De-Platforming

Derzeit kursieren Screenshots, auf denen sich der bekannte Troll Milo bitterlich darüber beklagt, dass seine Followerschaft stark gesunken ist, nachdem er nach jahrelangen Provokationen von Plattformen wie Twitter gesperrt wurde.

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Lektion 1: De-Platforming wirkt. Obwohl die Hardcore-Fans wohl immer neue Apps herunterladen, um ihren Cheftrollen zu folgen, macht dies die Masse wohl nicht.

Lektion 2: Diese Leute verdienen es gelöscht zu werden. Auf dem dritten Screenshot ist zu sehen, wie sie die Errichtung einer „Underground railroad“ zu ihrem Vorteil errichten wollen. Für Leute, die sich kein bisschen mit US-Geschichte auskennen: Die Underground Railroad war ein System geheimer Stützpunkte, mit dem Sklaven befreit und vor ihren Ex-Eigentümern versteckt wurden. Diese Leute brauchen keine Follower, sie brauchen eine Therapie.

Lektion 3: Wollen wir wirklich die Firmen entscheiden lassen, wer von der Plattform zu fliegen hat, die Leute wie Milo erst groß gemacht haben und bis heute den Fehler nicht erkennen können?

Lektion 4: Sind wir wirklich so einfach zu beeinflussen, dass wir Leute, denen wir ein ganzes Weltbild aufgeben, wenn es denn mit zwei, drei Extra-Klicks und einen neuen Account voraussetzt? Oder: Ist der Troll der kleinste gemeinsame Nenner, den wir füttern, solange es uns bequem ist, dem aber so gut wie niemand wirklich nachtrauert?

Lektion 5: Was sind heute alles Plattformen? So gab es in den USA ja eine erbitterte Diskussion, ob man Milo von Auftritten an Universitäten abhalten kann. An meiner Universität hätte sich die Frage nie gestellt. Die wenigen Vorträge, die wir freiwillig aufsuchen konnten wurden von Leuten mit Professoren- oder zumindest Doktor-Titeln gehalten. Und selbst zu diesen Anlässen musste die Veranstalter enorm nervös sein, dass ihnen ein Haustechniker den Strom abstellt oder ein Hausmeister die Veranstaltung beendet, weil irgendwer in der Verwaltung vergessen hatte, einen Sonderdienst einzuteilen.

Lektion 6: Was ist nur mit Trollen passiert? Als ich einst auf der ersten oder zweiten re:publica einen Vortrag über das Trollen gehalten habe, war die Dynamik noch eine vollkommen andere: Hobbybesserwisser machten Späße für eine enge Zielgruppe. Die toxische Wirkung für Communities wurde uns später erst bewusst. Wenn Trollen jedoch zum Broterwerb und zum Millionengeschäft wird, an dem sich auch Buchverlage beteiligen, dann versagen die sozialen Mechanismen von damals.

Gar nicht mal ignorieren?

Christian Heller hat drüben bei Carta einen lesenswerten Text mit vielen Denkanstößen geschrieben, der sich mit Trollen und der Ignoranz als Komponente der Medienkompetenz auseinandersetzt.

In gewissem Maß ist das Ignorieren eine Medienkompetenz, die man lernen und lehren kann. So lange die Bibliothek von Babel in all ihren Besonderheiten wächst, wird das Bedürfnis nach dem Erlernen dieser Medienkompetenz steigen. Gleichzeitig aber ist die Freiheit, zu ignorieren, ungleich und oft unzureichend verteilt: Den Stärkeren scheint sie eher zur Verfügung zu stehen als den Schwächeren. Dieses Ungleichgewicht ist eine ungelöste Aufgabe und wird es wohl noch lange bleiben. Aber wir können wohl festhalten: Wenn wir Ignoranz als eine Ressource betrachten und fördern, dann wird es auch solidarisch wünschenswert, für ihre gleichmäßige Verteilung zu sorgen.

Sehr interessant, dennoch halte ich die Prämissen und die Schlussfolgerungen für falsch.

  • Ignorieren ist nicht gleich Ignoranz. Nur wer das bewertet, was er ignorieren will, kann rational entscheiden. Ignoranz hingegen ist unreflektiertes Unwissen.
  • Trolle zu ignorieren mag ein guter erster Rat sein. Gleichzeitig muss man aber im Auge behalten, wo dieses Ignorieren endet. Morddrohungen sind keine intellektuelle Spielerei. Und nicht jeder, der etwas Empörendes sagt, ist ein Troll.
  • Heller entpersonalisiert die Erzeugung von Texten. Foren wie Krautchan haben sicher interessante Mechanismen, wenn man das Zusammenspiel der Menschen jedoch als simples Produkt einer komplexen Maschine begreift, tut er sowohl den Mitgliedern als auch den Provozierten unrecht. Die Metapher der Bibliothek mit allen möglichen Büchern ist ja nicht so weit entfernt, ein gehackter Kindle könnte das ohne weiteres. Würde man ihn deshalb verbrennen? Nein. Niemand würde in ihm lesen.
  • Die Legende vom Ende der Gatekeeper ist der Heiliger Gral der Netzbegeisterten. Doch wer mit offenen Augen das Netz betrachtet, sieht ständig neue Gatekeeper – ob sie nun Google, Carta, Michael Arrington oder Stefan Raab heißen. Aufmerksamkeitsströme können gelenkt werden – wer dabei den besseren Job macht, bleibt abzuwarten.