Plastiktüten sind furchtbar

Ich finde es grade etwas absurd, wie verbissen sich manche Menschen im vermeintlichen Freiheitskampf für die Einkaufstüte aus Plastik engagieren. Denn selbst wenn es keine Abfalldebatte gebe, selbst wenn Plastiktüten aus verdichteter Zuckerwatte bestünden und nach Gebrauch an Einhörner und Eisbärenbabys verfüttert würden — selbst dann wären sie furchtbar.

Jede andere Methode seine Verkäufe nach Hause zu bringen scheint mir weit überlegen. Zum einen das immer wieder vollführte Drama am Einkaufsband: „Darf ich nochmal durch? Oder könnten Sie mir grade ein Tüte anreichen?“ Dann muss die Tüte aufgeschüttelt werden. Dann bleibt die Tüte nicht offen, sondern wird von der statischen Elektrizität wieder zusammengezogen. Und dann entdeckt man: Oh Gott, ich muss doch die Tomaten nach oben… Und die Bananen…. Und die Eier. Dann greift der Plastikkunde zu den Plastikgriffen und die Last des Einkaufs zerquetscht den Joghurtbecher.

So richtig zehennagelaufrollend wird es dann vor dem Supermarkt. Etwa, wenn jemand versucht, die Tasche aufrecht in seinen Kofferraum zu stellen. Weil: Diesmal fällt sie garantiert nicht um. Anders als die 500 Male zuvor. Oder noch schlimmer: Leute, die ihre Plastiktüte am Fahrradlenker baummeln lassen. Eigentlich ist das keine Fortbewegung mehr, sondern ein mobiler Unfall. Man kann nicht richtig lenken, man kann nur mit halber Kraft fahren, man ist allen anderen Leuten im Wege, weil die Tüte schaukelt und der Rest des Rades auch. Was ich noch nicht gesehen habe: Plastiktüten auf dem E-Scooter. Die Leute auf diesen Gefährten mögen besoffene Hedonisten sein. Aber so ganz von gestern sind sie halt auch nicht.

Denn das einzige was die Plastiktüte für sich hatte: Sie war immer da. Und sie war meist umsonst. Jetzt, wo das nicht mehr der Fall ist: Leute, ihr seid befreit.

Wo sind die Ergebnisse?

Liebe Geheimdienste,

ihr wiederholt gebetsmühlenhaft, dass es vollkommene Sicherheit nicht gibt. Doch wenn man sich ein bisschen den Teppich anhebt, sieht man, dass ihr in den letzten Jahren vollkommene Kontrolle angestrebt habt. SIM-Karten, Viren in der Festplatten-Firmware, Industriespionage, Big-Data-Analysen ganzer Bevölkerungen. An der Politik vorbei und erst recht am Bürger vorbei.

Nundenn. Schwamm drüber. Wir können Euch eh nicht zur Verantwortung ziehen. Seien wir praktisch. Nennen wir es ein Experiment. Die ganzen Überwachungsbefugnisse, die ihr immer wieder fordert und nur zu 90 Prozent bekommt, habt Ihr Euch heimlich zu 99 Prozent gesichert. Wir sehen also heute das Ergebnis, wenn jeder Politiker auf der ganzen Welt immer nur „Ja“ zu euch gesagt hätte.

Und was ist das Ergebnis? ISIS taucht aus dem Nichts auf und setzt die lustigen kleinen Gadgets ein, auf die ihr Eure kleinen lustigen Wanzen installiert habt, und lockt Teenager in den Krieg. Knastbrüder — und zwar exakt die Sorte, die ihr so gerne im Auge habt –  marschieren mit automatischen Waffen durch europäische Städte. Flugzeuge verschwinden und irgendjemand in einem Wohnzimmer in Großbritannien wertet Luftbilder aus, um ein wenig mehr Infos zu bekommen als durch die Propagandakanäle dringt. Und 14jährige in Syrien filmen, was wir sonst nie erfahren würden.

Mal ehrlich: Ist das Experiment gelungen? Seid ihr mit den Ergebnissen wirklich so zufrieden? Meint ihr wirklich, ihr habt mehr vorzuweisen als — verzeiht die Metapher — einen Großflughafen ohne Passagiere und Eröffnungsdatum? War es das, ist es das wirklich wert?

Die Bauspar-Grundrechte

Etwas spät, aber immerhin: Die Süddeutsche thematisiert die freiheitliche Dimension von Alkoholverboten:

Das Menschenbild des mündigen – und obendrein biertrinkenden – Bürgers in einer freien Gesellschaft muss verteidigt werden.

Als etwa in Hamburg im September das Alkoholtrinken in Bussen und Bahnen untersagt wurde, war die Reaktion ein pubertäres Abschiedstrinken, bei dem sich Passagiere kollektiv berauschten. Auch in München wird nun die Debatte über den schäbigen Krawall beim „MVV-Abschiedstrinken“ vom Wochenende scheinbar lauter geführt als die Debatte über Sinn und Unsinn des Alkoholverbots im öffentlichen Nahverkehr. Es wäre dabei vor allem über den Unsinn zu sprechen.

Ich sehe daneben auch eine materielle Dimension: Individuelle Freiheiten werden in die eigenen vier Wände abgedrängt. Geh vor die Tür und du wirst gefilmt. Nimm Gäste aus dem Ausland auf, und Du landest in einer Datei. Und Du kannst hoffen, dass nur die Ausländerbehörde darauf zugreift.

Man kann sich aber freikaufen von solchen Unbillen: Wer in Gastwirtschaften trinkt, wer sich mit dem Taxi nach Hause kutschieren lässt, wer den betrunken angerichteten Schaden privat reguliert, der ist noch fein raus. Wer den Zuschlag am Schalter zahlt, muss seine Bewegungsdaten nicht in der Deutsche-Bahn-Datenbank hinterlegen.

Der ehrenwerte Bürger, das Primat der Politik, ist irgendwie geschützt. Und natürlich der, der den Kopf ganz weit unten hält.

Netzethik als Loriot-Film

Die Bundesregierung will uns mit einer Netz-Ethik beglücken. Und geht gleich forsch dabei vor – ohne falsche Schüchternheit.

Wettengel stört sich an den gängigen „Phantasienamen“ in Online-Foren. Normalerweise sei es ein Zeichen von Höflichkeit, dass sich der Bürger „zu sich selbst bekennt“. Er warf die Frage auf, was die „ständige Verwendung“ von Pseudonymen „für Rückwirkungen auf die reale Welt haben wird“.

Ja, was mag das für Auswirkungen haben? Ich war zum Beispiel heute am Supermarkt und habe mich weder an der Metzgereitheke, noch an der Kasse vorgestellt. Dabei wissen wir doch, wie das korrekt ablaufen muss. Das Vorbild der Netzethik des Herrn Wettengel ist offenbar Loriots Pappa ante Portas: „Guten Tag, mein Name ist Lohse! Ich kaufe hier ein!“

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Mal im Ernst: die Phantasienamen stammen daher, dass im digitalen Raum unsere Umgangsformen eingeschränkt sind. Was ist das für einer, unser Gegenüber? Wir sehen ihn nicht. Wir wissen nicht wie alt er ist, wie er sich kleidet, wer er ist. Und da im Netz Millionen von Fremden mit Millionen von Fremden zu tun haben, ist es sogar ganz praktisch, wenn das Gegenüber sich durch einen Nicknamen etwas mehr zu erkennen gibt. Was weiß ich, wenn mir jemand „Lohse“ ins Kommentarfeld schreibt? Nichts.

Darüberhinaus wird man im Netz ständig nach seiner Identität gefragt. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich mich in der „realen Welt“ das letzte Mal den Personalausweis vorzeigen musste — ich glaube, es war als ich in ein Flugzeug steigen wollte. Der Normalfall ist, dass wir uns nicht ausweisen, sondern einfach sind. In der stofflichen Realität tragen wir Kapuzenpullis oder Krawatte, Nasenpiercing oder Halbglatze, im Netz tragen wir Nicknamen. Es ist wenig, aber es ist etwas. Es ist eine Notwendigkeit, wenn man unter Fremden ohne große Angst kommunizieren will. Man stelle sich vor, die Stammkneipe verlangt Ausweise und schickt uns alle paar Minuten einen misstrauischen Aufseher vorbei, der gerne alle Gäste abmahnen würde.

Bezeichnend ist auch dies:

Derzeit werde das von Bundesinnenminister Thomas de Maizière ausgearbeitete „Gesetz zur Verhinderung schwerer Eingriffe ins Persönlichkeitsrecht“ in den Ministerien abgestimmt, das besser bekannt sei unter dem Titel „Rote-Linie-Gesetz“.

Rote-Linie-Gesetz? Ich weiß, dass der US-Kongress seinen Gesetzen gern blumige Namen gibt – aber im bürokratischen deutschen Gesetzes-Slang soll diese frivole Namensgebung wohl auch ein Signal sein: Hier ist die rote Linie!“, sagt uns der Innenminister. Denn wir sind 6-jährige Rotzlöffel, denen man Grenzen setzen muss. Anscheinend steht hier nicht der Schutzgedanke an erster Stelle, sondern ein Erziehungsauftrag. Herr de Maizière erklärt uns, wie man sich zu benehmen hat.

Mein Name ist Torsten. Ich werde hier bloggen, Herr Minister.

Mega-Trend des Jahres 2011: Bullshit

Es ist Anfang Dezember — und daher an der Zeit, die Trend des kommenden Jahres zu benennen. Keine Bange: im nächsten Jahr überprüft niemand mehr die Vorhersagen. Ich habe festgestellt, dass ich bei Prognosen zu Fakten gar nicht so schlecht bin — allein mir fehlte die starke Thesen. Nun also:

Der Trend Nummer 1 des Jahres 2011 ist BULLSHIT.

Sicher werden wir alle diese location based semantik connect blabla in unsere Blogs und Smartphones integrieren, aber ist das die wesentliche Entwicklung? Nein, denn wir werden gleichzeitig tl;dr zu unserer Maxime erheben. Wer liest denn tatsächlich noch mehr als 5000 Zeichen? Wer hat auch nur für 3000 Zeit, Geduld für 1000 oder kann 500 am Stück tatsächlich verstehen? Brechen wir alles in Tweets herunter. Beschränke Dich nicht aufs Wesentliche, beschränk Dich auf den Slogan! Auf den Skandal! Sätze, die nicht mit einem Ausrufezeichen enden, sind verschenkt! Und Worte, die nicht mit „Mega“ beginnen, sterben aus. Das ist ein Mega-Trend! Da bin ich mir mega-sicher!

Wir werden fortfahren, die zu Experten zu erheben, die uns nach dem Mund reden. Oder falls wir keine Meinung haben, werden wir die zu Experten machen, die wohl am ehesten auf der Spiegel-Online-Bestseller-Liste landen. Bullshit pasteurisiert und zwischen zwei Buchdeckel gesteckt — und nach ein paar Jahren wird das Ganze auf der Amazon-Resterampe verschachert. Aber wen juckt es? Wer hat schon die Aufmerksamkeitsspanne, sich daran zu stören?

Wir werden in der U-Bahn unsere Kopfhörer aufsetzen und auf Twitter starren – damit wir nicht mitbekommen, was andere Menschen so machen, mit denen wir nicht per Facebook connected sind. Und falls doch, werden wir ein Twitpic davon machen und uns darüber amüsieren. Oder den blödesten Satz eines Mitfahrers aufschreiben und weitertweeten. Die haben Privatsphäre nicht verstanden, warum sollten wir simplen menschlichen Anstand verstehen?

Wir werden aufhören nach den Fakten zu Fragen. Was unsere Freunde, was unsere Leser denken, ist das Entscheidende. Wir reiten den den Hype. Obama ist ein Sellout, die Deutsche Bahn will unsere Innenstädte zerstören, der Klima-Wandel ist eine Erfindung, jeder Polizist hat geheime Marschorder von Teflon-Merkel. Was ihr wollt. Wir werden ständig neue Faktenschnippsel auskramen, die dem Trend-Glauben entsprechen. Die Atkins-Diät ohne Kohlehydrate hat Dir geholfen? Probier die Bullshit-Diät ohne Fakten. Es ist eine kleine Umstellung aber schon nach drei Wochen fühlt sich das Hirm herrlich entschlackt.

Trend 2: Rants.

Nothing juices the ratings like a little controversy.