„Inseratenkorruption“

Eine meiner Grundthesen, die ich immer wieder ausbreite: Werbung und Werbefinanzierung hat einen erheblichen Einfluss auf unsere öffentliche Diskussion. Ich rede da meist von strukturellen Einflüssen. Wenn etwa YouTube entscheidet, die Werbekunden vor vermeintlich kontroversen Themen zu schützen, dann finden sich plötzlich auch eigentlich erwünschte Inhalte wie Aufklärungsvideos auf der Verliererseite. YouTube hat hier keine Agenda gegen gesundheitliche Aufklärung. Die Verantwortlichen schrauben halt am System herum und bekommen es nicht besser hin.

Dass es auch direktere Einflüsse gibt, erklärt Helmut Brandstätter in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Während in unserem Land die staatliche Parteienförderung ständig erhöht wird – auch Kurz hat das getan – werden die vom digitalen Wandel ohnehin betroffenen Medien ausgehungert. Ausnahme sind die Zeitungen und Zeitschriften, die lieb schreiben. Die bekommen viele Millionen in Form von Anzeigen. Die Regierenden, nicht nur ÖVP und FPÖ, sondern auch die SPÖ, versuchen also, Medien durch öffentliche Gelder – sagen wir es freundlich – positiv zu stimmen. Darum verwende ich – weniger freundlich, aber treffend – das Wort „Inseratenkorruption“.

Integrität braucht kein Mandat

Wahlkampf – schon wieder. Es ist deprimierend. Aber wann ist denn Mal gerade kein Wahlkampf? Wo sind die raren Inseln, in der die politische Auseinandersetzung noch Argumente und Grautöne kennt und nicht nur das alte „Wir gegen die – die gegen uns!“-Spiel? Aber finden wir uns damit ab: Was in den nächsten Wochen aus den Mündern, Tastaturen und Parteiapparaten der Nahles‘, der Lindners oder Dobrindts fließt, wird bestenfalls eine grob verzerrte Version der Realität sein, die Deutschland in Lager einteilt.

Das eigene Lager vergrößert man offenbar am erfolgreichsten, indem man sich vom anderen Lager „abgrenzt“, also möglichst schlecht über andere Leute und ihre Standpunkte redet. Und wenn man den Bogen überspannt hat, redet man einfach weiter, bis die Gegenseite den Bogen noch mehr überspannt und man sich selbst wieder als Opfer des anderen Lagers vermarkten kann.

Das Deprimierende: Jetzt, wo jeder Bürger quasi ein Publizist ist, sehen wir, dass „die da oben“ kein Monopol auf dieses Denken haben. Ein erschreckend großer Anteil der Kommentare, die ich auf Twitter, in Foren und anderen Kanälen lese, funktionieren genau nach diesem Prinzip. Folge: Sobald jemand „shitstorm“ ruft, schalte ich mein Hirn auf Durchzug. Denn wann hat ein Shitstorm schon Mal der Erkenntnis gedient? Und wenn demonstrative Unvernunft und Ignoranz garantierte Klickerfolge bringt, dann ist das Ergebnis für beide Seiten desaströs. Der doofste und lauteste gewinnt.

Besonders deprimierend finde ich den doppelten Standard, den scheinbar mittlerweile jedermann stolz vor sich herumträgt. Sieht man zum Beispiel Hevelings Handelsblatt-Kommentar als „einseitig“ oder als dämlichen Appell an Ressentiments der eigenen Ziel- und Interessensgruppen, die politische Unaufrichtigkeit mit einem quälenden Sprachstil verbindet? Und: Wenn ein Beitrag mit ähnlichen Mitteln an die eigenen Ressentiments appeliert — ist man intellektuell fähig, dies zu erkennen und integer genug, dies mit einem ähnlichen Maßstab zu beurteilen?

Lasst es uns doch so halten: Reden wir nur noch über politisch gehaltvolle Beiträge. Hat Sebastian Nerz etwas Neues gesagt? Hat Erika Steinbach — trotz ihrer geballten Steinbachheit — mit einem Argument gar recht? Kann man aus dem Streit zwischen Innenministerium und Justizministerium etwas lernen, wie man etwas besser machen kann? Also: Tatsächlich besser machen, nicht nur fordern oder fantasieren? Falls wir all die Fragen verneinen müssen, dann sollten wir den Beitrag ignorieren.

Ich weiß: Uns bezahlt keiner dafür, gehaltvolle Debatten zu führen. Wir haben nicht die Zeit, alles von beiden Seiten zu betrachten. Aber mit einem Mindestmaß an Selbstreflexion sollte es doch gelingen, deutlich besser dazustehen als die bezahlten Wahlkämpfer. Integrität braucht kein Mandat und keinen Gehaltscheck.

Dreckschleuder Internet und Schweigekartell Berlin

Und wir müssen auch aufpassen, daß überhaupt noch Menschen bereit sind sich dieser Sache … auch im Internet, wenn sie da sehn, was alles über meine Frau alles verbreitet wird an Fantasien, dann kann ich nur sagen, da müssen wir doch auch sehen, dass die Menschen auch noch bereit sind sich der Öffentlichkeit zu stellen, in die Öffentlichkeit zu gehen, […]

In seinem Interview thematisierte Bundespräsident Christian Wulff die wilden Internet-Gerüchte, die sich um die Vergangenheit seiner Ehefrau gedreht hatten. Dieses Thema wurde in den letzten Tagen mehrfach thematisiert. Zum Beispiel schreibt Hans Leyendecker Heribert Prantl in der Süddeutschen:

Warum ist das anders geworden? Unter anderem deshalb, weil die Mediengesellschaft über viel mehr und größere Gebläse verfügt als die Gesellschaft vor 30 und 40 Jahren. Vielleicht auch deswegen, weil es den Amtsbonus immer weniger gibt, der selbst demjenigen Amtsinhaber eine Aura gab, der keine hatte. Diesen Bonus hat das Internet in einen Malus verwandelt, weil es dort eine besondere Lust daran gibt, aus Dreckkübeln, die in ausländischen Servern gefüllt werden, ungestraft auf Hass-Subjekte zu schütten. Wulff war und ist da eines der Opfer.

Dass es gar nicht die ausländischen Server waren, hat Alvar Freude in seinem Blog als Reaktion auf einen Cicero-Artikel mit ähnlicher Aussage schön herausgearbeitet:

Aber wie der Laie schon sieht, lautet schon die Top-Level-Domain .de. Sollte es ein Journalist tatsächlich nicht wissen, so kann er leicht recherchieren, dass .de-Domains grundsätzlich nicht anonym zu haben sind. Man kann problemlos gegen den Verantwortlichen vorgehen. Aber selbst wer nicht in der Lage ist dies zu recherchieren, sollte den Link „Impressum“ auf der Webseite finden. Das gleiche gilt für andere vom gleichen Autor gefüllte Webseiten.

Doch es geht noch weiter. Denn es waren nicht die Klowand-Beschreiber, die das Gerücht in die Welt setzten. So erschien am 15. Dezember dieser Artikel von Frankfurter-Rundschau-Journalist Holger Schmale:

Wenn Wulff nicht bald folge, so wurde in Berlin gemunkelt, könne das Blatt mit einer Geschichte über das Vorleben Bettina Wulffs aufwarten. Angeblich verfügt die Redaktion über Informationen, die bisher auf Weisung von ganz oben nicht gedruckt werden dürfen. Aus Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten. Man wird sehen, ob die wenigen Sätze aus dem Schloss Bellevue den Präsidentenjägern nun genügen.

Sprich: Die Gerüchte, die von den Dreckkübeln im Internet verbreitet wurden, kursierten schon drecklöffelweise in Journalistenkreisen. Und irgendwie hat man sie dann über Weihnachten komplett vergessen.

Dass der Anruf bei BILD-Chef Kai Diekmann mit einem solchen Hintergrund einen ganz anderen Hintergrund hätte, taucht in der Berichterstattung nicht auf. Dabei ist der Vorwurf beträchtlich: Ein Medium soll versucht haben den Bundespräsidenten mit gezielten Indiskretionen gefügig zu machen. Das klingt doch sehr nach News Of the World. Aber wir sind ja nicht in England, oder?

Circle of media life

Wenn wir nur lang genug über die Killer-Bakterien auf Tomaten, Salat und Äpfeln berichten, haben wir auch schon die nächsten Schlagzeilen für Juni in petto:

Seefahrer-Krankheit greift um sich. Skorbut in Deutschland!

Wie konnte das nur passieren? Im Zweifel hat es ein Gesundheitsminister verbockt.

 

PS: