Wer ist der Big Brother?

Pressemitteilung von gerade eben:

Die Vorsitzende des Arbeitskreises für Netzpolitik (CSUnet), Vorsitzende des CSU-Netzrates und 
stv. CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär, MdB zum morgigen europaweiten Aktionstag gegen INDECT:
„Ich wünsche mir vom morgigen Aktionstag gegen INDECT ein klares Zeichen und einen ähnlichen Weckruf wie den, der letztendlich zum Ende von ACTA geführt hat. INDECT bedeutet Überwachung ohne Maß und Ziel und sprengt alles, was wir bisher an präventiven Sicherheitskonzepten diskutiert haben. Die Tatsache, dass Daten aus Überwachungskameras mit Daten aus dem Internet wie zum Beispiel sozialen Netzwerken verglichen und ‚abnormales‘ Verhalten erkannt werden soll, erzeugt bei mir ein regelrechtes Schaudern. Allein die Begrifflichkeit muss alle demokratischen Alarmglocken klingeln lassen. Was bitte soll ein solches Verhalten sein und wer legt fest, wann sich jemand nicht normal verhält?

Wer ist eigentlich für diese ganzen Überwachungsprojekte und -gesetze verantwortlich, wenn nicht Mal die CDU/CSU dahinter steht?

Eine konservative Netzpolitik…

Was kann das sein?

  • Konservative Netzpolitik ist, wenn man sicherstellt, dass den Bürgern online nicht das verboten wird, was offline problemlos möglich ist.
  • Konservative Netzpolitik ist, wenn man mit Vorsicht den neuen Monopolen gegenübersteht.
  • Konservative Netzpolitik ist, wenn man die Werte im Netz erkennt und Werte vorlebt. Die Sekundärtugend Pünktlichkeit wird vom NTP-Server übernommen.
  • Konservative Netzpolitik ist, wenn die Welt voller Bildungsmöglichkeiten steckt.
  • Konservative Netzpolitik ist, wenn das Wort Freiheit neu überdacht, aber nicht neu erfunden werden muss.
  • Konservative Netzpolitik ist, wenn es ein Netz fürs Arbeiten, eins zum Verkaufen gibt und der Rest verzichtbar ist.
  • Konservative Netzpolitik ist, wenn man dem Bürger zuhören könnte, wenn man nur die Zeit hätte — und wer hat die schon? Es sind so viele.
  • Konservative Netzpolitik ist, wenn die bösen Buben unsere Nacht und unsere Tagträume beherrschen.
  • Konservative Netzpolitik ist, wenn der Recht hat, der sich Recht leisten kann.
  • Konservative Netzpolitik ist, wenn das Netz wie damals im Schwarz-Weiß-Fernsehen nur drei Kanäle hat.

Welche darf es sein?

Internetfreiheit der anderen.

Hallo EU, Hallo USA,

Nazis werden die Tools für iranische Blogger nutzen, Al Quaida ebenso, Raubkopierer, Kinderporno-Verteiler… Und wenn ihr etwas dagegen tut, ist es nicht Freiheit, die ihr wollt, es ist Gegenpropaganda.

Mit freundlichen Grüßen
Die Realität

Ich bin ihr Kandidat

Hallo,

Sie kennen mich vielleicht nicht. Aber ich bin ihr Kandidat. Während ganz Deutschland Über die Merkels, Westerwelles und Künasts spricht, können Sie in Wahrheit nur mich wählen. Wissen Sie überhaupt, wer in Ihrem Wahlkreis kandidiert? Die Straßen hängen voll mit unseren Gesichtern.

Wir haben uns sogar schon Mal getroffen. Sie erinnern sich vielleicht nicht, aber einer meiner Mitarbeiter hat Ihnen einen Kugelschreiber geschenkt. Und ihr Kind hat einen Luftballon bekommen. Ja, Sie meinen, ich hab sie nicht gesehen. Jetzt wo sie sich erinnern, glauben Sie, dass ich nur heiße Luft von mir gegeben habe. Aber Grußworte sind halt so. Während meiner Ansprache haben sich für einen Moment unsere Blicke getroffen. Mein Blick sagte: Sie sind mir wichtig. Sie wandten sich jedoch ab.

Ich weiß – Beruf: Politiker. Was soll man da erwarten? Geltungssüchtige. Versager. Abzocker. Mir wird tagtäglich alles an den Kopf geworfen. Und manchmal verstehe ich es auch. Doch wollte ich nur Geld machen — es gäbe Berufe mit weitaus sympathischeren Arbeitszeiten. Assistenzarzt in Uniklinken beispielsweise. Und denen schaut keiner ins Schlafzimmer.

Warum ich in meiner Partei bin? Nun, ich glaube an die Freiheit, an Demokratie. Und unsere Partei hat die besten Konzepte. Hier — nehmen Sie eine unserer Broschüren mit dem Parteiprogramm. Da: auf Seite 13, den Abschnitt über Generationengerechtigkeit im Lokalen — der stammt von mir. Während andere durch Mehrgenerationenhäuser getingelt sind, hab ich mich da richtig reingehängt.

Ja, Sie haben recht. Ich bin nicht in die Partei eingetreten, um auf Seite 13 zu erscheinen. Die Welt ein wenig besser machen? Nun — ich bin mit 15 in unsere Jugendorganisation eingetreten. Es hat viel Spaß gemacht damals. Und im Kleinen konnte ich da schon sehr früh Verantwortung übernehmen. Wir haben dem Gemeinderat die Finanzierung für einen Jugendraum abgeschwatzt. Die Plakatierung organisiert. Das war mit die schönste Zeit. Damals wurde man noch nicht per Leserbrief verleumdet. Damals beschimpfte mich noch niemals als „Statthalter“ und „Kriegstreiber“. Dabei habe ich mit der Verteidigungspolitik nun gar nichts zu tun.

Ohne die Unterstützung meines Vaters hätte ich es wohl nie gewagt, in die Politik zu gehen. Er bestand aber darauf, dass ich erst einen ordentlichen Beruf ergreife. Und wissen Sie was: wenn man sich engagiert, dann hilft es auch in anderen Bereichen. Es heißt: es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind zu erziehen. Das gleiche gilt für Politiker. Mein erster Klient war ein Parteifreund. Und auch mein zweiter. Scheuklappen habe ich aber nicht. Ich habe auch mit der Stadtrat Knöber zusammengearbeitet, obwohl wir politisch nun gar nicht zueinander passen. Was meinen Sie, wie oft ich mich gestritten habe mit meinem Kreisvorsitzenden, dem Bürgermeister, sogar dem Bundestagsabgeordneten gestritten habe? Ich hab auch Mal einen offenen Brief an die Parteiführung unterschrieben. Ich bin kein blinder Parteisoldat.

Aprospos. Was halten sie da von unserem Großprojekt? Meine Parteiführung hat sich schon entschieden, ja. Aber daran können wir noch was drehen. Ohne die Unterstützung der Basis würden wir so ein Milliardenprojekt nicht umsetzen. Sicher nicht. Sie müssen uns nur frühzeitig Bescheid geben. Wir können keinen Erfolg garantieren, aber wir haben große Hoffnungen. Wenn Sie wollen, können wir in der Bürgersprechstunde darüber reden. Es sind noch viele Termine frei.

Ach, Sie haben etwas anderes vor? Das kann ich natürlich verstehen. Vielleicht sehen wir uns am Wahltag? Nein?

Pseudonyme sind nicht Anonyme

Anfang Juli hab ich an dieser Stelle geschrieben, dass Anonymität per se keine Voraussetzung für eine Kontrolle von unten ist. Ich schrieb, dass es zwar immer wieder gute Gründe dafür gibt, seine Identität zu verbergen, aber dass dies auch eindeutig Nachteile hat.

Nun hat sich der Gründer von Vroniplag per Spiegel online geoutet:

Heidingsfelder: In der vergangenen Woche hat es in verschiedenen Internetforen Einträge gegeben, in denen mein richtiger Name stand. Ich weiß nicht, wer das veröffentlicht hat oder wieso, aber ich habe mich sehr erschrocken. Dann habe ich am Mittwoch einen Anruf von einem Reporter bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Von welcher Zeitung?

Heidingsfelder: Von einer deutschen Boulevardzeitung. Der Reporter hat mich gefragt, ob ich Goalgetter bin, ich habe auf die Frage nicht geantwortet, aber ich habe Sorge, dass die Zeitung mich outet. Ich will das selbst in die Hand nehmen.

Es mag eine Binsenweisheit sein, aber hier deshalb nochmal ausdrücklich: Pseudonyme funktionieren nicht. Genauer: es mag einige wenige Leute Leute geben, die unter schwierigen Bedingungen per Pseudonym über Jahre verborgen bleiben. Und es gibt sicher Millionen von Pseudonym-Nutzern, für deren Identität sich niemand wirklich interessiert.

Wenn es jedoch hart auf hart kommt, können die wenigsten Menschen ihre Spuren restlos tilgen. Sei es aus mangelnder technischer Kompetenz, Ego-Gründen, Zufall oder wegen politischer Manöver der Gegner. Und wenn der Damm einmal gebrochen ist, kann man ihn nicht mehr aufbauen.

Warum hat sich Martin Heidingsfelder verborgen?

Heidingsfelder: Bei VroniPlag geht es nicht um den Einzelnen, sondern um die Leistung des Schwarms. Es spielt keine Rolle, was ich im richtigen Leben bin, Professor, Doktor, Student oder Kaufmann.

Nun: wenn es keine Rolle spielt, dann kann man seine Identität auch zeigen. Ich selbst gebe auch nicht überall im Netz meinen vollen Namen an, allerdings unternehme ich keine Anstrengungen meine Identität künstlich zu verschleiern. Ich sehe einfach zu oft, wie das gründlich schief geht. Das Internet vergisst zwar viel, aber die peinlichsten Aktionen landen ganz oben auf der Liste von Dingen, die bei Google auch nach Jahren ganz oben zu finden sind.

Einen möglichen Grund neben der Keine-Rolle-wer-Platitüde liefert Google schon auf der ersten Seite: Martin Heidingsfelder zusammen mit Andrea Nahles, während er ihr „Angela, nein danke“-Aufkleber überreicht. Natürlich wird jetzt die Frage nach der politischen Motivation von Heidingsfelder aufkommen. Und natürlich werden ihm viele nicht glauben, dass die Parteizugehörigkeit der enthüllten Plagiat-Doktoren keine Rolle spielte.

Deshalb müssen wir Panzer an Saudi-Arabien verkaufen

Heute morgen habe ich auf WDR2 ein Interview gehört mit Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Er begründete, warum Exporte von Panzern nach Saudi-Arabien nicht nur rechtmäßig, sondern auch vernünftig seien. Das Interview ist hier abrufbar, ich habe hier zwei zentrale Absätze dokumentiert.

Zunächst verwies Pfeiffer auf die außenpolitische Situation, die Duldung des Deals durch Israel, und betonte die Gefahr im Nahen Osten. Er kam schließlich zu dieser conclusio:

Es ist ja nicht so, dass Saudi-Arabien bisher keine Panzer hat und bisher über keine Waffen verfügt. und wir müssen auch einfach mal die Realitäten auf der Welt betrachten. Und deshalb halte ich es für richtig, dass wir uns politisch engagieren. Wenn wir uns schon vor dem Spiel — Mal…jetzt ist ja grade Fußball aktuell — aus dem … selbst vom Platz stellen, dann brauchen wir uns nicht wundern, dass wenn der Anpfiff stattfindet, wir dann nicht mehr mitspielen dürfen.

Doch der Rüstungs-Deal hat auch eine innenpolitische Komponente:

Jetzt nehmen wir einmal andere Argumente neben den politischen. Es gibt außenpolitische, es gibt innenpolitische… da komm ich in der Abwägung zum Ergebnis, dass es vertretbar ist. Es gibt aber auch technologiepolitische Gründe. Wir haben hier in Deutschland eine leistungsfähige Verteidigungsindustrie, die auch in Teilbereichen dort noch an der Weltspitze ist. Die wurde mit Steuergeld finanziert, und es wurden vor allem auch Aufträge an die Bundeswehr dann auch gegeben. Die wird es zukünftig bei dem Umbau, der jetzt ansteht, so nicht mehr geben. Das heißt, die Frage ist: wie wollen wir diese Technologie erhalten. Das heißt: da brauchen wir auf jeden Fall auch Exportmöglichkeiten. [Moderator interveniert, Pfeiffer redet weiter] Sollte diese Technologie weg sein, dann machen wir uns als Deutschland abhängig von anderen Ländern. Das will ich nicht, ich glaube, das wollen auch die Deutschen nicht.

PS: Da fällt mir — wie so oft — eine Stelle aus der Serie „The West Wing“ ein. In der Folge „Enemies Foreign and Domestic“ geht es um einen (Update: nicht wirklich fiktiven) Vorfall in Saudi-Arabien: 17 Mädchen verbrannten weil die Religionspolizei sie nicht aus einer brennenden Schule rettete. Die Pressesprecherin C.J. steigert sich im offiziellen Presse-Briefing zu einem bemerkenswerten Monolog:

„Outraged? I’m barely surprised. This is a country where women aren’t allowed to drive a car. They’re not allowed to be in the company of any man other than a close relative. They’re required to adhere to a dress code that would make a Maryknoll nun look like Malibu Barbie. They beheaded 121 people last year for robbery, rape, and drug trafficking. They have no free press, no elected government, no political parties. And the Royal Family allows the Religious Police to travel in groups of six carrying nightsticks and they freely and publicly beat women. But ‚Brutus is an honorable man.‘ 17 schoolgirls were forced to burn alive because they weren’t wearing the proper clothing. Am I outraged? No. . . . That is Saudi Arabia, our partners in peace.“

Wir brauchen die Daten-Debatte. Jetzt!

Wir sind auf einem Ozean. Rechts von uns: Daten. Links von uns: Daten. Vor uns und hinter uns: Daten – bis zum Horizont. Über Jahre haben die Zuflüsse aus Facebook, Google, INPol und T-Com ein Weltmeer anschwellen lassen und nun segeln wir unter verlorener Flagge auf dem Daten-Ozean. Das heißt: wenn das Wetter gut ist, dann gleiten, dann surfen wir regelrecht dahin. Welcher Kinofilm ist toll? Welcher Politiker hat betrogen? Wo finde ich freunde in feindlicher Welt? Kein Kurs ist verwegen genug und überall gibt es unentdeckte Küsten, die nur auf uns warten.

Doch da ist ein Loch im Boot. Wir nannten es Vorratsdatenspeicherung und fanden es ganz schlimm, dass die Daten in den Rumpf eindrangen. Mit beiden Händen und ein paar Tüchern schafften wir es das Leck abzudicht. Doch unser Rumpf ist marode und der Ozean von Daten dringt aus Dutzenden von Ritzen und Löchern in unser Boot. Unsere Kinder versuchen sie mit Konservendosen zu schöpfen und über die Reling zu schütten. Doch wie lange werden ihr schwachen Arme das wohl mitmachen? Wir werden wohl untergehen. Und dann? PostPrivacy? Die Herrschaft der Facebook-Hedonisten? Oder: Polizeistaat? 1984?

Richten wir den Blick auf ein Leck, durch das schon seit Jahren Wasser sprudelt, das uns aber erst jetzt aufgefallen ist: Routinemäßig scheint die Polizei in Sachsen seit Jahren Positionsdaten von Handybesitzern abzufragen. Die Sächsische Landesregierung hat dazu einen Rechtfertigungsbericht veröffentlicht. Darin heißt es:

Im Ergebnis der Abfrage erhält die Polizei eine Vielzahl von Verkehrsdaten übermittelt. Die Polizei erkennt anhand der erhaltenen Verkehrsdaten lediglich, welche Mobilfunkgeräte wann, wo und wie vor Ort waren. Sie ersieht aus den Daten aber nicht, wer der Anschlussinhaber ist, damit erst recht nicht, welche Personen miteinander kommuniziert haben oder welchen Inhalt das Gespräch oder die SMS hatte.
Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass eine auf eine Tatörtlichkeit und einen Tatzeitraum bezogene Abfrage der Verkehrsdaten, insbesondere bei einer hohen Personendichte in dem Gebiet, wie sie am 19. Februar 2011 zu verzeichnen war, eine überaus große Zahl von Verkehrsdaten erbringt.

Also alles in Ordnung. Zwar ist eine hohe Anzahl von Daten abgefragt worden, aber sie waren an sich nicht schädlich. Denn für brisante Datenabfragen braucht es schwere Straftaten und echte Beweise.

Um Bestandsdaten (Name, Vorname, Adresse und Geburtsdatum des Mobilfunk-Anschlussinhabers), die zu einer festgestellten Mobilfunknummer gehören, vom Provider zu erhalten, ist in einem zweiten Schritt ein weiterer Antrag zu der relevanten Mobilfunknummer an den Mobilfunknetzbetreiber erforderlich. Hierfür ist weder eine staatsanwaltschaftliche Verfügung noch ein richterlicher Beschluss erforderlich. Diese Abfrage erfolgt allein auf
Grundlage des § 112 TKG.

Hoppla, also sind doch keine schweren Straftaten und Beweise erforderlich — wenn irgendwo in der Umgebung eine mutmaßlich gravierende Straftat stattfand, kann jeder neugierige Polizist die rechtsstaatlichen Beschränkungen der Datenabfragen umgehen. Um im Bild zu bleiben: da war ein riesiges Leck und wir sahen es nicht, weil ein nasses Pflaster darüber klebte

Das ist bei weitem kein Einzelfall. Zum Beispiel muss der rheinland-pfälzische Landtag aus dem Urlaub in eine Sondersitzung gerufen werden, um über die Immunität des CDU-Abgeordneten Michael Billen zu entscheiden.

Der Vorwurf:

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Eifeler CDU-Abgeordneten vor, er habe seine Tochter – eine Polizistin – angestiftet, geheime Polizeidaten zu umstrittenen Geschäftspartnern des Nürburgrings zu beschaffen. Billen will die Daten bei ihr nur „abgegriffen“ haben. Die zunächst geplante Privatfinanzierung des Nürburgring-Ausbaus war 2009 spektakulär gescheitert.

Politische Spionage? Whistleblowing um einen veritablen politischen Skandal aufzudecken? Darüber müssen nun die Gerichte entscheiden — wenn sie denn Mal zum Zug kommen.

Diese zwei Beispiele sollten den Datenschützern zeigen: mit Fundamentalopposition zur Vorratsdatenspeicherung ist es nicht getan. Wir sind nicht mehr auf trockenem Land, wo es ab und zu aus Sicherheitslücken regnet. Wir sind draußen, auf weiter See. Und die meisten sind Nichtschwimmer.

Auch jenseits von Polizei und Politik leckt und sickert es. Die 20 Hacks bei Sony, LulzSec, die IRC-Leaks von LulzSec oder die Lecks der selbsternannten Wikipedia-Wächter oder die der offiziellen Wikipedia-Wächer. Ich könnte beliebig weiter aufzählen.

Daten sind nicht sicher und wir wissen nicht wirklich, wie wir mit ihnen umgehen sollen. Was machen wir nun mit diesem Ist-Zustand? Sollen wir einer illusionären Datenseicherheit hinterherlaufen? Oder das Schiff versenken und postprivatär Schwimmen lernen. Ein paar werden absaufen, aber das ist eben der Preis des Fortschritts.

Das Ziel sollte meines Erachtens — wie so oft — in der Mitte liegen. Wir haben in den letzten Jahren auch Kulturtechniken erfunden, um mit Informationen umzugehen. Paravants. Die katholische Beichte. Telefonbücher. Nummernschilder. Nicht jede Entwicklung war gut, aber wir haben gelernt, damit zu leben.

Albernheiten und Publicity-Stunts hatten wir auf beiden Seiten mehr als genug. Spackeria oder ein facebook ohne Frau Aigner — das sind oberflächliche Aktionen, mit denen sich Leute um Extrempositionen scharen können. Die Mitte der Gesellschaft hat die Debatte aber noch nicht erreicht.

Haben wir als Gesellschaft noch die Kapazität, dieses Problem anzugehen. Neben Finanzmarkt, Energiewende und den neuen Senderplänen mit Thomas Gottschalk? Ich finde wir sollten uns die Zeit nehmen, wir müssen uns die Zeit nehmen.

Oder wir lernen eben Wassertreten. Bis zum Horizont.

DNS-Sperren und die DAUs

Ich habe ja in der vergangenen Wochen über die Sperrverfügungen in NRW geschrieben, mit denen zwei Provider verpflichtet werden sollen, den Zugang zu zwei Glücksspielseiten per DNS-Sperren zu erschweren. In der Landtagsdebatte wurde der Unterschied zu dem Löschen-statt-Sperren-Grundsatz bei Kinderpornografie debattiert. Dabei kam es auch zu diesem kleinen Dialog:

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank für die Frage, Herr Abgeordneter Witzel. Ich gestehe, dass ich persönlich nicht über
die entsprechenden technischen Fertigkeiten verfüge, eine Internetsperre zu umgehen.

(Ralf Witzel [FDP]: Ich auch nicht!

Was man Abgeordneten und Regierungsmitglieder klarmachen muss: sie können das durchaus.

Aber das ist nicht wichtig. Denn der Anbieter kann die Sperre für den User umgehen. Eine Sperre gegen bwin.com betrifft nicht bwin.biz, bwin.eu, bwin.org oder gar bwinnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn.com. Wenn der Veranstalter bösartig ist oder eine andere Rechtsauffassung durchsetzen will, stehen ihm unbegrenzte Möglichkeiten zur Verfügung. Er kann zum Beispiel beim User eine App installieren, die ständig die neusten Adressen kennt.

Nun könnte man argumentieren: der Nutzer merkt über die ständigen Adresswechsel, dass da etwas nicht stimmt. Außerdem kann man ja die Suchmaschinen verpflichten, die Seiten aus den deutschsprachigen Ergebnisseiten zu streichen. Doch wo will man da aufhören? Muss es irgendwann wieder vor den BGH gehen, weil eine Redaktion die verpönte Adresse genannt hat?

Die deutschen Behörden sagen: wir machen das schon. Wir wissen, was angemessen und wirkungsvoll ist. Das Problem: in der Vergangenheit wussten sie es nicht. Im Kampf gegen den Rechtsextremismus waren die Netzsperren in Nordrhein-Westfalen ein gewaltiger Fehlschlag.

Ich hab übrigens vor Jahren auf einer Party einen echten Online-Spielsüchtigen kennengelernt. Ein nervliches Wrack. Er hatte eine hohe Entschädigung bekommen, die ins Online-Kasino getragen und dort über Jahre gezockt. Irgendwann war nicht nur sein Geld weg, er war auch hoch verschuldet. Nun musste er gleichsam einen Entzug machen und hart arbeiten um seine Schulden abzuarbeiten. Ach ja: sein Glücksspielanbieter ist von dem Glücksspielstaatsvertrag nicht betroffen. Denn statt mit Karten hat er mit Aktien und Derivaten gezockt, das Casino war ein Online-Broker.

eG8 – Internet is the new frontier

„Internet is the new frontier“, soll Nicolaz Sarkozy einst gesagt haben. Auf dem heute beginnenden eG8-Forum zeigte er sich jedoch von eoiner ganz anderen Seite: wer das Internet aufhalte, werde weggefegt, sagte er um Beifall heischend. Doch der blieb aus.

Das könnte auch daran liegen, dass die Bekenntnisse zu Grenzenlosigkeit des Internets nicht so völlig glaubwürdig sind. Die rhetorisch gemeinte Frage, wie er denn dem Internet schaden könne, wussten wahrscheinlich alle Teilnehmer viele Antworten. Und bei der Webseite des eG8-Forums kann man es sehr schön sehen.

Wer http://www.eg8forum.com/ von einem deutschen Internetanschluss Browser aufruft, wird dank IP-Geolokalisierung (Korrektur: über die Spracheinstellung des Browsers) umgeleitet auf http://www.eg8forum.com/de/.

Einziger Inhalt der Seite:

Page not found / Page introuvable

Immerhin: wer http://www.eg8forum.com/en/ aufruft, bekommt die englische Version der Seite und wird nicht zurück zur Fehlerseite geleitet.

Ein banales Detail? Ja. Aber ein schönes Beispiel, wie im Internet Grenzen gezogen werden, völlig ohne Sinn und Verstand.

PS: Ein kleiner Check über Rex Swain’s Http-viewer zeigt eine lustige Endlosschleife.

Receiving Header:HTTP/1.1·302·

Moved·Temporarily(CR)(LF)

Content-Length:·147(CR)(LF)

Content-Type:·text/html(CR)(LF)

Location:·http://www.eg8forum.com/(CR)(LF)

Server:·Microsoft-IIS/5.0(CR)(LF)

Date:·Tue,·24·May·2011·13:02:19·GMT(CR)(LF)

Connection:·close(CR)(LF)(CR)(LF)End of Header (Length = 199)•

Elapsed time so far: 0 seconds•

Waiting for additional response until connection closes…Total bytes received = 346

Elapsed time so far: 0 seconds

Content (Length = 147):

<HTML><HEAD>(LF)<TITLE>302·Moved·Temporarily</TITLE>

(LF)</HEAD>(LF)<BODY>(LF)The·document·has·moved·<A·HREF=“http://www.eg8forum.com/“>here</A>(LF)</BODY></HTML>(LF)

Mit Minitel wäre das nicht passiert.

 

Nachtrag: Ich möchte keinesfalls nahelegen, dass die französischen Gastgeber absichtlich deutsche (und anderssprachige User) aussperren wollen. Es ist schlichtweg ein Fehler der Administratoren der Website. Aber er zeigt Potenzial und aktuelle Praxis von Umleitungen, Grenzsetzungen im Netz – egal ob sie nach nationalstaatlichen, sprachlichen, sozialen oder anderen Kriterien aufgebaut werden.