warten, Frau Piel?

Frau Monika Piel macht als turnusgemäße ARD-Intendantin Furore. Sie erklärt zum Beispiel gegenüber der Frankfurter Rundschau:

Man ist offensichtlich von Seiten der Verlage auf dem Holzweg, wenn man journalistische Inhalte kostenlos anbietet. Diese Kostenloskultur kann nicht Ziel führend sein. Das kann für die Verlage nur heißen, man muss dahin kommen, die journalistischen Inhalte zu verkaufen. Da sind kostenpflichtige Apps der richtige Anfang. Bei diesen fühlen sich die Verleger jedoch im Markt behindert. Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.

Man muss sich da schon fragen: wo war Frau Piel in den letzten fünf bis zehn Jahren? Denn so lange versuchen schon Medienkonzerne das Modell Free-TV – sagen wir es Mal so – um eine weitere Bezahl-Komponente zu ergänzen. Ob Grundverschlüsselung bei Kabel Deutschland oder bei Astra – der Zuschauer soll zukünftig einen monatlichen Obulus zahlen. Das erste Jahr gibt es gratis, danach kostet „HD Plus“ 50 Euro pro Jahr — ein Fakt, den Pro7 in seinen „Jetzt sind wir viel schärfer“-Werbespots verschweigt.

Ein Bollwerk gegen solche Versuche war bisher ARD und ZDF. Sie sagt seit Jahren: Verschlüsselung gibt es mit uns nicht, unsere Signale sollen frei empfangbar bleiben. Oder in ihren eigenen Worten:

„Das Fernsehen droht, seine publizistische Seele zu verlieren“, zeigte sich ZDF-Intendant Markus Schächter in Berlin besorgt. „Es verlässt seinen gesellschaftlichen Auftrag und hat nicht mehr das Ziel, das Gespräch der Gesellschaft anzustacheln.“ ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann fürchtete gar, dass sich „unsere Demokratie grundsätzlich verändern wird“.

Der Widerstand hatte Erfolg. Wer auf Konservenregale wie „Kabel1 Classic“ oder andere noch unterentwickelte HD-Programme verzichten kann, erhält so mit seinem einfachen Receiver ohne weitere Kosten die zahlreichen ARD-Programme empfangen – egal ob Zimmerantenne, satellit oder Kabel, egal ob analog oder Digital, HD oder Standard-Auflösung. Das öffentlich-rechtliche Programm mag gerade über Weihnachten eine Qual gewesen sein, aber gewöhnlich ist es mehr als ausreichend.

Allerdings sehe ich nicht den prinzipiellen Unterschied zwischen Bezahl-Apps und Grundverschlüsselung. Wenn Frau Piel das eine will, kann sie doch nicht mehr wirklich gegen das andere sein. Wenn also die Verleger mit ihren iPad-Träumen auf dem Markt sind, auf den die ARD so unbedingt angewiesen ist, dann sind es die Privat-Sender erst recht. Ein voll verdongeltes Medien-Vertriebssystem mit Zahlkomponente gibt es nicht nur bei Apple und Google. Wenn also die Bezahl-Apps der Verlage die ARD zu Bezahl-Apps treiben können, dann ist wohl auch die Opposition gegen Grundverschlüsselung hinfällig.

Bisher zahle ich meine GEZ-Gebühr pünktlich und ohne jeden Groll. Sollte die ARD kann mit Kabel-Betreibern, Providern und Satelliten-Services ins Bett steigen, um uns ein zweites Mal abzukassieren, würde ich mir überlegen den TV-Empfänger komplett abzuschaffen. Aber welchen Unterschied würde das machen – ab 2012 ist ja die Haushalts-Gebühr fällig.

Rettung für den physischen Journalismus

Alle haben es gewusst, jetzt ist es amtlich von der Financial Times gedrucktpixelt: die Verlage bremsen sich selbst aus, wenn es ums Digitale geht.

Ja, wie auch sonst? Die Trennung von der physischen Welt, der Quantensprung zur die Information mit der man weder Blumen noch frische Fische einwickeln kann – das überfordert die Internetausdrucker. Das iPad mag als goldener Content-Käfig die Illusion der Druckerpresse aufbauen, aber wieso sollte man dem Ganzen trauen? Steve Jobs, unser Retter! Messias! Teufel! Steve Jobs, wir trauen Dir nicht! Wir wurden von Google verraten, warum solltest es bei Dir besser sein?

Liebe Verlage, ich habe eine Idee. Wir retten den physischen Part des Journalismusbevertriebs, revolutionieren die Geolokalisation und die Geeks rennen uns die Türen ein. Sicher – es wird einige Milliarden kosten, aber ihr habt über Jahrzehnte Traumrenditen erwirtschaftet. Schließlich konnten die Atomstrom-Produzenten den Mobilfunk nach Deutschland bringen, warum ihr nicht eine neue Lese-Kultur?

Die Idee, die mir vorschwebt ist ganz einfach: ein Cafe. Nein: Tausende! Überall in Deutschland. Ich liebe es, am Wochenende ins Cafe zu gehen und in den herumliegenden Zeitschriften zu schmökern. Stunde um Stunde verrinnt, wenn die FAZ, die SZ, der Kölner Stadt-Anzeiger ausliegen. Gastronomiebetriebe mit Lesezirkel-Abo meide ich, ich will den unmittelbaren Zugang zu dieser archaischen Leseform, die Papierzeitungen nun Mal sind. Brauereien haben über Jahrzehnte in Kneipen investiert, warum sollten Verlage nicht in Cafes investieren? Selbst in Thalia-Buchhandlungen kann man sich die Spiegel-Bestsellerliste bei einem staubigen Cappucino durchlesen.

Jetzt kommt der Clou. In den Lese-Cafes – die Markenanwälte finden sicher einen eingängigen Namen, der für ein paar Hunderttausend Euro zu haben ist – liegen nicht nur die Verlagsprodukte aus. Sie sind auch ein Rückkanal. Ich weiß: alle Anstrengungen im letzten Jahr zielten darauf, den kleingliedrigen Lokaljournalismus zu verbilligen und zu banalisieren: ein paar Redakteure in der Zentrale – das sollte reichen. Doch die unterbezahlten Amateure vor Ort – sie kaschieren die Leere nicht wirklich.

Hier kommt der revolutionäre Aspekt meines Konzepts. Denn der Kellner in meinem Content-Cafe ist nicht nur der unmotivierte Koffeindistributor, der zwischen Kaffeemaschine und Trinkgeldannahme hin- und herscharwenzelt. Er ist ein Content-Agent. Sprich: er hat vorher die Verlagsprodukte studiert und weiß, dass in meiner Nachbarschaft ein Mann niedergestochen schwere Stichverletzungen hatte. Mit kurzen Fragen erkundet er meine Interessensgebiete – eventuell gebe ich ihm auch einfach mein Facebook-Profil – und er serviert mir die Nachrichten aus der Nachbarschaft brühwarm, während der Capuucino kalt wird. Aber das ist mir egal – ich greife gerne zu der Zeitung, die er mir mit der Tasse gereicht hat und versinke in der Welt der journalistischen Erzählung. Objektiv. Überparteilich. Und unterhaltsam wie ein Sack Flöhe. Und pro Tasse Koffein gibt es 30 Cent für FAZ, SZ und De:Bug. An dem Bionade-Umsatz werden Neon und Bravo beteiligt.

Und nun zum zweiten Twist in meinem Pitch: in jedem der Cafes sitzt ein Lokalredakteur. Keine Bange – die meisten werden froh sein den Newsdesks zu entkommen – und werkt so vor sich hin. Um authentisch zu sein, muss der Journalist heute nicht Mal mehr Kette rauchen oder betrunken sein: Kaffee, ein Laptop und Internetzugang reichen aus, um voneinander abzuschreiben. Für eigene Recherchen sollte auch ab und zu ein Croissant drin sein oder gar ein frischer Salat.

Der Redakteur vor Ort dient als unmittelbarer Rückkanal, eine Revolution des Verlagswesens. Wir müssen nicht warten, bis ein Herr Sauerland zurücktritt – der Cafedakteur hört von den umgebenden Tischen, dass der Sündenbock gefunden ist und schreibt das auf. Eine Geo-Information dazu und die Content-Agents in den Cafes der Umgebung können die Botschaft gleich weitertragen. Und falls sie nicht anschlägt, schreibt der Cafedakteur halt was anderes.

Natürlich darf der Leser auch andere Vorschläge machen, Rechercheaufträge erteilen. Warum soll er auch googlen, wenn das ein Profi übernimmt. Über Jahre wurde Medienkompetenz jedes Einzelnen gepredigt. Ein Irrweg, wie wir heute wissen: das Erfolgsprinzip unserer Gesellschaft ist die Arbeitsteilung – wenn also nicht mehr jeder seinen Grünkohl selbst anbaut, wieso sollte jeder wissen, wie der Ministerpräsident seines Bundeslandes heißt. Die Cafedakteure sind Infoarbeiter an vorderster Front und werden den Part gerne übernehmen, den sie schon immer spielten: besser wissen und belehren. Und vielleicht können sie nebenher ein paar Volkszahnbürsten verkaufen.

Ach ja: das Leistungsschutzrecht kommt natürlich trotzdem. Denn schließlich können die Leute auch zu Hause Kaffee und Bionade trinken. Und das wollen wir doch nicht einreißen lassen. Zur Sicherheit sollten wir auch das Mitführen von Computern und computer-ähnlichen Geräten in Cafes verbieten.