Facebook-Mengenleere

Angesichts Hunderttausender Facebook-Fans für Karl-Theodor zu Guttenberg sind die Medien so ratlos wie wir Blogger.Sind die Guttenberg-Liker einfach faul? Oder falsch? Oder gar ein Zeichen von Schwarmdummheit? Alles möglich, wir wissen es schlichtweg nicht. Wahrscheinlich sind all diese Erklärungen Teil der Wahrheit.

Bild.de packt es jedoch Mal wieder der Ungewissheit die Krone der Dummheit aufzusetzen und die Facebook-Zahlen richtig ad absurdum zu führen:

Auch Gegner des Ex-Verteidigungsministers präsentieren sich bei Facebook – wenn auch in der Minderzahl. Sie summierten sich zur selben Zeit auf rund 53 000, während alle Gruppen, die den Politiker Guttenberg zurück wollen, zusammengerechnet mehr als 1,18 Millionen Mitglieder zählten.

Ich muss hoffentlich nicht erklären, warum das Zusammenzählen der Mitglieder von Facebook-Gruppen mit fast gleichlautenden Botschaften irreführend, falsch und einfach peinlich ist?

Guttenberg entpolarisiert

„Nein, das ist nicht zuende“. Als ich am Wochenende auf einer Geburtstagsparty, war, kamen wir natürlich auch auf Guttenberg zu sprechen. Ich gab meinem Gegenüber recht, dass die mediale Berichterstattung nervt — ich gab ihm ganz und gar nicht recht, dass das Thema mit der Rückgabe des Doktortitels erledigt sei.

Was mir auffällt: es gibt kaum jemanden, mit dem man normal und reflektiert zum Thema reden kann. Als der Skandal zum ersten Mal aufkam, erwähnte ich, dass Guttenberg schon früh mit der BILD ins Bett gestiegen sei. Die Antwort verstörte mich schon fast: „Und wenn es so wäre, würde ich es nicht glauben“. Im Gegenzug schicken mir andere Freunde E-Mails mit triumphalen Betreffzeilen „Der Fatzke geht von Bord“. Ist es dem Karneval geschuldet, dass wir keinen Diskurs mehr führen können, der nicht von beiden Seiten ei n Stück Realitätsverleugnung verlangt? Versuchen wir es Mal.

Ja: Guttenberg ist ein politisches Talent. Man mag naserümpfend darüberstehen, aber Menschen für eine Sache zu begeistern ist Teil der Politik. Selbst wenn der Politiker in erster Linie sich selbst als Mission sieht – nur durch einen gewissen Populismus, lässt sich die Gesellschaft auch Mal auf einen anderen Kurs lenken. Der Krieg in Afghanistan hatte schon fast einen Anstrich, als sei dies eine Operation des Bundesverwaltungsamts, Außenstelle Hindukusch. Guttenberg hat es geschafft, den Blick zu den Soldaten zu lenken, er hat es geschafft den Menschen, die wir, beziehungsweise unsere Volksvertreter losgeschickt haben, das Gefühl zu vermitteln gehört zu werden. Und er konnte politische Erdbeben auslösen, wo sie nötig waren. Wer außer Guttenberg hätte die CSU davon überzeugen können, den seit Jahrzehnten immer absurderen Zustand der Bundeswehr neu zu überdenken?

Nein: Guttenberg war in meinen Augen kein guter Politiker. Viel weiter als bis zur Inszenierung ist Guttenberg nie gekommen. Ich glaube nicht, dass er die Bundeswehrreform auch nur ansatzweise organisieren konnte. Er hatte den Respekt der Soldaten, doch was hat das geändert? Die Soldaten beschweren sich darüber, dass sie mit Afghanen zusammenarbeiten müssen, die ihnen vielleicht in den Rücken schießen — woher wissen sie das schon? Guttenberg hat die Soldaten von sich überzeugt, aber nicht von seiner Politik. Er hielt an der Methode fest, konnte aber seinen Untergebenen auch keine Perspektive vermitteln, wo es denn hinführt. Da hört mir einer zu. Aber ändern tut sich doch nichts.

Ja: die mediale Aufarbeitung der Affäre Guttenberg erschien unverhältnismäßig. In Nordafrika wird Weltgeschichte geschrieben und wir kümmern uns nur noch um unseren eigenen Bauchnabel? Nicht nur eine, sondern zwei, gleich drei Wochen lang? Natürlich spielt eine gewisse Missgunst eine Rolle. Teilweise sind es die gleichen Leute, die Guttenberg hochgeschrieben haben, die sich nun über ihn entrüsten. Dass Guttenberg die Bundespressekonferenz vor den Kopf stieß und den Hauptstadtjournalisten beweisen wollte, dass er ohne sie auskäme — das haben sie ihm nicht verziehen. Medien sind Tendenzbetriebe, Journalisten sind Menschen. Und oft auch Akademiker.

Nein: die Journalisten haben Guttenberg nicht abgeschossen. Das war er selbst. Er muss seinen Betrug gekannt haben, hat sich aber bis heute nicht dazu bekannt, er spricht nur sehr vage von Fehlern. Jeder andere Bundesminister hätte eine Woche vor Guttenberg zurücktreten müssen. Stattdessen forderte Guttenberg Solidarität ein, verspielte politisches Kapital, über das er vor zwei Wochen noch überreichlich verfügen konnte. Doch jedes neue Bundestagsgutachten, jedes peinliche Vorschützen der Bundeswehr-Soldaten, kostete reichlich. Auch Politiker sind oft Akademiker.

Ja: natürlich überschütten Gabriel und Trittin ihn mit Häme. Aber wann hat die Opposition schon einmal so eine Einladung bekommen? Mir fällt nur das Ehrenwort Helmut Kohls ein, als der Altkanzler die Bevölkerung vor den Kopf stieß. Ja: Guttenberg die Schuhe zu zeigen, wie es die Ägypter mit Mubarak taten, war in meinen Augen lächerlich. Guttenberg war kein Mubarak, die Demonstranten mussten ihr Leben, ihre Familie nicht riskieren, um ihre Meinung zu äußern.

Nein: Guttenbergs Doktorarbeit ist keine harmlose Schummelei in der Mathe-Arbeit und auch kein schwerer Raub. Es ist einen jahrelanger, kalkulierter Betrug — vermeintlich ohne Opfer. Keinesfalls ein Einzelfall, aber selbst in der Masse werden die Missetäter schnell abgeurteilt.

Nein: Bisher gibt es keinerlei Indiz, dass die Pro-Guttenberg-Gruppen zusammengekauft wurde. GZSZ-Fans versammeln sich bei RTL.de und Facebook hat den Netzwerk-Effekt auf die Spitze getrieben: Gruppen, die viel Zulauf haben, tauchen besonders häufig im Live Feed auf. Auch die enorme Anzahl alleine ist noch kein Indiz für faules Spiel. Zum Vergleich: die Holofernes-Absage an BILD und Jung von Matt erhielt 54000 Facebook-Likes – und konnte nicht eine Woche lang Fahrt aufnehmen. Facebook polarisiert gerne, um Klicks zu generieren.

Länger als ein Sechs-Minuten-Ei

Eine Fage, die ich mir stelle: wieso hält sich die Empörung über Guttenberg länger als die über Dioxin in unserem Frühstücksei?

Guttbye

Ein Erklärungsansatz: wenn wir Ägypten, Tunesien spielen wollen, muss irgendwer der Mubarak sein.

Die BILD-Armee (eine kleine Polemik)

Empörung über den Militärisch-Guttenbergschen Komplex. Wie die Financial Times Deutschland meldet, bahnt sich eine lukrative Zusammenarbeit an:

Den Angaben des Ministeriums zufolge soll die Kampagne im März beginnen und bei den Zeitungen „Bild“ und „Bild am Sonntag“ sowie der Online-Ausgabe von „Bild“ laufen. Zu den Kosten machte das Ministerium noch keine Angaben.

Natürlich vermuten die Nicht-Fans des Barons im Ministerrang einen sinistren Zusammenhang: keine Zeitung stand dem Ehepaar Guttenberg so zur Seite wie BILD. Selbst Schwesterblatt Welt hat sich von den fadenscheinigen Ausflüchten zu den Plagiaten nicht wirklich beeindrucken lassen. Gibt es hier ein quid pro quo? Ich vermute keinen direkten Zusammenhang – aber es ist bemerkenswert instinktlos diese Pläne nun zu verkünden.

In der Debatte um die Wehrform hatten Gegner einer Berufsarmee vor einer Entwicklung der Bundeswehr zu einer Unterschichtenarmee gewarnt. Unter Verweis auf die Erfahrungen anderer Länder hieß es damals, ohne Wehrpflicht müsse die Truppe stärker auf Personal aus sozial schwachen Schichten und ohne andere berufliche Perspektive zurückgreifen.

Was den Empörten jedoch entgeht: Hier sollen BILD-Leser systematisch an Waffen ausgebildet werden. Es ist kein Geheimnis, dass RAF-Sympathisanten keine Terrorcamps in Pakistan aufsuchten, sondern sich gezielt bei der Bundeswehr an der Waffe schulen ließen. Eine Armee, die ihre staatsbürgerlichen Pflichten an Informationen ausrichtet, die sie aus BILD haben? Es braucht keine Volksaufstände in Nordafrika, um das beunruhigend zu finden.

Die Gelder für die Anwerbung für das Freiwillige Soziale Jahr, für die Ersatzdienste, die unseren prosperierenden Pflegesektor in Gang halten sollen, liegen bestimmt bei Guttenbergs Kabinettskollegin Kristina Schröder. Ich bin gespannt, welche Medienpartner sie findet.

Wie ich letztens gesehen habe, wird es nach den bemerkenswert folgenlosen Girls‘ Days in Zukunft auch Boys‘ Day geben. Der bundesweite Jungen-Zukunftstag, bei dem Fünftklässler Input zur Lebensplanung bekommen sollen. Ob hier die Bundeswehr auch ihre löchrigen Netze auswerfen wird?

Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Durch meine Timeline jagen Botschaften von Leuten, die sehr befremdet darauf reagierten, dass so viele Menschen der Pro-Guttenberg-Gruppe auf Facebook angehörten. Leute, von denen man eigentlich eine gute Meinung hatte. Denen man sich verbunden fühlte – zumindest so verbunden man durch eine Facebook-Freundschaft ist. Und diese Leute fanden plötzlich Guttenberg, den gegelten Populisten und Plagiator gut.

Wie konnten sie nicht sehen, was da abgeht? Wie konnten sie der Realität den Rücken zukehren und die Schandtaten des Ministers als Nebensache abtun? Diese Leute mussten die Augen und Ohren fest verschlossen haben, wenn sie nach wie vor an die linke Verschwörung der Hauptstadtpresse glaubten. Da schreiben sie, es seien ja nur Zitate „nicht ausreichend markiert“ worden, als ob das eine lässliche Sünde sei. Dabei wäre eine ausreichende Markierung einem einem Geständnis gleich gekommen.

Ganz klar: die Pro-Guttis leiden unter Realitätsverlust. Sie haben sich einen Wahrnehmungsfilter gebastelt, der alles ausblendet, was die Integrität ihres Lieblings gefährdet. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Aber was bedeutet das für uns, die Guten, die Aufrechten, die Netizens? Schließlich war die Facebook-Massengruppe bisher unser Ding.

Aber nein, das kann doch nicht wahr sein. „Das Netz“ ist nicht für jemanden, der so entgegen unseres Geschmacks ist. Der gelogen hat, betrogen, verarscht, verspottet. Der im Zwielicht steht.

Eigentlich kann das nicht mit rechten Dingen zugehen. Also auf an die Tasten. Schreiben wir es auf:

Nein, Beweise gibt es dafür nicht. Nicht mal Indizien. Aber verbreiten wir es Mal. Denn es kann ja nicht sein, was nicht sein darf.

BP zu Guttenberg

Grade verkündet die Tagesschau, dass Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg dauerhaft auf das Führen des Doktorgrades verzichten will. Damit erinnert er mich immer mehr an die Öffentlichkeitsarbeit von BP nach der Explosion von Deepwater Horizon. Vertuschen, kleinreden, andere beschuldigen. Über Tage hat der CSU-Politiker seine Partei und Koalitionspartner in Geiselhaft gehalten: Unterstützt mich. Ihr braucht mich! 21,9 Prozent! Afghanistan!

Das Problem ist nur: Mit einem Verzicht ist es nicht getan. Nun muss die Universität Bayreuth prüfen und – ohne vorverurteilen zu wollen – ich vermute, das Ergebnis sieht nicht gut aus. Die Frage ist: hat er betrogen? Zwar hat laut Guttenberg-fanclub.de Bild.de zu Guttenberg bei einer Wahlkampfveranstaltung seine eigene mühevolle Arbeit als „Blödsinn“ bezeichnet und Reue gezeigt. Aber wieder einmal schreckt er vor dem Schritt zurück, der mir unvermeidlich scheint: eigene Verantwortung zu übernehmen.

„Ich habe Fehler gemacht, ich habe sie nicht bewusst gemacht”, sagte er.

Genau das erscheint mir nach dem derzeitigen Informationsstand ausgeschlossen. Sieben Druckseiten aus einem Zeit-Artikel kopieren, über 20 Prozent der Textmasse plagiieren — das passiert nicht einfach. Guttenberg schützt Unkenntnis vor, um die eigene Ehre zu retten. Vielleicht sogar mit Erfolg: denn seine Gefolgschaft weiß es ja auch nicht oder will es nicht besser wissen.

Man könnte es nun auf sich beruhen lassen, so zumindest die Pro-Guttenberg-Fans. Er hat sich ja entschuldigt. Doch leider ist durch die anhaltende Nicht-Übernahme der Verantwortung dieser Weg versperrt. Er hat sich immer nur für die Light-Version des Geschehenen entschuldigt, immer nur die Hälfte von dem zugegeben, was eigentlich nicht mehr zu Leugnen war.

Journalisten werden weiter bohren, weiter bohren müssen. Denn der Klärungsbedarf ist groß: wie konnte die renommierten Prüfer so offenkundige Mängel übersehen? Wie tief ist der Sumpf, in dem solcher Blödsinn nicht nur durchgewunken, sondern mit Auszeichnungen belegt werden? Welche politischen Deals werden geschlossen, um Oberfranken vor der Bedeutungslosigkeit zu retten?

P.S.: In der öffentlichen Diskussion kommt die tätige Reue etwas zu kurz. Nach wie vor entschuldigt sich Minister Guttenberg für eine lässliche Sünde, die er aus vermeintlicher persönlicher Größe als schwere Verfehlungen bezeichnet. Das ist natürlich nur ein persönlicher Eindruck.

Was mir aber eindeutig fehlt: Bevor man eine Entschuldigung akzeptieren kann, muss der Entschuldigende reinen Tisch machen. Doch das hat er bis heute nicht. Er hat nicht erklärt, wie viel er geschummelt hat, er hat nicht erklärt, wieso er geschummelt hat und seine Professoren haben nicht erklärt, wie sie die Arbeit mit summa cum laude bewerten konnten, obwohl der Prüfling selbst die Arbeit nun als „Blödsinn“ bezeichnet.

Die gefährliche Lust nach Daten

Die NZZ hat unseren neuen Obersten Datenschützer Karl Theodor zu Guttenberg interviewt:

Ich glaube, dass man hochsensibel damit umgehen sollte und auf beiden Seiten, insbesondere aber bei uns, rechtsstaatliche Massstäbe beachten sollte und manche vorauseilende Lust auf Daten auch einer solchen Überprüfung standhalten muss. Diese Prüfung ist vorzunehmen, und wenn ich Herrn InnenFinanzminister Schäuble richtig verstanden habe, hat er sich schon sehr skeptisch geäussert. Ich kann diese Skepsis nur teilen.

Ach ja: es geht nicht um unsere Daten, nicht um SWIFT und Terrorlisten, sondern um die Kontoinformationen von Steuerbetrügern.