Mein persönlicher Digital Divide

Viel wurde in der vergangenen Woche geschrieben, wie sehr doch Facebook sich das gesamte Internet aneignen werde, dass Facebook unser aller Leben umkrempeln werden. Mit meiner persönlichen Realität hat das jedoch wenig zu tun. Und eigentlich stehe ich nicht allzu weit entfernt von dem Epizentrum des gesellschaftlichen Wandels. Ich bin zwar jenseits der 30, gehöre aber zu der Generation, die das Internet in Deutschland groß gemacht hat.

Ein Digital Divide geht mitten durch meinen Freundeskreis. Die einen sind beruflich und privat ständig online, haben Smartphones, loggen sich irgendwo ein, wenn sie ausgehen. Die anderen sind beruflich und privat oft online, haben ihre Smartphones noch nicht so lange wie die anderen und schicken Links zu witzigen Youtube-Videos tatsächlich per E-Mail. Die erste Gruppe hat Facebook grade massenhaft hinter sich gelassen, die anderen haben Facebook nie in ihren Alltag integriert. „Was hätte ich denn davon?“ werde ich oft gefragt. Dabei hab ich das Thema meist gar nicht angesprochen.

Ein Beispiel aus meinem Alltag: Poetry Slams sind ein guter Anteil für Ressentiments. Im kompetetiven Umfeld zahlt es sich aus, die Antipathien des Publikums zu aktivieren um Applaus zu bekommen. Krude Witze über FDP, den Papst und Mario Barth gehören zum Standard-Repertoire. Damit sind die Slammer mehr oder weniger erfolgreich — schließlich ist die Zielgruppe aus dem Alter der „Deine Mudder“-Witze entwachsen, gebüldet ohne sich etwas drauf einzubülden. Und man will sich schließlich amüsieren und keine Privat-Vorlesung abholen.

Als ich am Wochenende bei der Vorrunde der NRW-Meisterschaft der Poetry Slammer war, haben vier von 10 Teilnehmern Witze über Facebook gemacht. Wie schrecklich doch diese Plattform doch ist, seine Symbolik, die Leute, das Netz. Applaus gab es dafür jedes Mal, wenn auch nicht übermäßig. Dabei war die Veranstaltung selbst auf Facebook angekündigt.

Doch als ich nachgesehen habe, scheint diese Haltung nicht nur rethorisch zu sein. Auf Facebook haben höchstens eine Handvoll Leute ihren Senf zur Veranstaltung dazu gegeben, die dazu meist zur Gruppe der Veranstalter gehörten. Auf Twitter war gar nichts los und auch von den 50 Millionen Google+-Nutzern scheine ich der einzige gewesen zu sein, der tatsächlich einige Beiträge zu der Meisterschaft einstellte.

Ich habe Freundschaften im IRC geschlossen, ich habe spannende Menschen über Usenet-Signaturen gefunden, ich kenne Menschen, die ihren Lebenspartner über Wikipedia gefunden haben. Ich habe aber nie einen interessanten Menschen über Facebook kennengelernt, habe dort keine spannenden Diskussionen gefunden, die nicht irgendwo anders drei Mal besser gestanden hätten, habe nie etwas gelernt, was mich überrascht hätte.

Wenn nun nicht Mal ein tendentiell studentisch-akademisches urbanes Publikum unter 40 Facebook wirklich zu einem ihrer Lebensmittelpunkte gemacht hat — welche Chance hat das Unternehmen tatsächlich das Leben seiner Mitglieder darzustellen?

Swift Slammer Justice

Gestern war ich wieder beim fabulösen Kölner Poetry Slam Reim in Flammen. Obwohl der Veranstaltungsraum jetzt bedeutend größer ist als zuvor, war es proppenvoll.

Etwas fand ich sehr bemerkenswert: die Art, wie die Slammer mit einem vermeintlichen Textklau umgingen. Einer der Teilnehmer – ein arbeitsloser Lehrer – hatte einen Text vorgelesen, im dem er schilderte wie toll doch die Welt sein könnte, wobei er sich in immer fantastischere Visionen hineinsteigerte, bei denen es doch meist wieder um Sex ging.

Nach dem Vortrag jedoch kam es zum Eklat. Jemand aus dem Publikum rief „Das ist geklaut“, „Das ist von Sebastian 23“, das Wort „YouTube“ war zu hören. Kurze Konfusion, der Moderator erinnerte sich an einen ähnlichen Text und rief ohne langes Federlesen zur Abstimmung auf. Von den fast 300 Zuhörern hob niemand seine Hand. Es war das erste Mal, dass ich einen Slammer mit Null Punkten von der Bühne gehen sah. Keine Diskussion, keine Textanalyse, keine Abmahnung – die Strafe der öffentlichen Demütigung wurde sofort vollstreckt. (Das klingt jetzt vilelleicht dramatischer als es ist: wer nicht Gefahr laufen will ohne Applaus von einer Bühne hinunterzusteigen, darf sie nie betreten.)

Erst in der Finalrunde wurde der Vorfall nochmal thematisiert. Michael Goehre schickte seinem Auftritt voraus, dass er einzelne Worte verwendet, die auch schon Mal Sebastian 23 in den Mund genommen habe. „Und dennoch ist das mein Text. Genau so wie das eben sein Text war.“ Kurzer Zwischenapplaus, dann weiter nach Schema F. In der Abschlussrunde stand der vermeintliche Textdieb wieder auf der Bühne und wurde mit den anderen Slammern mit Applaus verabschiedet.