Gar nicht mal ignorieren?

Christian Heller hat drüben bei Carta einen lesenswerten Text mit vielen Denkanstößen geschrieben, der sich mit Trollen und der Ignoranz als Komponente der Medienkompetenz auseinandersetzt.

In gewissem Maß ist das Ignorieren eine Medienkompetenz, die man lernen und lehren kann. So lange die Bibliothek von Babel in all ihren Besonderheiten wächst, wird das Bedürfnis nach dem Erlernen dieser Medienkompetenz steigen. Gleichzeitig aber ist die Freiheit, zu ignorieren, ungleich und oft unzureichend verteilt: Den Stärkeren scheint sie eher zur Verfügung zu stehen als den Schwächeren. Dieses Ungleichgewicht ist eine ungelöste Aufgabe und wird es wohl noch lange bleiben. Aber wir können wohl festhalten: Wenn wir Ignoranz als eine Ressource betrachten und fördern, dann wird es auch solidarisch wünschenswert, für ihre gleichmäßige Verteilung zu sorgen.

Sehr interessant, dennoch halte ich die Prämissen und die Schlussfolgerungen für falsch.

  • Ignorieren ist nicht gleich Ignoranz. Nur wer das bewertet, was er ignorieren will, kann rational entscheiden. Ignoranz hingegen ist unreflektiertes Unwissen.
  • Trolle zu ignorieren mag ein guter erster Rat sein. Gleichzeitig muss man aber im Auge behalten, wo dieses Ignorieren endet. Morddrohungen sind keine intellektuelle Spielerei. Und nicht jeder, der etwas Empörendes sagt, ist ein Troll.
  • Heller entpersonalisiert die Erzeugung von Texten. Foren wie Krautchan haben sicher interessante Mechanismen, wenn man das Zusammenspiel der Menschen jedoch als simples Produkt einer komplexen Maschine begreift, tut er sowohl den Mitgliedern als auch den Provozierten unrecht. Die Metapher der Bibliothek mit allen möglichen Büchern ist ja nicht so weit entfernt, ein gehackter Kindle könnte das ohne weiteres. Würde man ihn deshalb verbrennen? Nein. Niemand würde in ihm lesen.
  • Die Legende vom Ende der Gatekeeper ist der Heiliger Gral der Netzbegeisterten. Doch wer mit offenen Augen das Netz betrachtet, sieht ständig neue Gatekeeper – ob sie nun Google, Carta, Michael Arrington oder Stefan Raab heißen. Aufmerksamkeitsströme können gelenkt werden – wer dabei den besseren Job macht, bleibt abzuwarten.