„Verbot“ ist verboten

Heute gibt es mal wieder eine besonders verquaste Sommerloch-Mediendebatte. Carsten Linnemann, Vize-Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, hat ein Interview mit der Rheinischen Post geführt. Die dpa-Zusammenfassung führte zu heftiger Kritik, weil die Nachrichtenagentur in der Überschrift von einem „Grundschulverbot“ sprach. Dieses Wort war in dem Interview aber gar nicht gefallen.


Die dpa hat sich entschuldigt und eine neue Meldung hinterhergeschickt. Also eigentlich alles wie üblich und erledigt, oder?

Das Kuriose ist aber: Linnemann hat tatsächlich ein Verbot gefordert. Ja, die dpa hat diesen Aspekt in der Überschrift zu sehr zugespitzt und der Bundestagsabgeordnete hatte sich nicht ganz zu unrecht beschwert. Aber wenn man sich die Korrektur durchliest, geht es um Präsentation und weniger um die Substanz:

Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) weist den Begriff „Grundschulverbot“ für seinen Vorstoß zurück. Ihm gehe es darum, dass es Konsequenzen haben müsse, wenn Kinder vor der Schule die sogenannten Sprachstandstests nicht bestünden. Wenn dann trotzdem eingeschult würde, hätten weder die Kinder aus deutschsprachigen noch die aus nicht-deutschsprachigen Haushalten etwas davon, sagte Linnemann am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Die dpa hatte in der Überschrift einer Meldung vom Montag den Begriff „Grundschulverbot“ verwendet und dies am Dienstag nachträglich korrigiert.

Der „Rheinischen Post“ hatte Linnemann gesagt: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen.“ Er schlug für betroffene Kinder eine Vorschulpflicht vor. Notfalls müsse eine Einschulung auch zurückgestellt werden, sagte er.

Also: Linnemann mag den Begriff nicht, den die dpa gewählt hat. Aber seine Forderung ist: Wenn ein Kind den „Sprachstandstest“ nicht besteht, muss es eine Konsequenz geben. Diese Konsequenz heißt: Das Kind darf nicht in die Regelschule. Oder in anderen Worten: Es geht um ein Verbot.

Auch die entscheidenden Textstellen des Ursprungs-Interviews, die zum Beispiel Thomas Knüwer online stellt, da sich der Volltext hinter eine Paywall verbirgt, lassen eben den gleichen Schluss zu.

„Es reicht nicht nur, Sprachstandserhebungen bei Vierjährigen durchzuführen, sondern es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden.“

Das gleiche wie oben: Kinder sollen zu einem Test verpflichtet werden. Und wer den Test nicht besteht, darf nicht auf die Schule. Ein klassisches Verbot. Wenn ich den Führerschein nicht bestehe, ist es mir verboten, Auto zu fahren. Wenn ich den Alterstest bestehe, darf ich keine Zigaretten kaufen. Das Wort „Verbot“ alleine mag den Nuancen und Details des Vorschlags nicht gerecht werden, es bleibt aber ein Verbot.

Trotzdem hat sich erstaunlich schnell herumgesprochen, dass man Verbot nicht „Verbot“ nennen soll. So kommentiert Gökalp Babayiğit bei Süddeutsche.de:

Nein, als „Grundschulverbot für Kinder, die kein Deutsch können“, wie es die Deutsche Presse-Agentur anfangs umschrieb, lässt sich die Forderung von Carsten Linnemann nicht bezeichnen.

Einen Absatz später heißt es aber:

„Linnemann, immerhin stellvertretender Unionsfraktionschef im Bundestag, will Kindern mit ungenügenden Sprachkenntnissen die Einschulung verwehren.“

Also kein Verbot, sondern ein Verwehren? Ich bin mir ziemlich sicher, beide Worte sind in diesem Kontext Synonyme.

Auch Patrick Gensing hat sich im Tagesschau-Faktencheck verzettelt, indem er ebenfalls das Grundschulverbot dementiert. Aber dieses Interview ist — selbstverständlich — ein klassischer „Testballon“. Ein Politiker aus der zweiten Reihe bringt eine womöglich unpopuläre Maßnahme ins Spiel und die Partei wartet die Reaktionen ab, so dass sich die Politiker aus der ersten Reihe dem Thema entweder widmen oder es lieber auf die lange Bank schieben können. Natürlich ist der Vorschlag in Details äußerst vage. So will sich der Bundestagsvizefraktionsvorsitzende nicht wirklich im Detail äußern, da er beim Länderthema Schule eh keine Zuständigkeit hat und die super-teure Vorschule nicht aus seinen Etats bezahlen will. Wie es bei Testballons üblich ist, erscheinen die Reaktionen der politischen Kontrahenten darauf wieder überhitzt. Das kann man zurecht kritisieren.

Aber kann man es auf Fakten prüfen? Es wäre vielleicht eine andere Interpretation möglich: Herr Linnemann improvisierte in dem Interview und ihm fiel gar nicht auf, dass er in der Aufzählung seiner Gedanken zum Thema in der Konsequenz ein Verbot forderte. Es kann auch sein, dass er ein wesentliches Detail vergessen hat — etwa, dass die reguläre Einschulung maximal ein Jahr verschoben werden kann. Die Kernfrage wäre also: Wusste Herr Linemann, was er dort sagt und wie es ankommen wird? Ich vermute: ja. Aber das ist halt kein Fakt, den man so einfach zweifelsfrei checken kann.

Alles in allem: Die dpa hat ihre Meldung überspitzt und einen Fehler gemacht. Sie hätte in der Überschrift ein echtes Zitat verwenden können oder zum Beispiel die verpflichtenden Sprachtests thematisieren können. Im kollektiven Zurückrudern haben die vernetzten deutschen Journalisten aber dann auf bemerkenswerte Weise vergessen, was denn das Wort „Verbot“ bedeutet und dass man tatsächlich Schlussfolgerungen aus verquast formulierten Forderungen ziehen darf, sofern man denn den Leser mitnimmt. Eine klassische Überkorrektur.

PS: Eine Lehre kann ich vielleicht für meine Arbeit daraus zieht: Wann immer jemand eine unbestimmte Einschränkung wie „noch“ ins Spiel bringt, muss eine Nachfrage kommen: Wie lange denn? Was heißt das konkret?

Verbotsvermehrung

Bereits 2007 verbot Zürich Handies auf dem Schulhof, weil sich die Kinder ja mit Handykameras mobben könnten.

Ein toller Erfolg, wenn man nach dem Schuldepartment geht – heute zweifelt niemand mehr dieses Handyverbot an. Sagt das Department. Nur ein kleines Problem gab es da: woher soll der Lehrer wissen, ob der Schüler ein iPhone oder einen iPod touch hat? Man kann ja nicht erst warten, bis das Kind vom Happy-Slapping-Drang getrieben seine Mitschüler vermöbelt und dann einschreiten.

Fürwahr – eine knifflige pädagogische Frage. Doch die Lösung liegt so nah:

Die neue Hausordnung verbietet in den Stadtzürcher Schulen ab Sommer alle elektronischen Geräte. Grund für diese Ergänzung ist, dass sich die Geräte optisch immer ähnlicher werden, ein MP3-Player heute also wie ein Mobiltelefon aussieht.

Das verbot beseitigt nicht nur die Zweifel über die Art eines Geräts, sondern ist auch pädagogisch wertvoll.

«Die Kinder sollen miteinander reden, sich entspannen», sagte Caprez weiter. Elektronische Geräte seien dabei nicht förderlich.

Nächste Folge: Schokoriegel sehen doch verdächtig nach kleinen MP3-Playern aus. Und sie sind der gesunden Ernährung Heranwachsender sicher nicht förderlich.

Schnapsidee Alkoholverbot

Zur Zeit wird ja viel über Alkoholverbote gesprochen, sogar in der Bahn soll ein solches eingeführt werden. Was auf den ersten Blick ach so sinnvoll erscheint, ist in Wahrheit nicht viel mehr als eine Schnapsidee. Denn wer soll das konsequent durchsetzen? Wer soll Fußball-Fans auf dem Weg zum Spiel die mitgebrachten Bierkästen wegnehmen? Der jetzt schon überlastete Schaffner? Und was ist mit den feucht-fröhlichen Frauenkegelvereinen mit ihren Piccolos und Kleinen Feiglingen? Um die voneinander zu trennen wäre wohl ein Bundeswehreinsatz im Inneren erforderlich.

Es läuft wohl wieder darauf hinaus, dass Gesetze geschafft werden, die es Polizisten ermöglichen quasi jeden unpassenden Menschen zu sanktionieren – und die angepassten lässt man gewähren. In meinen Augen ist das kein Erfolgsrezept für den Rechtsstaat.

Nicht verjagen, sondern verdrängen

Das Alkoholverbot in Freiburg wurde aufgehoben. Ich hatte vorher davon noch gar nichts gehört – um ein solches Verbot durchzusetzen müsste man in Köln wohl die Polizeistärke verfünffachen und käme trotzdem hinterher. Aber das ist offenbar auch gar nicht das Ziel: Nur bestimmte Säufer sind halt nicht willkommen, wie es bei der Frankfurter Rundschau nachzulesen ist.

Lothar Pflüger vom Ordnungsamt der Stadt beteuert jedoch: „Es soll keiner verjagt werden.“ Vielmehr wolle man, wie er etwas gestelzt formuliert, „Fehlverhalten in Richtung Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ zurückdrängen.

Die Person kann bleiben, nur das Verhalten muss nur weg. Die meisten Leute können das ganz gut trennen. Sie bleiben am Schreibtisch sitzen und schicken nur ihr Lachen in den Keller. Und ihre Angst in Verordnungen.

Noch schöner kommt die Dualität des Denkens in diesem Zitat heraus:

Wenn Betrunkene pöbelten, lärmten oder ihre Notdurft verrichteten und damit die Allgemeinheit gefährdeten, konnte das in Kassel zwar auch früher schon als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Doch dafür seien die städtischen Ordnungshüter meist zu spät gekommen, erklärt Pflüger. „Jetzt müssen wir nicht mehr warten, bis eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist.“ Wer künftig beim illegalen Saufen erwischt wird, soll weggeschickt werden – oder, als schärfere Sanktion, seinen Alkohol abgenommen bekommen.

Leute wegschicken, bevor sie etwas Verwerfliches tun. Klingelt es da nur bei mir in den Ohren? Man kann natürlich jedes Verhalten kriminalisieren und dann hoffen, dass die Polizei mit Augenmaß und Menschenverstand maßvoll umsetzt. Was für den Penner mit dem ALDI-Bier gilt, muss ja nicht auf die Betriebsfeier mit ein paar Flaschen Sekt angewendet werden. Und wer sein Bier in der Kneipe trinkt, stärkt die lokale Wirtschaft. Kostet halt mehr. Aber das kann man sich schon leisten, wenn man anständig arbeitet.

Das ist Rechtsstaat mit Augenmaß. Weg mit Justitias Augenbinde – denn sie kann dann sehen: es geht doch nur gegen die Randgruppen. Nicht gegen die normale Erwerbsbevölkerung. Eigentlich: Weg mit Justitia – wer von den Asozialen wird schon dagegen klagen?

In diesem Kontext sehr interessant ist auch ein SWR-Interview mit Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Dort erläutert er, warum das Alkoholverbot ja gar nicht so schlimm ist:

Welcher normale Mensch kauft nachts um zwei an einer Tankstelle Alkohol?

Ja, die „normalen Menschen“ sollten das Maß aller Dinge sein.

Wenn Gamer politisch werden

Nach dem Kinderporno-Verglich von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, schlagen die Gamer-Funktionäre erbittert zurück.

Der ESB erbittet vom Bayerischen Innenminister eine deutliche Entschuldigung Solange dieses nicht geschieht fordert der ESB seine Mitglieder auf, deutliche politische Signale gegen die CSU zu setzen“ , so Sliwka abschließend.

Ob die CSU diesem gewaltigen politischen Druck standhalten kann? An lustigen Ideen scheint es ja nicht zu mangeln.

BKA: DNS heißt VDN

Der Chaos Computer Club hat einen Entwurf des Vertrags veröffentlicht, den das BKA mit den Providern abschließen möchte, die sich an der ersten Runde von Kinderporno-Sperren beteiligen.

Kurze Zusammenfassung:

  • Das BKA stellt den Providern werktäglich bis 10 Uhr eine Liste von „Vollqualifizierten Domainnamen“ zur Verfügung. Die Provider haben sechs Stunden Zeit, die neue Liste einzuspielen. Diese Verzögerungen werden die Maßnahme jedoch weitgehend ins Leere Laufen lassen.
  • Die DNS-Sperre ist nicht das einzige Mittel. In Paragraph 3 heißt es:

    Die Sperrmaßnahmen erfolgen mindestens auf Ebene des VDN. Der ISP entscheidet auf der Grundlage des jeweiligen Stands der Technik, auf welche Weise die Erschwerung des Zugangs vorgenommen wird. Dabei stellt der ISP sicher, dass eine mögliche Beeinträchtigung der Rechte unbeteiligter Dritter auf das nach dem jeweiligen Stand der Technik unvermeidbare Minimum begrenzt wird.

    Das heißt: das BKA hätte gerne bessere Filterungs-Optionen – wie zum Beispiel das britische Cleanfeed-System, das nicht nur ganze Domains, sondern einzelne Dateien blockieren kann. Das Problem: Da laut Vertrag nur die Domainnamen geliefert werden, kann der Provider keine Filterung nach Hashes oder IP-Nummern draufsetzen.

  • Um grundgesetzlich unzulässige Eingriffe in die Telekommunikation zu vermeiden, möchte das BKA mit der Sperre so wenig zu tun haben wie möglich. Die Server der Stopp-Seite werden von den Providern selbst betrieben, die IP-Nummern der vermeintlichen Konsumenten von Kinderpornos werden nicht ans BKA weitergegeben:

    Dem Bundeskriminalamt sind jeweils montags bis 12.00 Uhr Statistiken über die Anzahl der abgewehrten Zugriffe pro Tag unter Benennung der Zugriffsziele für die vergangene Woche zu übersenden.

    Das Problem: Ein Loggen der IPs beim Provider ist nicht verboten. Ein zuständiger Admin kann – Schweigeverpflichtung hin oder her – mit den Daten seine eigenen Geschäfte machen. Bei einer Handvoll Provider ist das Problem vielleicht zu kontrollieren, aber kaum bei einer 100-prozentigen Umsetzung, die jeden Mini-Provider einschließt.

  • Im Falle von Störungen gibt es ein kleines Problem: Paragraph 5 lautet:

    Sollten das Bundeskriminalamt oder der ISP Umstände feststellen, die eine ordnungsgemäße Vertragsdurchführung gefährden (Störung), sind beide Parteien verpflichtet, einander hierüber unverzüglich in Kenntnis zu setzen und geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der Störung zu unternehmen. Betrifft die Störung die vom Bundeskriminalamt nach § 1 Abs. 1 S. 1 erstellte Sperrliste, verwendet der ISP bis zur Beseitigung der Störung die zuvor vom Bundeskriminalamt bereit gestellte und umgesetzte Sperrliste.

    Laut Paragraph 3 Absatz 6 ist der Provider aber verpflichtet die Liste vom Vortag „unverzüglich zu löschen“. Sprich: wenn die Störung auftritt und die BKA-Verantwortlichen gerade nicht erreichbar sind, kann der Provider seinen Pflichten nicht nachkommen.

Ist Bild.de das neue NeunLive?

Im Juli hat die die niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) dem Sender RTL die Ausstrahlung der SKL-Show verboten:

Die niedersächsische Anstalt beruft sich darauf, dass die Werbung für öffentliche Glücksspiele im Fernsehen nunmehr untersagt ist. Das sehen die neuen Vorschriften vor, die seit Anfang 2008 gelten. Sie wurden von den Bundesländern verfügt, die das Glücksspiel in Deutschland regeln.

Da die Show ordentlich Geld in die Kassen der Gewinner Länder spülte, gab es einige Rettungsversuche, aber vergebens:

Es wird also, wenn man vom Studiopublikum mal absieht, niemand sehen können, wie Günther Jauch als Moderator dem auch diesmal mit Hellmuth Karasek, Marcel Reif und Katharina Witt wieder prominent besetzten Rateteam in gewohnter Manier Fragen stellt und letztlich den Gewinner von 5 Millionen Euro kürt. Die SKL verspricht aber eine begleitende, redaktionelle Berichterstattung in allen Medien, also Print, TV, Internet und Hörfunk.

Also will kein Sender diese plumpe Werbe-Show ausstrahlen – offenbar konnte niemand ein Konzept überlegen, die Jauch-Show in etwas ähnliches wie ein redaktionelles Format zu verwandeln. Aber zum Glück gibt es Medien, die mit solchen Erwägungen weniger Probleme haben:

Aber keine Bange, bild.de weiß natürlich, was verboten ist, ein Klick führt zu keinem Video-Portal von Springer, sondern direkt zur Webseite der SKL. Das bunte Treiben auf der bild.de ist natürlich knallhart redaktionelle Berichterstattung.

Ob die Nutella-Show bald folgen wird? (bild.de fragt dann vermutlich: „Kevin Kuranyi, hat Nutella Sie zum Fußball-Star gemacht?“).

Lange Rede, kurzer Sinn: Ist bild.de das neue NeunLive – eine Abspielstation ohne spießige Regeln und Gewissensbisse?